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pfünder. Es waren also 224 Geschüße zur Stelle, und 31 sollten in der nächsten Zeit nachkommen. Die 40 Sechspfünder konnten bei dem ersten Geschützkampf gegen die schwere Festungsartillerie nicht verwendet werden, ebenso hatten die 20 glatten Mörser erst für die spätere Zeit, wenn man näher herangehen konnte, eine auch dann noch bedingte Wirkung. Es blieben also zum Beginn eines Geschützkampfes höchstens 195 Geschüße. Das war allerdings nicht sehr viel gegen die kolossale Geschützmasse der Franzosen. Bei der Kapitulation übernahm ich aus den Forts allein 1362 Festungsgeschütze. über 2000 Stück standen auf den Wällen. Das Fort Jssy allein war mit 97 Geschützen armiert. Indessen vertraute ich auf die überlegenheit unserer Geschüßkonstruktion und auf das bessere Schießen unserer Mannschaften. Es fiel mir beim Rapport des Obersten Rieff auf, daß er die Zahl der Geschüße auf 224 angab, der König aber von 244 gesprochen hatte. Ich dachte also zunächst, der König habe sich in der Zahl geirrt, da er sich noch um viele andere Dinge zu kümmern habe. Jch sollte aber bald hinter eine andere Monstrosität fommen.

Für die Geschüße waren siebzehn Batterien gebaut, jedoch waren. Nr. 9, Nr. 10 und Nr. 17 noch nicht fertig. Diese Leistung war recht wenig für die Arbeit von zwei Monaten, denn es ist dies eine Zahl von Batterien, die bei energischen Belagerungen in einer einzigen Nacht erbaut werden. Rieff sagte mir als Entschuldigung, die Armee gebe keinen einzigen Mann Aushilfe an Arbeitern, die Belagerungsartillerie müsse alles selbst machen, aber außerdem befehle die Armee noch Abgabe von Mannschaften zum inneren Dienst der Armee. Auch nach Lagny feien 1000 Mann zum Abladen des Materials kommandiert.

An Mannschaften waren zweiunddreißig Kompagnien Belagerungsartillerie vor der Südfront, in sieben Bataillonen formiert. Dazu traten zwei Divisionen Bayern zu je zwei Kompagnien mit zwei Stabsoffizieren. Die sieben preußischen Bataillone waren zu einem Regiment zusammengezogen, das ein Oberst Höckner kommandierte. Dieser Oberst durfte aber nichts befehlen, denn die Belagerungsartillerie kommandierte Oberst Rieff, der noch als Chef des Generalstabes einen Obersten Michaelis hatte und fast die ganze Prüfungs-Kommission in seinen Stab mitgenommen hatte, viel gelehrte Herren, die da in Versailles viel zeichneten und schrieben und nichts zustande brachten. Die Einteilung der Kommandoverhältnisse war also möglichst unglücklich und schwer. fällig. Drei Obersten standen an der Spitze des Ganzen, davon war aber jeder für das Ganze bestimmt, und die Ausdehnung, in der die Batterien voneinander angelegt waren, betrug in der Luftentfernung weit über

eine deutsche Meile. Um sie zu begehen, mußte man aber des Terrains und der Verbindungen wegen über drei deutsche Meilen weit laufen.

