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Schrecken verbreitet, die Volksmasse mit dem Gedanken an eine Kapitulation vertraut gemacht. Derselbe Pöbel, der noch zwei Tage vorher einen jeden gesteinigt haben würde, der von Kapitulation geredet hätte, hielt jest jeden Widerstand für nußlos, da er sich selbst gefährdet sah. Die Kirche Madeleine wird vornehmlich von Frauen besucht, und da die Frauen in Paris einen überwiegenden Einfluß haben, so stimmten sie auch ihre Männer friedlich, sobald sie sich beim Eintritt in ihre Kirche gefährdet sahen. Ich begriff erst nicht recht, wie Granaten bis zur Madeleine kommen konnten, die doch 11 500 Schritt von der nächsten Batterie entfernt war und sonst unsere Granaten höchstens 10 200 Schritt weit reichten. Aber Prehn lachte, als ich ihn fragte, und verriet mir, daß mehr viereinhalbpfündige Kartuschen verbraucht seien als Granaten. Da hatten die Kanoniere in den Bombardementsgeschützen statt einer Ladung zu sechs Pfund, deren zwei zu viereinhalb Pfund genommen, die noch Plaß haben in dem Ladungsraum, wenn man sie fest hineinstopft, und jezt ward mir auch das Springen eines Vierundzwanzigpfünders erklärlich. Er war einfach mit zu viel Pulver geladen.

Die Batterien der Südfront hatten an diesem Tage Nachtfeuer gemacht. Der Nebel hatte den ganzen Tag angehalten. Im Norden hatte Bartsch wieder einmal anderes Wetter. Es war flar, er bearbeitete die Forts weiter, die nur sehr selten zu antworten versuchten. Seine beiden Batterien am Südende von Le Bourget traten heute auch ins Gefecht, und Nr. 33 sandte jene Granaten nach Villette, Belleville und der Butte de Chaumont, welche die dortige Bevölkerung so friedlich stimmten.

In St. Denis und in der Hauptstadt sah man viele Feuersbrünste, der Feind verließ im Norden alle vorgeschobenen Positionen.

Wir hatten im Süden fast gar keine Verluste, im Norden wenig, im ganzen einen Toten, einen Offizier und vier Mann verwundet.

Der 25. Januar. Ich begab mich zunächst wieder nach St. Cloud Nr. 1, denn diese Batterie wurde jetzt mein Angstkind. Die versprochenen sechs Kompagnien waren vom Norden noch nicht angekommen, und ehe sie da waren, konnten aus Mangel an Arbeitern die Batterien nicht erbaut werden, die ihr das Leben erleichtern sollten. Es mußte sich also die Batterie noch einige Tage allein wehren. Die Umgebung der Batterie sah allerdings sehr wüst aus. Aber noch war es möglich, darin auszudauern. Während ich darin war, mußte wieder der Kampf unterbrochen werden, denn es ward wieder von Parlamentären viel geblasen. Die Granaten, welche gestern nach Villette und Belleville hineingefallen waren, trieben Früchte. Die Batterie arbeitete fleißig an der Verstärkung

ihrer Brustwehr, und das Parlamentieren kam ihr sehr zustatten. Ich konnte aber jezt meine Zeit besser verwerten und ritt nach Meudon hinüber.

Heute hatte ich den Maler Freyberg nach Meudon eingeladen. Dieser junge Künstler machte den Krieg im Gefolge des Prinzen Albrecht (Vater) mit, welcher jest an einer Augenentzündung krank in Versailles angekommen war. Freyberg hatte mich besucht und mir viel erzählt von den Gefechten, in denen er im Feuer gewesen. Ich hatte ihm keinen rechten Glauben geschenkt, da er doch nicht Soldat vom Fach war, und wollte ihn auf die Probe stellen, ob er Ruhe im feindlichen Feuer zeige. Da führte ich ihn an einen Platz, von dem aus er die Batterie Nr. 19 im Feuer zeichnen mußte, mit Issy, Mont Valérien und Paris im Hintergrunde. Das Bild sollte er in Berlin in Öl ausführen.*) Da saß der junge Mensch ganz mit seiner Kunst beschäftigt, während die französischen und preußischen Granaten hin und her über ihn hinwegsausten, und machte eine sehr hübsche Skizze, die ich im Original auch behalten habe. Ja, als er damit fertig war, drehte er sich herum und zeichnete noch zu seinem eigenen Spaß die feuernde Terrasse von Meudon von vorn. Nach Verlauf von einer Stunde holte ich ihn wieder ab und freute mich seines falten Blutes. Jezt erst verriet ich ihm, daß er ganz in Numero Sicher gesessen habe, denn der Plak, den ich ihm angewiesen, lag so, daß kein Geschoß dorthin kommen konnte.

