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Ich traf die nötigen vorläufigen Anordnungen. Es war viel zu tun. in dieser Nacht, denn ich mußte doch einen Teil des Brigadestabes und die Brigadepapiere zurücklassen, weil die Geschäfte der Brigade beim Gardekorps ihren Fortgang nehmen mußten. Dafür ließ ich auch den ältesten Adjutanten zurück und nahm zunächst nur Leutnant v. Kaas mit. Meine Pferde und die Hälfte der Trainsoldaten und Ordonnanzen nahm. ich auch mit, ebenso einen Schreiber. Nach den Anordnungen und dem Packen hatte ich noch ein paar Stunden zum Schlafen übrig, ehe ich aufstehen mußte, um vor Tagesanbruch zu Pferde zu sein.

Der 24. und 25. Dezember. Der Anbruch des Tages sah mich am heiligen Christtage 1870 zu Pferde in der Richtung von Gonesse auf Margency. Ich wollte mich beim Kronprinzen Albert abmelden und dann über St. Germain nach Versailles begeben. Es war noch kälter geworden. Das Thermometer zeigte 13 bis 14 Grad Réaumur. Man konnte kaum die Bügel halten, ohne sich die Füße zu erfrieren, und ich trabte, um mich zu wärmen, soviel es die Rücksicht auf die Hufe der Pferde bei dem steinhart gefrorenen Boden erlaubte. Als ich Gonesse verließ, traf ich die Truppenmassen, welche auf Befehl der Maas-Armee zur Unterstützung des Gardekorps herbeieilten. Ich begegnete auch dem Kronprinzen Albert und konnte mich unterwegs bei ihm abmelden, auch ihm schon erzählen, daß der Feind auf dem Rückmarsch nach Paris sei und nicht mehr zum Schlagen gebracht werden könne.

Dann sette ich meinen Weg fort und erreichte, ziemlich erfroren, Versailles etwa um ein Uhr mittags nach einem sechsstündigen Ritt auf die sechs Meilen. Die kalte Luft, die mir um die Ohren wehte, klärte meine Gedanken, und ich hatte Zeit genug, meinen Plan zu machen. Ich sandte den Adjutanten nach der Kommandantur, mir Quartier zu beforgen, und ritt für meine Person nach der Wohnung des Königs in der Präfektur. Um bald Zutritt zum Könige zu haben, galoppierte ich unter sein Fenster, parierte mit etwas viel Pferdegetrappel, ließ mein Pferd von dem Ordonnanzreiter halten und stieg die Treppe hinan. Ich sah so zerlumpt aus, daß ich mich meiner selbst schämte. Aber ich hatte, troz wiederholter Briefe, aus Berlin keine neuen Röcke erhalten können. Deshalb mußte ich den König wegen meines ärmlichen, allseitig geflicten Erscheinens um Verzeihung bitten. Denn der König kam mir schon im Vorzimmer entgegen. Er hatte mich durch das Fenster gesehen und holte mich persönlich in das, jezt durch verschiedene Abbildungen historisch gewordene Arbeitsfabinett.

Er lächelte darüber, daß ich des Anzugs wegen noch ein Wort verliere, derselbe sei in solchen Zeiten gleichgültig, und sagte mir viel über

die gegenwärtige Situation und die Notwendigkeit, Paris zu beschießen. Es war für mich ein besonderes Glück, daß ich den König allein sprach, denn ich erhielt seine persönliche Instruktion und wußte seinen Willen, wie er, ungetrübt durch fremde Einflüsse und Interpretationen, bestand, und nach dem ich mich richten konnte. Neben verschiedenen Betrachtungen und Handlungsmotiven, die er mir auseinanderseßte, und über die er mir Schweigen gebot, ein Schweigen, das ich nie gebrochen habe und brechen werde, sagte er, ich solle machen, daß es endlich knalle. Es würden ihm auch von artilleristischer Seite so viele Schwierigkeiten gemacht. Alle Tage solle er über eine Zehntelpfund-Ladung oder ein sechzehntel Grad Erhöhung eine Entscheidung geben. Das alles sei ihm fremd, und er habe es nun herzlich satt, immer damit gequält zu werden. ,,Machen Sie Feuer dahinter, damit es knallt."

