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einmal bei Bapaume am 3. Januar zurückgeschlagen hatte, und Prinz Friedrich Karl sowie der Großherzog von Mecklenburg setzten sich gegen Le Mans siegreich vordringend in Bewegung.

Aber auch dieser Tag ging nicht ganz ohne Sorgen zu Ende. Bartsch meldete telegraphisch, daß seine Geschüßrohre bereits bedenkliche Ausbrennungen zeigten, welche ihr Verderben oder ihr Zerspringen in Aussicht stellten. Er hatte keine Maschinen im Park, sie verschrauben zu lassen. Anfangs erschrak ich über diesen schnellen Verbrauch der Rohre, aber als ich in Betracht zog, daß die Geschüße des Obersten Bartsch bereits die Belagerung von Straßburg, Toul und Soissons durchgemacht hatten, da wunderte ich mich weniger darüber. Ich habe schon oben angegeben, wie nach telegraphischer Verständigung mit dem Kriegsministerium in Berlin dieses die Reparatur der Geschütze des Obersten Bartsch in Straßburg anordnete.

überhaupt war die Tätigkeit des Kriegsministeriums in Berlin und der Geschützgießerei von Spandau in dieser Zeit im hohen Grade anerfennenswert. Im Winter vor dem Feldzuge war z. B. die Konstruktion des neu erfundenen kurzen Vierundzwanzigpfünders endgültig festgestellt und seine Einführung vom Könige genehmigt worden. Als der Feldzug plötzlich ausbrach, existierten einige wenige normale Exemplare dieses Geschüßes in Preußen. Alsbald goß man deren viele mit Eifer. Bei der Belagerung von Straßburg sprach eine ausschlaggebende Zahl derselben ein entscheidendes Wort mit, und am Ende der Beschießung von Paris standen davon zwanzig Stück gegen Paris in Batterie, wovon über die Hälfte durch neue Rohre erseßt waren. Allerdings hatte am letzten Beschießungstage das Kriegsministerium in Berlin mir telegraphiert, ich könnte nun nur noch auf den Ersaß von einem einzigen Rohr rechnen. Aber da ward der Waffenstillstand und die Kapitulation abgeschlossen, und wenn der Friede nicht erfolgt wäre, hätte ich drei Wochen später mit noch zwanzig Stück solcher Geschütze mehr auftreten können.

Die andere Nachricht, welche in der Nacht eintraf, war erfreulicher. Das große Hauptquartier (Moltke) teilte mir mit, daß von dem vor Mézières in Tätigkeit gewesenen Belagerungspark 16 lange, 8 kurze Vierundzwanzigpfünder, 16 Zwölfpfünder und 4 gezogene Mörser gegen St. Denis dem Obersten Bartsch zur Disposition gestellt worden seien, 44 kostbare schwere Geschüße. Der Rest des Belagerungsparks von Mézières blieb noch zur Disposition der Nord-Armee gegen Péronne. Zwar hatten auch diese Geschüße manches geleistet, sie hatten Thionville, Montmédy und Mézières genommen, aber sie mußten doch für die nächste Zeit gebrauchsfähig sein.

Am Abend traf Doppelmair aus Gonesse bei mir ein und ward in meinem Palais einquartiert. Sobald die Beschießung der Südfront begann, war ihm der Aufenthalt in Versailles artilleristisch-wissenschaftlich interessanter als der in Gonesse. Durch seine Ankunft vermehrte sich mein Stab auf vier Personen. Wir bildeten also allein immer abends sieben Uhr eine Tischgesellschaft von fünf. Aber da ich alle, mit denen ich etwas zu sprechen hatte, zum Essen einlud, weil mir keine andere Zeit blieb, so hatte ich gewöhnlich eine Tafel von zehn Personen. Das war sehr stattlich und vornehm, aber auch sehr teuer.

