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genug am Stadtwall, um auch diesen mit Sicherheit unter Feuer zu nehmen.

Von Mittag ab ließ das feindliche Feuer nach, und nachmittags war es ganz erstickt. Wir hatten den ganzen Tag in der gesamten Belagerungsartillerie zwei Mann an Toten, vier Offiziere und dreizehn Mann an Verwundeten. Unter den Verwundeten befand sich der Oberst v. Rieff. Ein Nadelbolzen eines Explosionsgeschosses war ihm gerade vor die Brust geflogen. Paletot und Rock hatten ihn wohl abgehalten, aber die Erschütterung war doch so heftig, daß er einige Tage das Bett hüten mußte und fieberte. Sobald sich sein Zustand als ungefährlich herausstellte, wurde er noch darüber verspottet. Seit Jahren, hieß es, habe er in der Prüfungs-Kommission darüber debattieren lassen, ob ein Nadelbolzen als Geschoßpartikel anzusehen sei und einen Menschen außer Gefecht seben könne. Jest hätte der Feind diese Streitfrage an ihm selbst praktisch entschieden. Als er getroffen war, hatte sich Rieff mechanisch nach der Brust gefaßt, und das Corpus delicti, der Nadelbolzen, war ihm in die Hand gefallen. Da lag er nun im Bett, besah sich den Nadelbolzen von allen Seiten und knüpfte daran kritische Betrachtungen über die Konstruktion der feindlichen Geschosse.

Während das Feuer der feindlichen Festungsgeschütze zum Schweigen gebracht ward, dauerte der Schlachtenlärm noch bis in die Nacht hinein mit unverminderter Heftigkeit fort. Ich muß gestehen, daß ich mein Fernrohr weit häufiger und länger nach der Feldschlacht richtete als nach dem Kampf der Belagerungs- und Festungsartillerie. Bei letterem wußte ich den Ausgang. Aber was aus der Feldschlacht werden solle, das erregte meine Nerven ungemein. Konnte ich doch die ungeheuren Massen deutlich sehen, welche um den Mont Valérien herumstanden. Wenn die Armee wirklich 100 000 Mann stark war, so traf sie hier auf das etwa 20 000 Mann starke Armeekorps Kirchbachs.*) In nächster Nähe war nur die Division des XI. Armeekorps (21.) und die Garde-Landwehr, endlich eine Brigade Bayern in Versailles bereit. Der Angriffspunkt war von den Parisern insofern nicht schlecht gewählt, als ja dies der einzige Fleck rings um Paris war, auf dem, wie ich schon früher entwickelt habe, die ausfallende Armee nicht von dem Feuer meiner schweren. Belagerungsgeschüße erreicht werden konnte, vor denen die Franzosen einen heillosen Respekt hatten.

Leider konnte ich von dem Beobachtungsstand von Meudon aus unsere Positionen gar nicht sehen. Der Wald von St. Cloud verbarg sie

*) General v. Kirchbach befehligte das V. Armeekorps.

mir. Nur die Montretout-Schanze war sichtbar, und diese war in Feindeshänden, das konnte man mit dem vortrefflichen Fernrohr erkennen. Das war auch nicht überraschend, denn sie war nur von sieben Jägern als Beobachtungsposten besett gewesen.

Dahingegen sah ich die feindlichen Massen am Mont Valérien in fortwährender Bewegung nach vorwärts. Zwar kamen viele Stockungen in diese Bewegungen, und die Massen fluteten hin und her und zeigten deutlich, daß entweder kein rechter Plan oder viel Mißverständnisse in ihrer Leitung herrschten. Aber sie kamen doch immer weiter vorwärts, und da, wo die Linien kämpften, waren sie mir verborgen; ich sah nur die Reserven.

Kurz vor Einbruch der Dunkelheit kam es mir vor, als ob nach einem längeren Stillstand die Reserven des Feindes sich nach rückwärts bewegten, was ein Zeichen gewesen wäre, daß der Sieg sich auf unsere Seite neigte. Dann aber deckte die Dämmerung einen Schleier über das Ganze. Noch eine Erscheinung war mir unerklärlich. Ich sah Schrapnells über der Montretout-Schanze plazen. Solche Schrapnells hatten die Franzosen, wir aber nicht, bei der Feldartillerie. Die plaßenden Schrapnells aber kamen von der Gegend der preußischen Stellungen her. Wie konnte ich mir das erklären? Sollte gegen Abend die MontretoutSchanze wieder in unseren Besitz gekommen sein, aber von rückwärts her durch französische Schrapnells von der Höhe von Garches her beschossen werden? Dann mußten diese Höhen von den Franzosen erobert sein, und wir mußten die Hauptschlacht verloren haben!

Die Dunkelheit verhinderte mich, Weiteres zu sehen, und es blieb mir nichts anderes übrig, als nach Versailles zurückzureiten und dort die Resultate des Tages und die Befehle für den folgenden zu erfahren.

