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in entwickelter Front zum Angriff anrückten. Diese Meldungen kamen. sehr spät, durch Ordonnanzen, die, weil von dem neuen Kavallerie-Regiment gestellt, sich noch zum Teil verritten hatten, denn die zerschnittenen Feldtelegraphen versagten den Dienst. Der Prinz hatte sofort befohlen, daß ein Bataillon vom Pont Jblon nach Bourget zur Unterstüßung nachrücken solle. Aber ehe dies geschah, hatte die erst auf Dugny dirigierte feindliche Kolonne, französische Marineinfanterie aus St. Denis, sich plößlich auf Bourget gewendet, war von hinten, ohne auf einen Mann von uns zu stoßen, dort eingedrungen und hatte ihren Weg nach den Verteidigern der Südfront zu fortgesetzt, diese in den Rücken zu fassen. Der Kirchhof rechts von Le Bourget war in Feindeshand gefallen.

Was nun in Bourget vorging, wußten wir nicht, also hatten wir noch keine Ahnung, ob der Ort uns gehöre oder dem Feinde, und konnten nicht wagen, ihn zu beschießen. Es fand aber darin eine Heldentat ersten Ranges statt. Die zwei Bataillone - ich glaube sogar, es waren an diesem Tage nur fünf Kompagnien*) — hatten die Südlisiere des Orts besetzt, um sie gegen den Angriff von zwölf Bataillonen zu halten, und standen im lebhaftesten Feuer gegen die an Zahl zehnfach überlegenen Gegner. Plöglich werden sie im Ort von hinten von der französischen Marineinfanterie angegriffen. Mit dem kältesten Blute von der Welt lassen die Offiziere die hinten Stehenden Kehrt machen, und ein vernichtendes Schnellfeuer auf die französischen Mariniers eröffnen. Diese stuben, weichen zurück und wollen sich eben in den anstoßenden Häusern festseßen, als das zur Verstärkung vom Prinzen von Württemberg nachgesandte Bataillon Infanterie**) eintrifft. Es war schnell hinter den Franzosen dreingelaufen und überschüttete sie jetzt seinerseits von hinten mit Schnellfeuer. Der Erfolg war die vollständige Vernichtung der feindlichen braven Marineinfanterie. Nur einige Hundert wurden gefangen.***) Es war eine der besten Truppen des Feindes. Jezt ward auch der Kirchhof wiedergenommen und der Ort Le Bourget gegen den ron Süden kommenden Angriff stärker beseßt, der nun abgewiesen ward.

Um diese Zeit befahl mir der Prinz von Württemberg, mit der in der Position eingetroffenen reitenden Artillerie den Kirchhof beschießen

*) Es waren in der Tat nur das I. Bataillon Regiments Königin Elisabeth und die 1. Kompagnie Garde-Schüßen-Bataillons in Le Bourget.

**) Es trafen nacheinander das I. Bataillon Regiments Kaiser Franz, drei Kompagnien Königin Elisabeth-Regiments und 3. und 4. Kompagnie der Garde-Schüßen zur Verstärkung in Le Bourget ein.

***) 360 Mann wurden gefangen. Der Gesamtverlust der Franzosen betrug 983_Mann.

zu lassen. Wir wußten nicht, was vorgegangen war. Ich eilte hin, mein gutes Fernrohr zeigte nur blißende Helmspißen im Kirchhof, und ich untersagte das Feuer dagegen. Ich hatte großes Unglück verhütet, denn schon formierte der Feind mit frischen Kräften neue Angriffe, denen unsere Kompagnien nicht widerstanden haben würden, wenn die eigene Artillerie sie auch noch von hinten beschossen hätte.

