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In dieser Zeit hat Rußland den Pariser Frieden gekündigt, und zwar den Artikel desselben, nach welchem es gebunden war, keine Kriegsschiffe im Schwarzen Meere zu bauen.*) Wir hatten, ich kann es nicht leugnen, einen gewissen Schrecken bei der Nachricht hiervon bekommen, denn wir fürchteten, dadurch werde Rußland mit England und Österreich in Krieg geraten, Englands für Frankreich bisher schon wohlwollende Neutralität werde in offene Feindschaft gegen uns verwandelt werden, und Österreichs bisher zurückgehaltene Feindschaft werde ausbrechen, wir dann für Rußland die Kastanien aus dem Feuer holen, wie 1807, 1813 und 1815. Aber meine Besorgnisse wurden hier zerstreut. Rußland hatte sich mit Österreich und England vorher verständigt, war mit der Türkei einig, und der Kaiser Alexander gab uns die Aufklärung für seine diplomatische Aktion. Denn er hatte, besonders seit der Reise von Thiers nach Petersburg, so viel Widerstand im eigenen Lande gegen seine Freundschaft für Preußen erfahren, daß er durch einen dem russischen Vaterlande erwachsenden Nußen der Nation darzutun für nötig hielt, daß seine preußenfreundliche Politik nicht Sentimentalitätspolitik sei, sondern Rußland materiellen Nußen bringe.

Am 19. November fuhr ich mit dem Prinzen von Württemberg von Versailles nach Gonesse zurück. Schon während des ganzen Aufenthalts in Versailles hatte ich mich infolge der Erschütterung beim Umwerfen. mit dem Wagen sehr elend gefühlt, aber mit aller Willenskraft dieses Gefühl überwunden; die kalte, ausgefrorene Wohnung in Versailles, in der es nur Kamine gab, welche von den sparsamen alten Schachteln täglich nur mit wenig Hölzchen gespeist wurden, dann die fortwährende Erregung, welche stets entsteht, sobald man vorübergehend aus seinem gewohnten Wirkungskreise in eine weiter umfassende Sphäre gelangt, hatten mein erschüttertes Nervensystem nicht beruhigt. Als ich nachmittags in Gonesse aus dem Wagen stieg, konnte ich nicht mehr gehen. noch stehen, sondern mußte zu Bett getragen werden. Der Arzt glaubte erst, es mit einem Typhusanfall zu tun zu haben. Aber absolute Ruhe. stellte mich bald wieder her. Am 23. November konnte ich wieder mit meinen Ritten zu den Truppen usw. beginnen. Glücklicherweise hatte. ich nichts versäumt, denn die Tätigkeit des Feindes war in dieser Zeit vor unserer Front gleich Null und brachte mir keine Arbeit.

*) Der Friede von Paris am 30. März 1856 beendete den Krimkrieg, durch den Rußland Bessarabien und seine Kriegsflotte im Schwarzen Meer einbüßte und der Einfluß Frankreichs in Europa vorherrschend geworden war.

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Vom 20. November bis 20. Dezember. — Truppenwechsel. — Ausfallanzeichen. 325

Vom 20. November bis 20. Dezember. In dem legten Drittel des Monats November war die Witterung recht ungesund. Mildes Regenwetter wechselte mit Frost und Schnee ab.

Truppenwechsel. Die Ulanen-Brigade, welche bis jest nach der Normandie vorgeschoben war, rückte bei der Garde-Kavallerie-Division ein. Sie bedurfte sehr der Erholung, denn sie war in fortwährender Bewegung gegen Franktireurs und neu gebildete Truppen gewesen. An ihre Stelle trat die ganze Sächsische Kavallerie-Division. Statt dieser übernahm die Dragoner-Brigade, die jest wieder komplettiert und dienstfähig war, mit einem Bataillon und einer Batterie, Planit, die Rückendeckung nach Norden und trat am 24. von Creil und Chantilly aus in Verbindung mit der Armee Manteuffels, der am 27. den General Farre bei Amiens entscheidend schlug, Stadt und Zitadelle am 28. nahm und so für die nächste Zeit den Entsaßversuchen von Norden her ein Ziel sezte. Die Rückkehr der Ulanen-Brigade zum Korps verschaffte mir die Freude, meinen Bruder wiederzusehen. Er hatte persönlich durch die Tag und Nacht anhaltende Unruhe, die ihn zwei Monate lang in Atem erhalten, viel gelitten, auch einen Anfall von Gelenkrheumatismus gehabt und sein Erholungsquartier in Grand-Tremblay recht nötig.

