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liegen. Die Feldartillerie des VI. Armeeforps erhielt Befehl, den Bau auszuführen. Zwölf Geschüße mit Munition und zwei Kompagnien würden am Armierungstage dort eintreffen.

Am Abend Eintreffen der Meldung, daß der Mont Avron geschwiegen habe.

Der 29. Dezember. Generalleutnant v. Kamefe traf ein. Er hatte bis jetzt die 14. Division kommandiert und war eben im Begriff gewesen, die Festung Mézières zu nehmen. Er hatte alle Einleitungen dazu getroffen, der Kampf mit der Festung sollte in diesen Tagen beginnen, und er erwartete, die Festung werde wie Diedenhofen und Montmédy binnen kurzer Zeit kapitulieren. Er war deshalb sehr unglücklich, daß ihm dieses Ruhmesblatt entging.

Es war ein großes Glück, daß ich mit Kameke seit langer Zeit eng befreundet war, und so konnten wir etwaige Verschiedenheiten der Ansichten miteinander ausgleichen und brauchten nicht darüber die Entscheidung des Königs einzuholen. Er bat mich, zunächst das Resultat meiner Detailbesichtigung der Arbeiten und Batterien ihm noch nicht zu sagen, damit er bei seiner Rekognoszierung erst ein ganz auf eigene Anschauung gegründetes Urteil gewinnen könne. Soweit er auf dem Plane und nach Kenntnis der Vorgänge ein Urteil fällen konnte, war er derselben Ansicht wie ich. über die Geschäftsinstruktion, die ich für mich durchgesezt, und die in bezug auf die Ingenieurarbeiten für ihn genau ebenso gegeben und an die Armeen publiziert ward, hatte er eine ungeheure Freude. Wir verabredeten, daß wir uns nie anders als gemeinschaftlich zum Vortrage beim Könige oder bei Moltke anmelden würden. Um uns über alle Dinge zu verständigen, verabredeten wir ferner, täglich abends um acht Uhr in meiner Wohnung zusammenzukommen. Dieser Konferenz sollten dann in der Regel der Oberst Rieff und der General v. Schulz vom Ingenieurkorps beiwohnen, der bei der Dritten Armee als Ingenieur dieselbe Stellung hatte wie Rieff als Artillerist. Für den ersten Tag aß Kameke um sieben Uhr bei mir. Diese tägliche Konferenz fand nur so lange statt, bis der Kampf begann. Dann fanden wir uns täglich auf dem Kampfplatz, besprachen dort das nötige und bestellten unsere Abendkonferenz gewöhnlich ab.

Das wichtigste Neue am heutigen Tage brachte mir aber Kameke durch die Nachricht, daß er darauf rechnete, Mézières werde in der Neujahrsnacht oder in der darauf folgenden Nacht fallen. Dann werde eine zweite Eisenbahnlinie aus der Heimat bis vor Paris verfügbar, und diese Eisenbahn von Diedenhofen über Sedan und Mézières stehe in

Bahnverbindung mit den Ausladestellen Sevran und Gonesse vor der Nordfront von Paris. Sobald dies geschehen, nahmen wir uns vor, auch um den Belagerungstrain zu bitten, der vor Mézières stand, um damit die Geschüße des Obersten Bartsch bei der Maas-Armee zu verstärken. Wir wollten dann einen sogenannten „Nebenangriff“ auf St. Denis vorschlagen, der bei der richtigeren Angriffsfront daselbst, bei der großen Geschüßzahl, die dann der Oberst Bartsch zur Disposition haben mußte, hundertdreißig schwere Geschüße, und bei der größeren Unterstüßung, die ihm von der Maas-Armee zuteil wurde als dem Obersten Rieff von der Dritten Armee, bald zum Hauptangriff werden mußte, denn der Kronprinz von Sachsen und sein Stabschef Schlotheim ergriffen die Belagerungsangelegenheit mit Passion und gewährten ihr jede Unterstützung, die sie brauchte.

Dieser Plan blieb zunächst ein tiefes Geheimnis zwischen uns beiden, und wir sprachen nicht eher davon, als bis er gleich ausgeführt werden konnte. Denn es wurde dadurch faktisch die Hauptangriffsfront von der Südseite nach der Nordseite verlegt, und wenn man davon gesprochen. hätte, ehe wir im Süden mit dem Feuer begannen, dann hätten wir den Gegnern Gelegenheit gegeben, dem Könige in den Ohren zu liegen, auch wir wollten nur mit dem Beginn des Feuers zögern und könnten nichts zustande bringen. Derartige Einflüsterungen hätten aber zur Zeit beim Könige Gehör gefunden und unsere Tätigkeit gelähmt, weil ja der König von einem Wechsel der Angriffsfront nichts hören wollte, aus Besorgnis, der Beginn des Artilleriekampfes könnte dadurch noch mehr verzögert werden. Wenn aber erst der Artilleriekampf begonnen haben würde, dann fürchteten wir von seiner Seite keinen Widerspruch gegen einen Nebenangriff auf St. Denis, und wenn dann aus diesem Nebenangriff sich historisch ein Hauptangriff entwickeln sollte, würde der König auch nichts dawider haben, vorausgeseßt, daß das Ziel erreicht werde.

