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geführt. Es konnte nur davon herkommen, daß die Brandgranaten keinen Transport vertragen, aber im Park von Villa Coublay geladen wurden und den Transport bis in die Batterien aushalten mußten. Da die gewöhnlichen Granaten auch zündeten, so verbot ich die Anwendung von Brandgranaten gänzlich. Übrigens gingen die gewöhnlichen Granaten weiter als die Brandgranaten, und das war für das Bombardement wichtig. Hätte ich doch gern Herrn Jules Favre im Hotel de Ville eine Visitenkarte in Form einer Granate abgegeben!

Es war noch einmal Abendkonferenz bei mir, weil wir uns in den Batterien heute nicht getroffen. Wir bestimmten, jezt auch den Bau von Batterie 22 neben 18 und 21, links von Châtillon, baldigst in Angriff zu nehmen, ohne Beihilfe der Dritten Armee. Die Ingenieure wollten der Artillerie helfen, und diese wollte sich Arbeiter stehlen“.

Der 10. Januar. Batterien 18 und 19 waren fertig und begannen ihr Feuer. Batterie 20 hatte noch immer nicht vollendet werden können. Ich verfolgte mit Interesse das Feuer der Batterie Nr. 19, welche ich mit einem gewissen Eigensinn auf der freien Wiese, die Hecke vor der Front hatte erbauen lassen, während ich den Oberstleutnant Heydenreich nach der Batterie Nr. 18 gesandt hatte, um in Begleitung von Leutnant v. Kaas, der sich ihm besonders angeschlossen hatte, die Feuereröffnung der von ihm vorgeschlagenen Batterie zu leiten.

Während ich mit großer Freude beobachten konnte, wie der Feind auf Batterie Nr. 19 immer zu furz schoß, immer in jene Hecke hinein, ohne der Batterie den geringsten Schaden zuzufügen, hatte Heydenreich einen recht schweren Stand, denn die weit vor allen anderen vorgeschobene Batterie zog das allseitige feindliche Feuer auf sich; stand sie doch nicht viel über 3000 Meter von der endlosen, geradlinigen, von unzähligen Kanonen allen Kalibers belebten Stadtfront, die sie überschüttete. Selbst der gegen alle Gefahr absolut gleichgültige Heydenreich, der durch seine starken Nerven manchem Helden imponiert hat, meinte bei der Meldung mit ernstem Gesicht: „Es sei sehr interessant gewesen", und Kaas meinte: „Es war allerdings höllisch lebendig."

Umgekehrt war aber nach meiner Beobachtung die Wirkung von Batterie Nr. 19 gleich Null, und die Wirkung von Batterie Nr. 18 recht drastisch. Ich ging daher bald in Batterie Nr. 19 hinein, um zu sehen, woran es lag, daß sie immer so bedeutend zu kurz schoß. Ich fand, daß der Kommandeur derselben jubelte, wie viel und wie gut er immer treffe. Auf dem Beobachtungsstande bewies ich ihm aber, daß seine Elevation ebenso falsch war wie seine Richtung. Ich fragte nach seinem Namen usw.

Nach genauer Orientierung hierüber konnte ich ihm nicht mehr zürnen. Es war der Bürgermeister von Eilenburg an der Mulde, der vor langen Jahren ein Jahr als Einjährig-Freiwilliger bei der Artillerie gedient hatte. Im Laufe der Jahre allmählich zum Hauptmann der Landwehr-Artillerie avanciert, hatte er sich im Eifer für das Vaterland zum Eintritt in die Armee gemeldet und war zum Chef einer neuformierten, 14., Kompagnie ernannt worden, von der man erwartet hatte, sie werde nur in der Heimat gebraucht werden. Das Bedürfnis hatte sie aber doch vor Paris geführt, und da konnte man allerdings weiter nichts von dem tatendurstigen Bürgermeister verlangen als Unerschrockenheit im Gefecht und guten Willen. Beides zeigte er vollkommen und Zuversicht dazu. Es war damals von der General-Inspektion eine besondere Art von Offizieren geschaffen worden, die man „Instruktoren" nannte. Diese Instruktoren waren nötig für den kurzen Vierundzwanzigpfünder und für den 21 cm Mörser, zwei Arten von Geschützen, welche noch nie in der Hand der Truppe gewesen waren. Wo diese Geschüße in Tätigkeit traten, ging daher ein solcher Instruktor von Batterie zu Batterie und lehrte Gebrauch, Handhabung und Beobachtung. Rieff hatte fünf solcher Instruktoren zur Hand. Sie wurden aber auch bei anderen Geschüßen. verwendet und gingen täglich von Batterie zu Batterie, alles zu kontrollieren und zu korrigieren, und das war nötig. Hatten doch die meisten Artillerie-Brigaden beim Ausbruch des Feldzuges die Elite ihres Offizierkorps in den zuerst vor den Feind tretenden Feldtruppen vereinigt und in der zurückbleibenden Belagerungsartillerie „alles andere" zurückgelassen. Da waren junge, unerfahrene Offiziere unter LandwehrHauptleuten tätig, die noch nie ein gezogenes Geschüß gesehen hatten. Rieff sagte mir, er könne sich auf keinen Hauptmann verlassen, außer auf die von der Garde. Dort hatte ich allerdings dafür gesorgt, daß nur Männer dazu verwendet waren, die außer Bravour auch Kenntnis besaßen. Alle anderen waren in der Mehrzahl brav und willig, aber ohne alle artilleristische Vorbildung. Es kam noch dazu, daß die Festungsartillerie erst seit 1864 von vier Kompagnien bei jedem Regiment auf acht Friedens-Kompagnien und sechzehn Kriegs-Kompagnien vermehrt worden war, also in diesen sechs Jahren noch nicht Mannschaft genug ausgebildet hatte, um troß Einberufung aller Landwehrmänner ihre Kriegsstärke zu erreichen. Da hatte man sie durch Landwehrmänner komplettiert, die bei der Feldartillerie, gar reitenden Artillerie, gedient und nie ein Festungs- und Belagerungsgeschütz gesehen hatten.

