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Wege donnerte so ein Wagen in scharfer Gangart weithin durch die Lüfte, daß man glauben konnte, eine meilenlange Kolonne rasseln zu hören, und die feindlichen Forts entluden ihre sämtlichen Geschütze in der Richtung des vernehmbaren Lärms. Bei den Batterien wunderten sich alle Offiziere, daß die Franzosen heute soviel feuerten, und noch keiner war auf die Idee gekommen, daß unsere ausreißenden Fuhren daran schuld seien, die man rumpeln hörte. Mit einigen liebevollen Flüchen stellte ich es ab. In den Batterien fand ich noch manches am Bau zu erinnern. In der Batterie Nr. 17 war noch gar nichts getan. Ich sagte jezt sehr ernst, daß der Unterstandsraum nicht genügend gegen den Feind zu geschüßt sei, und daß dort mehr Erde aufgeworfen werden müsse. Bei der Schwierigkeit, die gefrorene Erde auszugraben, war dies allerdings eine recht lästige Arbeit.

Im übrigen regelte ich an diesem Tage mit dem Obersten Rieff den Dienst in den Batterien, die Munitionsversorgung, die Ablösungsbestimmungen, den Ersaß und die Feuerordnung.

Die Bedienung der Batterien wurde derart geregelt, daß jede Batterie, mit einzelnen Ausnahmen, je einer Kompagnie übergeben ward, denn eine Kriegs-Kompagnie hatte gerade die hinreichende Mannschaft, um eine Batterie zu sechs Vierundzwanzigpfündern oder acht Zwölfpfündern Tag und Nacht dauernd zu bedienen, wobei auf dreifache Ablösung gerechnet ward. Danach war jeder Mann vierundzwanzig Stunden in der Batterie dauernd im Dienst im Feuer, vierundzwanzig Stunden im Dienst in dem Kantonement und im Park und vierundzwanzig Stunden in Ruhe. Die Ablösung ward auf den Abend nach Eintritt der Dunkelheit festgesetzt. Dies ist ein in mancher Hinsicht ungünstiger Zeitpunkt für die Ablösung, denn die ablösende Mannschaft mußte somit in ein unbekanntes Terrain, wenigstens für die ersten drei Tage, hineinkommen und die bei Tage ausprobierte Ladung und Elevation für die Fortsetzung des Feuers bei Nacht von der abgelösten Mannschaft übernehmen, ohne die Richtigkeit durch selbst beobachtete Schüsse kontrollieren zu können; aber wenn man die Ablösung des Morgens hätte eintreten lassen wollen, so hätte die ablösende Mannschaft, die in Kantonements auf eine bis anderthalb Meilen Entfernung verteilt war, weil die Witterung bei 13 Grad Kälte das Biwakieren unmöglich machte, vor dem Dienst einen Nachtmarsch machen müssen, und alle Mannschaft hätte zwei gestörte Nächte und nur eine ruhige unter dreien gehabt, was auf die Dauer kein Mensch aushalten kann. War auch die Nacht, in der gefeuert wurde, für die Besaßung der Batterie nicht ganz ohne Ruhe, da bei Nacht immer

nur ein oder zwei Geschüße langsam das Feuer unterhielten, also der größte Teil der Mannschaft in den sicheren und heizbar eingerichteten Unterstandsräumen ruhte, so war diese Ruhe doch nur sehr bedingt, wenn auch zuletzt der Mensch sich daran gewöhnt, dicht neben feuernden. Kanonen zu schlafen. Auch der Ruhetag, jedesmal der dritte, war nicht vollkommen ein Ruhetag, denn er ging dem Batteriedienst vorauf, und am Nachmittag mußte die Mannschaft bereits abmarschieren, um Lebensmittel und Munition auf vierundzwanzig Stunden zu empfangen und zur Ablösungsstunde nach Eintritt der Dunkelheit in den eine bis anderthalb Meilen entfernten Batterien einzutreffen, zwischen fünf und sechs Uhr, und dort die Bedienung zu bilden. Hiermit war auch der Modus der Munitionsversorgung der Batterien gegeben. Die neue Mannschaft brachte die neue Munition mit. Auf einen Tag Munition lag außerdem eiserner Bestand in den Batterien, so daß nie ein Mangel entstehen konnte.

Die Batterien waren in drei Gruppen geteilt, die linke Gruppe Meudon, die mittlere Gruppe Bayernschanze, die rechte Gruppe Bagneur. Als detachierte Posten wurden links die Batterie St. Cloud Nr. 1, rechts die Batterien bei L'Hay und Chevilly angesehen. Die Gruppen waren miteinander und mit dem Park von Villa Coublay durch Telegraphen verbunden. Die Stationen waren, wo sie im Feuerbereich lagen, so tief unterirdisch angelegt, daß der Beamte nicht gefährdet war. Der unterirdische Aufenthalt war aber immer sehr ungemütlich, und der dumpfe Krach der darüber einschlagenden und plaßenden Geschosse sehr unheimlich.

