Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

man sich in acht nehmen muß, dazu gehört mehr Courage, als sich totschießen zu lassen.“

Endlich wurde heute noch die Maas-Armee aufgefordert, ihre BeLagerungsgeschüße, welche gegen den Mont Avron nicht mehr nötig waren, gegen. Fort Aubervilliers und St. Denis zu verwenden. Die Maas-Armee hatte denselben Entschluß schon gefaßt und kam der Aufforderung um so bereitwilliger entgegen, als dem kleinen offenen Orte Le Bourget von den Franzosen jezt die Ehre eines förmlichen Angriffs mit Laufgräben zuteil wurde, und bei der anhaltenden strengen Kälte die Inundation trop der fortdauernden Arbeit des Aufeisens der langen Linie von fünfviertel Meilen immer wieder zufror und keinen Schutz mehr zu gewähren drohte. Die Maas-Armee ließ nur einige Batterien gegen die Forts Rosny und Nogent im Feuer, legte im Osten noch zwei schwere Batterien bei Chenevières zur Beherrschung des Seine-MarneTals an und verwandte die übrigen Geschüße in der Front des Gardekorps. So umspann sie im weiten Bogen im Norden und Osten die Ausgänge von Paris durch einen Feuer und Granaten speienden Kranz und verdarb dem Feinde die Lust, dort Ausfalltruppen aus den Toren der Festung herauszuführen.

Bei der felsenartigen Härte des gefrorenen Bodens konnten aber auch diese Batterien erst am 4. Januar ihr Feuer eröffnen. Es sei hier gleich erwähnt, wie groß der Eindruck war, den bei Bourget die schweren. Geschüße auf Freund und Feind machten. Die Grenadiere des Gardeforps begrüßten die Kolosse aus der Kruppschen Fabrik mit Jauchzen. Sie umdrängten sie auf dem Marsche, streichelten die Rohre, wie man ein Pferd liebkost, und ermahnten sie, sich brav zu halten und recht gut zu treffen, und bezeugten eine kindliche Zärtlichkeit für die gefühllosen Ungetüme. Seit der Aufstellung der Batterien haben die Franzosen noch einmal nächtlich einen Angriff auf Bourget versucht. Die schweren Vierundzwanzigpfünder-Granaten aber verbreiteten Tod und Schrecken unter ihnen, die mit Geschüß versehenen Verschanzungen von Drancy und Bobigny wurden zertrümmert, und Le Bourget, das Angstkind des Prinzen von Württemberg, wurde von da ab in Frieden gelassen.

In der lezten Woche des Jahres hatte ich einmal, ich weiß nicht mehr an welchem Tage, eine Unterredung mit Bismarck, dem Kanzler des Norddeutschen Bundes. Wie ich viele Jahre später aus den Memoiren von Busch ersehen, hat sich Bismarc im höchsten Grade unwillig darül er geäußert, daß ich mich nicht bei ihm gemeldet habe. Eines Tages kam sein Vetter, Graf Carl v. Bismarck-Bohlen, der in seinem Ministerium arbeitete und ihn begleitete, zu mir und fragte mich,

warum ich den Minister nicht besuchte. Ich sagte, ich hätte überhaupt keine Zeit, Visiten zu machen. Aber Bismarck sei krank und ich doch ein. so guter alter Bekannter von ihm. Ich blieb bei meiner Weigerung. Da sagte mir der junge Bismarck, der Minister wünsche mich aber zu sprechen, weil er mir etwas mitzuteilen habe; zu mir kommen könne er nicht, denn er liege mit einem gelähmten Fuße auf dem Sofa. Ich sagte, das hätte er mir gleich sagen sollen, denn dann wäre ich gleich bereit gewesen, die Mitteilungen des Kanzlers zu holen. Es ward also verabredet, daß ich am nächsten Tage, von den Batterien bei Einbruch der Dunkelheit zurückreitend, bei ihm, wo ich vorbeiritt, absteigen werde.

