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Deckungen und die Batterien zu verstärken, wo das feindliche Feuer ihnen Schaden zugefügt hatte.

Den nächsten Tag fuhr ich erst nach dem Lazarett von Igny, wo die Leiche des Hauptmanns Hoffmann v. Waldau mit militärischen Ehren auf den Transportwagen gebracht ward, der sie nach der Heimat schaffen sollte. Die Bayern hatten eine Ehreneskorte gestellt und taten alles, um dem bundeskameradschaftlichen guten Einvernehmen Vorschub zu leisten. Die ganze Kompagnie des Gefallenen kam als Leidtragende. Er war sehr beliebt. Seine Leute weinten alle.

Von da begab ich mich in die Batterien. Meine Befehle waren nirgends befolgt. Nach dem einundzwanzigtägigen Geschützkampf hatte sich eine allgemeine Sehnsucht nach Ruhe der Gemüter bemächtigt, und ein jeder glaubte nicht an die Möglichkeit, daß es noch wieder zur Tätigfeit kommen könne. Daher waren auch alle meine Befehle, sich zum weiteren Kampf bereitzuhalten, unbeachtet geblieben. Ich war sogar genötigt, hier und da Strafen zu verhängen.

Bei den äußersten Vorposten in Bagneur konnte ich mich allerdings überzeugen, daß eine Wiederaufnahme der Feindseligkeiten seitens der Pariser sehr unwahrscheinlich war, denn die französischen Soldaten kamen in hellen Haufen unbewaffnet und konnten nur mit Mühe am Überlaufen verhindert werden, denn sie sehnten sich danach, die gute Verpflegung in der Gefangenschaft gegen die schlechte in Paris zu vertauschen. Unsere gutmütigen Bayern gaben dort aber den Bettelnden Brot und konnten daran nicht durch die Offiziere verhindert werden, obgleich es gar nicht in unserem Interesse lag, dem Feinde Unterhalt zu gewähren, solange er uns durch keinen Vertrag Sicherheit bot, daß er nicht mehr gegen uns fechten werde.

Die Waffenstillstands-Konvention. In der Nacht vom 28. zum 29. Januar ist endlich die Konvention abgeschlossen worden, welche die Forts in unsere Hände lieferte und bis zum Friedensschluß eine Demarkationslinie feststellte.

Die Bedingungen diejer Konvention verseßten uns alle in die tiefste Betrübnis. Moltke war zu den Verhandlungen nur insofern zugezogen worden, als er um sein Gutachten gefragt worden war. Er hatte es sehr einfach dahin abgegeben, daß die „Festung“ nach den Bedingungen der Kapitulation von Sedan fapitulieren müsse. Troßdem ging Bismard mit Jules Favre eine „Konvention" ein statt einer „Kapitulation“, welche die französischen Machthaber in den Stand seßte, den Einwohnern

von Paris vorzuerzählen, sie hätten uns gnädigst erlaubt, die Forts zu beseßen. Es war diese Konvention deshalb so unglücklich, weil der Glaube der Pariser an die Unbezwinglichkeit ihrer heiligen Stadt dadurch nicht gebrochen ward. Das größte materielle Unheil brach deshalb aber über die Stadt Paris selbst herein. Denn während der nun folgenden vier Wochen des Waffenstillstandes und einer schwach aufrecht erhaltenen Ordnung und laxen überwachung der städtischen Regierung hatten die räuberischen und meuterischen Elemente der ganzen Welt Zeit, sich in Paris zu sammeln und zu einer Macht zu organisieren, welche später als Herrschaft der Kommune, nachdem wir Paris verlassen hatten, die Stadt über zwei Monate lang mit Mord und Brand heimsuchte. Es war diese Nachgiebigkeit gegen Jules Favre's doktrinäre Wünsche ganz unnüß, denn Paris konnte sich nicht länger halten. Die Not war schon sehr hoch gestiegen, und bei Verteilung der Lebensmittel an die zweieinhalb Millionen Einwohner hatte man schon auf halbe Portionen zurückgehen müssen. Jules Favre selbst erzählte, daß die Gefährdung der Madeleine, die Flucht der 20 000 Einwohner aus St. Denis nach Paris hinein die Gemüter an ein Aufgeben des Widerstandes haben denken lassen, daß aber die Granaten, welche Villette und Belleville bedrohten, auch die niederste Volksmasse zum Geschrei nach Frieden gebracht hätten, nachdem die Schlacht am Mont Valérien auch die vornehmeren Schreier und Schreiber von der Nußlosigkeit fernerer Kämpfe überzeugt hatte. Denn nachdem der gebildete Teil der Bürger immer auf eine größere Tätigkeit der Armee gedrängt hatte, waren die von ihnen formierten Bataillone der Nationalgarde an diesem Schlachttage in erster Linie verwendet worden und hatten nun unsere überlegenheit durch ihre massenhaften Verluste fühlen und erkennen gelernt. Ende Januar war daher die Entmutigung in ganz Paris in allen Schichten der Bevölkerung so allgemein, dazu die Nerven der Einwohner durch mangelhafte Nahrung und Furcht so gebrochen, daß sie sich alles hätten gefallen lassen. Hätte man uns daher Paris einfach durch Kapitulation übergeben, so hätten wir durch 100 000 Mann dort die Ordnung streng aufrecht erhalten können und nach dem Friedensschluß der französischen Regierung eine Hauptstadt zurückgegeben, die von allen aufrührerischen Elementen rein erhalten war. Aber die Gewalthaber hatten geschworen, nie eine Kapitulation zu unterzeichnen. Also mußte es eine „Konvention" genannt werden.