Eines aber mache er mir zur Pflicht: Ich solle sobald als möglich schießen. Dazu verbitte er sich die Wahl einer anderen Angriffsfront. Denn mit dem Wechsel der Angriffsfront sei wieder eine Menge Zeitverlust verbunden. Erst habe er selbst St. Denis vorgeschlagen. Er hielte das für die am leichtesten zu nehmende Front. Da hätten ihm aber die Gelehrten die Ostfront vorgeschlagen. Dann habe man diese für zu stark befunden und habe die Südfront gewählt. Da seien Batterien erbaut und Parks etabliert. Er, der König, halte die Wahl dieser Front für Unsinn, aber er habe sich dem Urteil der Gelehrten gefügt. Jezt verzögere man alles von neuem und halte erst noch zwei Batterien zwischen L'Hay und Chevilly für nötig. Ich solle nun rekognoszieren und ihm dann melden. Aber eine andere Angriffsfront dürfe ich nicht vorschlagen. Auf der einmal begonnenen Grundlage müsse ich fortarbeiten.

Alles das hörte ich stumm mit an. Ich konnte nicht eher etwas äußern, bis ich das Angriffsterrain mit eigenen Augen gesehen hatte. Aber die Worte des Prinzen von Württemberg die Hauptsache ist, daß Sie die Ressorts feststellen - flangen mir in den Ohren, und als der König geendet hatte, bat ich um Erlaubnis, zwei Fragen tun zu dürfen.

ich“

Die erste Frage war: „Wer sind meine Vorgesezten?" Der König antwortete: „Na, ich" — ich jauchzte innerlich hoch auf —, dann aber fuhr er fort, und natürlich mein Sohn." Da fiel mir das Herz in die Hosen, denn daß dort Blumenthal alle meine Tätigkeit lähmen werde, war natürlich. Der König fügte noch hinzu, daß Kameke, der den Ingenieurangriff auf Paris zu leiten habe, mir koordiniert sei und nichts. zu befehlen habe.

Meine zweite Frage war: „Was bezwecken Euer Majestät, eine reguläre Belagerung von Paris oder nur ein Bombardement ?" Der König erwiderte darauf, er bezwecke, den souveränen Pariser Pöbel, der

in der Stadt Paris das entscheidende Wort spreche, durch die mittels eines Bombardements zu erzeugende Furcht vor Gefahr zu einer Kapitulation und einem Frieden geneigter zu machen, da die Entbehrungen, welche die Zernierung erzeugte, nicht ausreichten. Wenn es dazu nötig sei, den Point du Jour der Stadtbefestigung zu nehmen, so müsse das geschehen. Um ganz Paris mittels regelmäßiger Belagerung zu nehmen, dazu würden wohl die Mittel nicht ausreichen, die man herantransportieren könne.

Nachdem ich so beschieden war, erhielt ich Befehl, mich auf Grund dieser Instruktion bei Moltke, dem Kronprinzen, Hindersin und dem Kriegsminister v. Roon zu melden.

Erst suchte ich mein Quartier auf. Durchgefroren, wie es war, verlockte es mich nicht sehr zum längeren Verweilen, und ich trat meine Meldungsreise an, die bei den ungeheuren Entfernungen in Versailles, an dessen äußersten Enden ein jeder der Herren wohnte, viel Zeit und Kräfte in Anspruch nahm. Zum Schluß des Tages war ich beim Kriegsminister v. Roon eingeladen, wo ich sogar mit Kaas an der Weihnachtsbescheerung teilnahm. Mein Mittagsessen nahm ich mit Kaas in irgend einer Winkelrestauration ein, wo wir ganz ungenießbares Zeug zu kauen versuchten. Das Hotel Réservoir mit seinen zahllosen Besuchern mied ich. Ich konnte meine Meldungen am 24. nicht alle beenden und verwendete dazu noch den 25. Dezember.

