Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

geschlossen wurde. Um nicht gar zu lange Arbeit zu haben, hatte man den Hofraum so knapp wie möglich gehalten, auch an Traversen gespart. Dennoch hatte der Bau der Batterie wegen des Felsbodens über drei Wochen gedauert. Alle Militärs, die sich für Belagerung interessierten, sprachen von diesem Wunderwerk der artilleristischen Leistung und waren dorthin gepilgert, um es anzustaunen.

Als ich die Batterie sah, erkannte ich sofort ihre verkehrte Anlage. Sie war für sieben Geschüße erbaut. Ihr gegenüber standen auf 3000 Meter vierzig bis fünfzig französische Geschüße. Jede Granate derselben, die über die Batterie hinwegging, sobald der Geschüßkampf begann, mußte in die steile Felswand im Rücken einschlagen - jetzt schoß der Feind noch nicht, weil eine Reihe Bäume vor der Batterie dieselbe versteckte und wie ein Kartätschschuß ihre Stücke und dazu Felstrümmer in die Batterie schleudern, so daß kein Mann darin am Leben. bleiben konnte. Dazu lag die mächtige Festung Mont Valérien gerade in der Verlängerung der Batterie ihr in der linken Flanke, zwar in einer Entfernung von 5000 Metern, zweidrittel deutsche Meile, aber auf dieser Festung stand das schwerste bis jetzt gegossene Geschütz, die Valérie genannt, das seine Granaten weit über eine Meile weit schleuderte und so laut knallte, daß der gemeine Mann in unserer Armee den Valérien den Bullerjahn nannte. Ich ordnete sofort an, daß die Traversierung gegen den Mont Valérien zu vervollständigen sei, und daß die hohe Felswand im Rücken durch hängende Strauchhürden bedeckt werden sollte. Durch diese Hürden würden die Granaten hindurchgehen und die Granatund Steintrümmer beim Zurückfliegen sich verfangen. Rieff fand diese Arbeit zu groß. Ich erklärte ihm, daß ich dann nicht gestatten werde, daß man einen einzigen Schuß aus der Batterie tue. Ich könne es mit meinem Gewissen nicht vereinigen, die ganze Bemannung der Batterie gleich den ersten Tag einem sicheren Untergange preiszugeben. Die Kanoniere haben die Hürden gefertigt. Vom ersten Beschießungstage an haben sie fie aber jede Nacht wieder mit dem größten Eifer ausgebessert, weil sie gleich gewahr wurden, daß sie sicheren Schuß gewährten. Der Mont Valérien hat im Geschüßkampfe täglich nach der Batterie Nr. 1 gefeuert. Nicht eine Granate ist in die Batteric gelangt.

Von Nr. 1 ritt ich nach Meudon. Wer Paris fennt, dem braucht man es nicht erst zu erzählen, daß man von der Terrasse von Meudon aus eine herrliche Aussicht auf die Weltstadt hat. Diese Terrasse dehnt sich weit vor dem Schlosse aus, das damals dem Prinzen Napoleon gehörte. Dicht an ihrem vorderen gemauerten Abhang schließt sich Villa an Villa, eine immer niedlicher als die

andere, zu den Dörfern Fleury, Le Val, Bas Meudon und Les Moulineaur gehörig, welche sich so weit vergrößert haben, daß man nicht weiß, wo die Grenze zwischen den Ortschaften ist. In der Entfernung von einer starken Viertelmeile, von der Terrasse ganz dominiert, lag auf einem niedrigen Hügel das Fort Issy und sandte uns eine Granate, wenn sich ein Kopf sehen ließ. Rechts davon, näher an der Terrasse, erhob sich auf einem Hügel ein Turm, Notre Dame de Clamart, an dem die Franzosen eine Schanze bauten. Hinter dem Fort Issy sah man die Dörfer Issy und Vanves, die bis an die über eine halbe Meile entfernte Stadtumwallung reichten, und jenseits dieser dehnte sich die endlose Seinestadt aus. Aus dem Dunst, der auf jeder großen Stadt mit größerer oder geringerer Dichtigkeit lagert, ragte die Große Oper hervor, glänzte im Sonnenschein die goldene Kuppel des Invalidendoms, und auf dem Turm der Akademie konnte man in einer direkten Entfernung von zwei Meilen mittels des vortrefflichen Beobachtungsteleskops sehen, wieviel Uhr es war, um die eigene Uhr nach dieser Normaluhr zu stellen.

