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wogegen Bartsch noch sechs Kompagnien mehr, die im Norden von Mé. zières her famen, nicht gebrauchen konnte und an Rieff auf meine Anordnung abgab.

Bartsch hatte übrigens seinen Angriff gegen St. Denis-Aubervilliers nicht mit fünfundneunzig, wie es erst in seinem Plane lag, sondern mit nur neunundsechzig Geschüßen begonnen, weil er ja die Batterien Nr. 21 und 33, elf Geschüße, erst armieren sollte, wenn die anderen bereits im Feuer wären, und weil noch nicht alle Geschüße aus Mézières angekommen waren, denn die Transportmittel waren dazu noch nicht disponibel gewesen, die Eisenbahnen noch für die dringenderen Bedürfnisse der Nord-Armee in Anspruch genommen. Es war sehr richtig von ihm, daß er nicht auch auf das letzte Geschüß wartete, denn er wußte, daß die Lage auf eine Entscheidung drängte. Der schnelle, entscheidende Sieg, den er im Geschüßkampf auch mit der geringeren Zahl errang, rechtfertigte ihn vollständig. Er hatte einen Verlust von nur einem Offizier und fünf Mann, so daß der Gesamtverlust rings um Paris bei der Belagerungsartillerie an diesem Tage nur aus einem Offizier und zwölf Mann bestand.

Dagegen nahm auch beim Südangriff die Zahl der unbrauchbar werdenden Rohre zu, und neuer Nachschub aus der Heimat ward erforderlich, besonders an langen Vierundzwanzigpfündern. Da die aptierten bronzenen Vierundzwanzigpfünder, d. h. glatte, die in gezogene verwandelt waren, für die zu den großen Entfernungen nötigen starken Ladungen nicht eingerichtet waren, so entschloß sich das Kriegsministe rium, die schweren Vierundzwanzigpfünder aus den Seefeftungen zu entnehmen. Hatte doch der Feind auch seine Marinegeschütze nach Paris gebracht, und wenn wir Paris bezwangen, so war es nicht wahrscheinlich, daß wir in die Lage kommen würden, noch in diesem Jahre unsere See festungen zu verteidigen.

Der 22. Januar. Der Erfolg gegen St. Denis war so günstig, daß wir, Kameke und ich, es an der Zeit hielten, den Kaiser um die Erlaubnis zu bitten, daß der Versuch gemacht werde, St. Denis zu nehmen. Dann mußten Fort de l'Est und Aubervilliers bald fallen, und es hinderte uns nichts mehr, die Porte de Villette des Stadtwalls von Paris in Trümmer zu schießen. Wir meldeten uns deshalb zum Vortrage an, um diese Änderung des zulett von uns vorgeschlagenen Angriffsplans der Allerhöchsten Genehmigung zu unterbreiten. Wir fanden, zwar nicht beim Kaiser, wohl aber beim Kronprinzen zunächst einigen Widerstand. Er fragte, ob St. Denis gestürmt werden sollte. Ich antwortete, daß

dies nicht notwendig sein werde, sondern daß man es in einen Trümmerhaufen verwandeln könne, den der wenig disziplinierte Feind verlassen werde. Dann brauche man es bloß zu besetzen. Schließlich genehmigte der Kaiser unsere harmlos scheinende Bitte, eine Anzahl Ingenieuroffiziere von der Südfront zum Kronprinzen von Sachsen zu senden, das übrige aber letterem zu überlassen. Wir wußten aber, daß dieser nur darauf brannte, baldigst energisch vorzugehen, wenn er nur diese Erlaubnis hatte.

Einen weiteren Widerstand fand meine Bitte, daß die Dritte Armee in ähnlicher Weise wie die Maas-Armee Aushilfe von Offizieren von der Feldartillerie an die Belagerungsartillerie stellen möge. Wir hatten bis jest an Toten, Verwundeten und infolge der Anstrengungen Erkrankten einen Verlust von achtunddreißig Offizieren, der sich zwar durch Wiedergenesung auf achtundzwanzig verminderte. Aber es war immer ein Ausfall von fast einem Offizier bei jeder Kompagnie, und die Vermehrung der Anstrengung bei den übrigen daher so, daß man fürchten konnte, sie würden es nicht lange aushalten. Da wurde mir gesagt, daß die Feldarmee jezt keine so großen Verluste ertragen könne. Hierauf entgegnete ich, daß dieser Verlust von dreißig Offizieren und dreihundert Mann in sechzehn Tagen noch kein Ruin der Truppe sei, und daß, wenn eine Infanterie-Brigade im Beginn des Krieges einen solchen Verlust erlitt, man dies noch einen leichten genannt habe, daß dieser Verlust aber, weit entfernt, die Feldarmee zu ruinieren, dieser reichlich zugute komme, weil seit dem Beginn der Beschießung die Feldarmee von den täglichen Verlusten durch die feindliche Festungsartillerie befreit sei.