Bei meinen Meldungen habe ich natürlich überall längere Konversationen gehabt. Der Kronprinz nahm mich in Gegenwart von Blumenthal an, und dann konferierte ich noch längere Zeit mit dem letteren. Hindersin empfing mich sehr kurz und trocken. Er sagte mir, er wolle mich nicht aufhalten, ich werde viel zu tun haben. Ich glaubte erst, er nehme mir übel, daß ich eine Funktion erhalten, die von Natur seine Sache war. Aber später sah ich, daß ich mich geirrt. Er hatte im Gegenteil den Anstoß dazu gegeben, daß mich der König ernannt hatte, und wollte weder meine Zeit noch meine Entschließungen beeinflussen. Ich fand eine Kabinetts-Ordre des Königs vom Oktober vor,*) wonach Hindersin das Recht hatte, alle artilleristischen Maßregeln gegen Paris zu beaufsichtigen und zu inspizieren, und ordnete deshalb an, daß ihm von allen wichtigsten Dingen Meldung gemacht werde.

Moltke sprach sich sehr ausführlich über alles aus und drängte sehr nach einer baldigen Eröffnung des Artilleriekampfes gegen Paris. Er

*) Durch eine Kabinettsordre vom 9. Oktober waren die Generale v. Hindersin und v. Kleist beauftragt, den Fortgang der Arbeiten unausgesezt zu über

wachen.

sagte, die Schnelligkeit, mit der Gambetta immer neue Armeen improvisiere, sei ganz unglaublich. Zwar taugten sie nicht viel, aber sie seien sehr zahlreich, und man müsse sich dagegen wehren. Jezt habe der Prinz Friedrich Karl und der Großherzog von Mecklenburg mit zusammen 60 000 bis 70 000 Mann die 250 000 Mann von Aurelle gesprengt, und man erwarte, daß Manteuffel in den nächsten Tagen die Truppen Faidherbes schlagen werde. Das sei aber, wie wenn man an einem heißen Sommerabend mit der Hand in einen Mückenschwarm schlage. Das müsse man immer wieder tun, weil die Mücken wiederkehrten. Aber es werde aufhören, sobald Paris genommen sei. Deshalb möge ich den Beginn der Beschießung beschleunigen.

Der Oberst v. Albedyll, der an Tresckows Stelle dem Militärkabinett vorstand, eröffnete mir, daß ich meinen Stab bilden könne. Ich möge mir aus der ganzen Artillerie die Männer dazu aussuchen. Die Beschießung von Paris sei die Hauptsache. die gehe allem vor. Ich bat um den Stab, den ich bisher gehabt, mit den beiden jungen Adjutanten. Der Befehl dazu erfolgte alsbald.

Der Kriegsminister v. Roon war in der größten Erregung. Er versprach mir goldene Berge, wenn ich nur die baldige Beschießung von Paris betreiben wolle. Die größte Schwierigkeit mache, sagte er, die Heranschaffung der Munition, die mit der Eisenbahn bis Lagny geschafft sei. Dort liege sie und müsse nun über Villeneuve Ste. Georges, zwölf deutsche Meilen weit, bis in den Belagerungspark von Villa Coublay gefahren werden. Man habe keine Transportmittel. Nachdem man mehrere tausend Bauernwagen zusammengetrieben, seien in den nächsten Nächten die Bauern desertiert. Auch könne jeder Bauernwagen nur zehn Granaten laden, und dabei würden die Geschosse noch ruiniert. Man brauche Brigaden, um diese Franzosen zu beaufsichtigen. Jezt habe er aber die Organisation von besonderen Munitionskolonnen, vierundzwanzig zu je vierzig Wagen, angeordnet, welche Belagerungsmunition transportieren könnten. Soldaten als Fahrer, neue Geschirre, neue Wagen, angekaufte Pferde. Ich bemerke hier vorgreifend, daß diese vortrefflichen neuen Munitionsfolonnen erst angefertigt wurden, daß davon erst eine eingetroffen war und sie alle vor Paris vollzählig anlangten, als die Beschießung beendet war.