Als ich bei der Präfektur vorbeiritt, fam eben vor mir der Wagen des Kaisers in den Hof hineingefahren. Fürst Anton Radziwill saß neben ihm. Sie kamen von der Schlacht zurück, die der Kaiser von dem Turm der Wasserleitung von St. Germain aus mit angesehen hatte. Als der General v. Kirchbach ihm hatte melden lassen, der Feind sei auf der ganzen Linie zurückgeschlagen, er sende jezt seine Reserven in die Quartiere und wolle nur noch die Montretout-Schanze mit Schrapnells beschießen lassen, um sie dann auch noch wiederzunehmen, hatte der Kaiser den Heimweg angetreten. Die Schlacht vom Mont Valérien war gewonnen und ein neuer großartiger Sieg geworden! Wegen der Schrapnells bat ich mir aber eine Aufklärung aus und erfuhr, daß vor kurzem die Artillerie des V. Armeekorps die Schrapnells erhalten hatte, um sie Prinz zu Hohenlohe, Aufzeichnungen. IV.

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vor dem Feinde zu versuchen. Jest ward mir die Erscheinung klar, die mich vor kurzem so in Unruhe versezt hatte.

Der Sieg war überaus glänzend. Kirchbach zählte an diesem Tage 20 778 Mann Infanterie, 1115 Pferde, 84 Geschüße, etwa 24 000 Streitbare und hatte 100 000 Mann zurückgeschlagen. Er verlor 40 Offiziere und 570 Mann, wogegen der Feind seinen Verlust auf 189 Offiziere und 3881 Mann angab. Wir hatten 44 Offiziere und 458 Mann Gefangene gemacht. Diesmal hatte der Feind den Angreifer machen müssen und troy vierfacher überlegenheit an Zahl eine glänzende Niederlage erlitten.

An demselben Tage traf die Nachricht ein, daß der Prinz Friedrich Karl auch das Lager von Conlie*) erbeutet habe, in dem sich bis dahin Chanzy immer von neuem wieder reorganisiert hatte. Seine Trophäen, die sich bei der Einnahme von Le Mans auf 22 000 Gefangene und eine große Zahl von Geschüßen beliefen, hatten sich noch bedeutend vermehrt, denn die ganze feindliche Armee war in Auflösung.

Vom General v. Werder traf die telegraphische Nachricht ein, daß er an der Lisaine in dreitägiger Schlacht bis zum 17. Januar den Feind Bourbaki zurückgeschlagen habe, daß der Feind am 18. nicht mehr angegriffen habe, und daß ihn Werder heute verfolge.**)

Endlich hatte Goeben an demselben Tage den General Faidherbe bei St. Quentin geschlagen.***) So waren die letzten Anstrengungen des Feindes zunichte gemacht. Die große Ausfall-Armee war geschlagen, drei Armeen, in unglaublicher Anzahl, welche zum Entsatz von Paris mitwirken sollten, waren überwunden, davon eine, Chanzy, ganz ge= sprengt, während eine andere, Bourbaki, so umstrickt war, daß sie ihrer sicheren Vernichtung entgegenging.†)

Das war der erste Tag nach der Proklamation des jungen deutschen Kaiserreichs!

Auch die Nachrichten über den Munitionstransport waren heute endlich günstig. Die Rapporte wiesen nach, daß in den leßten drei Tagen

*) Conlie liegt 3 Meilen nordwestlich Le Mans.

**) In der Schlacht an der Lisaine am 15., 16. und 17. Januar hatte General v. Werder zum Schutz der Belagerung von Belfort mit 45000 Mann und 196 Geschüßen die Angriffe des dreifach überlegenen Bourbaki abgewiesen.

***) Am 19. Januar hatte General v. Goeben mit 32 580 Mann die 40 000 Mann starke Armee des Generals Faidherbe entscheidend geschlagen und ihr allein über 9000 unverwundete Gefangene abgenommen.

†) Sie trat in den Tagen vom 30. Januar bis zum 2. Februar, da sie von den Deutschen umstellt war, in der Stärke von rund 80 000 Mann über die Grenze nach der Schweiz über und würde dort entwaffnet.

der Nachschub dem Verbrauch gleich gekommen war. Es waren noch nicht alle neuformierten Munitionskolonnen angekommen, also mußte später der Nachschub noch zunehmen, und ich konnte auch ohne Besorgnis in dieser Richtung die Zahl der im Feuer stehenden Batterien vermehren.

Bartsch meldete den Beginn des Baues seiner leßten Batterien bei Bourget, Nr. 21 und 23. Alle übrigen waren fertig.

Der 20. Januar. Die Mörser-Batterie Nr. 23 eröffnete ihr Feuer gegen das Fort Issy. Die ganze Gegend war in Nebel gehüllt. Nur die ganz nahe am Feinde liegende Batterie Nr. 23 konnte das Fort Issy deutlich sehen. Die übrigen Batterien machten Nachtfeuer. Aber um zwölf Uhr mittags erhielt ich ein Telegramm von Bartsch, wonach er morgen mit dem Feuer beginnen und heute nacht die Batterien armieren wolle. Jezt erteilte ich an alle Batterien des Südangriffs den telegraphischen Befehl zu recht lebhaftem Feuer, um die Aufmerksamkeit des Feindes auf uns und vom Norden abzulenken. Der Feind schoß im Norden und Süden nur äußerst wenig. Eine allgemeine Entmutigung schien auf den Schlag erfolgt zu sein, den er gestern erlitten.

