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Maas-Armee, alle Aushilfe an Arbeitern von der Infanterie stellen mußten, die die Belagerungsartillerie und das Ingenieurkorps verlangen würden. Das konnten sie auch, denn sie hatten sonst nichts zu tun. Rieff war sehr unglücklich, daß er Geschüße und Truppen nach dem Norden abgeben sollte.

Wir machten jezt unsere Rundreise um Paris herum und setzten hiernach Einzelheiten der Arbeiten fest. Überall trafen wir schon alles fleißig an der Arbeit, denn der Befehl, die Kehlwälle der Forts gegen Paris verteidigungsfähig zu machen und in Erde aufzuführen, war uns schon voraufgegangen. Unsere Reise nach Norden war gegen die am 15. Januar unternommene schon bedeutend abgekürzt. Wir fuhren über St. Cloud und Asnières nach St. Denis und dann nach Gonesse. In St. Cloud sahen wir die Stadt in Trümmern. Das Schloß von St. Cloud war durch französische Granaten in Brand gesteckt worden und ein Raub der Flammen. In dieser Stadt hatte Trochu nämlich bei seinem Rückzuge aus der Schlacht der Besaßung den Befehl zum Rückzug zu geben vergessen. Diese Besaßung hatte sich noch am 20. Januar recht tapfer gewehrt und erst kapituliert, als sie das Hoffnungslose jeden Widerstandes erkannte. Der Anblick dieser verwüsteten Stadt war grauenvoll. überall waren die vorderen Mauern der Häuser an den Straßen eingestürzt. Das Innere rauchte noch. An manchen Häusern standen noch die Mauern nach den Höfen zu, und hier und da sah man in der dritten und vierten Etage oben an den dem Einsturz nahen Deckbalken ein Bett oder ein Pianino hängen, als ob es sich ängstlich von dem jeden Augenblick drohenden Absturz retten wollte. Einwohnerlos war die Stadt St. Cloud allerdings gewesen, und Menschen sind dabei nicht umgebracht worden, aber unnüß ist diese Verwüstung doch gewesen, denn St. Cloud hatte keine taktische Bedeutung. Die Verwandlung eines 500 Schritt breiten Parkstreifens von St. Cloud in einen langen, undurchdringlichen, mit Drahtfäden durchzogenen Verhau verwüstete auch den herrlichen Park, war aber doch notwendig, um dort die Annäherung an unsere Zernierungsposition unmöglich zu machen.

Zwischen St. Cloud und Asnières fuhren wir den Kai der Seine entlang, auf der äußersten Grenze der Demarkationslinie. Auf dem andern Ufer der Seine standen, nicht 200 Schritt entfernt, die Franzosen und schauten neugierig hinüber nach den Barbaren. Was taten aber diese Barbaren? Das ganze Flußufer entlang konnte man auf der Promenade für Fußgänger alle drei Schritt einen nachgekommenen Ersatzmann sehen, der unter einem Unteroffizier oder Gefreiten Detaileɣerzieren übte, um die übereilige Detaildressur des Ersaß-Bataillons zu vervollständigen.

Diese einzelnen Ererzierer drehten alle den am anderen Flußufer promenierenden Franzosen und Französinnen die Nordseite zu, während sie entweder Griffe, übten oder in heilgymnastischen Freiübungen Arme und Beine in die Luft streckten. Nichts war drastischer als der Unterschied zwischen Krieg und Frieden, den wir hier in so kurzer Zwischenzeit vor Augen hatten, und Kameke wäre mir vor Lachen beinahe aus dem Wagen gefallen, wenn ich ihn nicht gehalten hätte. So was ist nur in der preußischen Armee denkbar", schrie er. Die Franzosen aber kragten sich nachdenklich hinter den Chren und sagten:

,,Voilà que vous faites la théorie le lendemain de la victoire. On voit bien pourquoi vous êtes les vainqueurs. Nos soldats, après la victoire, ils se mettraient à boire et non à faire la théorie." In St. Denis sahen wir das Fort La Double Couronne. Noch war es nicht zu ersteigen. Aber das Feuer eines einzigen Tages aus den nahe gerückten Batterien des Obersten Bartsch würde die lette Schranke zu Falle gebracht haben.

In Gonesse empfing uns der Prinz von Württemberg jubelnd mit seiner gewohnten Gastfreundschaft. Ich wohnte jezt als Gast in demselben Zimmer, das monatelang mein Kriegseigentum gewesen war. Den nächsten Tag besichtigten wir Aubervilliers und Romainville und die dort einzunehmenden Stellungen.