Leutnant v. Kaas hatte die Leitung des improvisierten Haushalts übernommen, den ich in Versailles führte. Ich habe schon oben angegeben, daß Madame la Concierge für Geld und gute Worte für uns kochte. Mein Diener Vinzenz Heynal kaufte, während wir tätig waren, Fleisch, Gemüse, Brot usw. auf dem Markte ein. Wein kaufte Kaas in Fässern. Ein recht guter Petit Bordeaux war so billig zu haben, daß die Flasche unter einem halben Frank zu stehen kam. Aber es war keine Zeit, den Wein gleich abzuziehen und unter Kontrolle aufzubewahren, sondern es wurde ein Hahn ins Faß geschlagen und nach Bedarf abgelassen. Da wir alle den ganzen Tag abwesend und auch bei unserer Anwesenheit dringend mit Arbeiten beschäftigt waren, so fehlte alle Aufsicht, und allen Trainsoldaten usw. schmeckte der Wein auch, also ward so ein Faß schnell konsumiert. Die Preise der Lebensmittel waren oft sehr originell. Hammelfleisch war immer sehr billig, aber den ewigen Hammel hatten sich alle fast zum Ekel gegessen. Rindfleisch war eine Seltenheit, weil aus Deutschland wegen der Rinderpest kein Hornvieh nachgeführt werden durfte, und nachdem Le Mans von uns erobert war, war die Delikatesse einer Dinde oder Poularde von Le Mans auf dem Markte von Versailles billiger als Rindfleisch von demselben Gewicht. Gemüse waren sehr billig, denn die Händler fanden den gewohnten Absatz nach Paris nicht. Dagegen waren Kartoffeln und Bier ein seltener Genuß, den man sich nur ausnahmsweise zu gestatten Gelegenheit hatte.

Unsere Lebensweise war in der Zeit des Kampfes folgende. Zwischen sechs und sieben Uhr ritten wir in der Regel von Versailles fort, um bei Tagesanbruch in den Batterien zu sein, versehen mit kalter Küche und Getränken, die um Mittag im Beobachtungsstande verzehrt wurden. Vor dem Abreiten hatten wir Kaffee getrunken.

Nach dem Dunkelwerden ritten wir zurück, so daß wir gewöhnlich gegen sechs Uhr in Versailles waren. Es gab dann meistens irgend etwas schleunigst telegraphisch zu erledigen, was durch die Ereignisse des Tages bedingt war und Eile hatte, so daß wir selten vor halb sieben Uhr Mittag

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essen konnten. An das Mittagessen schloß sich bei der Zigarre die Besprechung mit denjenigen Herren, die ich zu diesem Zweck eingeladen hatte, und dann folgte die Erledigung der schriftlichen Arbeiten, die meist bis elf Uhr dauerte. Um elf Uhr konnte ich zu Bett gehen. Aber gewöhnlich kamen die Befehle und Mitteilungen von der obersten Heeresleitung, Moltke, nach Mitternacht an, und die telegraphischen Meldungen. vom Obersten Bartsch von der Nordfront zwischen ein und zwei Uhr nachts, so daß mein Schlaf erst nach Erledigung dieser Dinge ungestört war. Um fünf Uhr mußte ich wieder aufstehen. Da meine Natur viel Schlaf erfordert, so war mir die Entbehrung des nötigen Schlafs am empfindlichsten, empfindlicher als die schwere Kälte, gegen die ich mich in der Wohnung durch vom Magistrat requirierte kleine Öfen, im Freien durch Bewegung und Kleidung genügend schüßen konnte.

Die vorkommenden Arbeiten hatte ich derart verteilt, daß Kaas die Angelegenheiten des Ersaßes an Munition und Artilleriematerial bearbeitete, Braumüller alles übrige. Dem Oberstleutnant Heydenreich gab ich nichts zu arbeiten, und insofern hatte er nicht die volle Tätigkeit eines Chefs des Generalstabes. Aber er mußte alles einsehen, orientiert sein, und ich verwandte ihn bei jedem Entschluß als Ratgeber, wobei er verpflichtet ward, mir immer zu widersprechen und die gegenteilige Ansicht auch zu begründen, und ferner als mein Stellvertreter zu Aufträgen, wo mir die Zeit fehlte, selbst zu erscheinen.

