Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

erhielt zuerst den Befehl, mit den ihm zu überweisenden Belagerungsgeschützen und Festungs-Kompagnien den Feind vom Mont Avron zu vertreiben, Mitte Dezember. Wir erhielten Befehl, ihm alles angefertigte Schanzzeug und Batteriebaumaterial zuzuführen. In der ganzen Zeit hatte es geschneit oder geregnet, oder ein dichter Nebel hatte die Felder bedeckt. Ich hoffte, unter dem Schuße dieses Nebels das ganze Material, vom Feinde ungesehen, auf dem festen Wege von Gonesse über Sevran schaffen zu können, der bei klarem Wetter vom Montmartre und allen Forts aus leicht zu übersehen ist. Es ging auch erst ganz gut. Die Munitionskolonnen mußten ihre Gespanne hergeben, alle Leiterwagen in den verlassenen Dörfern wurden zusammengesucht, und es bewegten sich täglich lange Züge mit Faschinen, Schanzkörben usw. beladener Wagen nach dem Belagerungspark, der im Bereich des XII. Korps etabliert wurde. Am 19. Dezember aber, als eben meine leßte Sendung von 380 Wagen abgegangen war und jenen Weg bedeckte, klärte sich das Wetter auf, und die langen Züge präsentierten sich im schönsten Sonnenschein den Fernrohren der Belagerten. Ich besorgte erst, der Feind werde durch diese Bewegung darauf aufmerksam gemacht werden, daß wir etwas gegen den Mont Avron im Schilde führten, aber zum Glück schlugen Eitelkeit und Hoffnung den Feind mit Blindheit. Noch hatte er Verbindung mit der Außenwelt durch Brieftauben. Er war benachrichtigt, daß Faidherbe von Norden heranziehe, und glaubte, wir müßten uns endlich fürchten. Die langen Züge marschierenden Materials hielt man in Paris daher für die Vorbereitungen zu unserer Flucht und Aufhebung der Belagerung und jubelte darüber. Wir aber hatten die Absicht, daß es nun erst losgehen sollte.

Der Zeitungsartikel in Hannover. In dieser Zeit erregte ein Zeitungsartikel in unserem Hauptquartier die allgemeine Entrüstung. Dieser Artikel, der in Hannover erschien, brachte auf Grund eines Briefes des Generalkommandos des X. Armeekorps die Taten dieses Korps Hannoveraner zur allgemeinen Kenntnis, wobei unter anderm die Behauptung aufgestellt war, das Korps habe am 18. August bei St. Privat die Entscheidung gegeben. Der Prinz von Württemberg hielt mit Recht eine jede Zeitungspolemik zwischen Truppen derselben Armee für höchst unerquicklich. Aber er konnte auch hierzu nicht ganz schweigen. Er forderte daher die beiden Kommandeure der Garde-Infanterie-Divisionen und mich zum Bericht auf, um auf Grund dieser Berichte eine Beschwerde bei Seiner Majestät dem Könige einzureichen.

So sehr ich meinen Bericht auch lediglich auf Tatsachen stüßte, oder besser, vielleicht weil ich ihn lediglich auf bewiesene Tatsachen stüßte, fiel

er sehr scharf aus (9. Dezember). Ich bewies, daß nach dem Sturm von St. Privat in der Nacht von dort aus die Vorposten durch die GardeInfanterie gegeben worden seien, daß auf unserem rechten Flügel nach Einbruch der völligen Dunkelheit, als der Kampf beendet war, die 1. Abteilung, Bychelberg, meiner Artillerie mit abgeproßten Geschüßen eine Zeitlang als Vorposten gestanden hatte und nur sehr spät in der Nacht auf längeres Suchen durch ein Infanterie-Bataillon Sukkurs erhielt, Major v. Wehren, Regiments 56, X. Armeekorps, welches Bataillon ohne Schuß etwas vor die Schüßenlinie ging und den Tag abwartete, daß wir aber wiederholt in von hinten nach uns schießende Artillerie des X. Armeekorps Adjutanten gesandt hatten, mit dem Ersuchen, uns nicht ferner Verluste beizubringen. Ich ward noch im November 1871 einmal von Seiner Majestät persönlich als Zeuge darüber gehört. Die Kriegsgeschichte, Generalstabswerk, hat hierin der Wahrheit die Ehre gegeben, und jener Zeitungsartikel ist der Vergessenheit verfallen.*)

Faidherbe und eine Ausfallsdrohung im Norden. Mitte Dezember wurde ein gemischtes Detachement unter dem General v. Kessel gegen die Armee von Faidherbe gesandt, um so lange die Truppen des GeneralGouvernements von Reims zu verstärken, bis General v. Manteuffel genügende Kräfte von Rouen zurückgezogen habe, um diesem Entsagversuche entgegenzutreten. Die 1. Garde-Division gab dieses Detachement. Die Positionen des Gardekorps wurden somit um mehrere Bataillone, eine Batterie und einige Eskadrons geschwächt. Zu dieser Zeit wurde auch ein Wechsel der Divisionskavallerie befohlen. Die 1. GardeUlanen lösten bei der 1. Division die Garde-Husaren, die 3. Garde-Ulanen die 2. Garde-Ulanen ab. Dieser Wechsel trat am 19. Dezember ein. Die Folge war, daß gerade beim Gefecht des 21. Dezember die neuen Ordonnanzreiter mit der Gegend und den Persönlichkeiten noch wenig vertraut waren und Mißverständnisse vorkamen. Das war ein unglücklicher Zufall.