Ähnlich wie Fort Issy durch die Terrasse von Meudon wurden auch die Forts Vanves und Montrouge durch die südlich davor liegenden Höhen von Clamart, Châtillon, Bagneur und Fontenay in wirksamer Kanonenschußweite beherrscht, denn die Forts waren von Louis Philipps Ministerpräsidenten Thiers zu einer Zeit erbaut, in der die Artillerie so weit noch nicht schießen konnte. Daher hatte die Regierung der Nationalverteidigung diesen Höhenrand sofort durch Schanzen zu verstärken angefangen. Aber unser beschleunigter Anmarsch hatte sie überrascht, die Schanzen waren zum Teil noch gar nicht, zum Teil nicht vollständig verteidigungsfähig und von unseren Truppen bald genommen worden, als sie am 19. September vor Paris erschienen. Nur um die Schanze von Châtillon war heftig gekämpft worden, denn sie war fast vollendet. Die Bayern hatten sie schließlich behauptet, und ihnen zu Ehren hieß sie die Bayernschanze. Die überhöhende Lage, die man dort den Batterien gegen die feindlichen Forts geben konnte, hatte schließlich unsere oberste Heeresleitung dazu verleitet, zu gestatten, daß diese Front zur Angriffsfront gewählt wurde. In der Tat war man dort den Forts Vanves und Issy überlegen und konnte sie zusammenschießen. Aber wenn man sie auch in einen Trümmerhaufen verwandelt und diesen besezt hätte, dann würde man vor einer geradlinigen Stadtfront von einer Meile Länge gestanden haben, die mit tausend Geschüßen auf eine Viertelmeile unsere Besagung von Issy und Vanves überschütten konnte, so daß uns dann nichts übrig bliebe, als wieder wegzugehen.

Es kann nicht unerwähnt bleiben, daß wir den die Forts der Süd

front dominierenden Höhenrand nur von Sèvres bis Fontenay inne hatten. Weiter rechts, südlich vom Fort Montrouge, Bicêtre und Issy, war er zwar bei der Zernierung in unsere Hände gefallen, aber das VI. Armeekorps hatte ihn wieder geräumt, angeblich, weil man sich dort nicht halten könne, und die Franzosen hatten ihn wieder besezt und dort während der Zernierung das mächtige Fort Haute Bruyère erbaut, das stärkste von ganz Paris, das mit der Cachan-Schanze, dem Moulin Saquet und dem befestigten Dorfe Vitry eine vorgeschobene starke Position bildete, aus der die Truppen des VI. Armeekorps jest in ihren Kantonements mehr belästigt wurden als vorher ihre Vorposten auf der Höhe aus den Forts. Die Position auf der Höhe flankierte den rechten Flügel meines Angriffs, und ich mußte daher diese Position wieder aus der Linie L'Hay-Chevilly flankieren.

