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Erde um sich herumgeschleudert. Da waren Menschen und Pferde so mit gelber Erde bedeckt, daß man keine Farbe der Uniform sehen konnte und die Leute aussahen wie die Arbeiter Oberschlesiens, die aus den Galmeigruben*) zurückkehren. Auf meine Frage nach den Verlusten erhielt ich die frohe Auskunft, daß nicht ein Mann und nicht ein Pferd verleßt sei. Sie konnten in der Tat lachen, diese Batterien.

Denn ganz anders betrübend waren die Verluste der Infanterie an diesem Tage. 34 Offiziere und 433 Unteroffiziere und Soldaten waren tot oder verwundet, also 9 Offiziere und 9 Mann mehr, als das ganze Gardekorps in der Schlacht von Sedan verloren hatte. Davon entfielen auf das Regiment Elisabeth, das in Kolonnen im ersten Treffen gegen die Nordfront des Dorfs geführt worden war, allein 19 Offiziere und 263 Mann, und auf das Alexander-Regiment 37 Mann, auf das FranzRegiment 3 Offiziere und 54 Mann, welche beiden Regimenter, ganz in Schwärmen aufgelöst, den Sturm ausgeführt hatten: eine drastische Kritik der Kolonnentaktik. Die drei Kompagnien der Garde-Schüßen hatten im Häuserkampf wieder alle ihre Offiziere verloren. Auch der fleine junge Herr v. Haugwiß, der bei St. Privat als Fähnrich zulezt das Bataillon kommandiert hatte und seitdem Offizier geworden war, lag als Leiche da. Das Verhältnis des Verlusts an Offizieren zu dem an Leuten ist erschreckend. Wir hatten nur 1 Offizier auf 120 Mann, verloren aber 1 Offizier auf 12 Mann, also im Verhältnis zehnmal so viel Offiziere als Mannschaften. Das kam daher, weil die Offiziere sich nie mit niederlegten, wenn dies den Leuten befohlen ward. Ein Korpsbefehl erteilte darüber den Offizieren einen ehrenden Tadel.

Der Verlust der Franzosen an Toten und Verwundeten ist dem unsrigen wohl ziemlich gleich gewesen, die zuverlässigen Angaben fehlen darüber. 1200 Gefangene wurden zurückgebracht. Mehrere Tausende müssen sich also aus dem Ausgange nach St. Denis zu, dem einzigen, der von unseren Truppen nicht gleich beim Beginn versperrt war, geflüchtet haben, denn Ducrot gibt die Besaßung von Le Bourget auf acht Bataillone an. Das Bataillon Franktireurs de la Presse wurde vernichtet, ein großer Teil davon wurde gefangen. Unter den Gefangenen befanden sich ferner Mannschaften des alten Gardekorps, die zur Bildung von Regimentern verwendet waren, und einige Mobilgarden-Bataillone.

Interessant ist das Stärkeverhältnis in diesem Kampfe. Unserseits wurden dazu acht Bataillone Infanterie, drei Kompagnien Schüßen,

*) Galmei ist ein bergmännischer Name für Gemenge von Kieselzinkerz und Zinkspat.

eine Kompagnie Pioniere verwendet, zusammen neun Bataillone. Französischerseits verteidigten acht Bataillone den Ort, fünf Bataillone rückten aus Drancy, sechs Bataillone aus St. Denis zur Hilfe heran. Dadurch, daß die fünf Bataillone aus Drancy durch zwei Kompagnien und zwei Batterien in Schach gehalten, die sechs Bataillone aus St. Denis durch einige Granaten zur Umkehr genötigt wurden, konnten unsere Truppen im Kampfe im Orte selbst ein geringes übergewicht an Zahl gewinnen. Es fehlen genaue Stärkeangaben über die französischen Bataillone.

Während des Kampfes waren der Montmartre und die Werke von St. Denis mit einer ungeheuren Masse von Zuschauern bedeckt. Die glänzende Niederlage konnte in Paris nicht verheimlicht werden und machte einen mächtigen Eindruck auf die Bevölkerung. An demselben Lage kam dorthin die Nachricht von der Kapitulation von Metz, die schon Tags zuvor bei uns bekannt war. Jest ward die Bevölkerung gegen ihre Regierung der Nationalverteidigung erbittert, und ein allgemeiner Aufruhr stellte innerhalb der Stadt unmittelbar darauf alle Ordnung in Frage, wie wir aber erst später erfuhren, und wie jest allgemein ge schichtlich bekannt ist.

Zunächst war die Folge dieses Kampfes die, daß für die nächsten fieben Wochen Le Bourget vom Feinde in Ruhe gelassen wurde.

Die Kritiker haben sehr verschiedene Urteile über dieses Gefecht gefällt. Ein englischer Korrespondent der „Times", der aus Versailles schrieb, wie man dort allgemein redete, verglich die Erstürmung von Le Bourget mit der unsinnigen Attacke Cardigans im Krimkriege und nannte sie ein Infanterie-Balaklawa.*)

Unsere höheren und maßgebenden Autoritäten, der König und Moltke, erklärten die Wiedereroberung von Le Bourget für notwendig. Der König schrieb dies dem Prinzen von Württemberg in einem Privatbriefe. Mir gegenüber sprach sich später Moltke ebenso aus und motivierte sein Urteil ausführlich. Er sagte, wenn man eine Position längere Zeit verteidigen wolle, so müsse man Beobachtungstruppen, Vor

*) Balaklawa ist ein kleiner Hafenplay in der Krim, der bei der Belagerung Sebastopols 1859 eine Rolle spielte. Am 25. Oktober fand hier ein größeres Gefecht statt, wobei die Russen eine Anzahl englischer Geschüße eroberten. Ihnen diese wieder abzunehmen, wurde die leichte Kavallerie-Brigade Cardigan vorgesandt, die mit 600 Reitern vorgehend zwar die russische Kavallerie warf, aber von dem Infanteriefeuer der russischen Karrees fast vernichtet wurde. Diese Attacke erhielt damals im Volksmunde den Namen „Todesritt“, ebenso wie die Attacke der Brigade Bredow bei Mars la Tour am 16. August 1870, die aber im Gegensatz zu jener auch einen faktischen Erfolg zu verzeichnen hatte.