Die Konvention erhielt auch einen Waffenstillstand für alle Armeen in ganz Frankreich. Jules Favre bestand darauf, daß Bourbakis Armee und Belfort davon ausgenommen werde. Er glaubte uns nicht, daß Bourbaki bereits geschlagen sei, und hoffte von ihm einen Umschwung der

Dinge. Das entsetzliche Elend, das jezt über diese Armee hereinbrach, fällt also der unsinnigen Eitelkeit der französischen Advokaten zur Last, welche die Regierung der Nationalverteidigung zur Zeit in den Händen hatten.

Die Konvention ist vom 28. Januar datiert. In der Tat ist sie aber erst nach Mitternacht, also am 29. Januar, gezeichnet. Ich habe eine große Freude darüber empfunden, daß Paris gerade am Geburtstage meines Vaters die Waffen streckte.

Zustand der Forts. Im Laufe des Vormittags am 29. Januar erfuhren wir, Kameke und ich, den Abschluß des Vertrages. Nur kurze Zeit verwandten wir auf den Unmut über die dem Feinde gemachten Zugeständnisse, dann dachten wir an unsere Pflicht. Es war zunächst unsere Sache, uns von der übergabe der Forts zu überzeugen. Wir fuhren daher alsbald nach Fort Issy. Dort trafen wir fast gleichzeitig mit den Bataillonen des XI. Armeekorps ein, welche es beseßten. Die Übergabe aller Forts sollte zwischen zehn und zwölf Uhr stattfinden und erfolgte auch im Laufe des Tages ohne Hindernis, nur am Mont Valérien wäre beinahe ein Konflikt entstanden, dessen Folgen unberechenbar gewesen wären. Unsere Truppen vom V. Armeekorps marschierten dort friedlich, die Musik an der Tete, auf die Festung zu, wie es verabredet war. Da kam ein französischer Offizier entgegengeritten und erklärte ihnen, daß wenn sie noch einen Schritt weiter marschierten, würden sie mit Kartätschen zusammengeschossen werden. Unsere Truppen standen ganz frei in dichter Marschkolonne auf der Straße. Im Mont Valérien wußte man von der Kapitulation nichts. Es ist zu vermuten, daß die Pariser Gewalthaber es nicht gewagt hatten, der Besatzung des Mont Valérien den Befehl zu geben, aus Furcht, die Soldaten könnten Exzesse begehen, denn die Besaßung des Mont Valérien hatte noch keinen feindlichen Schuß gefühlt und wußte nichts von dem Elende innerhalb von Paris. Auf Veranlassung unseres die Kolonne kommandierenden Offiziers telegraphierte der Kommandant vom Valérien erst nach Paris und erhielt die Bestätigung. Unsere Bataillone mußten eine erwartungsvolle peinliche Stunde im Freien fast vor den Mündungen der mit Kartätschen geladenen feindlichen Kanonen zubringen. Die französischen Soldaten verunreinigten im Mont Valérien vor dem Abmarsch noch alle Kasernen in der Wut gröblich und zertrümmerten Türen, Möbel und Fenster.

Solcher Mühe waren sie allerdings im Fort Issy überhoben. Es läßt sich gar nicht beschreiben, wie dies Fort aussah. Die Kasernen lagen

in Trümmern. In den Kasematten der nach uns zugekehrten Front waren unsere Granaten eingedrungen. Die Öffnungen waren durch Erdsäcke unvollkommen ausgefüllt. Noch gab es weiter hinten gedeckte Räume, Kasematten, Patronen- und leere Pulvermagazine. In diesen Räumen. hatte sich die Besaßung des Forts vor unserem Feuer verkrochen, und dort hatte sie auf verfaultem, schon lange nicht mehr erneutem Stroh gelegen. Seit dem 21. Januar, wo die glatten Mörser der Batterie Nr. 23 alle freien Räume unsicher machten, hatte die Mannschaft nicht mehr gewagt, die gedeckten Räume zu irgend einem Zweck zu verlassen. Binnen sechs Tagen hatte sich daher in denselben Räumen, in denen die Leute schliefen und aßen, eine Menge Gestank angesammelt, der die Luft darin verpestete. Als ich zu einer Tür einer solchen Kasematte hereintrat, taumelte ich ob des Pesthauches zurück, der mir entgegenschlug. Krankheiten aller Art waren da ausgebrochen. Von der Besaßung, in der Zahl von etwa 1700 Mann, waren 170 an den giftigen Pocken gestorben. Ungefähr ebensoviel waren von unseren Geschossen hingerafft. Der französische Offizier, der das Fort übergab, sagte uns, die Garnison habe es nicht mehr darin aushalten können und würde es geräumt haben, auch wenn kein Waffenstillstand abgeschlossen worden wäre. In einem ähnlichen Zustande waren Vanves und Montrouge. Das Fort Double Couronne de St. Denis war ganz in Trümmern, aber noch nicht ersteiglich, wäre es aber ohne Zweifel geworden, wenn Bartsch die am 27. Januar nahe aufgestellten weiteren dreißig bis vierzig Geschüße nur einen Tag hätte spielen lassen können.