Der Angriffsplan, den wir miteinander feststellten, war also folgender:

Zunächst sollte, sobald der Munitionsnachschub gesichert sei, aus den vorhandenen Batterien der Kampf gegen die Südfront von Paris beginnen und, so gut es ging, fortgesetzt werden. Unter dem Schuß des Artillerieduells sollte eine Position gewonnen werden, aus der man das linke Seine-Ufer von Paris bombardieren könne. War dies erreicht, dann konnte man auf die Eroberung der Forts Issy und Vanves verzichten. Unterdessen rechneten wir auf den Fall von Mézières. Nach demselben sollte im Norden der Artillerieangriff auf St. Denis be

ginnen. Die Double Couronne von St. Denis war zu umfassen und zu erdrücken. Es war zu erwarten, daß der Feind sie räume. Dann war St. Denis zu beseßen, von da aus und von Norden her Fort de l'Est und Fort Aubervilliers ebenso zu überschütten, und dann konnte man im Norden eine Position einnehmen, von der aus man das rechte Seine-Ufer, besonders aber La Villette, Belleville, La Butte de Chaumont, also die sämtlichen Viertel bombardieren konnte, welche die in Paris maßgebende Proletarierbevölkerung bewohnte. War dann Paris noch nicht zur Kapitulation geneigt, dann fonnte man im Norden unter dem Schuße eines umfassenden Artillerieangriffs in die Porte von Villette eindringen.

Der Oberst v. Ramm, Kommandeur der Artillerie des VI. Armeeforps, war gestern noch aus dem großen Hauptquartier angewiesen worden, die beiden Batterien zu je sechs Geschüßen zwischen L’Hay und Chevilly zu erbauen, von welchen ich weiter oben mehrfach gesprochen habe. Der Oberst v. Rieff brachte mir jezt ein dickes Promemoria von Ramm, worin dieser gegen den Bau der beiden Batterien protestierte. Rieff bat mich, dies Promemoria zu lesen und sagte mir, der Oberst v. Ramm mache besonders geltend, daß er kein Strauch- und Batteriebaumaterial habe, denn er habe das Material zu diesen Batterien, das bereits fertig gelegen, in der sicheren Erwartung verkommen lassen, daß die Batterien nicht mehr gebaut werden würden, jezt könne er keine Faschinen anfertigen, weil der Frost zu zu hart und die Sträucher zu brüchig seien, und außerdem habe ihm sein kommandierender General v. Tümpling befohlen, gegen diese Batterien zu protestieren, weil sie ihm die Granaten auf seine Kantonements locken würden. Ich befahl dem Obersten Rieff, dem Obersten Ramm die nötigen Faschinen aus dem Park von Villa Coublay zu senden und dazu zu schreiben, wenn die beiden Batterien am Tage der Eröffnung des Feuers nicht schußbereit seien, so stehe die Ehre und Reputation der gesamten Artillerie auf dem Spiele. Die Batterien aber würden die feindlichen Granaten auf sich zu und von den Kantonements des Herrn v. Tümpling ablocken.

Auch der Kronprinz erzählte mir heute von demselben Protest Tümplings, denn ich war zum Diner beim Kronprinzen, und Tümpling hatte direkt an den Kronprinzen geschrieben. Ich konnte nicht umhin, dem Kronprinzen zu antworten, wer die feindlichen Granaten scheue, der hätte besser getan, friedlich zu Hause zu bleiben.

Es war mir am 18. Januar bei Gelegenheit der Kaiserproklamation zu Versailles die Begegnung mit dem General v. Tümpling besonders

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interessant. Er sagte mir: „Na, mein Prinz, schießen Sie nur ordentlich los auf die Franzosen.“ Ich erwiderte ihm: „Ich schieße schon, was ich kann, aber andere protestieren ja dagegen und machen mir das Leben sauer."

Ich erwähnte schon früher, daß am heutigen Abend die Meldung eintraf, daß der Mont Avron verlassen und darauf viele Trophäen und Geschütze gefunden worden. Der Kronprinz beglückwünschte mich, indem er lachend sagte: „Nun steigen Ihre Aktien." Der Kronprinz war überhaupt kein entschiedener Gegner der artilleristischen Tätigkeit gegen Paris, und er freute sich eines jeden Erfolges. Nur hatte er ein unbedingtes Zutrauen zu Blumenthals Einsicht, der sich ja schon 1866 als sein Chef des Generalstabes bewährt hatte, und mit dem er die Siege von Weißenburg, Wörth und bei Sedan soeben erlebte. Wenn dieser ihm dann bewies, die Artilleriewirkung gegen Paris sei nuglos und schädlich, dann gab er Blumenthal nach.

