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Armeekommandeure mit älterem Patent als ich protestiert, ehe sie Folge geleistet hätten.

Ich kann nicht unterlassen, ehe ich zum nächsten Tage übergehe, auf einige unrichtigkeiten aufmerksam zu machen, welche das Werk des großen Generalstabes, Seite 782, über das Gesagte enthält. Hier lese ich von der Zeit Ende Dezember 1870: ,,bon wo (nämlich dem Park von Villa Coublay) man nunmehr die Belagerungsgeschüße mit ent sprechender Ausrüstung in die seit längerer Zeit fertig erbauten Batterien beförderte". Ende Dezember ist aber aus diesem Park kein einziges Belagerungsgeschüß in die Batterien befördert. Die Armierung fand erst am 3. Januar nachmittags und abends statt, wie ich das später erzählen werde. Ferner steht in der Anmerkung: Die Gesamtzahl der Geschüße im Park von Villa Coublay war mittlerweile auf 275 gebracht worden." Dies ist ein Irrtum. Er widerspricht auch der Anlage 144: „Armierung der Batterien auf der Südfront von Paris". Dieselbe enthält 154 Geschütze. Davon sind im Laufe der Zeit eingegangen und haben ihr Material an später erbaute Batterien abgegeben: 32 Geschüße, die bei diesen 154 Geschüßen doppelt gezählt sind. Es bleiben somit nur 122 Geschüße, und da Batterie Nr. 24 mit vier glatten 28 cm Mörsern nicht mehr zum Feuern gekommen ist, so haben gegen die Südfront von Paris nie mehr als 118 Geschütze gefeuert. Wir hatten die oben angegebene Zahl von 195 Geschüßen also nicht vermehrt - es blieb uns da immer noch eine Reserve von 73 Stück zu Verstärkung und Ersay. Selbst wenn der Generalstab die zwanzig Bombenkanonen und die vierzig Sechspfünder, die man zum Angriff nicht gebrauchen konnte, hinzurechnete, kann man nur auf 255 Geschüße kommen. Oberst Bartsch hat im Norden 130 Geschüße in Stellung gebracht. Im ganzen sind im Norden und Süden zusammen nur 252 Belagerungsgeschüße gegen Paris in Position gebracht, die nicht alle zu Schuß kamen.*)

Nachdem Kameke seine Rekognoszierung beendet hatte, konferierten wir abends miteinander, und wir meldeten uns zum Vortrage bei Seiner Majestät dem Könige an. Wir wurden zum nächsten Morgen um zehn Uhr befohlen.

*) Die Anlagen 4 und 5 der „Tätigkeit der Belagerungsartillerie vor Paris 1870/71", Kriegsgeschichtliche Einzelschriften, herausgegeben vom Großen Generalstabe, enthalten genaue Angaben über die Zahl der Batterien und Geschüße. Auch dort sind für den Beginn der Beschießung 154 Geschüße für die Südfront, für die Nordfront aber nur 76 und erst für den 28. Januar 130 Ge schütze angegeben.

Prinz zu Hohenlohe, Aufzeichnungen. IV.

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Der 31. Dezember. Der Vortrag fand zu der bestimmten Stunde statt. Gegenwärtig waren beim Könige der Kronprinz, der Kriegsminister, die Generale Graf Moltke, v. Podbielski, v. Boyen, Oberst v. Albedyll. General v. Kameke begann mit seinem Bericht über die Rekognoszierung. Er entwickelte ungefähr dieselben Ansichten, die ich entwickelt hatte. Vom Standpunkte des Ingenieurs aus sette er noch hinzu, daß ein Ingenieurangriff gegen die Forts Issy und Vanves die permanente Arbeiterzahl einer ganzen Infanterie-Division erheischen werde und daher bei dreifacher Ablösung, um andauernd arbeiten zu können, ein Arbeiterkorps von 30 000 bis 40 000 Mann nötig mache. Die Armee habe erklärt, daß sie soviel Aushilfe an Arbeitern nicht zu stellen imstande sei, weil sie nur zur Not die zur Zernierung nötigen Positionen besetzen könne.

Ferner machte Kameke geltend, daß der Boden jezt bis auf achtzehn Zoll Tiefe felsenhart gefroren sei und man nicht darauf rechnen könne, in der ersten Nacht in den Laufgräben genügende Deckung gegen das feindliche Feuer zu finden. Es würden daher, solange der Frost anhalte, die Arbeiter nach der ersten Nacht in jedem neuen Laufgraben empfindliche Verluste erleiden. Er bat daher Seine Majestät, von einem regelmäßigen Angriff gegen die Forts Issy und Vanves ganz abzusehen, und das umsomehr, als der Besitz dieser Forts zur Erreichung des Zweckes ganz unnüß sei. Wir könnten aus der Batterie Nr. 8 die Südseite von Paris - das linke Seine-Ufer — schon fast ganz bombardieren. Im Laufe der Zeit aber könnten wir noch eine nähere Position gewinnen, welche, wie ich ihm mitgeteilt habe, der Oberstleutnant Heydenreich vom sächsischen Generalstabe rekognosziert habe, nämlich dicht bei Bagneur, und dann sei das Bombardement von Paris ohne die großen Menschenopfer möglich, die die Wegnahme der beiden Forts kosten müsse.