Ausfallanzeichen. Gegen die lezten Tage des Monats kündete sich seitens der Franzosen ein Ausfall an. Eine kleine Festung kann den Angreifer durch Ausfälle überraschen. Solche Ausfälle werden nur von wenigen Bataillonen oder gar Kompagnien unternommen, die schnell über den Feind herfallen und wieder verschwinden können. Anders steht es mit einer Festung von der Größe von Meß oder gar Paris. Hier betrug die Zernierungslinie 1111⁄2 deutsche Meilen, fast 90 Kilometer. Die Einschließungs-Armee war jest sieben Armeekorps, also über 200 000 Mann stark. Einen nachhaltigen Erfolg konnte man gegen irgendwelchen Punkt der Einschließungslinie, die überall stark befestigt war, nur dann hoffen, wenn man mit einer Armee ausfiel, die bei der schlechten Beschaffenheit der französischen Truppen doch mindestens 100 000 bis 150 000 Mann stark sein mußte. Eine solche Armee bringt man aber nicht an einem einzigen Tage aus den Toren von Paris. Auch erfordert die Operation mannigfache Vorbereitungen, die nicht verborgen. bleiben. Einzelne Deserteure stellten sich täglich bei uns ein. Da erfuhren wir, wenn die Armee in Paris Verpflegung auf mehrere Tage empfing. Dies fand gegen Ende November auf sechs Tage statt. Die Operations-Armee in Paris war, nach den Pariser Zeitungen, auf 150 000 Mann gebracht, man sah Truppenbewegungen, aber man konnte.

nicht mit Bestimmtheit sagen, ob sich der Ausfall gegen Norden, Süden oder Osten richten werde.

Gefechte und Schlachten vom 30. November bis 3. Dezember. Ein Ausfall gegen Norden hätte dem General Farre die Hand gereicht, ein solcher gegen Süden oder Osten konnte eine Verbindung mit dem von Orléans heranrückenden Aurelle bezwecken. Da sich beide Generale um diese Zeit Paris näherten, so lieferte die gleichzeitige Tätigkeit innerhalb der Stadt den Beweis, daß sie noch in Verbindung mit dem Lande war. Die ersten Bewegungen waren gegen Norden gerichtet. Sei es, daß dies nur Scheinbewegungen waren, um uns zu verleiten, dorthin Truppen zusammenzuziehen und uns an anderen Punkten zu schwächen, sei es, daß der Feind erst auf die Nachricht von der Niederlage von Amiens die Richtung nach Norden aufgab, kurz, er wandte sich am leßten November gegen Osten und ward in der mehrtägigen Schlacht von Villiers, Bry und Champigny geschlagen; einen Tag darauf hatte Aurelle dasselbe Schicksal, und der Großherzog von Mecklenburg nahm Orléans.*)

Von diesen Ereignissen im großen und ganzen wurden wir im speziellen folgendermaßen betroffen. Am 28. November machte der Feind Miene, bei Bezons überzugehen, stand aber davon ab. Am 29. wurden wir alarmiert. Ein Ausfall gegen das IV. Armeekorps ward mit so wenig Energie unternommen und so leicht abgewiesen, daß die Armee die überzeugung gewann, man wolle uns hier nur fesseln. Deshalb ward noch selbigen Tags das Weitere angeordnet, um unsere Stellung zu schwächen und zunächst einen Teil der Sachsen zu den Württembergern nach Osten rücken zu lassen. Wir hatten uns also nicht täuschen lassen. Am 30. November machte der Feind einen Scheinangriff nach Süden gegen den Mont Mesly und L'Hay und einen ersten Angriff gegen Villiers. Unterdessen überfielen nachmittags die Franzosen unsere Vorposten des IV. Korps in Epinai vor St. Denis. Es hatte wieder, wie täglich, eine Brigade vor St. Denis ererziert. Man hatte das gesehen, aber nichts dagegen getan. Mit einem Male rannte sie auf Epinai los und überwältigte mit sechs Bataillonen die beiden Kompagnien, die dort auf Vorposten standen. Das IV. Armeekorps beschoß den siegreichen Feind aus zweiundvierzig Geschüßen und ließ dann sieben

*) Am 30. November erste Schlacht bei Villiers, am 2. Dezember zweite Schlacht bei Villiers, bei Brh und Champigny, Ausfall der Pariser EinschließungsArmee auf der Ostfront von Paris. Am 2. Dezember bei Loigny-Poupry, am 3. und 4. bei Orléans.

Kompagnien zum Angriff vorrücken und den Feind wieder zurücktreiben. So war das Verhältnis des Werts der Truppen! Gambetta verwechselte dies Epinai mit dem bei Fontainebleau gelegenen und trompetete in Frankreich einen Sieg der Pariser Armee und einen gelungenen Durchbruch derselben nach Süden aus. Unser Armeekommando ließ sich durch diesen Ausfall nicht irre machen. Im Gegenteil wurde durch die Gefangenen jezt ganz bestimmt festgestellt, daß der Feind seinen Hauptangriff gegen Osten richte, und das ganze XII. Armeekorps ward zú den Württembergern gesandt. Wir mußten die ganze bisherige Zernierungslinie der Garden und Sachsen allein beseßen. Zum Schlagen famen wir in diesen Tagen nicht.