Der 30. Dezember. Während Kameke seine Rekognoszierung unternahm, litt es mich nicht in Versailles. Ich sollte ihn nicht begleiten, aber ich ritt noch einmal für mich in diejenigen Batterien, welche noch der Vervollkommnung bedurften, dann nach Villa Coublay, um die Vorbereitungen zu der Armierung zu besprechen, und dann nach Belair, wo der Major v. Schmeling, mein alter Artillerie-Schulkamerad, sein Pferd auf dem Hofe geritten hatte, dabei gestürzt war und ein Bein gebrochen hatte. Viel Unglück so kurz vor der Aktion!

Im allgemeinen ist die Armierung der ersten Batterien eine sehr wichtige und schwierige Sache. Die peinlichste Ordnung und Pünktlichkeit ist dabei nötig, und da die Armierung bei Nacht erfolgt, sind doch immer Versehen möglich. Diesen muß vorgebeugt werden. Dazu kommt, daß die langen Kolonnen der Geschüße und Munitionsfahrzeuge in der Dunkelheit den verschiedensten Mißverständnissen ausgesezt sind, die dann die heillosesten Konfusionen erzeugen können. Hier war die Armierung durch den Umstand erleichtert, daß die Batterien, in drei Gruppen und die detachierte Batterie St. Cloud Nr. 1 geteilt, vier verschiedene Anmarschwege benutzen konnten, somit jede Marschkolonne um vieles fleiner ward.

Die einzige Schwierigkeit war die, daß die Batterien auf Meudon im Schußbereich der feindlichen Vorposten lagen. Von dem Abend an, wo die Geschütze in demselben standen, bis zu dem Morgen, wo der erste Schuß fiel, standen diese kostbaren Geschütze dem geringsten Druck der feindlichen Vorposten ausgesett. Es war daher dringend notwendig,

daß unsere Vorposten in der Armierungsnacht vordrangen und eine Position gewannen, die Linie Bas Meudon-Le Val-Fleury, welche den Feind fern hielt.

In dieser Zeit waren unbestimmte Gerüchte von dem Unternehmen in unser großes Hauptquartier gedrungen, welches Bourbaki gegen Belfort und Süddeutschland plante.*) General v. Zastrow**) war mit dem größten Teil seines Korps bereits mit der Eisenbahn nach dem südlichen Kriegsschauplatz gesandt worden. Ihm ward der Oberst v. Salviati als Chef des Generalstabes beigegeben, der bis jezt bei Tümpling ge. wesen. Ich war zufällig zugegen, als sich Salviati bei Blumenthal abmeldete. Nachdem sich Salviati abgemeldet und die Gründe auseinandergesezt hatte, welche ihm ein Verbleiben bei Tümpling unmöglich gemacht hatten, sprach Blumenthal mit ihm über die bevorstehenden Operationen gegen Bourbaki. Man ging damals allgemein von der Meinung aus, der König werde Zastrow mit dem Oberbefehl über die Süd-Armee betrauen, und Salviati werde also die Operationen als Generalstabsoffizier bearbeiten. Da meinte Blumenthal scherzend, er solle es doch so einrichten, daß er zur Hilfe bei Werder***) zu spät komme. Bourbaki möge dann Werder schlagen, vernichten, in Süddeutschland einbrechen und dort das Land verwüsten, dann müsse die Süd-Armee hinterdrein ziehen und Bourbaki in Deutschland vernichten, das würde einen eleganten Feldzug abgeben, und fügte hinzu: „Da schwaben sie in Deutschland soviel klug über unsere Kriegführung und tadeln uns, daß wir Paris nicht gleich beschießen und nehmen. Nun sollten sie dort einmal erst kennen lernen, was der Krieg ist, und wovor wir sie bisher bewahrt haben, damit sie unsere bisherigen Leistungen schätzen lernen."

Am Abend dieses Tages erhielt ich die telegraphische Meldung, daß die Infanterie-Munitionskolonnen, die ich zum regelmäßigen Ersaß der Munition der Belagerungsartillerie erbeten hatte, bereits unterwegs seien. Ich konnte mir nur Glück wünschen zu der von mir entworfenen Geschäftsinstruktion. Wenn der König auf meinen Vortrag befahl, geschah alles gleich. Auf meinen Befehl, wenn ich dazu autorisiert worden wäre, hätten noch mehrere kommandierende Generale und

*) General Bourbaki hatte zuerst die Nordarmee, dann das 18. Armeekorps unter General Aurelle de Paladines in den Kämpfen der Loirearmee befehligt und war nach der zweiten Schlacht bei Orleans in den ersten Dezembertagen zum Befehlshaber der aus Teilen der Loirearmee und Neubildungen im Süden gebildeten Südarmee ernannt. Er sollte Belfort entseßen und sich dann gegen die Verbindungen der deutschen Armeen wenden.

**) Kommandierender General des VII. Armeekorps.

***) General v. Werder leitete zu dieser Zeit die Operationen im Süden.

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