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rungen. Dasselbe hatte während der Beschießung von Paris der höchst geistreiche und brave Major Schumann vom Ingenieurkorps behauptet. Er kam mit uns auf Fort Issy, und als er dort die zerschossenen Rohre und zertrümmerten Lafetten sah, beugte er sich lächelnd und sagte: „Ich bin überwunden". Allein in Fort Issy und Vanves lagen vierzig zerschossene Rohre, siebzig demontierte Lafetten. In St. Denis war fast kein Geschütz mehr brauchbar. In den Anner-Batterien war fast alles zerstört, nur die am Kirchhof beim Fort Issy war unverlegt.

Was die französische Armee an Menschen durch die Beschießung verloren, läßt sich gar nicht berechnen. Im Fort Issy sollen nach Mitteilung des erwähnten Offiziers die Verluste durch unsere Geschosse den durch die Pocken verursachten gleich gekommen sein. Im übrigen fehlen Angaben. Der Stand der zum Teil aus Freiwilligen, zum Teil aus Mobilgarden bestehenden Armee war täglich wechselnd, und wenn einer fehlte, wußten die Führer nicht, ob er tot oder fortgelaufen war. gegen ist der Verlust der Zivilbevölkerung, der durch unser Bombardement verursacht war, genau von der Zivilbehörde angegeben. Er betrug dreiunddreißig bis vierunddreißig Menschen durchschnittlich täglich an Toten und Verwundeten, also etwa siebenhundert Menschen in den zweiundzwanzig Tagen der Beschießung.

Das Elend, das durch die Hungersnot entstand, war aber viel größer. Noch starb zwar niemand lediglich an Hunger, aber die Sterblichkeit nahm wegen der schlechten und ungenügenden Nahrung und der daraus entstehenden Epidemien derart zu, daß in den lezten Tagen der Belagerung 2000 Menschen täglich mehr in Paris starben als in Friedenszeiten. Wenn daher die Beschießung von zweiundzwanzig Tagen die Kapitulation nur um einen einzigen Tag früher herbeigeführt hat, als sie durch bloße Einschließung erfolgt wäre, so ist dies Bombardement ein Akt der Menschlichkeit gegen Paris gewesen, denn es hat 1300 Parisern das Leben gerettet, ganz abgesehen davon, daß nicht alle durch die Beschießung Getroffenen gestorben sind, und daß es viel schrecklicher ist, an Entbehrung und Hunger zugrunde zu gehen als durch eine feindliche Kugel. Es klingt diese Behauptung parador, es ist aber eine Wahrheit, wenn ich auch damit nicht behaupten will, daß ich aus Mitgefühl für die Pariser sie bombardiert hätte.

Und wie sah die Einwohnerschaft von Paris aus, als wir das Feuer einstellten, und ehe noch die gehörigen Massen von Verpflegung hineingeschafft werden konnten! Am 1. Februar begab ich mich nach Besichtigung des Mont Valérien an die Brücke von Neuilly, welche die Grenze. der Demarkationslinie bildete. Der Verkehr der Außenwelt mit Paris,