Mit der größten Spannung sahen wir aus weiter Ferne dem verzweifelten Kampfe zu, der in den ersten Dezembertagen in unserer Nachbarschaft tobte. Wir konnten natürlich von den Einzelheiten nichts erkennen. Nur der in Wolken von Pulverdampf eingehüllte Horizont und der laute Donner des schweren und leichten Geschüßes verkündeten uns über die schneebedeckten und hartgefrorenen Felder hinweg die Heftigkeit des Kampfes (es war wieder Frost eingetreten). Ich sah mit dem Fernrohr teils von der Höhe von Stains, teils von der von Pierrefitte, teils sogar von dem Dache meines Hauses in Gonesse dem Kampfe zu. Der Mont Avron war in Pulverdampf gehüllt. Ich wußte gar nicht, was das zu bedeuten habe. Jest weiß jeder, daß die Franzosen durch meinen Freund, den Obersten Stoffel, dort eine formidable Festungsartillerie im geheimen placiert hatten, die das Schlachtfeld in der Flanke bestrich. Drei Tage dauerte der heftige Kampf. Je länger er währte, desto sicherer war uns der Sieg, denn desto mehr Zeit war uns gewährt, auf der weiten Einschließungslinie Verstärkungen an die bedrohten Punkte zu bringen. Es ist bekannt, daß der Löwenanteil an dem zähen. Widerstande gegen die übermacht den Sachsen*) und Württembergern zufällt, und daß die Pommern durch ihr rechtzeitiges Erscheinen auf dem Schlachtfelde den Kampf in einen Sieg verwandelten.**) In der Nacht vom 3. zum 4. Dezember zogen sich die Franzosen in die Festung zurück. Diese Tage waren für uns von der größten Aufregung. Wenn auch die sichere Haltung unserer obersten Heeresleitung und die Zuversicht, mit der sie nic von einer Möglichkeit des Rückzugs sprach, uns nicht im Zweifel über den schließlichen Ausgang des Kampfes ließ, so ist doch das

*) Das Sächsische Schüßen-Regiment verlor alle Offiziere in dieser Schlacht. **) In dieser Schlacht von Champigny am 2. Dezember führte auf deutscher Seite General v. Fransecky den Oberbefehl. Vgl. Denkwürdigkeiten des Generals v. Fransecky S. 537 ff.

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Zuschauen bei so langem Kampfe weit nervenanspannender als die Beteiligung daran. Und wir mußten untätig bleiben! Hatte doch ein jeder seinen Posten, den er nicht verlassen durfte, weil der Feind auch hier ausbrechen konnte. Aber es blieb vor uns alles still.

Bei dem langen Warten in den Stellungen vertrieben sich unsere Leute die Zeit mit Betrachtungen und Wißen. Während der Kanonade vom 30. November sagte ein Kanonier: „Wenn ich man wüßte, warum. die Franzosen immer Ende des Monats Händel anfangen.“ „Na, das is flar", sagte der andere, „damit sie am Ersten weniger Traktament zu zahlen haben."

Vorbereitungen gegen den Mont Avron. Nachdem Ducrot*) trog seines Versprechens, nur tot oder als Sieger nach Paris zurückzukehren, dort lebendig und geschlagen wieder eingezogen war und unsere von Meß angekommenen Heere die zum Entsaß heranziehenden Armeen Ende November und Anfang Dezember geschlagen hatten, verhielten sich die Pariser ruhig bis gegen Weihnachten, um welche Zeit Faidherbe**) von Norden her neue Massen Menschen gesammelt und bewaffnet hatte und damit einen Entsag der Hauptstadt versuchte.

Bei uns nahmen nach den Kämpfen des 30. November und 2. Dezember die Truppen wieder die Zernierungsposition ein, wie sie sie vorher gehabt hatten. Das Wetter wurde immer ungünstiger, Regen und Schnee abwechselnd, und die Truppen litten an Ruhr und Fieber.

Sobald ich Erlaubnis erhielt, ritt ich nach Livry und Clichy, um den Mont Avron zu refognoszieren. Der Feind hatte ihn mit einer großen Menge gezogenen Geschüßes versehen und dahinter eine nicht unbedeutende Truppenmasse im Lager. Man konnte die Biwaksfeuer sehen. Wozu man dort zwischen den bewohnten Orten im ungünstigsten Winterwetter Lager bezog, war mir rätselhaft. Jedenfalls mußte der Feind dabei viel Verluste haben. Der Mont Avron konnte aus der Gegend von Raincy, allerdings nur mit schwerem Belagerungsgeschüß, in Flanke und Rücken gefaßt werden.

Die oberste Heeresleitung faßte jetzt auch den Entschluß, den Feind nicht länger auf dem Mont Avron zu dulden, weil er von dort aus den Ausfall gegen Osten unterstüßen konnte. Oberst Bartsch wurde zum Kommandeur der Belagerungsartillerie der Maas-Armee ernannt und

*) General Ducrot befehligte die Pariser Ausfall-Armee am 30. November und 2. Dezember.

**) Nach der Schlacht von Amiens hatte Faidherbe für den Stabschef Farre den Befehl über die französische Nordarmee übernommen.

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