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kam nach halb zehn Uhr zurück und meldete, sie schössen noch gar nicht, weil sie noch nicht genau die Forts sehen könnten. Die Explosionen, die ich dort hörte, rührten lediglich von feindlichen Geschossen her, und die dichten Pulverdampfwolken in den feindlichen Forts, die wir für Explosion von Pulvermagazinen gehalten, rührten von den feindlichen schweren Geschüßen her, die seit halb neun Uhr auf das fleißigste das Feuer erwiderten und auch die Terrasse von Meudon beschossen, wo sie unsere Batterien sahen. So hatte sich der Major du jour auf Meudon vom Feinde erst beschießen lassen. Allerdings war er durch einen früheren Befehl von mir entschuldigt, der ein Geschüßfeuer für strafbar erklärte, das man nicht beobachten konnte. Jest eilte ich selbst in die Batterien und versuchte die Geschüße zu richten. Es ging in der Tat noch nicht. Da kam ein Telegramm von Rieff an den Major du jour auf Meudon: „Ich stehe seit einer Stunde im Kampf, warum feuern Sie nicht?“ Rieff hat mir nachher gesagt, er habe schon um acht Uhr sehr gut sehen können. Der Nebel war eben, je näher der Seine, um so zäher. Batterie St. Cloud konnte erst um zwölf Uhr zu feuern anfangen.

Der Major du jour wollte eben antworten, er könne nicht sehen. Aber ich entnahm aus Rieffs Telegramm, daß ihm hart zugesetzt werde, und ich befahl die sofortige energische Eröffnung des Feuers, so gut es eben gehe, um ihn zu erleichtern, und die gewaltige Musik begann auch aus den sechsundzwanzig schweren Geschüßen der Terrasse von Meudon.

Es ist möglich, daß die Erschütterung der Luft das Niederfallen des Nebels beschleunigte. Sehr bald konnte man jeden Schuß sehr deutlich sehen, mit Genauigkeit korrigieren, und dann schlug jede Granate auf dem Fleck ein, dem sie zugedacht war. Die herrlichste Wintersonne glänzte an dem winterlichen, wolkenlosen Himmel, beleuchtete die Schneelandschaft und zeichnete deutlich die Linien und Scharten der Forts. Um zwölf Uhr war auch die Batterie St. Cloud Nr. 1 vom Nebel frei und begann den Kampf. Eine lange Linie der Stadtfront vom Point du Jour nördlich trat dagegen in Tätigkeit. Ich zählte an vierzig Geschüße daselbst.

Dagegen wurde das Fort Issy immer bescheidener, je mehr unsere Granaten darauf einschlugen, und von halb zwölf Uhr ab schwieg es gänzlich. Auch das Feuer. von Vanves und Montrouge wurde matter. Ich telegraphierte daher um zwölf Uhr an Rieff, er solle, wenn er ein oder zwei Geschütze in Batterie Nr. 8 entbehren könne, dieselben rechts an Vanves vorbei richten, mit Sechspfund-Ladung laden und mit 30 Grad Elevation feuern lassen. Das war technisch, es ging aber politisch mitten nach Paris hinein.

Um zwei Uhr erschien auch ein Dampfer auf der Seine und legte sich in einen geborgenen Winkel. Von da schickte er Granaten nach Meudon hinauf. Er war schwer zu sehen und zu fassen. Endlich aber ward er vertrieben. Bei Eintritt der Dunkelheit wurde jedem ersten Geschütz in den Batterien Richtung usw. für die Nacht gegeben, um das Feuer unterhalten zu können, und um fünf Uhr verließ ich Meudon. Den ganzen Tag über hatten wir jenseits Paris von Bourget über Raincy bis gegen St. Maur des Obersten Bartsch Batterien im Feuer gesehen.

Der Rücktritt war wegen der Glätte noch beschwerlicher als der vom Tage vorher.