um die nötigen Lebensmittel für die Bevölkerung in die Stadt zu schaffen, war auf bestimmte Eisenbahnlinien und Bahnhöfe beschränkt, wo er bei uns dahin überwacht wurde, daß nicht mehr als der tägliche Bedarf hineingeschafft werde, damit sich Paris nicht für den Fall auf längere Zeit verproviantiere, daß dem Waffenstillstand kein Friede folge. Über die Brücke von Neuilly aber war der Verkehr verboten, und da standen unserseits am diesseitigen Ende preußische Wachen, am jenseitigen französische Sergeants de Ville, um das Verbot aufrecht zu erhalten. Hinter den französischen Sergeants stand eine Volksmenge, die nach vielen Tausenden zählte. Diese Menschen sahen alle elend, verhungert, hager aus. Ich ging hinüber und sprach mit den Sergeants. Da standen Menschen, nach ihrer Kleidung augenscheinlich den besseren Ständen angehörig, und bettelten um Brot. Das arme Volk dauerte mich. Ich kaufte Brot in den nächsten Häusern und gab es denen, die ich erreichen konnte. So ging es den ganzen Tag, und unsere Soldaten teilten ihr Kommißbrot mit den hungrigen feindlichen Einwohnern. Noch steht vor meinen Augen ein wohlgekleideter Mann mit einem Kind von etwa fünf Jahren auf dem Arm. Beide trugen die Spuren entseßlichen Hungers auf dem Antlig. Die Kleine aber schlug mit den Händchen kläglich zusammen und rief: ,,Oh Monsieur, pour la grace de Dieu, un petit morceau de pain." Wer das gesehen hat, der stimmte mit mir dahin überein, daß es viel grausamer ist, eine Stadt durch Hunger zu bezwingen als durch Bombardement. Wohl ist der Gedanke schrecklich, daß ein Säugling den Armen seiner Mutter durch eine Bombe entrissen werden könne. Aber noch schrecklicher ist der Gedanke, daß tausend Säuglinge und tausend andere Mütter aus Mangel an Nahrung elend, langsam zugrunde gehen.

Unsere Heeresverwaltung war bereit, bei der täglichen Verpflegung von Paris behilflich zu sein mit den eigenen Vorräten. Aber sie konnte doch nur in beschränktem Maße Hilfe gewähren, denn die Einwohnerschaft von Paris betrug siebenmal soviel Seelen als das Heer, das belagerte, und auf fieben Tage Vorrat des Heeres reichte erst auf einen Tag für Paris. Viel mehr als auf sieben Tage wird aber in den Magazinen unseres Heeres an Vorrat nicht vorhanden gewesen sein. Dennoch wollte unsere Verwaltung tun, was sie konnte. Da kam aber die deutsche Ehrlichkeit in Konflikt mit dem betrügerischen Sinn einzelner Machthaber der franzö sischen vorübergehenden Regierung. Als eine Partie von einigen tausend Hammeln überwiesen werden sollte, verlangten die Franzosen, man solle attestieren, daß sie ein paar Tausend mehr gekauft hätten, und wollten den Unterschied mit unseren Beamten teilen. Weil diese sich auf solchen Unterschleif nicht einlassen wollten, zerschlug sich das Geschäft, und die

Franzosen schrieben in ihren Zeitungen, die deutsche Verwaltung habe bei Überlassung einer Herde Hammel an die hungernden Pariser solche Schwierigkeiten gemacht, daß sich der Handel zerschlagen habe. Überhaupt kam die Versunkenheit auch der höheren französischen Stände jezt vor uns recht zutage. Kam doch der erste französische General, der das Einstellen des Kampfes mit uns als Parlamentär unterhandeln sollte, in einem so betrunkenen Zustande in Versailles an, daß mit ihm nicht zu verhandeln war und er zurückgeschickt werden mußte.

Beute. Nach den Kapitulationsbedingungen ward das Kriegsmaterial der Forts unser Eigentum. Wir erbeuteten darin 1362 Festungsgeschütze, 32 Millionen Patronen, 7000 3entner Pulver und 300 000 Bomben und Granaten. Unter den Geschüßen befanden sich 150 eiserne. Die anderen waren von Bronze.

Ferner mußten von den Geschüßen auf dem Stadtwalle die Rohre aus den Lafetten genommen werden. Es bezog sich dies auf weitere 2000 Festungsgeschüße. Die Pariser hatten also 3362 Festungsgeschüße gegen meine 385 Belagerungsgeschütze gehabt und sind unterlegen.

