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Tagen, bei Coulmiers geschlagen worden, und wenn auch Aurelle de Paladines mit seiner Armee, die auf 200 000 Mann angegeben wurde, in Orléans Halt gemacht hatte, so konnte er doch jeden Augenblick seine Offensivbewegung zur Befreiung von Paris fortsetzen, und es war die Frage, ob der Prinz Friedrich Karl mit seinen drei Armeekorps von Mez her zur rechten Zeit werde eintreffen können, um den Großherzog von Mecklenburg und die 40 000 Mann zu unterstüßen, die diesem nur zur Disposition gestellt werden konnten, um Aurelle aufzuhalten. Unter diesen Umständen zögerte man bei der obersten Heeresleitung mit der Heranschaffung von Belagerungsgeschüß, das im Falle einer Aufhebung der Einschließung nicht so schnell wieder fortzuschaffen war.

Aber das war nicht der einzige Gegenstand lebhafter Diskussionen. Die Meinungen waren darüber, ob man eine Stadt wie Paris belagern solle oder nicht, sehr geteilt. Der König meinté mit seiner einfachen Logik, wenn man den Krieg siegreich zu Ende führen wolle, müsse man das feindliche Heer schlagen und die feindliche Hauptstadt einnehmen. Sei sie eine Festung, so müsse man sie belagern. Moltke sprach nie von der Stadt Paris", sondern nur von der „Festung Paris".

War man auch über das „Ob“ noch nicht zum Entschluß gekommen, so hatte man hingegen schon über das „Wie" debattiert. Die Ideen darüber, wo die Angriffsfront zu wählen sei, gingen aber noch weiter auseinander, wurden auch wohl im geheimen oder unbewußt zum Teil durch den Widerwillen gegen den Belagerungskrieg überhaupt beeinflußt, und nachdem man über die Wahl der Angriffsfront lange debattiert, erst St. Denis, die einzig richtige, auf Befehl des Königs, dann die Ostfront gewählt und verworfen hatte, einigte man sich durch einen seltsamen Kompromiß auf diejenige Front, die niemand vorgeschlagen hatte, weil sie die stärkste war und von unseren rückwärtigen Verbindungen am weitesten entfernt lag, die Linie Issy-Vanves-Montrouge.*) Der Kriegsminister v. Roon sagte mir, er sehe ein, daß man Paris beschießen müsse, aber über das „Wie“ sei er noch ganz im unklaren. Ich entgegnete ihm, das könne doch dem Könige nicht schwer fallen und sei sehr einfach, er brauche es nur zu machen wie 1864 vor Düppel. Erstaunt fragte mich Roon, wie ich das meine. Je nun", entgegnete ich ihm, „damals wurden auch viele Wenn und Aber gegen die Belagerung von Düppel geltend gemacht. Da hatte der König zu Hindersin gesagt: »Ich muß Düppel haben. Gehen Sie hin und holen Sie sich die Stellung zines Generalinspekteurs der Artillerie.« Jett braucht der König ihm

*) D. h. die Südwestfront.

nur etwas ähnliches zu sagen. Hindersin wird's so schon machen." Roon sah mich lange an und sagte bedeutungsvoll: „Geschrieben ist diese Ordre schon, aber leider noch nicht unterschrieben.“ Dabei seufzte er. Die volle Bedeutung dieser Worte sollte mir fünf Wochen später klar werden. Jezt sah ich nur so viel, daß der König sich noch nicht entschlossen hatte; vielleicht wollte er nicht eher das entscheidende Wort sprechen, als bis die Entsat-Armeen geschlagen seien. Denn auch von Norden bildete sich eine Armee unter Bourbaki und Farre*) zum Entsaße von Paris, und man wußte nicht, ob Manteuffel von Metz her zur rechten Zeit eintreffen werde, denn Verdun hatte erst am 8. November kapituliert.