Der 6. Januar. Gegen acht Uhr früh ging das bis dahin langsam unterhaltene Nachtfeuer in das lebhafte Tagesfeuer mit fünfzig Schuß pro Geschütz und Tag wieder über. Die feindlichen Forts, besonders Issy und Vanves, versuchten noch einmal zu antworten, schwiegen dann aber ganz still. Montrouge kämpfte nur noch schwach. Die großen sichtbaren Kasernen in Issy und Vanves wurden zusammengeschossen und standen bald in hellen Flammen. So wurde den Verteidigern die bequeme Unterkunft entzogen, und dies war bei der Winterwitterung gewiß von großer Bedeutung.

Dagegen vermehrte der Feind seine Geschüßzahl auf der langen Stadtfront hinter den Forts von Stunde zu Stunde und schoß aus der bedeutenden Entfernung von 4000 bis 5000 Metern mit unglaublicher Eile. Die verschiedenartigsten Projektile kamen da angesaust, und wenn man die Geschosse untersuchte, welche nicht plaßten, dann sah man, daß man alle Arten von feindlichen Geschützen gegenüber hatte, vom schwersten gezogenen Marinegeschütz bis zum leichtesten glatten Bootskanon, dessen Konstruktion in ein Raritätenfabinett aus längst vergangener Zeit ge

hörte. Die geringe Treffwirkung dieser feindlichen Geschüße verleitete. uns nicht, wieder gegen die Geschüße des Stadtwalls zu schießen, solange wir so weit entfernt waren. Nur die näher liegende Batterie St. Cloud Nr. 1 mußte gegen denselben Teil des Stadtwalls kämpfen, gegen den sie gestern im Feuer war. Wir begnügten uns damit, die Forts noch mehr zu zerstören, die Stadt mit zwei Geschüßen im ganzen Innern zu beunruhigen und außerdem in der Nähe des Point du Jour den Verkehr zu hemmen. Wir sahen Eisenbahnzüge auf der Ringbahn hin und her dampfen. Die Bahnbrücke hinter der Porte de Bas Meudon war sichtbar und ward auf mehr als 4000 Meter von Batterie Nr. 2 getroffen. Pfeiler und Schienen wurden beschädigt, und der Verkehr hörte auf. Auch untersagten unsere Granaten den Bootsverkehr auf der Seine bis zur nächsten dahinter liegenden Brücke. Wie früher unsere Vorposten, so ließ jezt der Feind keinen Kopf mehr sehen. Dieser Spieß war schon jest umgedreht. Wo bisher unsere Vorposten nur gebüct hatten schleichen können, da tanzten sie jetzt in verlassenen Häusern oder auf der offenen Straße nach dem Schalle herrenloser Pianinos, die in der feuchten und kalten Witterung nicht gerade die harmonischsten Akkorde von sich gaben. Unsere Leute waren so guten Humors und schauten so übermütig drein, daß sie sogar die nötigsten Vorsichtsmaßregeln verabsäumten und die jezt noch bei der Infanterie vorkommenden Verluste der Unvorsichtigkeit derselben zuzuschreiben sind. Sie waren übrigens nur gering und betrugen am 6. und 7. Januar im Bereich der Batterien des rechten Flügels, Zentrums und linken Flügels nur noch je einen Verwundeten.

Unser Feuer ließ sich an dem klaren, jonnenhellen Wintertage vortrefflich beobachten. Dabei wurden wir inne, daß einige Batterien, besonders Nr. 5 und 6, doch gar zu weit feuern mußten und zu einer entscheidenden Wirkung gar zu viel Munition erforderten. Aber auch die den Forts am nächsten liegenden Batterien waren immer noch zu weit, um Punkt zu schießen. Nun war ein Teil des Mauerwerks der Eskarpe an den Forts IJssy und Vanves zu sehen, und wir hofften, diese Forts in Bresche legen zu können, wenn wir näher herangingen. Daher suchte ich nähere Positionen aus, um in ihnen unter dem Schuße unserer überlegenheit im Artilleriekampfe Batterien bauen zu können.