Es machte mir einen eigentümlichen Eindruck, wie einige von den Herren ihrer Abneigung gegen Erdarbeiten einen unverhohlenen Ausdruck gaben; sie fanden es nicht angemessen, zu „graben“. Ich konnte feinen Unterschied in der Würde finden, ob man zu Kriegszwecken in der Erde gräbt oder andere Kriegsmittel anwendet. Je näher die kommandierenden Offiziere der Truppe standen, desto einverstandener waren sie, besonders in der Charge der Hauptleute und der Regimentskommandeure, damit, daß ihre Leute beschäftigt wurden, denn sie fürchteten gefährliche Folgen für die Disziplin von dem untätigen Leben, unmittelbar nach dem Kriege voll Gefahr, während des Waffenstillstandes bei guter Verpflegung, vielem Weine und doppelter Löhnung. Auf Fort Romainville fand ich die Sachsen bei der Erdarbeit. Dort ging es recht lustig zu. Um der Mannschaft die Erdarbeit mundgerecht zu machen, hatten die Kommandeure die Musik dazu bestellt. Sie blies lustige Weisen. Da sah man die sächsischen Soldaten lustig im Polkaschritt ihre Karren schieben.

Herrlich war der landschaftliche Blick vom Fort Romainville auf Paris zu unseren Füßen, ebenso auf die im Norden sich ausbreitende Ebene, in der wir monatelang nach diesem Fort hinauf geschaut hatten.

Las Terrain zwischen den Forts Romainville und Aubervilliers ist freies Feld. Tieie beiden Forts mußten, die Porte de Villette umspannend, bis Torf Aubervilliers durch Batterien verbunden werden, welche den Zwischenraum anfüllten. Wenn das geschah, kamen wir zu der Überzeugung, daß den Franzosen in der ersten Nacht der Aufenthalt hinter dem Stadtwalle bei Porte la Villette unmöglich gemacht würde, denn von Fort Romainville aus war da jeder Mensch wegzublasen. Anderseits hatten wir am Mont Valérien die überzeugung gewonnen, daß eine Erbauung von Batterien bei Courbevoie ganz unnüß war. Der Mont Valérien selbst lag so viel höher und so wenig weiter als Courbevoie, daß man vom Mont Valérien aus Paris besser bombardieren fonnte. Wir standen daher von Erbauung von Batterien bei Courbevoie ab und beschlossen, das Bombardement von Paris nur von den Forts 1. Romainville, 2. Valérien, 3. Montrouge-Bicêtre-Jory ins Auge zu fassen. Die Lage der Batterien zum Artillerieangriff auf Paris ward genau bestimmt.

In diesem Sinne machten wir unseren Rapport und Vortrag beim Kaiser am 5. Februar. Unsere Vorschläge wurden auf Allerhöchsten Befehl zum Beschluß erhoben und dabei bestimmt, daß alle Arbeiten am 18. Februar vollendet sein müßten, so daß, wenn Scine Majestät es befehlen sollte, am 19. Februar, mittags zwölf Uhr, das Höllenfeuer beginnen könne.

Jett ging es an die Arbeit in der Erde. Die Armeen stellten in fortlaufender, sich fortdauernd ablösender Arbeit immerwährend 20 000 Mann Infanteristen zur Arbeit. Diese und die mehr als 10 000 Artilleristen leisteten alles, was nötig war.

Die Forts wurden, Front gegen Paris, ebenso formidabel, wie sie bis jetzt mit der Front nach außen gewesen waren. Daneben entstanden in die Erde versenkte Batterien, in denen Geschütz an Geschütz ein Fort mit dem anderen verband und Verderben drohend, tief in die Erde geduct, auf den Augenblick lauerte, wo der telegraphische Befehl eintreffen werde, Paris in einen Trümmerhaufen zu verwandeln.

Täglich war ich unterwegs, um bald hier, bald dort mich zu überzeugen, daß den gegebenen Direktiven gemäß gearbeitet werde, und um etwaige Mißverständnisse abzustellen, Unzuträglichkeiten zu beseitigen.

So vergingen die Tage in dieser Arbeit und in der der übernahme des Beutematerials.

Manchmal schien es, als ob die Vorbereitungen zur Fortsetzung des Kampfes unnüz seien, denn die Armee Bourbakis ward in dieser Zeit

vernichtet, Belfort fapitulierte.*) Dann aber wurde wieder die Aussicht auf den Frieden geringer. Unsere Armeen setten sich in Bewegung, denn die Unterhandlungen gediehen nicht zum Abschluß, und man erfuhr, daß die bedeutendsten Generale der französischen Armee, Faidherbe und Chanzy, für eine Fortseßung des Krieges gestimmt hätten. Am 17. Februar besichtigte ich die fertigen Arbeiten der Südfront und wohnte der Armierung der Batterien bei, nachdem die Forts schon lange vorher mit Geschützen versehen worden waren.

Jett meldeten wir uns zum Vortrage beim Kaiser an und konnten unseren Rapport am 18. Februar machen.

Unser Bericht meldete zunächst die gemachte Beute. Das Kriegsmaterial, das auf dem Wege nach Deutschland war, erforderte allein vierzig Eisenbahn-Ertrazüge zu hundert bis hundertvierzig Achsen.

