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Wasserrisses verdiene als den eines Weges. Nachdem wir den Kamm des Gebirges erreicht hatten, führte uns ein noch steilerer Weg, meistens auf Steingerölle, bergab. Es war unmöglich, da zu reiten. Wir mußten absteigen, unsere Pferde führen und stüßen, damit sie nicht herabfielen. Gebirgspferde wären da wohl leicht gegangen, aber die unsrigen waren so etwas nicht gewöhnt. So erreichten wir Reinheim, wo ein Halt gemacht wurde.

Der Kommandierende erhielt hier die Meldung, daß Saargemünd ausreichend besezt und vom Feinde nicht bedroht sei. Tas Tal von Reinheim vereinigt sich dort mit dem von Bebelsheim, ebenso die darin entlang laufenden Chausseen. Der Prinz hatte Besorgnis, die Korpsartillerie werde den Bergrücken, den wir eben überschritten, mit Geschützen nicht passieren können, und sandte deshalb Befehl, sie solle sich in Bebelsheim vom nachfolgenden Armeekorps Erlaubnis ausbitten, die Chaussee über Saargemünd zu benußen, die diesem zugewiesen war. Die Antwort aber war: „Die Korpsartillerie sei schon ohne Schaden über den Berg. Es sei eine sehr nüßliche Übung gewesen." Der Prinz schüttelte den Kopf und sagte: „Das muß ich sagen, in diesem Feldzuge fennt die Artillerie feine Schwierigkeiten." In der Tat war allerdings dieser Übergang über das Gebirge recht interessant gewesen. Beim Marsche bergan hatten alle Bedienungsmannschaften schieben helfen müssen, um die Geschüße hinaufzubringen. Weit mehr Schwierigkeiten aber bereitete der Abstieg. Man hatte Stricke hinten an die Geschüve binden müssen, an denen die hinterher gehenden Bedienungskanoniere hielten, damit die Geschüße nicht ins Rollen famen und mit jamt den Gespannen in die Tiefe stürzten. So war jedem Unglück vorgebeugt. Nur ein halbes Tußend Teichseln waren gebrochen und durch Vorratsdeichseln erseßt.

Wir segten unseren Marsch weiter fort in einem langen bewohnten Tale. Die Ortschaft hieß erst Nieder-Gailbach, dann Ober-Gailbach. Zwischen beiden Orten überschritten wir um neun Uhr die Grenze. Oben auf der Höhe erreichten wir die Chaussee zwischen Wölfling und Niemling, und das Generalkommando befahl:

Das Korps stellt sich auf: 1. Garde-Infanterie-Division zu beiden Seiten des Weges Wölfling-Riemling, 2. Garde-Infanterie-Division zu beiden Seiten des Weges Riemling-Groß-Rederchingen. Erstere schiebt eine Avantgarde gegen die Saar, lettere eine gegen die Linie Aachen-Rohrbach vor. Diese beiden Avantgarden haben sich als Replis der Garde-Kavallerie-Division zu betrachten.

Kavallerie-Division nach Groß-Rederchingen-Aachen.

Korpsartillerie hinter der 1. Garde-Infanterie-Division, gibt die 2. reitende Batterie an die Garde-Kavallerie-Division.

Saargemünd ist besezt, nach links die Verbindung mit dem IV. Armeekorps hergestellt, also beide Flanken gesichert.

Hauptquartier: Ferme Moranweiler bei Riemling.

Dieser Befehl ward auf dem Felde ausgegeben. Ebendaselbst traf die Nachricht vom Oberkommando ein, daß und wie am 6. August das französische Korps Frossard bei Saarbrücken geschlagen sei, daß Forbach am 7. genommen worden, daselbst das IX. Korps sich vereinigen, das III. bei Saarbrücken bleiben, das X., Garde- und IX. Korps gegen die Saar operieren, das XII. sich bei Homburg konzentrieren und endlich auch noch das II. vom 8. bis 11. August eintreffen und zur Zweiten Armee stoßen jolle. Das I. Armeekorps trat zur Ersten Armee über, also blieb die Zweite Armee sieben Armeekorps stark.

Nach Erledigung aller dieser Befehle marschierten wir weiter und erreichten nach zehn Uhr morgens unsere Meierei Moranweiler. Dies war ein einzelnes Haus mit Scheunen und Stallungen. Wie da das ganze Generalkommando und ein Bataillon Füsiliere 2. Garde-Regiments unterkommen sollten, war mir rätselhaft. Ich überließ die Lösung des gordischen Knotens meinem Adjutanten und ritt zu den Truppen.