Die Armee wurde kriegsgefangen, blieb aber in Paris. Ihre Waffen mußte sie nach den Armeelisten abliefern. Ich hatte sie zu übernehmen. Die Listen waren von meinem Freunde, dem unglücklichen Obersten Stoffel, unterzeichnet. Ich übernahm 602 Feldgeschüße, 177 000 Infanteriegewehre, 1200 Munitionswagen. Somit betrug die Zahl der erbeuteten Geschüße 1962.

Charakteristisch für den Wirrwarr, der in Paris herrschte, ist die Tatsache, daß die französische Armee 1800 Infanteriegewehre mehr ablieferte, als sie verpflichtet war. Sie wurden später reklamiert und auf Befehl des Kaisers wiedergegeben, aber ein paar hundert Munitionswagen, die sie uns zu viel gegeben, haben die Franzosen nicht bemerkt.

Die Offiziere, welche das Material abliefern mußten, erfüllten mich mit dem innigsten Mitleid. Wenn da die endlosen Züge von Feldkanonen aus Paris anmarschiert kamen, da sah man die hellen Tränen den Offizieren die Wangen herunterlaufen, und sie drehten mir den Rücken zu, weil sie sich schämten, mich anzusehen. Ich mußte mir sagen, daß ich den qualvollsten Tod einem solchen Dienst vorziehen würde.

Das nächste Geschäft war, dies kolossale Material, soweit es nicht von uns noch verwendet werden konnte, nach Deutschland zu schaffen. Dabei hatte ich eine spaßzhafte Differenz mit dem Kriegsministerium in Berlin. Es verlangte, die geladenen Geschosse sollten vor dem Transport

nach Deutschland entladen werden. Das Entladen geladener Geschosse ist aber eine sehr gefährliche Arbeit. Ich protestierte. Man schickte mir eine viele Bogen lange Instruktion. Unter den 300 000 Geschossen waren aber 192 000 geladene. Wie lange hätten wir noch in Frankreich bleiben müssen, bis diese Arbeit von den wenigen Fachkennern bewältigt wäre? Schließlich sind nach dem Friedensschluß die geladenen Geschosse in die Seine geworfen worden. Bis dahin aber hätten sie noch Verwendung finden können, wie ich bald erzählen werde.

Die erbeuteten 150 eisernen Rohre wurden durch Dynamit zerstört und als altes Eisen an Händler verkauft, weil sie den Transport nicht wert waren. Dies Sprengen mit Dynamit war sehr unterhaltend anzusehen. Die Masse war weich und klebrig wie ein Brei. Davon wurde. eine Handvoll auf das Rohr geklebt und durch ein Leitfeuer entzündet, das in der breiartigen Masse mit einem Kupferhütchen endete. Man brauchte sich nur 20 Schritt weit zu entfernen. Die Explosion war nicht so stark wie ein Kanonenschuß. Das stärkste Kanonenrohr wurde aber davon durchschlagen und fiel in Stücken an die Erde. Ein Rohr wurde bloß geföpft wie mit einem scharfen Schnitt. Auch unsere eisernen zwanzig Bombenkanonen hatten dasselbe Schicksal, wie ich bereits erwähnte. Dies Sprengen der Rohre hatte noch nach Wochen ein originelles Nachspiel. Ein solches Rohr lag noch ohne Kopf in dem Kasernenhofe des Forts Aubervilliers, bereits an den Händler verkauft, aber noch nicht abgeholt. Um die müßige Zeit der Okkupation auszufüllen, scherzte ein Kanonier mit einigen anderen Soldaten, ritt auf dem riesenhaften Rohr, steckte eine Schlagröhre, die er gefunden, hinein, rief: „Geschüß Feuer!" und brannte sie ab. Das Rohr war aber noch geladen, und der Schuß ging los. Der Kanonier fiel ohnmächtig herab, die Granate ging in die Kaserne und platte in einer Stube, wo, eine große Anzahl Grenadiere des 4. Garde-Regiments damit beschäftigt war, Mäntel auszuklopfen. Die Stücke zerrissen viele Mäntel, berührten aber keinen Menschen. In diesem Kriege hatten wir eben viel Glück. Nur der Kanonier hatte einigen Schaden davon, denn nachdem er sich von seiner Ohnmacht erholt hatte, spazierte er sieben Tage in Arrest. Wem die Schuld zufiel, daß das Kanonenrohr nicht, wie Vorschrift ist, bei der übernahme untersucht worden war, ob es geladen sei, war nicht mehr zu ermitteln. Es wurden aber jegt die anderen gesprengten Rohre untersucht, und es fanden sich noch drei geladene darunter. Von dem Sprengen wurde nur die große Valérie auf dem Mont Valérien ausgenommen, um als Trophäe am Berliner Zeughause aufgestellt zu werden, desgleichen zwei eiserne Kanonen, um die der Johanniter-Orden bat.