Die Batterien, die ich vorfand, waren im allgemeinen ganz verständig unter Benuzung des Terrains und hinter Masken gebaut. Auf Meudon waren für sechsundzwanzig Geschüße vier Batterien errichtet. Bombensichere Telegraphenstationen gestatteten von den Batterien aus miteinander und mit der ganzen Welt zu telegraphieren, Pulverkammern und Unterstandsräume zum Schutz waren ausreichend vorhanden, aber sie waren nicht genügend mit Erde bedeckt und würden, so wie sie waren, keinen Schutz gegen schwere feindliche Geschosse gewährt haben. Mein Tadel in dieser Beziehung wurde durch ein Lächeln erwidert, weil man meinte, zum Schießen aus diesen Batterien käme es ja doch nicht. Ich befahl die Vervollständigung, und sie erfolgte. Die Batterien bei Châtillon und Clamart waren etwas zu nahe an- und übereinander erbaut und mußten im bevorstehenden Kampf leicht zu treffen sein. Aber ich wollte keine Batterie ganz verwerfen, um keine Zeit zu verlieren, und rechnete darauf, mit den Forts Jisy und Vanves bald fertig zu werden, so daß die Anhäufung dieser Batterien uns nicht viel schaden werde.

Was aber viel schlimmer war als die Anhäufung der Batterien oder die unrichtige Lage der einen oder der anderen oder kleine Fehler im Bau, das war die allgemeine und sicher verbreitete Meinung, diese Batterien seien nur zum Staat, aber nicht zum Schießen. Sie lagen in der Vorpostenlinie, und unsere Vorposten benutten sie als Deckung für die Posten oder die Soutiens, je nach der Lage der Batterie. Da wurde von den mühsam erbauten Batterien entnommen, was die Vorposten gebrauchten, und die kaum erbauten Batterien fingen schon an zu verfallen. Ja, die Bayern waren so gewöhnt, alles zu ihren augenblicklichen Zwecken zu verwerten, daß sie Öfen aus den benachbarten Dörfern in die Pulverkammern setten und diese als Küchen für die Vorposten ein

richteten. Die kostbaren und mühsam gelegten Geschüßbettungen*) aber hatten sie aufgerissen und als Brennmaterial verbraucht.

Den Vorposten gegenüber stand der Feind in den nächsten Häusern und Gärten der zahlreichen, zerstreut gebauten Dörfer, außerhalb der Tragweite des deutschen Infanteriegewehrs, aber mit seinem weiter tragenden Chassepot nach jedem Kopf schießend, der sich sehen ließ. Da war unseren Vorposten noch strenger befohlen, sich zu fürchten, als beim Gardekorps, und die Stimmung, in welche dort allmählich unsere Mannschaft geriet, bei dem steten Gebücktkriechen, dem halblauten Sprechen, der Ängstlichkeit, jeden feindlichen Schuß zu vermeiden, der steten Besorgnis vor einem Ausfall, bei der allgemein verbreiteten Meinung, daß wir doch nie schießen würden, erweckte in mir ernste Besorgnisse, und ich sah ein, daß es hier noch nötiger war, das Selbstvertrauen der Truppen durch schweres Geschütz zu stärken als vor der Nordfront der Festung.

Es waren also die Batterien so ziemlich fertig, und wenn auch hier und da noch einiges zu vollenden war, auch die Kommunikationen noch hergestellt werden mußten, ferner diese Arbeiten nur sehr langsam vonstatten gingen, weil man größtenteils auf Felsboden stieß, und, wo dies auch nicht der Fall war, der Frost die Erde bis auf 18 Zoll Tiefe in Fels verwandelt hatte, so kann man doch sagen, die Batterien warteten nur auf ihre Geschüße, denn bis diese mit der nötigen Munition ankamen, konnten diese Details alle vollendet werden. Im Park von Villa Coublay, drei Viertelmeilen hinter den Batterien, standen die Geschüße ordnungsmäßig aufgereiht.

Villa Coublay ist ein kleiner, unbedeutender Häuserkompler, ich glaube, einem einzigen Besitzer gehörig; 1815 hatten unsere Husaren hier ein unglückliches Kavalleriegefecht.**) Jezt sah es aber wie eine Stadt aus. Zahllose Hütten waren da erbaut, und alle Arten von Werkstätten errichtet. Denn in einem Belagerungspark müssen alle möglichen Reparaturen hergestellt werden können. Gießereien, Holzwerkstätten, Schmiedewerkstätten usw. reihten sich aneinander.