Endlich wurde mir noch eingeworfen, die Offiziere der Feldartillerie würden es aber nicht verstehen, die Festungsartillerie zu bedienen. Ich fonnte diesen Einwand leicht durch die Bemerkung zunichte machen, daß die Feldartillerie von der Festungsartillerie nicht getrennt sei, aber beim Beginn des Krieges die Elite der Offiziere erhalten habe, die bei Feldund Festungsartillerie aufs beste ausgebildet seien.

Schließlich wurden unsere Vorschläge genehmigt, und die Armee erhielt den Befehl des Kaisers, Offiziere der Feldartillerie zur Belagerung zu kommandieren.

Nach dem Vortrage begab ich mich in das Gefecht. Es erschien mir nötig, der Batterie St. Cloud zu Hilfe zu kommen. Ich wollte daher Batterien erbauen, die die Stadtfront zum Schweigen bringen könnten, welche St. Cloud zusezte, sobald die Vermehrung der Artillerie des Südangriffs um sechs Kompagnien Rieff in den Stand sette, mehr Geschütze zu bedienen. Er wollte die Batterien im Garten von Bellevue, östlich

von Sèvres, anlegen. Aber dort war der Raum, der Abgang und der Zugang sehr beengt. Ich wählte deshalb das freie Feld an der Station Meudon, die Eisenbahn vor der Front, Front gegen Point du Jour. Dieses Feld, ganz in der Nähe von Issy, von dort flankiert, hatte bisher nicht betreten werden können, solange die Möglichkeit vorlag, daß Issy noch schießen könne. Dort sollten sechs Batterien zu je 6 Geschüßen erbaut werden und den Namen Kaiser-Batterien erhalten.

Ein Emplacement für Sechspfünder, jenseit des Bahnhofes Meudon erbaut und bestimmt, nur im Falle eines Ausfalls die Straße IssyBas-Meudon unter Feuer zu halten, welches noch nicht gefeuert hatte, hatte ich wieder desarmieren lassen, weil die Vorposten erklärten, es nicht schüßen zu können. Der Feind hatte es bemerkt und beschossen. Ganz in der Nähe lag ein verlassenes japanisches Häuschen, das seinerzeit 1867 bei der Pariser Ausstellung viel Aufsehen gemacht und Bewunderung erregt hatte. Ein reicher Privatmann hatte es gekauft, hier auf seiner Besitzung aufgestellt und mit den bedeutenden Kunstschätzen, die darin angesammelt waren, durch ein Plakat zu schüßen gesucht, das diese Kunstschäße dem Schuße aller gebildeten Menschen bei Freund und Feind empfahl. Wir waren dieser Empfehlung nachgekommen und hatten das Häuschen sorgfältig gehütet und öfter bewundert. Aber die französischen Geschosse trafen es jetzt und zerstörten es von Grund aus.

Das Resultat unseres Geschützkampfes war heute wieder befriedigend. Der Feind hatte nur noch aus der Stadtfront geschossen. Forts und Batterien daneben schwiegen. Die meisten seiner Geschüße feuerten gegen Batterie Nr. 23, die aber die Herstellungsarbeiten fortsette. Unser Feuer legte dagegen die Kasematten in Fort Issy und Vanves bloß, die Gewölbe schienen dem Einsturz nahe. Batterie St. Cloud Nr. 1 hielt sich noch gegen das übermäßige feindliche Feuer.

Im Norden brachte der Oberst Bartsch den Feind in St. Denis ganz zum Schweigen, dem der Aufenthalt auf dem Walle gänzlich verleidet ward. Bartsch richtete einen Teil seiner Geschüße gegen die Stadt. Nur die Kathedrale von St. Denis, in der die Königsgräber liegen, mußte auf Befehl des Kaisers geschont werden. Wie ich nachher gesehen habe, hatten die Franzosen dieselbe als ihr Haupt-Pulvermagazin benut. Wie ich auch erfuhr, ist die Bevölkerung von St. Denis an diesem Tage heulend und schreiend nach Paris hineingelaufen und hat dort Angst und Schrecken verbreitet und dem tonangebenden Pöbel einen Begriff davon beigebracht, was eigentlich der Krieg sei. Jules Favre hat bei den Unterhandlungen, welche später stattfanden, gesagt, daß von diesem Tage an die Idee des Widerstandes à outrance erschüttert worden sei.

Bartsch beschloß an diesem Abend, mit seinen Batterien baldigst näher an den Feind heranzugehen, um 2000 Schritt, und bestimmte die Plätze für die Batterien Nr. 36 bis 43 in einem Halbkreis um St. Denis auf 1000 Meter Entfernung.

Unsere Verluste betrugen heute fünf Offiziere, dreißig Mann.

Der 23. Januar. Ich beschäftigte mich mit der genauen Bestimmung des Plaßes für die neuen Batterien. Dies fostete viel Zeit, weil der Boden sehr aufgeweicht war und man nur mühsam und langsam von der Stelle kam. Auch mußte man viele Umwege in den gedeckten Kommunikationen machen, denn der Feind stand nicht sehr weit in einzelnen Embuscaden und sandte Chassepotkugeln, wenn sich jemand sehen ließ.