In jeder Gruppe von Batterien hatte ein Stabsoffizier von der Artillerie der Belagerung den Oberbefehl als Stabsoffizier du jour, täglich ebenfalls wechselnd.

Nach Villa Coublay kommandierte die Dritte Armee täglich einen General du jour, welcher das Oberkommando über die gesamten Vorposten und Batterien vor der Südfront übernahm und für alle Maßregeln zur Sicherung auch im Falle eines feindlichen Ausfalls zu sorgen hatte.

Die Munition, welche aus dem Park von Villa Coublay, wo sie schußfertig gemacht ward, nach den Batterien täglich auf dem angegebenen Wege abgeliefert wurde, ward wiederum durch den täglichen Nachschub aus Lagny ersetzt. Es waren zwar jest, wo wir mit dem Feuer begannen, von den vierundzwanzig vom Kriegsminister mir versprochenen neuen Kolonnen erst drei angekommen und drei als unterwegs auf dem Marsch von Nancy nach Villa Coublay gemeldet. Aber die übrigen

Transportmittel genügten ja schon zur Not, seit ich, wie bereits erwähnt, die Infanteriefolonnen hatte.

Seine Majestät hatte ferner befohlen, daß aus der Heimat allen meinen Requisitionen an Munition und anderem Material durch das Kriegsministerium entsprochen werden solle. Es wurde in der Heimat fortwährend Munition gegossen, und es bildete sich nun folgende Praxis heraus. Jeden Tag requirierte ich auf Grund der eingegangenen Tagesrapporte soviel Munition telegraphisch aus Berlin, als verschossen war. Zur Kontrolle und Abstellung etwaiger telegraphischer Versehen gingen die Abschriften der Telegramme mit der Feldpost nach Berlin. Von da wurden nun die Werkstätten angewiesen, mir das Verlangte zu senden, und ich erhielt es mit der Eisenbahn nach Lagny, bald aus Spandau, Straßburg, Meß oder Königsberg. Dasselbe geschah mit dem Ersatz zerschossener Lafetten und Rohre. Reparaturen konnten im Park von Villa Coublay ausgeführt werden, wo großartige Schlosser- und Schmiedewerkstätten errichtet worden waren. Aber vor der Nordfront hatte Bartsch solche Werkstätten nicht, und er mußte ausgebrannte Geschüßrohre zum Verschrauben, verbogene Achsen zum Geradebiegen usw. nach Straßburg schicken, weil der Eisenbahntransport von Gonesse nach Straßburg weniger Zeit erforderte als der Landtransport aus dem Park von Gonesse nach dem von Villa Coublay. So wichtig ist es, bei der Belagerung über eine Eisenbahn zu disponieren, welche in den Park hineinführt.

Ich habe schon erwähnt, daß die meisten Batterien hinter Masken erbaut waren. Einige lagen hinter Mauern, andere hinter Sträuchern oder Waldstreifen, welche den Feind verhinderten, sie zu sehen. Diese Masken verhinderten natürlich auch die Batterien am Schießen und sollten in der Nacht vor der Eröffnung des Feuers umgelegt werden. Da erhielten die Mauern und die Bäume, da wo sie abgeschnitten werden sollten, damit es bei Nacht gut zu sehen war, einen dicken schwarzen Strich und darauf eine weiße Linie.

Ich revidierte auch die Verbandpläße, die die Feldlazarette ausgesucht hatten, und war nicht wenig erstaunt, daß sie auf Meudon in dem Schlosse und hinter der Bayernschanze in hübschen Häusern eingerichtet waren, die den Kugelfang hinter den Batterien bildeten wie das Schloß von Meudon. Man hatte sie eben nach den übrigen Anforderungen der Räumlichkeit wegen ausgewählt. Ich machte meinen Freund Böger, der als Generalarzt der Dritten Armee das ganze Sanitätswesen hier zu leiten hatte, darauf aufmerksam. Nach dem ersten Kampftage sind diese Verbandpläße gegen besser gelegene umgetauscht worden,

denn das Schloß von Meudon geriet bald durch feindliche Granaten in Brand, und bei Böger selbst platte eine feindliche Granate gerade in dem Augenblick, als er den verwundeten Hauptmann Hoffmann v. Waldau amputierte, so nahe, daß der chloroformierte Patient auf dem Seziertisch einen halben Fuß in die Höhe flog. Es war viel Glück, daß keiner der Verwundeten und des ärztlichen Personals hierbei verleşt wurde, und so ward diese Torheit nicht allzu teuer gebüßt.