Der Feind feuerte heute im Süden sehr matt. Wir hatten hier gar keine Verluste. Der Feind schien jezt zu fühlen, daß es im Norden ernst werde, und wandte dorthin den lezten Rest von Energie, dessen er noch fähig war. Bartsch hatte nämlich bereits heute die Batterien Nr. 36, 37, 39 auf die nahe Entfernung von 1000 Metern mit vierundzwanzig Geschüßen in Tätigkeit gebracht, und die Wirkung war erdrückend. Übermorgen sollten noch Batterien Nr. 38, 40, 41, 42, 43 mit weiteren dreißig bis vierzig Geschüßen ebensonahe an St. Denis herangehen, und binnen vierundzwanzig Stunden hätten dessen Forts nur noch einen Trümmerhaufen gebildet.

Der Feind versuchte.noch einmal wieder zu schießen, aber binnen zwei Stunden tat er keinen Schuß mehr. Auch in Dranch wurde er noch einmal lebendig, um bald, übel zugerichtet, diesen Ort zu verlassen.

Bei dieser überlegenheit waren unsere Verluste auch im Norden nur gering, drei Tote, vierzehn Verwundete.

*) Das diesem Bande beigegebene Bild von Conrad Freyberg verdankt dieser Skizze seine Entstehung.

Der 26. Januar. Heute ging ich mit besonderem Vergnügen in die Batterien. Zwar konnte Nr. 24 noch immer nicht ihr Feuer gegen Vanves eröffnen und sollte erst morgen vollendet werden, aber Nr. 27 sette dem Fort Issy wieder zu. Die größte Freude aber hatte ich, weil von morgen ab der Erfolg von Bartsch gewaltig sein mußte und ich darauf rechnete, daß morgen abend St. Denis vom Feinde verlassen werde und von uns besetzt werden könne. War aber einmal der Gürtel der Forts gesprengt, dann konnten die anderen nicht mehr lange widerstehen.

Von Meudon aus ging ich mit Heydenreich, noch einmal die ganze Front zu kontrollieren, zu Fuß von Batterie zu Batterie bis auf den rechten Flügel in die Batterie dicht bei Bagneur. In unserer übermütigen Stimmung häufig den Weg querfeld, wenn auch den gefährlichen, dem Umweg durch die aufgeweichten Kommunikationen vorziehend, kamen wir zuweilen von vorn in die feuernden Batterien hinein, deren Offiziere nicht wenig erschreckt waren, weil sie glaubten, sie hätten können ihre höchste artilleristische Behörde umblasen. Aber wir kannten ja die Lage und die Dienstordnung und waren lustig und guter Dinge, überall versichernd, morgen werde es lustig werden, morgen werde man etwas erleben. Nachdem ich so bis Batterie Nr. 18 und 15 meinen Besuch abgestattet hatte, kehrte ich auf Meudon zurück. Dem etwas forpulenten Heydenreich wurde die lange Fußpromenade recht sauer, und ich sehnte mich nach dem zweiten Frühstück im Sicherheitsstande von Meudon. Ich beschleunigte meine Schritte troß der Mühe, die Heydenreich hatte, zu folgen. Mittlerweile hatte sich der Nebel gesenkt. Es war ganz klar geworden gegen zwölf Uhr. Von Chaumont aus sah man über Paris hinweg nach St. Denis zu, den Horizont in Wolken von Pulverdampf gehüllt. Bartsch war recht fleißig, wie es schien. Aber auch Paris wurde recht lebendig. Zwar schwiegen die Forts und die Annexbatterien völlig, aber die Stadtfront knallte mit einem Eifer und mit einer Eile wie noch nie. Überall, wo ich auf meinem Rückmarsch vorbeikam, schlugen die Geschosse des Feindes massenhaft ein, bald hier, bald dort hin, aber schlecht gezielt, und nirgends hatten die Batterien Verlust. Der Feind hatte oft ins Blaue gezielt, aber so arg wie heute noch nie.

Von Batterie Nr. 20 führte eine lange Parkmauer hinter Nr. 19 vorbei und diente als Schuß für die Kommunikation. Diese Mauer konnte zwar keine feindliche Granate abhalten, aber sie verbarg dem Feinde doch, wenn jemand dort entlang ging oder fuhr. Als wir gerade hinter Nr. 19 ankamen, wo die auf diese Batterie gemünzten feindlichen Geschosse über, an und durch diese Mauer einschlugen, trafen wir auf ein Geschüß, welches, in seiner Lafette beschädigt, zurückgeschafft werden Prinz zu Hohenlohe, Aufzeichnungen. IV.