Der wirkliche Erfolg des ersten Beschießungstages war noch weit bedeutender, als es den Anschein hatte. Es ist später konstatiert worden, daß die Franzosen durch die Eröffnung unseres Geschüßfeuers vollständig überrascht worden sind. Sie hatten seit Monaten von unserem Belagerungspark in Villa Coublay Kenntnis erhalten. Allmählich hatten sie sich daran gewöhnt, zu glauben, wir hätten den Plan aufgegeben, Belagerungsgeschütz anzuwenden. Als plötzlich das vernichtende Feuer gegen den Mont Avron am 27. Dezember begann, glaubten sie, wir hätten unsere Angriffsfront gewechselt. Das lebhaftere Feuer, das der Oberst Bartsch auf meine Aufforderung am 3. und 4. Januar unterhielt, hatte in der Tat, wie es in der Absicht lag, die Aufmerksamkeit des Feindes gänzlich gefesselt, und er hatte Truppen und Beobachtung dorthin konzentriert und den Süden ganz außer acht gelassen. Von der Armierung hat er nicht die geringste Kenntnis erhalten.

So hatte der Beginn des Kampfes am 5. früh acht Uhr die Verteidiger der Forts gewissermaßen im Schlafe überrascht. Es soll da eine heillose Verwirrung entstanden sein, wie mir französische Offiziere später erzählt haben, und es ist nur mit Mühe gelungen, die Kanoniere, die aus den Kasernen durch Granaten, die in den Stuben plaßten, aufgescheucht wurden, zum Bedienen der Geschütze zu bewegen. Es ist dies allerdings eine recht rohe Art, einen Menschen früh aufzuwecken. Daher kam es, daß über eine halbe Stunde verging, ehe die Forts antworteten. Allmählich wurden sie immer lebendiger, solange Rieff nur mit dem Zentrum und dem rechten Flügel feuerte, weil er von da nur gegen je eine Front der Forts schoß. Sobald aber die Batterien auf Meudon am Kampfe teilnahmen und die Forts von der anderen Seite umfaßten, auch die klare Luft uns instand seßte, die Genauigkeit unserer Geschüße voll auszunuzen, da unterlagen die Forts. Der Admiral La Roncière sagt in seinem Werke: ,,Le Fort d'Issy fut écrasé en deux heures." Es hat den folgenden Morgen noch einmal versucht zu schießen und ein

oder zwei Schuß abgegeben und dann nie wieder. Die französischen Offiziere, die uns am 29. Januar das Fort übergaben, sagten uns, wir hätten darin am ersten Tage binnen zwei Stunden siebenundzwanzig Geschüße zerschossen. Es sei unmöglich gewesen, die Mannschaft auf dem Walle zu erhalten und von den übrigen siebzig Geschützen, die eine ambulante Reserve bilden sollten, auch nur ein einziges auf dem Wall aufzustellen. Die Mannschaft habe sich in die bombensicheren Räume verfrochen, denn die Kajernen gerieten sogleich in Brand, und seien nicht wieder zu bewegen gewesen, den Kampf auf dem Walle zu erneuern. So groß ist die überlegenheit, welche überraschung, gute Geschüßkonstruktion und gute Ausbildung der Artillerie gewährt, daß achtundzwanzig gegen Issy feuernde Geschütze binnen zwei Stunden siebenundneunzig darin befindliche auf immer außer Tätigkeit seßten.

Ähnlich erging es dem Fort Vanves, wenn es auch erst in den nächsten Tagen ganz zum Schweigen gebracht ward und dann erst als ganz écrasé betrachtet werden konnte.

Fort Montrouge ward nur von Bagneur her bearbeitet, also nicht umfassend zugerichtet. Aber es hatte auch zulegt nur matt gekämpft. Die Batterien zwischen L'Hay und Chevilly hatten pünktlich früh um acht Uhr mitgewirkt und einen vortrefflichen Erfolg erzielt, waren auch durch einige bayerische Feldbatterien unterstüßt worden. Die Schanze Haute Bruyère hatte von halb zwölf Uhr ab geschwiegen, und nur weiter rückwärts von Fort Bicêtre und Moulin Saquet waren noch einzelne Schüsse gefallen.