Jett gab der König, als sich außer mir auch Moltke und Roon der Ansicht Kamekes anschlossen, die Absicht zu einem regelmäßigen Ingenieurangriff auf Issy und Vanves auf.

Darauf ergriffen Graf Moltke und Minister Roon das Wort. Sie berichteten von den großartigen Armeeformationen, welche Gambetta ins Werk sehen wolle, und wie nach seinen Proklamationen um die Mitte des Monats Februar anderthalb Millionen bewaffneter Franzosen im Felde erscheinen sollten, um uns aus Frankreich zu vertreiben. Wenn die bombastischen Entwürfe auch weit über die Möglichkeit der Lat hinausgingen, so werde man es doch bis Mitte Februar mit so erheblichen Massen regelloser feindlicher Haufen zu tun haben, daß uns

dieselben ernstliche Verlegenheiten bereiten könnten, wenn wir bis dahin nicht im Besitz von Paris seien, und, falls es nach dem Fall von Paris nicht, wie anzunehmen, zum Frieden kommen sollte, die zur Belagerung absorbierten Kräfte im Felde verwenden könnten. Beide Herren wiesen daher auf die Notwendigkeit hin, den Kampf gegen Paris sobald wie möglich zu eröffnen und hierbei auch keinen einzigen Tag zu berlieren.

Der König hörte diese Vorträge schweigend mit an und wandte sich dann zu mir und sagte mir in jenem Tone, in dem er oft zu sprechen beliebte, und von dem der, welcher ihn nicht näher kannte, im Zweifel war, ob es Scherz war oder Ernst: „Na, und Sie, was haben Sie denn heute hier zu suchen?" Ich antwortete in einem, wie gleichgültig hingeworfenen Tone: Eigentlich nicht viel. Ich wollte bloß untertänigst melden, daß ich fertig bin und um den Befehl zum Beginn des Feuers am 3. Januar früh, mit Tagesanbruch, bitte."

Ich habe den König noch nie so verblüfft gesehen als bei dieser meiner Meldung. Bei meinem leßten Vortrage vor drei Tagen hatte ich ihm gemeldet, daß ich noch gar nicht bestimmen könnte, wann das Feuer zu eröffnen sei. Früher war er täglich mit Artillerieangelegenheiten bestürmt worden, jezt hatte er von mir in diesen ganzen Tagen nichts gehört und gesehen. Mit einem Male trete ich mit der Bitte hervor, den ersten Schuß zu befehlen, diesen lang ersehnten Moment, den er selbst, nach allen pro und contra, wieder ad calendas graecas hinausgeschoben glaubte.

„Na, hören Sie mal", sagte er, ist denn auch alles bereit? Ist denn jezt der nötige Munitionsvorrat angekommen?" Ich konnte ihm mit Zahlen melden, daß dieser Vorrat zwar noch nicht da sei, aber daß der Nachschub seit der Intätigkeitseßung der Infanterie-Munitionskolonnen so regelmäßig erfolge, daß nach den täglich eintreffenden Massen am 3. Januar der nötige Vorrat vorhanden sein werde.

,,Wie steht es denn mit der Armierung der Batterien? Haben Sie sich diese Armierung überlegt?"

Ich konnte diese Frage mit gutem Gewissen bejahen. Die Armierung, meldete ich, bereite deshalb weniger Schwierigkeiten als bei jeder anderen Belagerung, weil wir vier Anmarschwege aus dem Park hätten und im Maximum sechzig bis siebzig Fahrzeuge auf demselben Wege zu marschieren hätten.

Haben Sie", fragte der König weiter, sich die Armierungs. disposition vorlegen lassen und sind Sie damit einverstanden." „Zeigen Sie sie mir!" Ich bekannte, daß ich sie nicht mitgebracht, weil ich

nicht geglaubt, daß der König soviel Zeit habe, um ein solches Detail der Ausführung in Augenschein zu nehmen. Da fuhr der König zornig auf: „Bilden Sie sich ein, daß ich zu einem so wichtigen Akt, wie es der Beginn der Beschießung von Paris ist, jemals meine Zustimmung geben werde, ehe ich den Armierungsentwurf in allen Details eingesehen und genehmigt habe? Erst kommen Sie morgen früh zehn Uhr wieder und legen mir den Armierungsentwurf vor, und dann werde ich befehlen." Ich konnte weiter nichts sagen, als zu Befehl". Dem Grafen Moltke aber raunte ich ins Ohr, daß damit der Beginn der Beschießung um vierundzwanzig Stunden hinausgeschoben sei. „Um Gotteswillen", sagte Moltke, die Zeit drängt aber. Können Sie nicht unterdessen die Kanonen in die Batterien schaffen?“ „Nicht eine einzige", sagte ich, denn die Dritte Armee gibt mir ohne Befehl des Königs nicht ein einziges Pferd." Da zuckte der alte Moltke die Achseln und sagte: Dann müssen wir uns mit diesem einen Tage Aufschub zufrieden geben, denn wenn er einmal so gesprochen hat, dann duldet er keinen Widerspruch."