Nachdem der Feind mit seinen ersten zwölf Bataillonen vor Bourget abgewiesen war, bildete er eine größere und zahlreichere Angriffsmasse, die von Bourget bis Aulnay reichte. Zunächst zog er Feldartillerie vor, welche sich mit der Artillerie der Forts vereinigte, um erst den Ort mit Projektilen aller Art zu überschütten. Auch kam aus St. Denis auf der Bahn Paris-Soissons eine Lokomotive herangebraust, die eine auf die Loren gestellte gepanzerte Batterie so nahe heranführte, als das Geleise fahrbar war, und diese Batterie eröffnete ein Schnellfeuer aus Mitrailleusen.

Unserseits wurde zunächst Hauptmann Seeger mit seinen beiden Batterien dem Orte Le Bourget zu Hilfe gesandt, dann folgten noch einige Bataillone Infanterie, und es wehrten sich im Orte vierzehn Kompagnien Preußen gegen siebzehn Bataillone Franzosen.

Hauptmann Seeger trabte mit seinen beiden Batterien in dieselbe Stellung links von Le Bourget, die er am 30. Oktober innegehabt hatte. Von hier sette er dem Feinde so wirksam zu, daß dieser seine sämtlichen Artilleriegeschosse von jezt ab gegen ihn schleuderte, und die Infanterie des Orts leichtes Spiel gegen den Feind hatte, denn nach ihrer eigenen Äußerung hat sie von Seegers erstem Schuß ab keinen feindlichen Kanonenschuß mehr auszuhalten gehabt.

Desto bedrängter war die Lage von Seeger selbst. Zwar schossen aus der Stellung von Le Blanc bis Aulnay auch schon drei Batterien gegen den rechten Flügel der feindlichen Armee, aber hier im Zentrum konzentrierte sich die Wucht des feindlichen Angriffs. Dazu kam, daß der Frost immer zunahm. Selbst die schwersten „Brummer“ der feindlichen Forts drangen nicht mehr durch die harte Kruste der Erde. Sie plaßten auf dem zu Stein gefrorenen Boden und zerstreuten ihre mit Steinen gemischten Sprengstücke unter die freistehenden Batterien. Oberst v. Helden hatte die beiden Batterien begleitet mir verbot es der Prinz von Württemberg —, und man sah ihn, als ob er eine Parade abnähme, mit eingestemmtem Arm auf dem Flügel halten. Dann kam er zurückgeritten und bat um die Erlaubnis, mehr Verstärkung vorholen zu dürfen, denn die beiden Batterien könnten sich allein nicht mehr halten. Es lag jezt der Fall vor, daß der Feind, von dem man wohl an

siebzig Bataillone in erster Linie sah, und dessen Reserven man auf achtzig Bataillone schäßte, einen Hauptangriff machte. Es hätte also eigentlich das Gardekorps diesen Hauptangriff in seinen Stellungen an der Inundation erwarten müssen. Aber die Betrachtung, daß eine Räumung von Le Bourget später ein Wiedererstürmen des Orts zur Folge haben werde, die noch mehr Blut kosten müsse, bewog den Prinzen von Württemberg, Bourget aufs äußerste zu halten und sich deshalb lieber vor seinen Verschanzungen zu schlagen, als in dieselben zurückzuziehen. Es wurde daher an Artillerie über die Inundation vorbeordert, was disponibel war.

Zunächst trabten die reitenden Batterien über Pont Jblon vor, marschierten dort auf und rückten im Galopp in die Linie. Um diese Zeit traf der Kronprinz Albert beim Generalkommando ein. „Warum gehen Ihre Batterien denn so nahe auf den Feind?", fragte er mich. „Sie haben es nicht anders gelernt, Eure Königliche Hoheit“, antwortete ich ihm stolz. Demnächst gingen noch die Batterien der 2. Garde-Division und die der Reserve, welche die 1. Garde-Division gestellt hatte, bei Aulnay und Le Blanc Mesnil über, und als nun sechzig Geschüße in einer Front den Feind bearbeiteten, wurde unser Feuer immer überLegener, obgleich der Feind wohl an hundertfünfzig Geschüße entwickelte, mit denen er aber erbärmlich schlecht schoß. Er hatte darunter auch viel Mitrailleusen-Batterien, die meist wirkungslos knarrten. Wenn aber ein solcher Schuß gut traf, richtete er große Verheerung an. Auf einen einzigen solchen Schuß knickten bei der 2. reitenden Batterie zweiundzwanzig Pferde auf einmal lautlos zusammen.