Arbeit an den Forts. Unser dringendstes Geschäft war aber, die Maßregeln vorzubereiten, welche nötig werden mußten, um den Kampf zu erneuern, wenn die Unterhandlungen nicht zum Frieden führen sollten. Der Waffenstillstand dauerte nämlich bis zum 19. Februar, zwölf Uhr mittags. Bis dahin mußten die Forts auf der der Stadt zugewendeten Linie verteidigungsfähig gemacht und Geschüße aufgestellt werden, um den Stadtwall durch Artilleriefeuer zu öffnen und die Stadt mit einer Masse von Projektilen zu überschütten, wenn sie sich nicht ergeben sollte.

Wir meldeten uns daher zum Vortrage an und wurden zum Tage nach der Übergabe der Forts, den 30. Januar, befohlen. Hier baten wir, Kameke und ich, Seine Majestät möge befehlen, daß und wie die Forts gegen Paris umgebaut und bewaffnet würden. Zur Bewaffnung wollten wir nur französische Kanonen verwenden. Ferner wollten wir Paris auf das heftigste bombardieren, wenn es den Waffenstillstand bräche oder nach Ablauf desselben nicht die Tore öffne. Auch zum Bombardement wollten wir nur französische Geschüße verwenden, weil es dabei nicht auf Genauigkeit des Treffens ankam. Wir schlugen drei Punkte vor, von denen aus bombardiert werden sollte, nämlich Courbevoye am Fuß des Mont Valérien, Fort Romainville und die Linie Montrouge-Bicêtre. Endlich wollten wir an zwei Stellen den Wall der Stadt einschießen und die Tore öffnen. Dazu suchten wir als Hauptangriffspunkt die Porte de Villette aus, sowohl weil dieser Punkt leicht von uns umfaßt werden konnte, als auch wegen des Ausschlag gebenden Charakters der Einwohner. Gegenüber sollte in einem Nebenangriffe von Fort Bicêtre aus die Porte d'Italie eingeschossen werden. Zu diesem Breschelegen der Stadt sollten nur preußische Geschüße verwendet werden, weil sie genauer schießen als die französischen. Damit im Norden an der Porte de Villette das entscheidende Artilleriefeuer gemacht und unterhalten werden könne, sollten alle die neueren Geschüße, also die kurzen Vierundzwanzigpfünder und die gezogenen Mörser dem Obersten Bartsch überwiesen werden und zu ihrer Bedienung drei Bataillone Fußartillerie aus der Südfront.

Um die Details für dies alles anordnen zu können, mußten wir den ganzen Umkreis der Forts bereisen und besichtigen und baten dazu um Urlaub.

Schließlich mußte ich noch darum bitten, die Munitionstransporte von Lagny nach Villa Coublay zu sistieren, weil dort übrig viel Munition lag, besonders wenn die Geschüßzahl im Süden noch vermindert werden follte.

Der König genehmigte alle unsere Vorschläge und erhob sie zum Befehl, wobei mit befohlen ward, daß die beiden Armeen, Dritte und

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