Auf dem äußersten linken Flügel hatte die Batterie St. Cloud Nr. 1 eine große Geschützahl gegenüber auf dem Wall der Stadtbefestigung auftreten sehen. Aber sie hatte ihre sämtlichen Geschüße immer gegen ein und dasselbe feindliche Geschüß zugleich feuern lassen und so eins nach dem anderen totgemacht. Gegen Abend hat die Stadtbefestigung nicht mehr geantwortet. Außerdem hatte die Batterie St. Cloud noch die Vorstadt Billancourt bearbeitet und daraus die Vorposten des Feindes verjagt, die sie nun nicht mehr mit Chassepotfeuer belästigten.

Das lebhafteste Feuer hatte der Feind bis gegen Abend aus Geschüßen unterhalten, von denen wir mehrere Tage gar nicht herausbringen konnten, wo sie eigentlich standen. Sie feuerten nicht aus den Forts, sondern neben den Forts. Später wurden uns diese Stellungen deutlich. Der Feind hatte an jedes Fort rechts und links Batterien angehängt, die durch gedeckte Verbindungswege mit den Forts zusammenhingen und mit Munition gespeist wurden. Diese Batterien waren geschickt im Terrain versteckt, besonders eine rechts von Issy am Bahn

damm verborgen. Sie blieben am längsten im Feuer. Wir haben von den Franzosen gelernt und jezt in unseren Festungen die Anlage solcher Anner-Batterien zum System gemacht.

Im allgemeinen schoß der Feind schlecht. Bei der großen Zahl Geschüße, die er in Tätigkeit brachte, kann unser Verlust nur gering genannt werden, wenn er auch sehr empfindlich war. Auch Oberst Bartsch hatte heute Verluste, und es wurde ihm eine Lafette zerschossen. Auf der Südfront wurden kein Geschüß und keine Lafette getroffen. Im ganzen verlor ich an diesem Tage mehrere Offiziere die Verlustlisten geben nur zwei an, aber mir wurden sechs gemeldet, vielleicht sind einige der verwundeten Offiziere erst an einem späteren Tage in die Listen aufgenommen — und sechsunddreißig Mann.

Am schmerzlichsten war mir die Nachricht, daß dem Hauptmann Hoffmann v. Waldau ein Fuß fortgerissen war. Er hatte seine sechs langen Vierundzwanzigpfünder alle selbst gerichtet und war so erfreut über die Ehre, das Signal zur Beschießung von Paris geben zu können, daß er auch von jedem Geschüß den ersten Schuß eigenhändig, jedesmal mit einem Hoch auf den König abfeuerte, von einem Flügel zum anderen gehend. Dann hatte er sich, frei aus der Deckung heraustretend, hinter seine Batterien gestellt, die er, mit verschränkten Armen wie Napoleon I. dastehend, kommandierte. Es war recht unnötig, sich so der Gefahr auszusehen, wo Schußmittel gebaut waren. Der Feind nahm natürlich den Punkt am meisten aufs Korn, von dem unser Feuer zuerst begonnen hatte. Bald wurde die Batterie Nr. 8 von Issy, Vanves und Montrouge her, ja sogar aus der weit entfernten Stadtfront mit Projektilen aller Art überschüttet, und wer dort frei stand, mußte getroffen werden. Eine Granate riß dem Hauptmann den Fuß fort. Es wurden außer ihm noch sechs Mann in der Batterie verwundet. Als die Mannschaft ihren geliebten Hauptmann forttragen sah, insbesondere als ein Mann, der ebenfalls eine Knochenwunde hatte, vor Schmerz besinnungslos, entseylich schrie, da verlor die Mannschaft die Haltung, verkroch sich und hörte auf zu laden. Da ist der kleine, dicke Oberst Rieff auf die Brustwehr gesprungen und hat den Leuten auf sein Ehrenwort versichert, wenn nicht sofort jeder auf seinem Plaß seine Schuldigkeit tue, werde er sie oben auf der Brustwehr Kompagnie formieren und vom Feinde unter „Stillgestanden“ beschießen lassen. Rieffs Energie stellte die Ordnung sofort wieder her. Wie energisch doch dieser sonst oft schüchterne Mann sein konnte, wenn er wußte, was er sollte! Er hatte noch einen schweren Stand, bis ich den Beginn des Feuers auf Meudon befahl. Von da ab hatte er keine Verluste mehr gehabt.