Oberst Rieff wollte durchaus auf der den Franzosen in der vorlegten Nacht entrissenen Schanze von Notre Dame de Clamart eine BreschBatterie gegen Fort Issy anlegen. Ich besuchte deshalb diese Schanze; sie war noch unvollendet, aber ein tiefer, breiter Graben, den der Feind nach uns zu ausgehoben hatte, gewährte uns vortreffliche Deckung,

und der dahinter liegende starke Erdwall war eigentlich schon eine halb fertige Batterie. Die Schanze lag höher als Fort Issy und nur 1000 Meter davon. Das alles verlockte sehr, sie zu benußen. Aber sie bot nicht Raum genug, um mehr als vier Geschüße dort genügend gesichert in Batterie zu stellen. Zudem war dicht daneben ein alter Turm, der weithin sichtbar war, und der Feind konnte sich gewiß danach gut einschießen. Zudem mußte die Schanze, die der Feind selbst gebaut hatte, ihm sehr genau nach Lage und Entfernung bekannt sein, und man konnte nicht wissen, welche List der Feind noch mit der so leicht uns überlassenen Schanze verband. Kurz ich hatte einen Widerwillen gegen Notre Dame de Clamart und verbot, vier einzelne Geschüße jezt schon und isoliert so weit vorzuschieben, weil sie dort von allen Seiten beschossen und erdrückt worden wären.

Ich suchte deshalb zwei andere Pläße für Batterien aus. Sie lagen etwas weiter ab vom Feinde, rechts und links der Höhe von Notre Dame de Clamart; die eine, Nr. 19, die gegen Issy bestimmt war, sollte auf einer freien Wiese erbaut werden. Rieff machte große Augen, als ich verlangte, eine Batterie auf einen so freien Platz zu bauen. Man werde sie nicht bauen und nicht behaupten können, fürchtete er, weil sie allseitig zu sehen war. Ich bestand aber eigensinnig darauf, daß hier acht Geschüße aufgestellt würden. Etwa 200 bis 300 Schritt von dem für die Batterie bestimmten Fleck zog sich nämlich eine dichte Hecke bis zur Höhe der Geschüße hin, und ich rechnete darauf, der Feind müsse glauben, die Batterie werde dicht an der Hecke angelegt. So geschah es auch, der Feind hat Schuß auf Schuß später nach der Dornhecke getan, in deren Nähe der Boden wie ein gepflügter Acker aussah. Die Batterie selbst aber würde gar keine Verluste während der ganzen Beschießung gehabt haben, wenn darin nicht einmal ein Rohr geplakt wäre, das drei Mann tötete, und ein Lazarettgehilfe im Übermute auf der Brustwehr herumspaziert wäre, der durch ein Sprengstück am Arm leicht verwundet ward. Die Artilleristen haben sich später so sehr über die günstige Lage dieser Batterie gefreut, daß sie ihr meinen Namen gaben. Die Batterie sollte gegen Issy mit 1500 Metern feuern. Die landschaftliche Lage dieser Batterie war recht romantisch, mit ihrem Ausblick auf Issy, den Mont Valérien und das ganze große, weite Paris. Dicht daneben stand eine reizende kleine Villa, im Schweizerstil erbaut, die mit ihrem vor die Tür geworfenen Mobiliar, umgestürzten Figuren usw. schon die Spuren der Verwüstung durch den Krieg trug und im Laufe der nächsten Wochen durch die feindlichen Geschosse noch übler zugerichtet wurde.

Die andere Batterie, Nr. 20, bestimmte ich rechts von der Höhe Notre Prinz zu Hohenlohe, Aufzeichnungen. IV.

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