Ramm meldete, ein schwerer feindlicher Mörser belästige aus sehr entfernter, gedeckter Aufstellung hinter Villejuif die Batterien und Kantonements des VI. Armeekorps außerordentlich, und er bat daher um weittragende Mörser, damit er dies Feuer erwidern könne. Ich fragte telegraphisch nach den Verlusten und erhielt als Antwort: „Keine Verluste!" Danach konnte die Belästigung nicht stark sein, und es war mir unmöglich, anders als ironisch darauf zu antworten, denn ich hatte überhaupt nur sechs weittragende Mörser, die in Batterien Nr. 13, 14 und 15 gegen Issy, Vanves und Montrouge mit je zwei Stück unentbehrlich waren, die Mörser in Batterien Nr. 23 und 24 waren aber glatte und nur auf die nahen Entfernungen von 1000 Metern zu brauchen. Daher antwortete ich dem General v. Ramm er war am 18. Januar General geworden, ich hätte keine weittragenden Mörser.

Wir hatten heute in der ganzen Belagerungsartillerie nur einen. Verlust von einem Toten und drei Verwundeten, und das war in Batterie St. Cloud Nr. 1. Bereits vor einigen Tagen hatte der Feind zu parlamentieren angefangen. Trochu hatte an Moltke geschrieben, unsere BeLagerungsartillerie schöffe vornehmlich nach den Kirchen, Hospitälern und Lazaretten, und protestierte gegen solche Barbarei. Moltke ließ mich kommen und fragte, ob das wahr sei. Ich konnte das Lächerliche dieser Behauptung nachweisen, denn wir hatten ja Paris selten gesehen, nie aber die Punkte, auf denen unsere Geschosse im Innern einschlugen. Ich

bat Moltke daher, eine recht ironische Antwort zu geben. Dieser aber fah in dem Schreiben lediglich die Neigung, mit dem Parlamentieren wieder zu beginnen, das seit Anfang Dezember aufgehört hatte, und meinte, Trochu sei der einzige verständige Mensch in Paris, mit dem man noch eine Kapitulation abschließen könne, und er wolle ihm nicht durch eine allzu scharfe Antwort die Lust zum Parlamentieren verderben. Deshalb schrieb er ihm nur unter dem 15. Januar, er protestiere gegen den Vorwurf der Barbarei, denn wir könnten bei dem Nebel, Schnee und Regen und bei der Entfernung die Lazarette usw. gar nicht sehen. Sobald wir aber näher herangekommen sein würden, dann würden wir auch imstande sein, die mit dem Genfer Kreuz bezeichneten Gebäude zu schonen.

Heute kam wieder ein Parlamentär an, und Trochu verlangte einen Waffenstillstand von achtundvierzig Stunden, um die Toten von der Schlacht vom Mont Valérien zu begraben. Der Waffenstillstand sollte rings um ganz Paris gelten. Das war recht schlau ausgedacht. Die Pariser hätten diese zwei Tage benugt, um die durch unsere Artilleriegeschosse angerichtete Verwüstung zu beseitigen und überall unter frischen Deckungen mit neuen Geschüßen, deren sie ja zahllose hatten, aufzutreten. Der Kaiser durchschaute diesen Plan sofort und verweigerte den allseitigen Waffenstillstand. Zum Zweck der Bergung der Toten und Verwundeten genüge ein lokaler Waffenstillstand auf dem Schlachtfelde, zu dem die Vorpostenkommandeure ermächtigt seien.

Mir aber sandte der Kaiser den Flügeladjutanten Fürsten Anton Radziwill und ließ mir sagen, dieser Beginn des Parlamentierens befunde die wiedererwachende Friedensliebe der Gewalthaber in Paris. Es sei durchaus nötig, diese Friedensliebe zu stärken, und deshalb solle ich ihnen durch eine recht kräftige Artilleriewirkung den Abscheu vor dem Kriege vermehren. Hocherfreut über diese einfache und gesunde Auffassung der Sachlage telegraphierte ich sofort, es war schon abends, an alle Batterien und ließ die ganze Nacht ebenso heftiges Feuer machen. als am Tage, für den nächsten Tag aber das Munitionsquantum verdoppeln. Es entstand alsbald ein Höllenlärm, der die Versailler Einwohner im Schlafe erschreckte.

Unterdessen ward der lokale Waffenstillstand auf dem Schlachtfelde am Mont Valérien geschlossen, und Freund und Feind trafen sich gemeinschaftlich da zusammen bei der Arbeit, im Interesse der Verwundeten und zum Begraben der Toten. Die französischen Offiziere waren sehr mißvergnügt über den unsinnigen Widerstand, den sie noch immer auf Befehl der Crapule von Paris leisten mußten, und über die Schlacht am Mont Valérien, welche durch dieselbe Anregung herbeigeführt sei. Dr. Böger,

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