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sollte. Der kommandierende Gefreite blieb mit dem Geschütz halten. Ich fragte ihn, warum er hier halte. Er meinte, das Feuer des Feindes sei so lebhaft, daß er nicht wage, hinter der Mauer vorzumarschieren. Ich konnte nicht umhin, ihn einen Esel zu nennen, denn er stand gerade als Kugelfang hinter Nr. 19, und die Granaten gingen da durch die Mauer wie durch Butter, während er bloß hundert Schritt weiter zu gehen brauchte, um in voller Sicherheit den Weg nach Villa Coublay einschlagen zu können. Mit größerer Wahrscheinlichkeit konnte man sich allerdings nicht dem Tode in die Arme werfen, als wenn man hier den ganzen Tag halten blieb. Es gehörte die ganze Autorität meines Dienstgrades dazu, um den vor Furcht fast besinnungslosen Mann zur Fortseßung seines Weges zu veranlassen. Kaum waren wir dreißig Schritt weiter, als ein französischer Marine-,,Brummer" an derselben Stelle durch die Mauer fuhr, an der ich den dummen Kerl in Ordnung gebracht hatte, und in der Mauer plaßte. Wir gingen noch einmal hin, um das Loch anzusehen, das in die Mauer geschlagen war. Ich konnte durchkriechen.

Nachdem ich noch einmal meine Batterie Nr. 19 begrüßt hatte, ging ich auf Meudon frühstücken. Dort erwartete mich ein telegraphischer Befehl des Kaisers, der mir die plötzliche Lebendigkeit des Feindes erflärte. Er lautete:

„Seine Majestät haben befohlen, daß, insofern das feindliche Feuer aus Paris heute nacht um zwölf Uhr schweigt, auch das Feuer aus sämtlichen diesseitigen Batterien einstweilen einzustellen ist."

Also deshalb verschoß der Feind noch bis heute nacht so viel als möglich von seiner Munition gegen uns, die sonst unser Eigentum werden mußte!

Ich gab alsbald den Allerhöchsten Befehl an alle Batteriegruppen weiter und fügte hinzu, bis zwölf Uhr mitternacht solle doppelt heftiges Feuer gemacht werden.

Jezt wurde der Lärm erst gewaltig. Die Luft ward von zwölf Uhr ab ganz klar und begünstigte unsere Beobachtung, unsere Korrektur, unser Treffen. Über ganz Paris hinweg sah man Bartsch im heftigsten Feuer. Man konnte troß der Entfernung von drei Meilen heute wieder jeden Schuß von ihm sehen, und er verdreifachte sein Feuer, denn es hatte ihn eine innere Wut erfaßt, daß er die so schön von ihm vorbereitete Musik am nächsten Morgen unterlassen sollte.

Der Tag ging zur Neige, die Finsternis trat ein. Aber das sonstige Langsame Nachtfeuer wurde nicht gemacht. Immer heftiger, wie am Tage, tobte der Lärm. Selbst in der Nacht sah man drüben bei Bartsch

im Dunkeln jeden Schuß aufblißen, und das fortdauernde Rollen des Kanonendonners, das keinen einzelnen Schuß mehr unterscheiden ließ, außer den ganz in der Nähe abgefeuerten, erinnerte mich an den Lärm bom 18. August und vom 1. September, nur mit dem Unterschiede, daß wir mit geringeren Opfern Sieger blieben. Wir hatten alles in allem einen Toten und fünf Verwundete.

Um zwölf Uhr nachts schwieg der Feind. Da stellten auch unsere Batterien das Feuer ein. Noch fielen dann wieder zwei oder drei Schuß aus der Stadtfront von Paris, und schon traten unsere Kanoniere wieder an die Geschüße, um den Kampf erneut aufzunehmen, aber dann fiel kein Schuß mehr, und der Kampf hatte ein Ende!

Heute traf die lezte der vom Kriegsministerium aus der Heimat verschriebenen Munitionskolonnen ein. Hätte ich darauf gewartet, dann hätte ich heute erst anfangen dürfen, zu schießen.

Podbielski mußte täglich nach Berlin die offiziellen Nachrichten vom Kriege für die Zeitungen telegraphieren. Da man nicht sicher wußte, ob der Feind die verabredete Einstellung des Feuers innehalten werde, so nahm man Anstand, etwas offiziell zu telegraphieren. Aber der englische Berichterstatter erfuhr es, telegraphierte es nach London, und von da kam es in die Berliner Zeitungen zugleich mit dem amtlichen Telegramm: „Vor Paris nichts Neues! Podbielski."

7. Nach dem Kampf.

Die Feuerpause. Auch am letzten Tage des Kampfes war mir eine herbe Nachricht nicht erspart geblieben. Der gute und brave Hauptmann Hoffmann v. Waldau war an der Amputation doch noch gestorben troz aller Pflege und Hoffnungen. So war sein Siechtum gerade mit dem Kampfe im gleichen Schritt geblieben. Beim ersten Schuß auf Paris war er verwundet, beim leßten war er gestorben.

Nach den mir gewordenen Mitteilungen hatte die Einstellung des Feuers den Zweck, die Kapitulationsverhandlungen mit Paris ungestört zu Ende führen zu können. Solche Verhandlungen konnten sich aber zerschlagen, und ich ordnete alles an, um das Feuer mit doppelter Heftigfeit beginnen zu können, wenn Seine Majestät dies befehlen sollten. An Munition war jest kein Mangel. Es wurden daher die Befehle gegeben, die Geschütze zu revidieren und auszubessern, wo es nötig wäre, die

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