Soweit die Auffassung in den entscheidenden Kreisen. In einem Hauptquartier, wie das des Königs in Versailles war, gibt es aber noch viele andere Kreise, die, wenn auch nicht entscheidend, so doch einer vorwaltenden Meinung Ausdruck geben und gelegentlich dieser Meinung an der entscheidenden Stelle wenigstens Gehör, wenn auch nicht gerade Folgeleistung zu verschaffen wußten. Da war zunächst die militärische Umgebung des Königs, seine General- und Flügeladjutanten. Sie gehörten fast ausnahmslos zu denjenigen, welche wünschten, daß bald mit Belagerungsgeschütz gegen Paris geschossen werde. Das Zivilkabinett des Königs gab dem Drängen der heimatlichen Stimmung in Deutschland Ausdruck, wo man, in Privatbriefen wie in den Zeitungen, ungeduldig ward und sich entrüstet darüber zeigte, daß die Söhne Deutschlands sich täglich aus Paris beschießen lassen sollten und nicht wiederschießen durften. Dann war die tägliche Gesellschaft des Königs, nämlich sein Schwager, der Großherzog von Weimar, und sein Schwiegersohn, der kluge, aber schweigsame Großherzog von Baden, der nie sprach, wenn er nicht gefragt wurde. Diese beiden Herren saßen mittags und abends rechts und links vom König. Ihm gegenüber saß gewöhnlich der Bruder, Prinz Carl, der gern einen Wiß machte. Die große Menge im Hauptquartier des Königs und des Kronprinzen dem Kriege beiwohnender Häupter und Mitglieder der in Deutschland regierenden Fürstenhäuser aß täglich im Hotel Réservoir in Versailles zu Mittag, wo ihre Gespräche

*) Zunächst hatte Bourbaki den Befehl über die sich im Norden Frankreichs bildenden Streitkräfte erhalten. Er war in den Schlachten bei Mey Kommandeur der Kaiserlichen Garde und hatte sich aus Meß mit Genehmigung der deutschen Heeresleitung nach London begeben, um mit der Kaiserin Eugenie über einen eventuellen Frieden zu unterhandeln, und dann später der neuen französischen Regierung zur Verfügung gestellt. Ende November wurde Bourbaki bei der bei Orleans befindlichen Armee verwendet und sein bisheriger Stabschef, General Farre, übernahm vorläufig das Kommando im Norden.

oft nicht unbelauscht waren. Diese deutsche Fürstenversammlung war beim Vormarsch gegen Paris immer einen Tagemarsch hinter dem Hauptquartier des Königs instradiert worden. Hier führte der Herzog von Coburg das Wort und blieb damit nicht ohne Einfluß auf die Stimmung der Gesamtheit.

In demselben Saale des Hotel Réservoir, wie die deutschen Fürsten, speiste der gesamte Generalstab des großen Hauptquartiers, Moltke an der Spite, aber an einem besonderen Tische. Die Fürsten dinierten um fünf Uhr, der Generalstab um sechs Uhr, also fand Moltke, wenn er zu Tische kam, immer die deutschen Fürsten beim Essen, und er mußte an ihrer Tafel entlang gehen. Es war ein eigentümlicher Anblick, zu sehen, daß diese regierenden Herren sich jeden Mittag, sobald Moltke in den Saal trat, in ihrem Essen unterbrachen, aufstanden, ihm eine Verbeugung machten, bis er vorbei war, und das alles ohne Verabredung.

Der Generalstab unter Moltkes Leitung war durchaus Moltkes Ansicht. Es herrschte dort eine Objektivität vor, die man nicht genug bewundern konnte. Alle diese Fragen, bei denen das Leben von Hunderttausenden, das Wohl Deutschlands und Frankreichs auf dem Spiele stand, wurden mit derselben Ruhe behandelt, mit der man sich beim Kriegsspiel, bei einer Partie Schach oder beim Whist entschließt. Moltke, der immer nur Fragen löste", sagte mir beim Gespräch über die Situation des Augenblicks: Sehen Sie, wir leben jezt in einer sehr interessanten Zeit, wo die Frage praktisch gelöst wird, was vorzuziehen ist, geschulte Heere oder Milizen. Gelingt es den Franzosen, uns aus Frankreich herauszuwerfen, führen alle Mächte das Milizsystem ein, bleiben wir Sieger, dann machen uns alle Staaten die allgemeine Dienstpflicht bei stehenden Heeren nach."