Ich fand den Kanzler, als ich mit hohen Stiefeln, über und über voll Schmut, bei ihm eintrat, auf dem Sofa liegen. Er empfing mich sehr erfreut und freundschaftlich und begann mit seiner bekannten Lebhaftigkeit, unsere bisherige Kriegführung zu kritisieren. Bis zur Schlacht von Sedan, meinte er, habe man noch leidlich operiert. Aber seitdem habe man eine Torheit nach der anderen begangen. Er, Bismarck, sei ein sehr unbedeutender Kopf und habe keine Fähigkeiten. Nur eine nehme er in Anspruch, das sei die Strategie, die verstehe er aus dem Grunde. Diese Argumentation amüsierte mich. Es muß die Eigenheit großer Männer sein, daß sie auf ihre Schwächen stolz sind, Friedrich der Große auf seine Gedichte, Goethe auf seine Farbenlehre, Bismarck auf seine Strategie. Nach der Schlacht von Sedan, fuhr er fort, sei man, statt mit konzentrierten Kräften im Argonner Walde stehen zu bleiben und den Feind anlaufen zu lassen, wie unsinnig nach Paris gerannt, ohne zu wissen, wozu. Er habe dagegen protestiert, aber Moltke habe keine Vernunft angenommen. Ich entgegnete sarkastisch, Moltkes Torheit sei um so unfaßlicher, als derselbe ja aus der Geschichte des Krieges von 1792 wissen müsse, wie gut den preußischen Heeren damals das Stehenbleiben in den Argonnen bekam.

Ich fragte nach weiteren Befehlen und wurde entlassen. Beim Abschiede fragte mich Bismarck, ob ich nicht zuweilen bei ihm essen wollte, um, wie in alter Zeit, zuweilen eine Flasche Sekt mit ihm zu trinken. Ich konnte das leider nicht annehmen, denn seine Wohnung war sehr weit von mir, und ich hatte soviel zu tun, daß ich zu meinem Vergnügen feine Dinereinladung annehmen konnte. Hatte mir doch der König selbst erlaubt, wenn er mich zum Diner befehlen sollte, ihm auch abzusagen, wenn meine Zeit dies erforderte. Ich habe keine längere Konversation mehr mit Bismard gehabt.

Neujahr. Der Neujahrstag begann mit den üblichen Gratulationen bei Seiner Majestät dem Könige, welche stattfanden wie im tiefen

Frieden, nur mit dem Unterschiede, daß der Anzug kriegsmäßig, aber sehr genau vorgeschrieben war. Es ist nicht zu leugnen, daß es etwas Imponierendes hat, wenn. die legitime Monarchie in dieser Weise an den üblichen Zeremonien festhält, trot Krieg und Belagerung und Gefahr. Sie legt dadurch Zeugnis ab von der Sicherheit, deren sie sich bewußt ist. An die Gratulationen schloß sich ein Gottesdienst in der Schloßkirche von Versailles an, zu dem sämtliche in der Stadt einquartierten Offiziere befohlen wurden. Nach dem Gottesdienst begrüßte der König auch noch die Offizierkorps zum neuen Jahre und kehrte dann zum Militärvortrage in die Präfektur zurück.

Ich fand mich mit Kameke zu dem Vortrage ein, meine Armierungsdisposition unter dem Arm. Der König genehmigte die Armierungsdisposition und bestimmte, daß das Feuer am 4. Januar früh beginnen solle.

Ich war in fünf Minuten abgefunden und ging meiner Wege.

Es erging an die Dritte Armee jezt von Moltke der Befehl, die nötigen Gespanne am 3. Januar mittags nach dem Park von Villa Coublay zu gestellen. Ferner erhielt sie den Befehl, in der Nacht vom 3. zum 4. Januar die Vorposten bis in die Linie vorzuschieben, die ich weiter oben schon angegeben habe, um den Feind von dort zu vertreiben.