Ich dachte mir mein Teil dabei. Vor St. Denis und bei Sevran führte die Eisenbahn aus der Heimat bis in den Belagerungspark. Da brauchte man solche Transportmittel nicht und hatte keine so starke Angriffsfront. Aber ich durfte ja nicht von einem Wechsel der Angriffsfront sprechen, also schwieg ich still.

Der Kriegsminister sagte mir, um den Nachschub der Munition mit der möglichsten Energie zu betreiben, habe er den energischsten Artillerieobersten, v. Oppeln-Bronikowski, und zwei tüchtige Kavalleriemajore kommen lassen, die die Sache leiten würden. Ich kannte Bronikowski seit langem. Er war unvergleichlich tapfer, aber schwer zu behandeln.

Im Laufe des Tages hatte ich den Obersten v. Rieff, Kommandeur der Belagerungsartillerie im Bereich der Dritten Armee, schriftlich mit dem Befehle, sich den anderen Morgen früh neun Uhr bei mir einzufinden, und den Obersten Bartsch, Kommandeur der Belagerungsartillerie im Bereiche der Maas-Armee, telegraphisch von meiner Ernennung in Kenntnis gesezt und legterem dabei befohlen, mir zu melden, welchen Tag er bereit sei, das Feuer gegen den Mont Avron zu eröffnen.

Um elf Uhr abends war ich vom Kriegsminister entlassen. Sehr ermüdet kehrte ich in mein ausgefrorenes Palais in der Rue de Satory zurück. Die Kälte war sogar im dienstlichen Verkehr hinderlich. Die Tinte fror im Tintenfaß zu und mußte am Kamin aufgetaut werden. Aber auch dann fror sie in der Feder wieder während des Schreibens ein. So dauerte es recht lange, bis man einen schriftlichen Befehl zustande brachte.

Ich fand ein sehr schönes Bett. Aber ausziehen konnte ich mich nicht, um mich in dieses eisige Eldorado zu legen. Im Gegenteil, ich zog mir meinen Pelz an und den Baschlik über den Kopf und war dann erst genügend gegen die Kälte geschüßt, um einschlafen zu können.

Daß in dem Palais die Wasserleitung, die durch alle Zimmer führte, durchweg nur mit Eis gefüllt war, kann nur eine Unbequemlichkeit genannt werden, die aber noch dadurch besonders lästig ward, daß auch alle Abzugsröhren mit Eis angefüllt waren. Sie verbreiteten daher einen Pestgestank, und andere derartige Gelegenheiten gab es nicht. Diese Unannehmlichkeit mußte geduldet werden, bis das Haus nach acht Tagen durchgeheizt war.

Als am Morgen des 25. Dezember der Oberst v. Rieff*) bei mir war, orientierte ich mich über alles Geschehene.

Was bis jest geschehen, war folgendes: An Geschützen waren im Park von Villa Coublay aufgestellt: 40 Sechspfünder, 84 Zwölfpfünder, 59 lange Vierundzwanzigpfünder, 15 kurze Vierundzwanzigpfünder, 6 21 cm Mörser, 20 glatte Fünfzigpfünder-Mörser. wurden noch erwartet: 20 3wölfpfünder und 11 lange Vierundzwanzig

Es

*) Oberst à la suite des Kriegsministeriums v. Rieff war am 9. Oktober mit der Ausführung der Angriffsarbeiten auf der Südwestfront von Paris beauftragt worden.

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