Batterie St. Cloud Nr. 1 und die Batterien beim VI. Armeekorps hatten keine Verluste gehabt.

So war der erste Tag unseres Kampfes sehr zufriedenstellend. Alle meine Befürchtungen hatten sich als unbegründet erwiesen, und von jezt ab war auch nächtlich eine größere Unternehmung gegen die Batterien nicht mehr zu erwarten, denn diese hielten die Anmarschwege Tag und Nacht derart unter Feuer, daß den Franzosen die Lust verging, in großen Massen dort aus den Toren von Paris herauszukommen.

Es machte mir viel Vergnügen, daß es gelungen war, das Geheimnis über den Beginn der Feuers so gut zu bewahren. Nicht nur die Franzosen waren davon überrascht, sondern auch alle nicht beteiligten deutschen Offiziere in Versailles. Zwei Offiziere des Stabes des Generals v. Pape, die am Abend des 4. Januar in einem Bierlokal mit Kaas zusammenfamen, ernteten viel Spott von dieser Mystifikation. Sie hatten, wie dies öfter geschah, am Tage in Versailles Einkäufe für den Stab gemacht und wollten den 5. nach St. Brice zurück. Um Neuigkeiten mitzubringen, fragten sie Kaas, wann wir denn zu schießen anfangen würden. Dieser, der den ganzen Tag mit mir auf einen Lichtblick gewartet hatte und erst vor einigen Stunden aus den schußbereiten Batterien zurückgekehrt war, sagte verabredetermaßen: „Prinz Hohenlohe bildet sich ein, am 15. Januar anfangen zu können, aber auch da ist keine Rede davon." Die beiden Herren kehrten den anderen Morgen nach St. Brice zurück. In einem geschlossenen Wagen fahrend, hörten sie vor dem Rumpeln des Wagens den Kanonendonner nicht, auch sahen sie nichts. Sie kamen des Glatteises wegen nur langsam fort und gelangten erst im Dunkeln nach St. Brice, als Pape sich eben zu Tische sezen wollte. „Nun, was gibt's Neues?“ „Schlechte Nachrichten“, sagten sie, „Prinz zu Hohenlohe will am 15. Januar mit dem Feuer beginnen, wird es aber auch dann. noch nicht können." Was haben Sie denn für Quellen?", sagte Pape. „Wir stehen hier den ganzen Tag auf der Höhe von Pierrefitte, beobachten den imposanten Geschüßkampf, sehen jeden Schuß, freuen uns, wie herrlich sich der von der Sonne beleuchtete, in Pulverdampf gehüllte Horizont ausnimmt, und Sie bringen uns solche Nachrichten. Wenn Sie in Versailles keine besseren Quellen haben, dann erlaube ich Ihnen nicht mehr, dorthin zu fahren." Und sie wurden vom ganzen Stabe entsetzlich verhöhnt.

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An demselben Tage, an dem ich diesen schweren Kampf so glücklich begann, kam die Nachricht, daß Goeben*) den General Faidherbe noch

*) General v. Manteuffel, der bisher die I. deutsche Armee im Norden von Paris kommandierte, übernahm in diesen Tagen den Befehl über die aus dem VII. und II. Armeekorps neugebildete Süd-Armee, und an seine Stelle trat General v. Goeben im Norden.

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