Ich hätte mich an diesem Tage gern in die Batterien begeben, um noch manches nachzusehen und zu kontrollieren. Aber ich war, da der Vortrag beim Könige wegen der Gratulationen und des Gottesdienstes sehr spät stattfand, erst nach Mittag frei und wäre nicht mehr rechtzeitig in die Batterien gekommen. So mußte ich mich auf schriftliche Anordnungen beschränken.

Mit Rieff ward verabredet, daß er gleich heute mit den ihm zur Verfügung stehenden Gespannen beginnen solle, die Munition für den ersten Beschießungstag in die Batterien zu schaffen, damit hierdurch in der Armierungsnacht nicht zu viel Zeit verloren gehe.

Noch sei hier erwähnt, daß ich gleich bei dem Beginn meines Kommandos befohlen hatte, sämtliche Geschütze mit der von Richter erfundenen indirekten Richtvorrichtung zu versehen, weil ich bei Montmédy, wie ich seinerzeit erzählte, die Erfahrung gemacht hatte, wie schwer ein Geschüß zu treffen ist, von dessen Bedienung man nichts sieht. Es waren nur wenige Geschüße mit dieser Richtvorrichtung ausgestattet. Bis fie für alle Geschüße aus der Heimat kamen oder im Park aus Eisen geschmiedet waren, ließ ich provisorische aus Holz machen. Diese wurden zwar bald durch die Heftigkeit des Rückstoßes zertrümmert, aber unterdessen waren die eisernen da. Ich schreibe es diesen Richtvorrichtungen,

bei denen nur zur Richtung des ersten Schusses jeden Geschüßes der Richtkanonier seinen Kopf dem direkten Feuer auszusetzen braucht, zu, daß wir troß der sechs- bis siebenfachen überlegenheit des Feindes an Geschüßzahl verhältnismäßig so wenig Verluste hatten und das übergewicht bald gewannen, denn vom ersten Schuß ab brauchte nur per Batterie ein Mann auf dem Beobachtungsstand, der auch möglichst geschüßt war, zu stehen und zu rufen, wieviel zu kurz, zu weit, rechts oder links, und es wurde Seiten- und Höhenkorrektur am Geschüß, ohne nach dem Feinde zu sehen, nach dem Grundsaß genommen, daß ein Grad Korrektur den Treffpunkt um ein Sechzigstel der Entfernung verlegt, also 3. B. auf 1200 Meter um 20 Meter.

Ich hatte, wie ich schon oben angegeben, nur meine beiden Adjutanten, Kaas und Braumüller, als Gefolge. Das reichte auch für die Geschäfte aus, weil ich fast nur telegraphische Korrespondenzen hatte, die eigentlichen Bureauarbeiten aber von Rieff und Bartsch besorgt wurden, die eine Menge Adjutanten, Schreiber und Zeichner hatten. Rieff hatte ein Gefolge von sechzehn Offizieren in seinem Stabe, außer den zehn Parkoffizieren, Bartsch kam mit einem Gefolge von drei Offizieren aus und zehn Offizieren im Park. Aber ich empfand das Bedürfnis, noch einen älteren Offizier in meinem Gefolge zu haben, dem ich Aufträge persönlicher Natur geben könnte, welche man nicht gern durch junge Herren von dreiundzwanzig und sechsundzwanzig Jahren bestellen läßt. Bei den mannigfachen Reibungen und dem von vielen Seiten entgegengesetzten passiven Widerstande kamen solche Aufträge häufig vor, denn ich konnte selbst nicht überall zugleich sein.