Die feindliche Schlachtlinie dehnte sich jetzt bis vor unseren linken Flügel gegen Aulnay zu aus. Nachdem der Feind zum zweiten Male vor Le Bourget abgewiesen war, bewegten sich seine Massen in der Richtung auf Aulnay, und es schien, als ob er dort durchzubrechen versuchen werde. Unsere Infanteriereserve wurde dorthin dirigiert. Die Batterien aber, welche zwischen Le Blanc Mesnil und Bourget standen, nahmen den sich gegen Aulnay vorbewegenden Feind derart in die Flanke, daß seine Infanterie die Vorbewegung einstellte und seine sieben dort vorgeschobenen Batterien Schutz unter den schweren Kanonen der Forts suchten. Das war in der zweiten Nachmittagsstunde.

Es war eine wahre Freude, die Haltung unserer Truppen zu beobachten. Mich gingen hauptsächlich die Batterien an. Selbst die Munitionswagen, welche nach der Patte d'oir gesandt wurden, um frische Munition zu holen, verhielten sich so korrekt, daß man die Leute hätte. umarmen mögen. Sie trabten leer in kurzem Tempo zurück, wenn sie

aber volle Munition empfangen hatten, kamen sie von hinten im vollen Jagdgalopp herangebraust, um ihren Kameraden die frische Munition bald zu bringen. Kronprinz Albert sah dies mit Wohlgefallen, und sagte mir schmunzelnd: „Ihr seid wohl alle wie verrückt auf den Feind versessen."

Als die Reserven nach Aulnay gesandt waren, hatte der komman. dierende General nichts mehr in der Hand für den Fall, daß Bourget noch einmal Unterstüßung bedürfen sollte. Denn wenn diese Reserven in Aulnay auch nicht zur Tätigkeit gekommen sind, so waren sie doch damit aus der Hand gegeben. In dem Augenblick, als wir darüber besorgt waren, traf das erste Bataillon des Generals v. Kessel ein, der im Norden nicht mehr nötig war, weil Manteuffel Truppen genug bereit hatte, um Faidherbe im Schach zu halten, und das der General v. Kessel zum Gardekorps mit der Eisenbahn zurückgesandt hatte. Das war sehr erwünschte Hilfe. Das Bataillon ward an der Route de Lille in Reserve gestellt. Zum Glück ward es nicht mehr gebraucht.

Die feindliche Schlachtlinie entfernte sich mehr und mehr. Die feindlichen Batterien wählten immer weitere Entfernungen. Das Gefecht erstarb allmählich. Wir konnten an eine Verfolgung nicht denken, denn die Forts deckten den Feind.

Erst gegen Ende des Kampfes erlaubte mir der Prinz von Württemberg, in die Batterien zu reiten. Ich tat dies, um sie über ihr Verhalten zu beloben. Sie verdienten dieses Lob in vollem Maße.

Gegen drei Uhr traf der Befehl des Generalkommandos ein, auf keinen Fall weiter vorzugehen. Die Batterien sollten nur so lange stehen bleiben, als sie durch ihr Feuer das Ausseßen der Vorposten in der alten Linie unterstüßen könnten. Dann sollten sie zurückgenommen werden und in ihre Kantonements abmarschieren.

Um halb vier Uhr war dieser Moment eingetreten. Unsere Batterien hatten kein Ziel mehr und gaben nur noch eine Scheibe ab für die feindlichen Forts. Es war Zeit, sie zurückmarschieren zu lassen.