Ferner waren die Forts mit Wällen gegen Paris versehen und dagegen mit französischen Geschüßen bewaffnet. 75 französische Geschütze waren ferner bereit, um Paris zu bombardieren, und außerdem zwei Kränze von preußischen schweren Geschüßen, in vielen Batterien, um im Norden die Porte de Villette, im Süden die Porte d'Italie und den daran stoßenden Wall einzuebnen. Im ganzen waren 680 Geschüße in Batterie gestellt, zum Feuern bereit, davon im Süden 76, im Norden 96 preußische Geschüße. Unsere 58 Kompagnien konnten diese alle natürlich nicht Tag und Nacht dauernd im Feuer erhalten. Es waren aber darunter viele Geschüße, die nur im Falle eines Angriffs aus Paris zur Verteidigung in Tätigkeit zu treten hatten. Aber für die 313 Geschüße, die zuerst beginnen sollten, hatten wir Mannschaft genug. Munition war auf vier Wochen vorhanden. Ich fragte um Befehl, ob am nächsten Mittag um zwölf Uhr das Feuer wieder zu eröffnen sei.

Der Kaiser hörte den Vortrag schweigend an, sprach seine Anerkennung über die Leistung aus und fügte dann lächelnd hinzu: „Gott sei Dank scheint es aber so, als ob die Mühe der Herren vergebens gewesen sei. Der Waffenstillstand ist verlängert, zwar nicht, wie Jules Favre es erst verlangte, bis zum 30. Februar, denn dann hätten wir nie Frieden, weil nie ein 30. Februar kommen wird, aber um drei Tage und weiter, mit dreitägiger Kündigung, und es scheint, als ob er zum Frieden führen werde."

Dann entließ uns der Kaiser und befahl uns zum Diner. Vor dem Diner ernannte er den General v. Kameke zum wirklichen Generalinspekteur des Ingenieurkorps, und mir verlieh er den Orden pour le

*) Belfort kapitulierte am 16. Februar.

Prinz zu Hohenlohe, Aufzeichnungen. IV.

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mérite. Ich ward auch mit gnädigen Worten von allen Seiten von den Königlichen Herrschaften überhäuft. Am Tage des Einzuges in Paris, den 1. März, nach der Parade, kam der Kronprinz mit ausgestreckter Hand auf mich zugeritten und sagte: „Na, wir beide haben etwas zujammen erlebt." Ich äußerte mein Bedauern darüber, daß ich zuweilen gezwungen gewesen sei, eine der seinigen entgegengesette Ansicht zu verfechten, und er erwiderte: „Ach was! In so großen Zeiten wird man sich) doch wohl einmal zanfen können, ohne später wieder daran zu denken."

Das artilleristische Herz in mir aber trauerte darob, daß alle diese Arbeiten vergeblich waren, und die Musik von 680 Belagerungsgeschützen gar nicht gehört werden sollte, wenn ich auch die allgemeine Freude über das bevorstehende Ende des großen Krieges zu teilen nicht umhin konnte.

Betrachtungen. Der langsame und schleppende Gang der Beschießung von Paris hat in der ganzen Welt eine heftige Kritik erfahren, besonders der lange Zeitraum, der von unserem Erscheinen vor der Festung, dem 19. September, bis zum ersten Schuß aus Belagerungsgeschüß, dem 27. Dezember, verstrich. Besonders laut waren die Zeichen der Mißbilligung in der Heimat unter denen, die nichts vom Kriege verstanden. Das war natürlich, denn sie waren durch unsere kolossalen früheren Erfolge verwöhnt. Der Krieg gegen Österreich hatte nur sieben Tage gedauert. Der Krieg gegen Frankreich hatte uns in sieben Wochen von Berlin nach Paris geführt, und die ganze französische Armee befand sich in Deutschland in Gefangenschaft. Da begriff man nicht, warum wir nicht nach Paris hineinmarschierten, wo es, wie man in Deutschland glaubte, keinen Soldaten mehr geben könne.

Die offiziösen und privaten Nachrichten, welche einzelne Personen bald nach unserem Erscheinen vor Paris nach der Heimat gelangen ließen, und in denen sie oft mehr ihren individuellen Wünschen und Hoffnungen Ausdruck gaben als den Aufträgen der Heeresleitung, bestärkten das Publikum in Deutschland in dem Glauben, daß vom 19. September ab das Ende des Krieges jeden Tag mit der Kapitulation von Paris eintreten müsse. Statt dessen wurden unsere Truppen mit schwerstem Festungs- und Marinegeschüß begrüßt. „So schießt doch wieder mit schwerstem Geschüß“, schrie man in den heimatlichen Zeitungen. Da tauchten englische und auch deutsche Stimmen auf, es sei unmenschlich, grausam, die heilige Stadt zu beschießen. Die größte allgemeine Entrüstung antwortete hierauf. „Wer unsere Söhne und Brüder beschießt, fann wieder beschossen werden", jo antwortete die öffentliche Meinung, nicht mit Unrecht. Da ließen sich jene offiziösen Stimmen aus dem

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