Die größte Schwierigkeit für den Beginn des Artillerieangriffs lag auch nach Rieffs Angabe in der Beschaffung der Munition. Diese lag in Lagny in großen Massen an der Bahn, kam aber von da nur tropfenweis im Park von Villa Coublay an. Man hatte drei Kolonnen formiert, die aus je hundert Wagen bestanden. Es waren in Deutschland gemietete Fuhrwerke. Dazu kamen noch einige wenige französische zusammengetriebene Fuhrwerke, deren Kutscher nicht desertiert oder durch Belagerungsartilleristen ersett waren, die aber nicht mit Pferden umzugehen wußten. So waren etwa vierhundert Fahrzeuge vorhanden, die nach Lagny fuhren, dort beladen wurden und den Weg nach Villa Coublay zurückmachten. Daß sie diesen Marsch von vierundzwanzig Meilen höchstens einmal die Woche zurücklegen konnten, leuchtet ein. Manche Fahrzeuge konnten nur zehn Granaten auf einmal aufladen. Ich mußte dem Obersten Rieff darin recht geben, daß man nicht eher anfangen dürfe, zu schießen, als bis man genügende Munition habe, aber als ich ihn fragte, wieviel Munition er für genügend halte, meinte er, nach den Lehrbüchern seien fünfhundert Schuß per Geschüß für eine Belagerung Vorschrift. Auf meine Frage, ob er glaube, daß nach einer Beschießung von zehn Tagen bei fünfzig Schuß per Geschüß Paris kapitulieren werde, verneinte er die Frage.

Ich machte einen anderen überschlag, indem ich als Grundsaß aufstellte, wir müßten uns mit der Munition so einrichten, daß wir bis ins Unendliche fortschießen könnten, d. h. wir müßten einen Vorrat an Munition im Park von Villa Coublay zu liegen haben, und es müßten Einrichtungen getroffen werden, daß täglich so viel Munition von Lagny in Villa Coublay eintreffe, als die Batterien verschießen. Das Gewicht der Eisenmunition, die die 195 schweren Geschüße bei fünfzig Schuß täglich verschießen, beträgt aber etwa 5600 Zentner, und so viel mußte also täglich in Villa Coublay ankommen. Da die ankommende Munitionsmasse aber erst in Villa Coublay ausgeladen ein Tag, den folgenden Tag in die Batterien geschafft werden mußte, so konnte man frühestens den dritten Tag nach Ankunft im Park die Munition verwenden. Es konnten aber auch Störungen im Munitionsnachschub eintreten. Eine solche fand gleich jest statt. Die Schiffsbrücke bei Villeneuve St. Georges mußte abgefahren werden, weil die Seine mit Grundeis ging, und der Umweg mußte zwei Meilen weiter über Corbeil gewählt werden. Damit eine derartige Störung bis zur Dauer von drei Tagen ausgehalten werden könne, war eine Ansammlung von einem Munitionsvorrat von

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drei Tagen mehr nötig. Ich hielt also nicht nötig, zu warten, bis auf zehn Tage Munition oder fünfhundert Schuß, sondern nur auf sechs Tage oder dreihundert Schuß Vorrat vorhanden, machte aber zur Hauptbedingung, daß hinreichende Transportmittel vorhanden seien, um täglich fünfzig Schuß per Geschüß in Villa Coublay ankommen zu lassen. Diese Transportmittel wollte ich in den Munitionsfolonnen finden, aber dazu mußte erst versucht werden, ob man diese Wagen zum Transport von Belagerungsmunition gebrauchen könne. Ich bestellte mir also zum anderen Tage solche Wagen in den Park von Villa Coublay, um dort bei Gelegenheit der vorzunehmenden Besichtigung der Angriffsfront den Versuch zu machen.

Eine andere Frage war, von welchen Punkten aus man Paris beschießen könne, und damit im Zusammenhange, wie weit wir schießen könnten, wenn es sich um das Bombardement einer großen Stadt handelte. Rieff sagte mir, auf dem Schießplaß bei Berlin sei nicht weiter als 4000 Schritt geschossen, man habe die Schießtafeln auf 5000 Schritt verlängert. Wollte und konnte man nicht weiter als 5000 Schritt schießen, dann mußte man allerdings die Forts und gar den Hauptwall erstürmen, um in das Innere von Paris zu schießen, denn die Forts lagen ja 2500 Schritt vor dem Wall, und hinter dem Wall waren noch 2500 Schritt weit große Gärten, Etablissements usw. mit wenigen Einwohnern. Nach meiner oberflächlichen Rechnung mußte man aber aus dem langen Vierundzwanzigpfünder mit Sechspfund-Ladung und höchster Elevation 10 500 Schritt weit schießen. Rieff sagte kurz, was noch nicht erperimentiert sei, darüber habe er kein Urteil. Ich bestellte mir zum folgenden Tage den Feuerwerksleutnant Prehn, unseren besten Mathematiker der Prüfungs-Kommission, den Rieff unter den Gelehrten. nicht hatte missen wollen, nach dem Park von Villa Coublay, in dessen Nähe er einquartiert war.