Damit die Franzosen nicht glaubten, daß wir uns aus Furcht vor ihnen zurückzögen, ließ ich die Batterien vor ihren Augen im Parademarsch zu Einem an mir vorbeimarschieren. Dies war die stolzeste Parade, die ich in meinem Leben abgenommen, auf der Route de Lille, zwischen Le Bourget und Le Pont Jblon, also vorwärts unserer Defensivpositionen. Die Trompeter bliesen Siegesmärsche, die Soldaten riefen jubelnde Hurras, die französischen Forts brummten den Baß dazu, und manches Geschoß schlug rechts und links der Stelle, wo ich hielt, ein und platte, aber wir waren hier vom Glück begünstigt, denn während dieses Prinz zu Hohenlohe, Aufzeichnungen. IV.

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Parademarsches wurden kein Mann und kein Pferd bei uns getroffen. Ein solches Schauspiel macht Eindruck auf die Truppen, also ist es von reeller Wirkung. Der König, als er, ich glaube durch den Prinzen von Württemberg, von dieser meiner Parade hörte, nannte sie scherzend eine Frechheit.

Auch unsere Infanterie blieb davon nicht unberührt. Als unsere Batterien am Pont Jblon ankamen, entstand dort ein Höllenlärm. Die daselbst in Reserve stehenden Bataillone brachten den Batterien endlose Hurras. Als ich als leßter durch die Barrikade zurückritt, stürzten die Infanteristen aller Chargen auf mich zu und brüllten mir ihre Hurras zu und drückten mir die Hände. Von Stolz erfüllt durch die Taten. meiner Batterien, gerührt durch diese Zeichen der Aufmerksamkeit der Garde-Füsiliere, schrie ich sie, sobald ich zu Worte kommen konnte, an: Ihr braven Kerls von der Infanterie, Ihr wollt immer alleine. Nein, wir wollten auch einmal." Solche Worte gibt der Augenblick. Sie zündeten und erregten einen neuen Sturm des Beifalls. An diesem Tage war ich der populärste Mann im Gardekorps.

Die Batterien hatten in der Tat eine sehr harte Probe von neuem glücklich bestanden. Sie gaben gar nicht alle Verluste so an, wie sie fonnten, zum Beispiel fand der Hauptmann Seeger bei der Revision seiner Pferde, daß da nicht ein einziges im Gefecht gestanden, das nicht mindestens eine leichte Wunde aufwies. Aber er gab nur die durch Verwundung dienstunfähigen an. So ergibt die dienstliche Verlustliste nur fünfzig Pferde Verlust. An Mannschaften war der Verlust der Batterien geringer, denn die Mannschaften stehen nur zerstreut. Er betrug achtundzwanzig Mann. Von den Offizieren, die doch am meisten ausgesetzt waren, hatte ich keinen zu beklagen. Den braven Leutnant Schulß von der 2. reitenden, der sich schon bei Königgrät als Fähnrich ausgezeichnet hatte, sah ich nach dem Gefecht heftig weinen. Erstaunt, einen so braven jungen Offizier so die Nerven verlieren zu sehen, fragte ich ihn, was ihm sei. Die verfluchten Kerls haben mir meine Petty-Bird erschossen“, sagte er unter Schluchzen, „sie war so schnell und sprang so schön, und ich hätte gewiß noch mehr Steeplechasen darauf gewonnen." Er beweinte sein Pferd, das ihm unter dem Leibe geblieben. „Nun“, sagte ich, „für Ihr Pferd habe ich heute noch kein Herz und bin froh, daß es Ihr Pferd traf und nicht Sie selbst." Er sah mich verblüfft an, meinte dann, ich hätte allerdings recht, daran habe er noch gar nicht gedacht.

"

Der Verlust unserer braven Infanterie betrug an diesem Tage 10 Offiziere und 358 Mann, wovon das Regiment Elisabeth wieder mit 9 Offizieren, 246 Mann den größten Anteil trug. Aber ein Bataillon

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