Der große Stratege und Träger der Objektivität spielte in der Tat auch jeden Abend Whist. Nach Tische wurden ihm die eingegangenen Meldungen und verfaßten Konzepte vorgelegt. Wenn er seine Entscheidungen gegeben hatte, spielte er, während die Reinschriften gefertigt wurden, Whist, und am Whisttisch unterschrieb er die wichtigsten Instruktionen und Armeebefehle. So hatte er es im ganzen Feldzuge gehalten. Nur in der Zeit vom 25. August bis 2. September hatten die Tag und Nacht einlaufenden Meldungen und stets nötigen Änderungen der Entschlüsse so viel Arbeit verursacht, daß keine Zeit zum Whist blieb. Als aber am 2. September Napoleon kapituliert hatte, sagte in Vendresse Moltke abends zu den Herren seiner Umgebung: „Nachdem dieser störende Inzidenzpunkt beseitigt ist, dächte ich, könnten wir unsere Whistpartie wieder aufnehmen." Ihm war also die Schlacht von Sedan mit ihren Prinz zu Hohenlohe, Aufzeichnungen. ' IV.

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Einleitungen ein störender Inzidenzpunkt seines Whists. Ich fragte ihn jest, ob diese Anekdote wahr sei, und er sagte schmunzelnd, er könne sie nicht bestreiten, übrigens sei ihm das Whistspiel Bedürfnis, damit sein Geist nicht bei der ewigen Beschäftigung mit militärischen Dingen erLahme.

Bei meinen Konversationen in allen diesen Kreisen konnte ich natürlich mit meiner persönlichen Meinung nicht zurückhalten, um die ich jedesmal gefragt wurde, da ich in artilleristischen Dingen, also auch in Angelegenheiten einer Belagerung, Bescheid wissen müsse. Ich wies jedes Gewicht einer artilleristischen Betrachtung als ganz unerheblich zurück und erklärte aus zwei anderen Gründen eine Anwendung von dem französischen Festungsgeschüß ebenbürtigem oder überlegenem Geschüß für eine unabweisliche Notwendigkeit, nämlich erstens, weil die Franzosen in der Masse nicht eher glauben würden, daß wir vor den Toren von Paris drohend gestanden hätten, als bis unsere Granaten mitten zwischen ihnen auf dem Straßenpflaster plaßten. Denn schon machten die Zeitungen der eitlen Volksmasse mit dem Gefühl der Unbesiegbarkeit weiß, wir erlitten eine Niederlage nach der anderen, und eine Zeitung brachte sogar die Erzählung, Napoleon habe sich in seinem Siegeszuge bis Sedan bei Berlin unvorsichtig vorgewagt und sei dort in einen Hinterhalt gefallen und gefangen. Diese Mär fand Glauben in Paris. Der zweite Grund war der, daß ich es für eine Pflicht der obersten Heeresleitung gegen den gemeinen Soldaten hielt, seine Treue und Ausdauer, mit der er täglich auf Vorposten im Feuer der französischen Forts aushielt, durch das Feuer gleichwertiger Kanonen zu stüßen und seine Leiden durch eine kräftige Wirkung auf den Feind zu rächen. Ich war noch zu sehr erfüllt von dem täglichen Anblick unserer auf Vorposten vor den Forts stehenden Soldaten, die die schweren Brummer" auf sich kommen. sahen, um bei diesem Thema nicht in Eifer zu geraten. Wenn ich dann meine Ansicht mit aller der Wärme verfocht, die mir das bisherige lange Warten in der Kälte beigebracht hatte, dann sah ich bei allen denen freudige Gesichter, die für das Schießen gegen Paris eingenommen waren, und der gegenwärtig vorübergehend aus Petersburg anwesende, beim russischen Kaiser kommandierte Oberst v. Werder, mein alter Freund und Kollege als Flügeladjutant Friedrich Wilhelms IV., reichte mir mit Wärme die Hand und sagte: „Sie sind der rechte Mann." Alles das nahm ich damals als eine flüchtige Meinungsäußerung auf. Die Überzeugung, daß ich damals mir selbst unbewußt nach Versailles gerufen war, um mich auszufragen, kam mir erst fünf Wochen später. Es spricht dies alles für die Umsicht und Vorsicht des Königs. Er wollte,