Wie ich so mein Elend besehe, das unter dem guten, triumphierenden Bürgermeister von Eilenburg entstanden, kommt ein Instruktor an, und

zwar der beste unter allen fünfen. Ist er doch jezt, wo ich dies niederschreibe, in der Stellung, die Rieff damals einnahm, als Präses der Artillerie-Prüfungs-Kommission. Damals war er Major im Kriegsministerium. Sallbach ist sein Name.*) Er kam von der anderen Seite her, wo er noch andere Batterien das Schießen hatte lehren müssen, und sagte mir lachend, er habe schon von weitem das Unheil mit angesehen und wolle eben Ordnung in die Batterie Nr. 19 bringen. Ich empfahl ihm dringend, den braven Bürgermeister in seinem Ehrgefühl zu schonen, was er auch tat. Er nahm ihn mit auf den Beobachtungsstand, lehrte ihm alles praktisch), und bald traf die Batterie Schuß auf Schuß.

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„Und zu derselben Stunde" - wie das schöne Lied singt mußte ein Unstern unserem Allergnädigsten König Zeit geben und Interesse für die Belagerungsartillerie einflößen. Er hatte sich auf den „Stern“ im Park von St. Cloud begeben, wo er das ganze Belagerungsfeld übersehen konnte, und sah, daß Batterie Nr. 19 zu kurz schoß. Als er mich wiedersah, war seine erste Frage die, wie das gekommen sei. Ich bat um Gnade für den eifrigen Vaterlandsverteidiger, den Bürgermeister von Eilenburg. Da lachte der König herzlich und sagte nur: „Es freut mich, daß meine Beobachtung mich nicht getäuscht hat." Einst habe ihm ein alter General gesagt: „Euer Majestät haben doch noch immer das alte, verfluchte Auge", und er hatte sich über dies derbe Zeugnis gefreut. Diesem „alten, verfluchten“ Auge entging kein Fehler!

Es wurden in Batterie Nr. 19 vier kurze und vier lange Vierundzwanzigpfünder verwendet. Die kurzen sollten mit steilem Einfallwinkel die Schildmauern der Eskarpe*) von Fort Issy durchbrechen. Es lag übrigens nicht in der Absicht, die Mauern des Forts Issy derart in Bresche zu legen, daß man das Fort hätte stürmen können. Wir wollten nur die Mauern durchschlagen und unsere Granaten in den als bombensicher angesehenen Räumen plaßen lassen. Dann hätten sie verLassen werden müssen, und dann hätte der Feind Issy geräumt, und wir hätten es ohne Verlust besetzen können. Solch ein Erfolg wäre das höchste Ziel artilleristischer Kunst gewesen!

Heute hielten wir unsere Konferenz oben auf Meudon ab unter dem Feuer des Artilleriekampfes. Wir kamen überein, daß wenn die Batterien Nr. 21 und 22 in Tätigkeit getreten sein würden, wir dem Könige zu melden hätten, daß wir nicht näher heranzugehen beabsichtigten.

*) Er war zuletzt Generalinspekteur der Fußartillerie.

**) Eskarpe ist die dem Verteidiger zunächst liegende Böschung des Festungsgrabens.

Schon heute wurde Paris aus drei Batterien bombardiert, Nr. 8, 18 und 19. Weiteres sollte der Angriff im Süden nicht leisten. Dann mußten wir mit unserem Plane hervortreten, den Schwerpunkt des Angriffs nach Norden gegen St. Denis zu verlegen, und damit dies nicht in einem Bruch mit der Vergangenheit geschehe, baten wir schon heute, die Maas-Armee mit noch mehr Geschüßen zu verstärken, denn es war die Meldung angekommen, daß Rocroy und Péronne*) in unsere Hände gefallen seien. Wir beantragten daher, daß sämtliche zweiundsiebzig gezogene Geschütze des Obersten Meißner dem Obersten Bartsch zur Dis. position gestellt werden mögen, ebenso seine sechzehn Kompagnien Belagerungsartillerie. Es mußten aber immer noch einige Tage vergehen, bis diese Belagerungstruppen per Eisenbahn verladen und im Park von Gonesse angekommen sein würden. Unserem Antrage wurde durch eine Verfügung von Moltke sofort Folge gegeben.