Die Batterien. Auch bei unseren Batterien sah die Umgegend recht wüst aus, aber ihr Inneres war geordnet und unverlegt, weil immer wiederhergestellt. Zahlreiche Besucher überschwemmten jezt die Batterien, Photographen kamen und brachten auch der Heimat diese Bilder zur Anschauung. Am interessantesten sah die Verwüstung aus, welche vor, hinter und neben der Batterie St. Cloud Nr. 1 angerichtet war. Die Häuser am Bergabhange vor der Batterie waren der Erde gleich. Hinter der Batterie war jene Felswand in einen schrägen Abhang von Schutt und Gerölle verwandelt. Weiterhin war der Wald bis in eine Tiefe von 200 Schritt abgeholzt. Die feindlichen Granaten hatten die schönsten alten Bäume, welche dort die Zierde des Kaiserlichen Parkes bildeten, gänzlich zertrümmert und umgelegt. Als der Großherzog von Oldenburg diese Verwüstung sah, meinte er zu mir, nach seiner Ansicht habe jeder Kanonier, der in dieser Batterie ausgehalten, den Orden pour le mérite verdient.

Aber auch in der Umgegend der anderen Batterien sah alles übel genug aus. Die herrlichen Landhäuser lagen in Trümmern, und wo sie nicht Feuer gefangen hatten, da waren ihre Mauern doch von den franzö sischen Granaten derart durchlöchert, daß sie jeden Augenblick zusammenzustürzen drohten. Wer die Photographien der Batterien gesehen hat, wird sich der in der Nähe umgeknickten oder auf halber Höhe abgeschossenen Bäume erinnern, die ihre Häupter traurig zur Erde neigten. Es läßt sich auch nicht annähernd schäßen, wieviel Geschosse aus Paris in die Umgegend geschleudert sind und sie verwüstet haben. Da unser täglicher Munitionsverbrauch fast 10 000 Zentner wog, so ist der der Franzosen aus ihrer größeren Geschützzahl ungleich bedeutender gewesen, und alle diese Munition hat nur ihr eigenes Land, ihre eigenen Häuser verwüstet.

Verluste. Im Vergleich hiermit war unser Verlust nicht bedeutend zu nennen. Die gesamte Belagerungsartillerie hatte 32 Offiziere, 385 Mann an Toten und Verwundeten verloren, größtenteils auf der Südfront, denn Bartsch hatte bis zum 22. Januar nur einen Verlust von 1 Offizier und 25 Mann. Wieviel er im ganzen verlor, kann ich nicht angeben, aber sehr viel mehr ist es nicht gewefen. Dies beweist, daß energisches Draufgehen unter Umständen die eigenen Truppen schont. Allerdings hatte Bartsch auch die übermacht an Zahl. Unter den Verlusten zählten wir 8 Offiziere und 70 Mann an Toten, wobei bemerkt werden muß, daß die an den Wunden Verstorbenen bei den Toten eingerechnet sind, also der ganze Rest wieder genesen ist. Der Gesamtverlust ist bei einer Kombattantenzahl von 11 200 Mann mit etwa 224 Offizieren nicht gerade erschrecklich, wenn er auch bei dieser, einer Division etwa gleichkommenden Mannschaftszahl fast ebenso groß ist wie der der Armee in der großen Schlacht am Mont Valérien, 40 Offiziere, 570 Mann. Interessant ist der Vergleich des Verlusts an Offizieren zu denen an Mannschaften. Bei der Mannschaft betrug der Gesamtverlust dreieinhalb vom Hundert, die Toten sieben vom Tausend, bei den Offizieren der Gesamtverlust fünfzehn vom Hundert, die Toten vierzig vom Tausend. Das kam daher, weil die Offiziere, von einem Geschüß zum anderen gehend, fortwährend aus der Deckung heraustreten müssen, aber auch oft daher, weil sie den Schuß der Wälle verschmähten, wo sie ihn hätten benuben können.

Was haben wir denn eigentlich getroffen? wird der Artillerist fragen. Die Ingenieure behaupten oft, die Wirkung der Artillerie sei nur moralisch, ihr materieller Erfolg fast Null, besonders bei Belage

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