wenn er zur Beschießzung von Paris schritte, dazu nur jemanden auswählen, von dem er wußte, daß er es auch aus überzeugung und gern tue.

Der König selbst führte in Versailles ein wenig beneidenswertes Leben. Die militärischen Begebenheiten, denen er beiwohnen konnte, waren dort selten. Der Tag verging unter Geschäften. Um zehn Uhr morgens war Militärvortrag, den Moltke hielt. Albedyll, Boyen, Roon, Podbielski und der Kronprinz, wenn die Tätigkeit seiner Armee ihm dies gestattete, wohnten dem Vortrage bei. Das hat man fälschlich Kriegsrat genannt. Aber Kriegsrat ist nie gehalten worden. Der König hörte Moltke und Roon an, fragte auch wohl den einen oder den anderen und entschied dann, zuweilen gegen. die Meinung aller. Hatte er die Entscheidung als König gegeben, dann duldete er keinen Widerspruch mehr. Außerdem hatte er den Vortrag des Zivilkabinetts über alle inneren Angelegenheiten und dann den des Bundeskanzlers v. Bismarck. Soweit ihm diese Beschäftigungen und die Korrespondenzen Zeit ließen, sah er wohl durchmarschierende Truppen, Lazarette, tröstete Verwundete, half ihnen, wo und wie er konnte, fuhr auch in die Positionen der vordersten Linic. Mittags fünf Uhr wurde gegessen. Seine engere Umgebung aß bei ihm. Rechts saß der Schwager, links der Schwiegersohn. Nach dem Essen las der König, was einging, und abends neun Uhr zum Tee hatte er dieselbe Gesellschaft wie mittags. Hier und da wurden andere Leute eingeladen, die in Versailles waren. Aber die gewohnte geistige Anregung durch täglich wechselnde andere Menschen, wie in der Heimat, fehlte ihın ganz, und Vergnügungen gab es nicht. Als er daher eines Tages nach der Mahlzeit an mich herantrat und mit mir plauderte, erzählte ich ihm zu seiner Zerstreuung Dinge, die im Feldzuge vorgefallen waren, wie der im Rauchfang versteckte Schinken und Speck in Brand gerieten, von dem frommen Mann, der die Liebesgaben selbst ausgetrunken, von dem ein Schwein fangenden Sohn Bismarcks, und er lachte nicht nur herzlich, sondern nahm mich auch beiseite, halbe Stunden lang, und ich sollte ihm immer mehr erzählen. Aller Augen waren auf mich gerichtet, wie da der König mit mir allein verhandelte, und nachher gratulierte mir alle Welt zu meiner neuen Gunst. Ich wußte von nichts, tat aber zum Spaß geheimnisvoll. Als wir auf dem Rückzuge nach Gonesse waren, fragte mich der Prinz von Württemberg, ob ich ihm als seinem Vorgeseßten nicht anvertrauen wollte, welche Geheimnisse ich mit Seiner Majestät verhandelt, und als ich ihm alles erzählte, lachte er herzlich und sagte, da sehe man, wie Gerüchte entständen. Er mochte wohl Grund haben, an solche Gerüchte zu glauben.

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