Am 19. Dezember begannen sich Anzeichen bemerkbar zu machen, welche auf ein bevorstehendes Ausfallunternehmen des Feindes schließen ließen. Die Beobachtungsposten meldeten Truppenbewegungen, die aber mehr auf eine Konzentration gegen Osten, die Sachsen, als gegen Norden, die Garden, schließen ließen. Aber in unserem Rücken nahte

*) Auch in seinen kürzlich erschienenen Briefen an seine Gattin (Berlin 1906, E. S. Mittler & Sohn) nimmt der damalige Kommandeur des X. Armeekorps, General v. Voigts-Rheß, für sein Korps die Ehre, die Schlacht bei St. Privat durch sein Eingreifen entschieden zu haben, in Anspruch.

Faidherbe, die Bewohner der Ortschaften, die nicht menschenleer waren, fingen an, widerspenstig und frech zu werden, und sprachen von unserer bevorstehenden Vernichtung. Es fonnte in Paris einzig und allein ein großer Angriff gegen uns im Norden einen Sinn haben, denn von Norden war Faidherbe zu erwarten. Der Feind, der noch keine Kenntnis von unserer Inundation hatte, mußte glauben, auf dem freien Felde von Bourget bis Roissy leicht durchbrechen zu können.

Am 20. Dezember sahen unsere Vorposten einen zahlreichen Stab von Romainville nach Drancy herunterreiten und unsere Vorposten bei Bourget rekognoszieren. Wenn daher auch die Befehle der Maas-Armee an diesem Tage einen Ausfall des Feindes gegen die Sachsen in Aussicht stellten, so machte sich das Gardekorps doch auf einen gegen sich selbst gerichteten Ausfall gefaßt und beorderte noch sieben Bataillone und drei Batterien der 1. Garde-Division als Unterstüßung zum 21. Dezember früh mit Tagesanbruch nach der Malmaison-Ferme von Gonesse, um als Reserve für die 2. Garde-Division hinter Bourget zu dienen. Diese Reserve konnte ja auch gegen die Flanke eines Feindes geschoben werden, der das XII. Korps bedrohte. Die 1. Garde-Division behielt somit nur sechs Bataillone und zwei Batterien, kaum genug, um die Vorposten zu geben (drei Bataillone waren unter Kessel fort). So waren wir für den 21. Dezember früh auf einen ernsten Kampf bei der 2. Division gefaßt.

Am 20. Dezember früh besuchte mich mein Freund Ernst v. Graevenit, der Kommandeur der Ersatz-Abteilung der Garde-Artillerie. Er war damals zugleich Mitglied des Reichstags und mit einer Deputation des Reichstags in Versailles erschienen, um Seine Majestät zu bitten, Paris nicht weiter zu schonen und durch eine energische Beschießung der Festung dem Kriege ein Ende zu machen. Ich glaube, Bismarck hat sich diese Deputation künstlich bestellt, um allen Einflüssen entgegenzuarbeiten, welche von anderer Seite unter seichten, human klingenden Vorwänden gegen eine Beschießung von Paris agitierten.

Graevenit verließ mich am 21. Dezember früh vor Tagesanbruch mit schwerem Herzen. Er sah an allen Vorbereitungen, daß uns ein harter Kampf bevorstehe, und wollte uns nur ungern in demselben verlassen. Aber seine dienstlichen Pflichten wie die als Mitglied des Reichstags, riefen ihn nach Berlin zurück.

Ich rekognoszierte am 20. noch Dugny, um eventuell von dort aus dem Feinde in die Flanke zu fallen, der Bourget angreife.

4. Das zweite Gefecht um Le Bourget.

Der 21. Dezember. Am 20. Dezember abends meldeten die Vorposten, daß die feindlichen Massen am Mont Avron vermehrt seien und bedeutende Biwaks an den Forts Rosny und Noisy sichtbar würden. Die 2. Garde-Division erhielt Befehl, mit allen Truppen am 21. Dezember früh bei Tagesanbruch zum Gefecht bereit zu sein.

Der 21. Dezember brach an. Es war regnerisch und warm. Die feuchten Felder glichen einem Sumpfe, der Menschen und Pferden das Fortkommen erschwerte. Die Pferde versanken bis an die Kniee in dem aufgeweichten Boden. Im Laufe des Tages trat plößlich scharfer Frost ein, der um Mittag alles mit einer undurchdringlichen harten Kruste bedeckte.