Erfreulicher war im Park von Villa Coublay der Erfolg des Ver

*) Unter Geschüßbettungen versteht man starke Unterlagen aus Holzbohlen und Brettern, die das Einsinken der schweren Geschüße verhüten.

**) Am 1. Juli 1815 fand hier ein Gefecht des über Versailles zur Beseßung der Straße Paris-Orleans mit zwei Husarenregimentern vorgesandten Oberstleutnants v. Sohr statt, der tapfer attackierte, aber vor großer Überlegenheit zurückgehen mußte und dem dann bei Versailles der Rückzug verlegt wurde, da dies nicht rechtzeitig von preußischer Infanterie besezt war. Er verlor so von etwa 650 Pferden 370 und geriet selbst in Gefangenschaft.

suchs, Belagerungsgeschosse in den Munitionswagen der Kolonnen zu transportieren. Die neu konstruierten Munitionswagen waren ihrer inneren Einrichtung wegen nicht dazu geeignet, aber es gab bei einigen Armeekorps noch Munitionskolonnen alter Konstruktion für Infanteriepatronen. Wenn man sie leerte, konnte man in die Fächer sehr gut Granaten für Sechspfünder, Vierundzwanzigpfünder*) und 21 cm Mörser verpacken. Nur die Zwölpfpfündergranaten konnte man nicht in die Fächer stellen. Eine angestellte Berechnung ergab, daß, wenn ich eine gewisse Anzahl derartiger Munitionsfolonnen von der Armee überwiesen erhielt, den Transport der nötigen Zwölfpfündermunition aber lediglich durch die bisher vorhandenen Transportmittel ausführen ließ, der tägliche Verbrauch an Munition aus Lagny nach Villa Coublay geschafft werden konnte. Solche Infanterie-Munitionskolonnen waren aber ohne Gefahr von der Armee zu entnehmen, da sich herausgestellt hatte, daß wir in diesem Kriege gar nicht so viel Infanterie-Munitionskolonnen gebrauchten, als wir hatten. Diese Kolonnen bildeten aber außerdem wohlorganisierte, von tüchtigen Offizieren kommandierte militärische Körper, auf die man sich nicht nur verlassen, sondern denen man auch noch andere Wagen attachieren und unter Aufsicht stellen fonnte.

Ebenso erfreulich stellte sich die Besprechung mit Prehn heraus. Dieser Mathematiker hatte schon lange für sich ausgerechnet, wie weit man mit dem Vierundzwanzigpfünder mit Sechspfund-Ladung schießen könne. Seine genauen Angaben trugen das Gepräge der Sorgfalt eines Gelehrten. Im luftleeren Raume, sagte er, müsse man mit 45 Grad Elevation (Erhöhung des Geschützrohres) die größte Schußweite erzielen. Der Luftwiderstand bewirke aber, daß bei größerer Elevation als 35 Grad die Schußweite abnehme. Die Zunahme von 30 bis 35 Grad Elevation sei so gering, daß es nicht ratsam sei, mehr als 30 Grad zu nehmen, um die Achsen der Geschüße nicht allzusehr zu ruinieren, die bei größerer Elevation mehr auszuhalten hätten. Nach seinen Berechnungen müßte eine Elevation von 30 Grad bei Sechspfund-Ladung eine Totalschußweite von 10 250 bis 10 300 Schritt ergeben. Da aber auf die Genauigkeit der Interpolation über die Grenzen der gemachten Experimente hinaus nicht mit Sicherheit zu zählen sei, so wolle er nur

*) Die Bezeichnung Sechspfünder, Vierundzwanzigpfünder usw. stimmt keineswegs mehr mit dem Gewicht der aus diesen Geschüßen verfeuerten Geschosse überein, sondern stammt aus älterer Zeit, wo das Geschüß die Bezeichnung nach dem Gewicht der ursprünglich daraus verfeuerten Steinkugeln erhalten hatte.

« ZurückWeiter »