Den Rest des ersten Weihnachtsfeiertages benußte ich zu den übrigen Meldungen und persönlichem Orientieren. Ich hatte mich auch bei meinen bisherigen Vorgesetzten abzumelden. Dazu gehörte auch der Kommandeur der Feldartillerie der Dritten Armee, Generalleutnant Herkt, dem die Feldartillerie der Maas-Armee in technischer Beziehung und wegen Munitionsersaßes mit unterstellt worden war, weil bei der Maas-Armee kein Artilleriefommando eristierte. Herkt war mein Lehrer gewesen, ehe ich Offizier wurde. Ich war sehr betrübt, zu bemerken, daß er mir jezt so kühl gesinnt war, aber er hatte, wie noch manche anderen Artilleriegenerale, wahrscheinlich darauf gerechnet, zum Befehlshaber der Belagerungsartillerie vor Paris ernannt zu werden. Ich hatte es aber

keinem absichtlich weggenommen, hatte mich doch der König, mir selbst überraschend, dazu kommandiert!

Abends fünf Uhr ward ich zum Könige zum Diner befohlen. Ich erfuhr, daß mir gestern eine Einladung zur Weihnachtsbescherung zugedacht worden war, daß aber der mit der Einladung beauftragte Lakai angegeben hatte, mich nicht finden zu können, ob aus Faulheit oder aus Dummheit, weiß ich nicht, denn er hätte bloß bei der Kommandantur nach meinem Quartier zu fragen nötig gehabt. Ich erhielt nun ein auf die bevorstehende Tätigkeit bezügliches, scherzhaftes Weihnachtsgeschenk vom Könige ausgehändigt. Diese Bagatelle würde ich hier nicht weiter. erwähnen, wenn nicht damit die kindliche, liebenswürdige Anhänglichkeit des Königs an seine gewohnten Gebräuche zusammenhinge, die er selbst in der ernsten und anstrengenden Kriegszeit beobachtete. Am 24. Dezember durfte ihm nur das Allerunaufschiebbarste der Geschäfte des Krieges vorgebracht werden. Sonst wendete er den ganzen Vormittag dazu an, um Weihnachtsgeschenke für alle diejenigen auszusuchen, denen er solche zugedacht hatte. Wenn nun auch seine nächste Umgebung diese Geschenke bei der Abendbescherung nach der Tafel erhielt, so versandte er doch auch viele an andere Menschen, sowohl in Versailles als auch in die Heimat. So hat er an diesem Weihnachten 1870 für zweiundfünfzig Menschen in Versailles Geschenke ausgesucht. Diese verpackte er dann eigenhändig und schrieb die Adresse selbst, so daß die Beglückten auch noch sein Autograph als Andenken hatten, das den meisten mehr wert war als das Geschenk an sich.

Der 26. und 27. Dezember. Zu meiner Rekognoszierung in der Angriffsfront hatte ich zwei Tage Zeit, weil ich den General v. Kameke noch abwarten mußte. Dieser kommandierte die 14. Division und war mit der Belagerung von Mézières beschäftigt. Er hatte schon Diedenhofen und Montmédy genommen, jede Festung durch ein überraschendes und kurzes Bombardement aus schwerem Belagerungsgeschüß, das die ganzen Festungen in Trümmerhaufen verwandelt hatte. Die Umgebung des Königs nannte ihn deshalb Poliorketes. Bei der ungünstigen Querverbindung war nicht abzusehen, wann er werde eintreffen können.