Früh um ein viertel acht Uhr leitete der Feind durch eine heftige Kanonade aus allen Forts seine Aktion ein. Er muß nicht gewußt haben, daß seine Granaten ins Land hineinfielen und uns nur selten Schaden zufügten, jedenfalls nicht soviel, um die Verteidigung unserer Positionen im geringsten zu schwächen, sonst hätte er es vorgezogen, uns zu überraschen, statt uns seinen Angriff durch einen so großen, wirkungslosen Spektakel anzufündigen.

In demselben Augenblick, in dem die Kanonade begann, waren alle unsere Telegraphen durchschnitten. Meldungen, Anfragen und Befehle, die auf diesem Wege befördert werden sollten, waren unbestellbar. Auch auf unsere Ordonnanzreiter ward geschossen. Einem derselben ward inmitten der Kantonements zwischen Thillay und Gonesse ein Pferd verwundet. Der Feind, der einen Ausfall im großen Maßstabe plante, hatte gute Verbindung mit den wenigen Einwohnern, die in unseren Kantonements zurückgeblieben waren. Um acht Uhr früh ertönte das Alarmsignal. Ich ward vom Generalkommando benachrichtigt, Dugny werde angegriffen, ich solle eine Batterie dorthin zur Unterstüßung senden. Sofort bestieg ich das gesattelte Pferd, sandte Braumüller in das Hauptquartier, etwaige weitere Befehle für mich in Empfang zu nehmen, sandte Leutnant v. Kaas nach Thillay, die beiden reitenden Batterien in die Positionen zu beordern, und dann nach Louvres, von der Kolonnen-Abteilung drei Munitionskolonnen nach der Patte d'oir zu holen, und begab mich zunächst nach der Malmaison-Ferme, die beiden Batterien unter Meyer zu alarmieren. Dort fand ich die Reserve des Obersten v. Neumann, sieben Bataillone und drei Batterien, und führte persönlich eine davon, Hauptmann v. Prittwig II, begleitet von dem mittlerweile zum Obersten und russischen Flügeladjutanten avancierten

Doppelmair, nach Dugny in die gestern rekognoszierte Position und wies sie an die Befehle des in Dugny kommandierenden Majors v. Bülow. Ich hoffte Zeuge zu sein, wie sich die Franzosen an Dugny die Köpfe einrennen würden. Aber es erfolgte dort kein Angriff. Der Feind war wieder verschwunden.

Enttäuscht wandte ich mich zum Generalfommando zurück, das nach der mir zugegangenen Mitteilung in der Nähe der Positionen der Korpsartillerie an der Route de Lille seine Aufstellung nehmen wollte. Zur Abkürzung des Weges ritt ich von Dugny querfeld über eine Höhe, welche an anderen Tagen laut Befehl der 2. Garde-Division nicht betreten werden durfte, weil sie in Sicht und Schußbereich des Forts von St. Denis lag. Da der Kampf doch allerseits entbrannt war, kam es nicht darauf an, hierher noch einige Granaten zu locken. Ich sagte zu Doppelmair, wir würden wohl eine oder zwei Granaten erhalten, aber wir wollten das, angesichts der bedeutenden Abkürzung des Weges, riskieren. Als wir uns der Höhe näherten, seßten wir uns über die gefährdete Stelle in Galopp. Da fiel eine höchst komische Szene vor. Unsere Pferde galoppierten nur mit Mühe, denn der Frost begann oben auf dem durchweichten Felde eine Kruste zu bilden, durch die die Pferde noch durchbrachen. Unser Tempo war daher nicht sehr schnell. Mit einem Male fauste eine feindliche Granate herbei, schlug bei Doppelmair ein, platte und verhüllte ihn in eine Wolke von Pulverdampf. Aus dieser Donnerwolfe schoß alsbald das „klapprige Aas", wie Doppelmair dieses von ihm nicht sehr geliebte Pferd nannte, schräg heraus, stieß durchgehend an die Vorderbeine meines Pferdes, so daß dieses vorn zusammenbrach und sich nur mit Mühe wieder aufrichtete. An der linken Seite des anderen Pferdes aber hing der Reiter, mit den Händen in Mähne und Sattelknopf, mit dem rechten Bein am Löffel angeklammert, mit dem Kopf nach unten kraftlos schwankend. „Um Gotteswillen", rief ich,,,Doppelmair, haben Sie eins abgekriegt?" Nein", rief er mit beklommenem Atem und in russisch-deutschem Dialekt, geht er mir bloß durch." Lachend, und in meiner Angst um ihn erleichtert, parierte ich mein Pferd. Das klapprige Aas", das von Mutter Natur nicht mit allzuviel Gehlust ausgerüstet war, kam zu meinem Pferd zurück. Ich verhalf dem Reiter wieder in den Sattel, und nachdem uns noch eine minder gut gezielte Granate zugesandt war, setten wir unseren Weg fort. Auf dem bezeichneten Punkte fand ich den Prinzen von Württemberg mit seinem Stabe.

"

Es war nämlich unterdessen folgendes vorgefallen. Bald nachdem Dugny gemeldet hatte, daß es angegriffen werde, hatte Bourget gemeldet, daß von Drancy und Aubervilliers her zwölf feindliche Bataillone

« ZurückWeiter »