Am Nachmittage ließ ich mir von Rieff die Feuerordnung vorlegen, die er zur Vorschrift gemacht hatte. Er hatte vorgeschrieben, jede Batterie solle früh bei Tagesanbruch ihm schriftlich melden, ob sie feuerbereit sei, und ob sie von ihrem Standpunkt aus das ihr angewiesene Ziel sehen könne, dann werde er die Stunde und Minute des Beginns des Feuers bestimmen. Ich bewies ihm nach den Entfernungen und den Wegen, die die Meldenden zu machen hatten, daß darüber der Mittag kommen, und wenn eine Meldung ausbliebe und noch abgewartet werden müsse, bei der Kürze der Tage der Abend einbrechen könne, ehe er den Befehl zur Eröffnung des Feuers geben werde. Unterdessen werde der Feind die Veränderung bemerken, die durch das Umlegen der Masken entstanden, die Batterien mit dem Fernrohre entdecken und uns durch den Beginn des Feuers überraschen, statt wir ihn. Dann könnten wir zusammengeschossen sein, ehe wir angefangen hätten.

Ich sagte ihm also, die Batterien müßten den Befehl erhalten, am Morgen bei Tagesgrauen schußbereit zu sein. Eine Verzögerung werde kriegsgerichtlich bestraft. Dann müsse eine Batterie bezeichnet werden, welche, wenn das Ziel zu sehen sei, den ersten Schuß zu tun habe. Mit ihr müßten alle Batterien in das Konzert einstimmen. Diese Batterie müsse persönlich den Befehl dazu erhalten. Ich könnte mir wohl die. Erteilung des Befehls vorbehalten, aber ich wolle ihm, der die Belagerung der Südfront befehle und solange auf diesen Augenblick gewartet habe, die Ehre überlassen, den ersten Schuß persönlich zu befehlen. Auch fragte mich Rieff, welche Batterie auszusuchen sei. Ich bezeichnete die Batterie Kronprinz Nr. 8, denn sie lag mitten in der Gruppe Bayernschanze von sieben aufeinander gehäuften Batterien, die, dicht daneben. stehend, keinem Mißverständnisse unterworfen waren, und der Höllenlärm von sieben solchen Batterien mußte dann auch bei den anderen, ferner liegenden Gruppen hörbar sein. Der Kronprinz war bei dem Bau zugegen gewesen, deshalb hatte sie seinen Namen erhalten, und sie ward von einer Garde-Kompagnie erbaut und bedient. Der Kompagniechef, Hauptmann Hoffmann v. Waldau, hatte mit seiner Kompagnie auf Arbeit kommandiert werden sollen, aber er bat so dringend, unter Tränen, die

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Batterie, die er erbaut, auch im Feuer bedienen zu dürfen, daß seinen Bitten nachgegeben ward. Der brave, aber unglückliche Mann! Ich hatte seine Bekanntschaft gemacht, als er sich als Sekondleutnant bei Satrup in Schleswig auszeichnete.*)

Im übrigen war die Feuerordnung ganz verständig und wissenschaftlich richtig. Von den Forts Issy und Vanves ward jede nach dem Angriff schlagende Linie in Front und Flanke umfaßt, und es war zu erwarten, daß der Feind troß seiner Mehrzahl an Geschüßen bald erdrückt werden müsse.

Am Abend traf die Nachricht ein, daß die Festung Mézières kapituliert habe. Ich stellte sofort den schriftlichen Antrag an Moltke, daß die zur Belagerung von Mézières verwendeten vierundfünfzig Geschüße und sieben Artillerie-Kompagnien dem Obersten Bartsch vor der Nordfront zur Disposition gestellt würden. Aber diesem Antrage wurde jezt noch keine Folge gegeben, weil man erst noch diesen Belagerungspark gegen Péronne gebrauchte, das zur Deckung der neu eröffneten Verbindungslinie erobert werden mußte.

Also mußte ich mich hiermit noch eine Weile gedulden.

Es ist am Ort, sich die allgemeine Kriegslage zu vergegenwärtigen, wie wir sie in Versailles übersahen, als ich am 3. Januar dazu schritt, die Batterien gegen Paris zu armieren.

Um Paris drehte sich alles. Fiel Paris, so war der Krieg zu Ende. Dies war die Ansicht aller auf beiden Seiten, mit Ausnahme einiger weniger Franzosen, wie Chanzy.**) Anfang Dezember hatte der Prinz Friedrich Karl zwar den General Aurelles geschlagen und gesprengt, viel Trophäen und Gefangene erbeutet. Aber die Armeen Aurelles waren nicht vernichtet. Eine war nach Süden entflohen und bis Vierzon verfolgt worden. Da hatte die Verfolgung ein Ende gefunden, denn unsere Truppen bedurften auch der Ruhe. Die andere war nach Westen ausgewichen, hatte aber in siebentägigen zähen Kämpfen am Walde von Marchénoir bewiesen, daß sie gar nicht vernichtet sei, und war endlich auf Le Mans zurückgegangen, während unsere Truppen, mit den Spißen

*) Vgl. Bd. III, S. 58.

**) General Chanzy hatte bei der Loire-Armee das 16. Armeekorps kommandiert und übernahm nach deren Niederlage bei Orléans Anfang Dezember den Befehl über die nach Westen zurückgegangenen Teile derselben und die sich daran schließenden Neubildungen, mit denen er energischen Widerstand leistete, der erst bei Le Mans in den Tagen vom 6. bis 12. Januar 1871 gebrochen wurde.

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