Die Resultate des heutigen Geschützkampfes waren günstig. Die drei Forts fonnten sich nicht rühren. Der Feind versuchte in neuen Zwischenaufstellungen aufzutreten, wurde dort aber bald vernichtet. Unsere überlegenheit war vollständig behauptet. Unser Verlust betrug 19 Mann, darunter fünf Tote.

Aber eine Meldung war recht unbequem. Der Munitionsnachschub hatte ganz aufgehört. Bei dem Glatteis fonnte keine Kolonne, fein Wagen von der Stelle. Solange es anhielt, mußten wir von unserem Vorrat zehren.

Im Norden war der Geschützkampf in gleicher Weise fortgesetzt wie bisher. Der Feind hatte mit großer Lebhaftigkeit gegen den Mont Avron gefeuert und dagegen neue Emplacements gebaut, ein Beweis, daß er von dort her einen Hauptangriff befürchtete. Dies erfüllte uns mit großer Freude, denn wir hofften nun, mit dem Angriff auf St. Denis zu überraschen. Beim Obersten Bartsch waren heute neun Rohre unbrauchbar geworden. Dies war eine recht niederschlagende Nachricht. Der Ersatz ward telegraphisch in Berlin requiriert und sofort zugesagt.

Der 11. Januar. Ich begab mich auf Meudon und in die Batterien Nr. 19 und 20. Die lettere Batterie eröffnete heute ihr Feuer.

Ich fand in allen Batterien ganz unnüß viel Offiziere tätig, so daß nicht genügend deckende Räume für sie vorhanden waren. Zum Teil kam es daher, daß viele Herren zu eifrig waren und ihre Kräfte dadurch zu

*) Rocroy wurde am 5. Januar durch Handstreich genommen. Péronne kapitulierte nach dreizehntägiger Beschießung am 9. Januar.

sehr absorbierten. Da gab es Hauptleute, deren Kompagnien die Batterie permanent besetzten, und die sich nach der Vorschrift mit ihren Leutnants in den Batterien ablösen lassen sollten. Sie waren aber nicht nur alle Tage in ihre Batterien gekommen, um das Feuer zu leiten, sondern hatten auch in denselben geschlafen und sie Tag und Nacht nicht verlassen. Das konnten die stärksten Nerven nicht aushalten, und ich fand die betreffenden Herren so nervös erregt, daß ich sie durch Befehl in ihre Quartiere sandte, um einmal ordentlich auszuschlafen. Auch mußte ich wiederholt tadeln, daß die Herren eine Eitelkeit darin setten, die vorschriftsmäßige Deckung zu verschmähen und sich den feindlichen Geschossen groß und breit auszusetzen. Meine Ausstellungen in dieser Beziehung fanden nur wenig Gehör, und wenn ich darüber zankte, fanden sich die Herren noch geschmeichelt. Ich mußte ihnen vorstellen, daß sie unrecht gegen König und Vaterland handelten, wenn sie mehr Verlust an Offizieren herbeiführten, als unbedingt nötig sei.

Die Batterie Nr. 19 hatte sich gestern gegen die Schildmauern von Issy eingeschossen und hatte heute eine so kräftige Wirkung, daß die die Kasematten deckenden Mauern herunterfielen und die inneren Gewölbe bloßlegten. Der Feind stopfte Erdsäcke hinein, um seinen lezten Zufluchtsort zu schüßen. Unser Feuer ward jezt auf die Pfeiler gerichtet, um die Gewölbe zum Einsturz zu bringen.

In den Batterien erhielt ich aber eine Nachricht unangenehmer Natur, die mich recht bedenklich machte. Die Schanze auf Notre Dame. de Clamart, welche wir dem Feinde abgenommen hatten, und in der unsere Vorposten die dahinter stehenden Batterien decken sollten, war des Morgens mit einem Male ganz leer gefunden worden. Eine Feldwache von einem Offizier und dreiundzwanzig Mann Bayern, welche darin gestanden hatte, war total verschwunden. Man fand zwei Tote darin. Der Feind hatte einen Handstreich dagegen ausgeführt. Wahrscheinlich hatte die ganze Gesellschaft geschlafen, war überfallen und aufgehoben worden, denn man hatte in der Nacht keinen Kampf vernommen. Wenn der Feind, der dies ausgeführt, nur ein paar hundert Schritt weiter gelaufen wäre, so hätte er auch die Batterien Nr. 19 und Nr. 20 vernageln fönnen. Dies führte dazu, daß man die Schanze nach dem Feinde zu am nächsten Tage besser schüßte und durch Gräben und andere Hindernismittel unzugänglich machte. Bei dieser Arbeit stieß man auf elektrische Drähte. Man grub den Drähten nach und fand eine Pulvermasse unter der Schanze, welche zum Sprengen durch diese elektrischen Drähte vollkommen vorbereitet war. Die Drähte aber wurden jezt durchschnitten und die Gefahr beseitigt. Ich freute mich, daß ich bis jetzt das Anlegen

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