Es blieben noch zwei Detailfragen für den Beginn der Beschießung zu besprechen.

Zunächst wurde die Notwendigkeit betont, gleichzeitig mit der Armierung der Batterien die Vorposten derart vorzuschieben, wie dies weiter oben von mir angegeben worden ist.

Der Kronprinz erhob dagegen Einspruch. Er machte geltend, die Wirkung der Belagerungsartillerie solle angeblich seine Vorposten erleichtern, und nun verlange die Belagerungsartillerie, daß sie ihre wohlbefestigten Positionen verlassen sollten, um dem Feinde die seinen zu entreißen und sich darin festzuseßen, somit sich neuen Verlusten ausseßen. Aber bei der Bestimmtheit, mit der Kameke und ich die Notwendigkeit dieser Maßregel betonten, und bei der Unterstüßung, die wir darin von Moltke und Roon erfuhren, entschied der König für unseren Vorschlag.

Der zweite Punkt war ein recht kizliger. Ich erwähnte schon, daß die meisten deutschen Fürsten mit Gefolge im Hotel Réservoir aßen, von französischen Kellnern bedient wurden und bei Tische alle Tagesfragen verhandelten. Wenn der Tag des Beginns der Beschießung bekannt wurde, dann hätten wir nicht nur bei der Armierung den größten Teil der deutschen Fürsten mit ihren zahlreichen Adjutanten als Zuschauer gehabt, sondern die Armierung und Beschießung wäre auch bei Tische im Hotel Réservoir besprochen worden. Französische Kellner hätten davon erfahren, und wenn es unter ihnen auch nur einen einzigen entschlossenen Patrioten gegeben hätte, so hätte dieser alles daran gesezt, die Nachricht

von unserer Absicht nach Paris zu bringen. Daß mannigfache Versuche gemacht wurden, Nachrichten nach Paris zu bringen, das meldeten die Vorposten täglich. Die Steinbrüche im Süden von Paris enthielten meilenlange unterirdische Gänge, deren Verbindungen von uns noch unerforscht waren. Öfter hörte man unterirdisches Geräusch. Man fand auch beim Nachgraben nach dem Geräusch in einem solchen Gange einmal die Leiche eines Menschen, der sich anscheinend dort verirrt hatte und vor Hunger umgekommen war. Wir mußten vorausseßen, daß es den Franzosen zuweilen gelang durchzukommen, wenigstens mußten wir uns darauf gefaßt machen. Wenn aber der Tag der Armierung vorher in Paris bekannt wurde, dann gerieten wir in die Gefahr, daß die Franzosen in der Armierungsnacht einen großen Ausfall dagegen machten. In dieser Nacht aber waren die Geschüße wehrlos, weil sie für ein Schießen bei Nacht noch keine Ladung und Elevation bei Tage hatten ausprobieren können. Es war daher dringend geboten, über den Tag der Armierung und den Beginn der Beschießung auch in unserer Armee das tiefste Geheimnis vorwalten zu lassen. Es war aber eine sehr heikle Sache, den König zu bitten, ein Geheimnis vor seinen nächsten Anverwandten aus einer Sache zu machen, die ein so allgemeines Interesse erregte. Moltke sagte mir: So etwas bringe ich ihm nicht zur Sprache, wenn Sie es für nötig halten, können Sie es tun." Bei der Wichtigkeit der ganzen Angelegenheit und im Interesse des Königs selbst kam es mir nicht darauf an, noch einmal den Zorn des Monarchen zu erregen. Zwar schien der Moment schlecht gewählt, aber es mußte sein. Ich begründete die Notwendigkeit der Geheimhaltung, und als der König sich damit einverstanden erklärte, bat ich ihn, die sämtlichen Anwesenden daraufhin zu verpflichten, und dann bat ich ihn, sich bis dahin sehr ungnädig dahin zu äußern, daß ich erst am 15. Januar zu schießen anfangen wolle und wahrscheinlich auch an diesem Tage noch nichts zustande bringen werde. Zu meiner nicht geringen Überraschung ging der König sofort darauf ein, es schien ihm die List sogar Spaß zu machen, · und er sagte: „Also wir sagen alle »den 15. Januar« und schimpfen weidlich auf diesen jungen Mann."

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Hiermit waren wir entlassen, und beim Hinausgehen sagte mir Boyen lachend, und indem er mir die Hand gab: „Daß Sie der gröbste Kerl der Welt sind, das weiß ich lange, aber daß Sie bei Ihrer Grobheit soviel Courage hätten, das habe ich Ihnen nie zugetraut." Ich war erstaunt, denn ich wußte nicht, wobei ich Courage gezeigt., Nun“, sagte er, um dem Könige und dem Kronprinzen in unser aller Gegenwart zu sagen, daß viele in ihrer Umgebung Plappermäuler sind, vor denen

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