Ich traf den Stab der Korpsartillerie im obersten Hause von OberGailhaim und war nicht wenig erstaunt, daß die 2. reitende Batterie der Garde-Kavallerie-Division noch nicht gefolgt war. Wenn diese Division dem Feinde zunächst gesandt war, so konnte sie möglicherweise noch heute Artillerie dringend gebrauchen. Der Oberst v. Scherbening war etwas betreten über meine Vorwürfe, und es stellte sich heraus, daß er von dem Befehle nichts wußte. Der Adjutant hatte noch keine Zeit gehabt, ihm diesen dringenden Befehl vorzulesen! Der Fehler lag darin, daß der Oberst und sein Adjutant so diensteifrig und pflichttreu waren, daß sie alles allein machen wollten. Dadurch waren sie so mit Geschäften überhäuft, daß sie nicht rechtzeitig fertig werden konnten. Der Adjutant, ein jehr fräftiger, gescheidter und arbeitsfähiger junger Offizier, war übrigens am Ende seiner Kräfte angelangt und drohte zusammenzubrechen, denn er hatte nicht nur alle Geschäfte innerhalb der Truppe besorgt und alle Befehle dorthin gebracht, sondern war auch immer zum Befehlsempfang ins Generalkommando geritten, hatte dort natürlich manchmal stundenlang warten müssen und in den letzten Tagen keine Nacht Zeit zum Schlafen gefunden. Ich hielt dem Obersten eine Vorlesung über unzeitigen Diensteifer und lehrte ihm, wie er die Arbeit teilen könne, wenn er sich aus der Truppe täglich zwei Ordonnanzoffiziere fomman

diere, die er wechseln lassen könne. Dieser Umstand ist eine Kleinigkeit, und ich würde ihn nicht erwähnen, wenn ich nicht gesehen hätte, wie oft durch solche Einrichtungen und solchen unzeitigen Diensteifer gerade die tüchtigsten Männer im Beginn des Krieges ganz ruiniert werden und gänzlich erschöpft und leistungsunfähig sind, wenn die Tage der wichtigsten Entscheidungen gerade die höchsten Anforderungen an die Leistungsfähigkeit aller stellen. Man muß beim Beginn des Krieges die Arbeiten so verteilen und einteilen, daß jeder auch die absolut notwendige Zeit zur Ruhe hat. Ein Schema läßt sich dafür nicht geben.

In der Meierei fand ich bei meiner Rückkehr das Hauptquartier eingerichtet, aber wie! Ich hatte eine bedeckte Lagerstelle erhalten. Lagerstroh war aber eine Seltenheit. Wasser war schwer zu finden, denn der Sommer war entseßlich dürr gewesen, daher die Brunnen, wenigstens hier auf der Höhe, vertrocknet, wenn es auch heute den ganzen Tag geregnet hatte. Wir mußten also auf die Reinlichkeit verzichten und froh sein, wenn wir Wasser zum Trinken und Kochen hatten.

Holz zur Feuerung lieferten die Bäume des Parks, das Vieh im Stalle ward geschlachtet und diente manchen Bataillonen zur Nahrung. So ward der Besizer der Meierei reinweg aufgefressen. Er erklärte sich für ruiniert. Als wir weitermarschierten, erhielt er eine Quittung, und wir trösteten ihn damit, er solle deutsch und dann entschädigt werden. Dies Versprechen ist erfüllt. Er ist deutsch und so reichlich entschädigt worden, daß er nach dem Kriege viel wohlhabender ward als vorher.

Den ganzen Tag über hofften wir noch auf eine kriegerische Tätigfeit. Unsere Aufstellung in der Nähe von Rohrbach trennte Failly von Napoleon, denn ersterer war doch bei Bitsch gewesen. Wir erwarteten daher den Versuch seiner Wiedervereinigung.*) Aber den ganzen Tag war kein Feind zu sehen, und Lindequist sang wieder: „Das Gas verlischt, 's war wieder nischt!"

Am Abend, als die Umgegend der Meierei Moranweiler von den Biwaksfeuern der Truppen erleuchtet war, tönte herrlicher Gesang durch die trübe regnerische Nacht. Ich begab mich dorthin und fand die besten Sänger des Füsilier-Bataillons 2. Garde-Regiments um ein Feuer gelagert, die verschiedene Lieder in einer Vollkommenheit sangen, wie man sie selten hört. Es waren meist Unteroffiziere, aber auch Füsiliere. Ich sezte mich zu ihnen und horchte zu. Auf meine Bitte sangen sie auch die

*) Das 5. Korps Failly war schon am 5. August unter Befehl Mac Mahons gestellt worden und vereinigte sich, wie schon erwähnt, mit dessen bei Wörth geschlagenen Kräften.

,,Wacht am Rhein“. Ich hatte soviel von diesem Liede reden, es aber nie vollständig singen hören. Heute zum ersten Male auf französischem Boden, in dunkler Nacht am Biwaksfeuer, selbst die Wacht am Rhein mithaltend, klang mir das Lied besonders schön und ergreifend. Malerisch saßen und lagen sie da, die jungen Männer mit den sonnverbrannten Gesichtern, meist von schwarzen Bärten umrahmt. Sie waren lustig und guter Dinge und freuten sich auf die kommenden Taten, den winkenden Ruhm. Ich merkte mir die Vorsänger, dankte und ging.

Elf Tage später suchte ich das Biwak des Bataillons wieder auf. Man jang nicht. Ich fragte nach den Vorsängern. Es war keiner mehr am Leben. Wir hatten Tags zuvor die Schlacht von St. Privat geschlagen.