Bei meiner Rekognoszierung nahm ich mir vor, so wenig als möglich von dem Geschehenen zu tadeln, um mir nicht noch mehr Feinde zu machen, und alle gebauten Batterien zu benußen, wenn es nur irgend möglich war. Denn wenn ich mir noch mehr Gegner selbst schuf, dann konnte ich nichts Gutes ausrichten. Mußte ich doch schon die schwierigste und stärkste Front der Festung, zu der auch alles Material den weitesten

und beschwerlichsten Weg hatte, und die dem Entsaß durch die stärksten feindlichen Heere am meisten ausgesezt war, als Angriffsfront akzeptieren. Bei einer Sache, die in der Hauptsache schon so unrichtig angefaßt war, kam es auf etwas mehr oder weniger Falsches im Detail auch nicht an.

Die Batterien waren in unserer vordersten Vorpostenlinie erbaut, und zwar in der Hauptsache gegen die Forts Issy und Vanves umfassend von der hohen Terrasse von Meudon bis nach Bagneur in einer Ausdehnung von 5000 Metern Luftentfernung und bildeten rechts bei Bagneur eine abwehrende Flanke gegen das Fort Montrouge. Sie sollten auf 2000, zum Teil bis auf 2800 Meter, also 2500, zum Teil 3500 Schritt schießen. Sie lagen hinter Gartenmauern, Zäunen, Büschen usw., welche in der Nacht vor dem Beginn des Feuers umgelegt werden sollten. 2500 Schritt hinter den Forts Issy und Vanves ging der Hauptwall von Paris fast geradlinig eine deutsche Meile lang fort, und von diesem Hauptwalle her donnerten die schwersten Marinegeschütze, die man aus den Häfen hatte kommen lassen, und sandten ihre mächtigen. Geschosse über eine Meile weit, also bis weit über unsere Batterien hinweg. Um diese Linie zu flankieren, welche an ihrem westlichen Ende im Point du Jour ihren Abschluß fand, hatte man weit links von dem linken Flügel unserer Batterien die Batterie St. Cloud Nr. 1 erbaut. Diese Batterie war also nun unsere äußerste linke Flügel-Batterie. Ich begab mich zuerst dorthin, als ich die Front besichtigte.

Die Batterie lag im Park von St. Cloud, unweit der Straße Sèvres -Paris, an einem romantisch gelegenen Plaze, vorn am Rande eines steil zur Seine abfallenden Plateaus. Zu ihren Füßen lag mehrere Fuß tiefer die von den Franzosen gesprengte Seine-Brücke, deren aus dem Wasser herausragende Trümmer ertrinkend um Hilfe zu rufen schienen. Gleich hinter der Seine lagen in der Tiefe die Vorstädte Billancourt und Boulogne, in deren prächtigen Villen die feindlichen Tirailleure das jenseitige Seine-Ufer bejezt hielten, um von da aus ihre Chassepotkugeln auf 600 Meter in die Batterie zu senden. Dahinter erhob sich in einer Entfernung von 3000 Metern der Stadtwall vom Point du Jour bis zur Porte d'Auteuil und bot bei seiner Front von 1200 Metern Gelegenheit zur Entwicklung von einer recht großen Anzahl Geschüße.

Die Batterie St. Cloud Nr. 1 war der Stolz der ganzen Belage= rungsartillerie. Sie war auf Felsen gebaut und hatte in den Felsen eingesprengt werden müssen, der sich hinter ihr allmählich hob, so daß, nachdem der Boden für den Hofraum der Batterie ausgesprengt war, sie hinten durch eine steile Rückwand von mindestens drei Mannshöhen abPrinz zu Hohenlohe, Aufzeichnungen. IV.

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