Ich habe schon erwähnt, daß ein Oberstleutnant Heydenreich vom sächsischen Generalstabe einen sehr nüßlichen Vorschlag zum Bau einer näheren Batterie zur Beschießung von Paris gemacht hatte. Ich unterhielt mich länger mit ihm und fand bei ihm gesunde, verständige, durch Kenntnisse ungetrübte, energische Ansichten. Er hatte aus Sachsen Orden nach Versailles gebracht, war eigentlich im Kriegsministerium in Dresden verwendet und hatte nur die Erlaubnis, zu seiner Instruktion der Belagerung von Paris beizuwohnen. Somit hatte er nichts zu tun. Sein Name hatte in der Artillerie schon einen guten Klang, denn er kommandierte bei Königgräß jene sächsische Batterie bei Problus, die uns soviel zu schaffen gemacht und zuletzt beim Rückzug durch ihre ruhige, entschlossene Haltung imponiert hatte. Ich fragte ihn, ob er mein Chef des Generalstabes werden wolle, und begründete meine Offerte mit dem Scherz, er habe bei Königgräß eins meiner dünnen Beine getroffen, müsse also ganz vorzüglich schießen können und werde Paris gewiß nicht

fehlen. Heydenreich willigte gern ein, und er ward noch heute zu mir fommandiert.

Der General Schulz ließ sich auf der Terrasse von Meudon einen bombensicheren Beobachtungsstand bauen. Er lag etwa 500 Schritt links von dem linken Flügel der Batterie von Meudon, an einem unscheinbaren Play, der die Aufmerksamkeit des Feindes nicht auf sich zog. Er ward oben mit dicker Erde bedeckt und hatte nach dem Feinde zu ganz flache Horizontalscharten, die reinen Gudlöcher. Man konnte von da das ganze Angriffsterrain übersehen und saß dort so sicher wie in Abrahams Schoß. Ich hätte dort immer während des Kampfes sitzen können und ebensoviel leisten, als indem ich mich in Gefahr begab. Aber die Luft in diesem unterirdischen Raum war unerträglich beengend, und er ward daher alltäglich nur dazu benutt, um unsere Vorräte dort in Sicherheit zu deponieren und unser Frühstück mit Ruhe verzehren zu können. Das vortreffliche Teleskop stand neben dem Sicherheitsstand. Am Abend ward Ramm noch einmal daran erinnert, daß die Batterien von L'Hay und Chevilly durchaus am 4. Januar früh schießbereit sein müßten.

Der 2. Januar. An diesem Tage ritt ich frühzeitig nach Villa Coublay und begab mich von dort nach der Bayernschanze, um die Batterien Nr. 13, 8, 7, 17, 5 und 6 noch einmal zu besuchen und zu kontrollieren, ob alles geschehen sei, was ich erinnert hatte.

Man brauchte bloß in die Nähe der Batterien zu kommen, um irgend eine große Dummheit zu sehen. Schon bei meiner Annäherung an die Bayernschanze fiel mir auf, daß heute der Feind ungewöhnlich viel schoß, und zwar lagenweise mit Zwischenräumen. Ganze Gruppen von leichten und schweren Granaten kamen mir auf meinem Hinweg entgegen. Ich beeilte meinen Weg in die Batterien, bei denen um diese Zeit Munition abgeladen werden sollte, um zu sehen, ob der Feind etwa einen Angriff plane, und wußte in der Tat nicht, was ich zu der Torheit sagen sollte, von der ich nun Zeuge sein mußte. Die Wagen, welche Munition brachten, fuhren durch die Bayernschanze bis an ein Haus an der Route Chevreuse, das sie von den Forts ungesehen erreichen konnten, und von dort wurden die Granaten die Laufgräben entlang mit den Händen in die benachbarten sieben Batterien der Gruppe Bayernschanze" getragen. Die Wagen fuhren unter der sorgfältigsten Beobachtung der ihnen vorgeschriebenen Vorsichtsmaßregeln bis an das Haus geräuschlos heran. So wie sie aber leer und entlassen waren, jagten sie in der Karriere aus dem Schußbereich der Forts zurück. Auf dem hartgefrorenen holprigen

« ZurückWeiter »