Seitdem habe ich mehrere Jahre hindurch die „Wacht am Rhein“ nicht mehr hören können, ohne so tief bewegt zu werden, daß ich fürchten mußte, mich weich zu betragen, wie es einem Krieger nicht ziemt. Bei den ersten Tönen der Melodie sah ich dann den Dirigenten im Geiste vor mir siten, wie er mit kirschbraunem Gesicht, schwarzbraunem Vollbart und Haar, mit Feldmüße und Mantel bekleidet, leuchtenden Auges mit dem ausgestreckten zweiten und dritten Finger der rechten Hand den Takt schlug, und dann hörte ich seinen kräftigen reinen Bariton, dann aber dachte ich daran, wie bald darauf sie alle unter der kühlen Erde lagen. Ja, der Krieg hat poetische Momente, aber die Poesie ist eine recht schauerliche.

Nachts traf ein Armeebefehl ein, nach welchem den in vorderster Linie stehenden Korps Kavallerie-Divisionen überwiesen wurden, die 6. dem III. Korps, die 5., Rheinbaben, mit der 11. und 13. Brigade dem X., mit der Brigade Bredow (12.) dem IV.*).

Für den 9. August ward befohlen, daß das III. Korps nach Forbach rücke, das X. bei Saargemünd auf dem linken Ufer halte, das Gardekorps solle bereit bleiben, wenn nötig auf Saargemünd herangezogen zu werden, das IV. Korps hatte in der Linie Saarunion-Rohrbach zu bleiben, aber bis an den Feind zu erkunden. Hinter uns rückte das IX. Korps auf St. Ingbert, das XII. mit der Spiße bis Habkirchen.

Man hatte nämlich in Erfahrung gebracht, daß Failly den Anschluß an Napoleon aufgegeben und sich der Flucht der Armee von Mac Mahon angeschlossen habe. Im wesentlichen blieb also die vorderste Linie halten,

*) Die zweite Armee hatte am 8. August eine solche Ausdehnung gewonnen, daß es dem Oberkommando zweckmäßig erschien, die bisher in selbständigen Divisionen verwendete Kavallerie auf die einzelnen Armeekorps zu verteilen.

und es wurde der 9. August dazu benußt, die Korps nebeneinander aufmarschieren zu lassen.

Es ist von Kritikern hinterher wohl getadelt worden, daß deutscherseits der Sieg von Saarbrücken nicht genügend durch eine energische Verfolgung ausgenußt sei. Dieser Tadel ist ganz ungerechtfertigt. Unsere oberste Heeresleitung war sich wohl bewußt, daß der Sieg von Saarbrücken, so ruhmvoll er auch für die beteiligten Truppen war, nur den Wert einer ganz untergeordneten Aktion haben konnte, denn er hatte nur einen ganz kleinen Teil des französischen Heeres getroffen und denselben zum Rückzug auf die Hauptmacht genötigt.

Auch unsere Hauptmacht stand nach dem Eisenbahntransport noch zurück, wenn auch dichtauf auf den wenigen Straßen. Die Armeekorps nahmen aber ganze Tagemärsche in der Tiefe ein, und die letzten mußten. erst die Gebirgspässe überschreiten und sich neben die vordersten da aufstellen, wo mehr Straßen zur Verfügung standen, damit sie diese rechtzeitig unterstüßen konnten, wenn ein Zusamenstoß mit der feindlichen Hauptmacht stattfand. Hätte die oberste Heeresleitung den bei Saarbrücken engagierten Truppen erlaubt, dem weichenden Feind, besinnungslos folgend, auf den Fersen zu bleiben, so hätten sie anfangs einige Gefangene und vielleicht auch Trophäen eingebracht, wären aber schließlich vereinzelt und ohne Hilfe mitten in die Hauptmacht der französischen Armee geraten und einem empfindlichen Rückschlag nicht entgangen.*)

9. August, Moranweiler. Wir hatten, wie später befohlen ward, am 9. August einen sogenannten Ruhetag. Es war der erste, seit wir vom Rheine abmarschiert waren. Aber die Truppen konnten an diesem Tage wenig ruhen, denn sie lagen bei dem eingetretenen Regenwetter in ihrem Biwak im Schmug bis an die Knice.

Ich ritt zur Kavallerie-Division vor, um mich zu überzeugen, ob die 2. reitende Batterie in der Tat bei derselben eingerückt sei. Es war geschehen. Bei der Division besuchte ich meinen Bruder. Er hatte mit seinem Regiment einen trostlosen Biwaksplatz beziehen müssen, auf einem lehmigen Sturzacker, der durch das Regenwetter in einen Morast verwandelt war. Es herrschte große Unzufriedenheit in der ganzen Divi

*) Die deutsche Heeresleitung wollte die an der Mosel vermutete, auf 5 Korps angenommene Armee Napoleons mit entwickelter Front angreifen und mußte daher eine große Rechtsschwenkung ausführen, mit dem linken Flügel der Zweiten Armee zu einer beabsichtigten Umfassung des französischen rechten Flügels weit ausholen und mit der Mitte der Zweiten Armee erst aufschließen, aber auch erst Aufklärung über den Verbleib des Feindes durch die Kavallerie abwarten.

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