Der Kampf verlief günstig. Nur hatten wir einen Unfall zu beflagen, weil in der Batterie Nr. 21 eine Bombe, die hinter derselben eingefallen war, gerade zu der Tür der Pulverkammer hineinrollte, als ein Kanonier hineinging, und dort plaßte. Da flog auch diese Pulverkammer in die Luft. Wir hatten zwei Tote darin.

Der kommandierende Offizier, Leutnant Hugo, ließ aber das Feuer nicht schweigen, sondern die sämtlichen Geschütze ruhig weiterfeuern und ihren Bedarf aus der anderen Pulverkammer entnehmen. Batterie Nr. 23 begann ihr Feuer wieder, nachdem sie hergestellt war. Bartsch schoß die Forts La Briche, St. Denis und de l'Est ganz zusammen. Die Verteidiger verkrochen sich, die Einwohner waren geflohen. Wir hatten zwei Offiziere und sechsunddreißig Mann Verlust rings um Paris.

Bei dem Munitionskonsum stellte sich die für Artilleristen lehrreiche Tatsache heraus, daß der Reservevorrat an Zündvorrichtungen, der etatmäßig fünf vom Hundert beträgt, nicht ausreichte, weil bei dem Winterwetter, wo Frost und Tauwetter wechselten, die Mannschaften mit ihren steifen Fingern mehr Zündschrauben verloren, so daß davon zehn vom Hundert Reserve nötig ward.

An diesem Abend aßen wir bei Kameke, bei dem auch die Konferenz abgehalten wurde. Er wohnte eine halbe Meile von mir, am andern Ende von Versailles, in dem Hause nebenan Graf Malzahn, der Vorsteher der freiwilligen Krankenpflege, Johanniter, der Armee des Kronprinzen. Mit diesem hatte ich etwas zu besprechen und suchte ihn eine halbe Stunde vor dem Essen auf, da ich ihn aber nicht fand, kam ich so viel zu früh zu Kameke, denn es lohnte sich nicht mehr für mich, nach Hause zu gehen. Ich fand Kameke, der in Erwartung der Gäste Patience legte. Ich half ihm dabei, und da man sich zuweilen den Spaß macht, die Patience über etwas zu befragen, so stellten wir vor dem Beginn die

Frage, ob wohl Paris binnen drei Tagen kapitulieren werde. Die Patience wäre aufgegangen, wenn nur eine einzige Karte anders gelegen hätte, und es konnte die Antwort lauten, daß binnen drei Tagen nicht viel mehr an der Kapitulation von Paris fehlen werde. In der Wirklichfeit haben binnen drei Tagen nur fünf Stunden an dem Augenblick gefehlt, in dem der Kampf eingestellt ward. Abergläubische Menschen würden hierdurch in ihrem Glauben an die Unfehlbarkeit des Ausspruchs der Karten bestärkt werden.

Während die Patience gelegt wurde, fragten wir uns, was man in der Heimat wohl sagen würde, wenn man hörte, daß wir beide, die Paris angreifen sollen, Patience legten, und über diesen Gedanken befielen uns Lachkrämpfe. Der Kontrast war auch in der Tat hoch komisch.

Der 24. Januar. Ich begab mich in die vielgeplagte Batterie St. Cloud Nr. 1. Zwar konnte ich von dort nur einen geringen Teil des Angriffsfeldes übersehen, und es war dort deshalb nicht mein Plat, sondern auf Mendon. Aber ich wollte doch einmal sehen, wie es da aussah und der Mannschaft durch meine Anwesenheit Lust machen. Es trat Nebel ein. Auch kamen Parlamentäre an, und während des Verkehrs der Parlamentäre an der Brücke bei Sèvres mußte die Batterie St. Cloud schweigen und ebenso die dagegen feuernden Geschütze. Diese Gefechtspausen kamen der Batterie sehr zustatten, denn sie konnte die ihr zugefügten Schäden ausbessern.

Unter den Verlusten am gestrigen Tage waren auch ein Unteroffizier und zwei Mann, die dadurch getötet waren, daß ein neuer Kruppscher Vierundzwanzigpfünder sprang. Dieses Ereignis erregte große Sensation, weil man es bis jetzt für unmöglich gehalten hatte, daß ein Gußstahlrohr springen könne. Es wurde auch ausfindig gemacht, ein feindliches Geschoß habe gerade im Moment des Abfeuerns auf das Rohr aufgeschlagen, und der doppelten Vibration durch den eigenen Schuß und den Stoß durch das feindliche Geschütz habe der Gußstahl nicht widerstehen können. Ich hielt dies für Unsinn, obgleich die Gelehrten es bestimmt behaupteten, und ließ mir die Stücke des gesprungenen Rohres zeigen. Es waren feine Spuren eines aufgeschlagenen feindlichen Geschosses zu sehen. Später hörte ich durch Jules Favre bei Gelegenheit der Unterhandlungen, daß an diesem gestrigen Lage zwei preußische Granaten an der Madeleine-Kirche in dem Augenblick eingeschlagen seien, als die Frauen in die Kirche gingen. Dies und die heutige Ankunft von einigen Granaten in den Vorstädten von Villette, Belleville und der Butte de Chaumont habe, nachdem die Flucht der Bewohner von St. Denis schon

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