Prinz zu Hohenlohe, Aufzeichnungen. IV.

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posten, so weit vorschieben, daß man in der Position nicht vom Feinde überrascht werden könne. Diese Beobachtungstruppen hätten nur zu sehen, zu melden, um sich zurückzuziehen, aber nicht, sich zu wehren, und könnten ganz schwach sein. Wenn aber der feindliche Angriff abgeschlagen sei, dann brauche man für die weitere Zukunft wieder Vorposten vor sich und müsse den Feind von dort fortjagen, wo man seine Vorposten aufstellen müsse. Er tadelte aber mit großer Schärfe, daß in der langen Zeit vom 19. September bis zum 28. Oktober in Le Bourget nichts geschehen war, um den Ort verteidigungsunfähig gegen uns zu machen. Die hinteren Eingänge hätten frei gemacht, die nördlichen Mauern umgelegt, von Norden her die Häuser, die nicht zur Verteidigung gegen Süden beitrugen, niedergerissen werden müssen. Dann würde es leicht geworden sein, einen in Le Bourget eingedrungenen Feind wieder daraus zu verjagen.

Es liegen unbestreitbar große allgemeine Wahrheiten in den Ansichten des großen Strategen. Wenn aber das Generalstabswerk, Teil III, Seite 204, sagt: „Dagegen lag es auch fernerhin nicht in der Absicht des Oberkommandos, diesen vorgeschobenen Posten bei einem allgemeinen Ausfalle gegen die Stellungen der Maas-Armee bis aufs äußerste zu verteidigen", so wichen die Absichten des Gardekorps ganz davon ab, und es hatte im Gegenteil die bestimmteste Absicht, diesen Posten von jest ab lieber bis aufs äußerste zu verteidigen als ihn immer wieder zu stürmen. Es hat auch diese Absicht mit solcher Energie durchgeführt, daß im Dezember und Januar Le Bourget gegen alle noch so gewaltigen Angriffe behauptet wurde, obgleich die Franzosen mit regelrechten Sappen dagegen vorgingen.

Die Vorwürfe, welche Moltke den betreffenden Gardetruppen machte, daß sie den diesseitigen Zugang zum Ort nicht offen erhalten und verteidigungsunfähig gemacht hätten, können nur als vollkommen begründet bezeichnet werden. Wir hatten eben seit langer Zeit kein Defensivgefecht geführt und keine Übung darin.

Nach dem Sturm. Tags nach dem Gefecht wurden die Truppen durch Korpsbefehl und Armeebefehl belobt. In dem Korpsbefehl stand rühmend vom General v. Budrizki, er habe die sperrende Barrikade mit der Fahne in der Hand zuerst überstiegen. Dies war nicht ganz genau, denn die Fahnen-Kompagnie war, vorschriftsmäßig, gar nicht im ersten Treffen verwendet worden, und mindestens viele Tirailleure waren schon über die Barrikade, als Budritzki sie überstieg. Er protestierte also sofort gegen diese übertriebene Glorifikation durch den Korpsbefehl.

Die 2. Garde-Division behielt von jest ab Le Bourget so stark besett, daß die Bejazung die ganze Lisiere nach dem Feinde zu nachhaltig verteidigen konnte, bis Hilfe kam. Der Maas-Armee ward erklärt, daß das Gardekorps Le Bourget dauernd zu halten vorziehe, statt es wieder stürmen zu müssen, und sich in die Art, es zu halten, nicht drein reden ließe. Gebäude vor der Südfront, welche den Angriff erleichterten, wurden eingeebnet, die Lisiere mit Banketts und Scharten in den Mauern versehen, ebenso ward der Kirchhof rechts zur Verteidigung vorbereitet, die rückwärtigen Mauern wurden niedergelegt, von Le Blanc nach Bourget zu und von dort nach Dugny zu wurden Schanzen gebaut, die später durch parallelenartig angelegte Kommunikationen. bunden werden sollten. Zwei Bataillone wurden als dauernde Besatung nach Le Bourget hineingelegt, das Dorf in Abschnitte geteilt, die Mannschaft zum Kampf bereit gehalten, und nur die Reserven durften ruhen.

Am 31. Oktober unterhielt der Feind den ganzen Tag über eine lebhafte Kanonade aus sechs Forts. Wir hatten einen einzigen Verwundeten. Die Kanonade war, wie es schien, nur ein Ausdruck der Wut über die gestrige Schlappe.

Am 1. November wurden die bei Le Bourget gefallenen Offiziere beigesetzt. Die Feier war sehr ergreifend. Wir hatten auch mehr Zeit und physische Kräfte, uns den Regungen unseres Gefühls hinzugeben, als nach den Schlachten von St. Privat und Sedan, daher wir jetzt noch ergriffener waren als damals. Besonders ergreifend, hinreißend, aber auch zu neuen Kämpfen feurig anregend war die Rede des katholischen Feldpredigers der 2. Garde-Infanterie-Division.

Den nächsten Tag begab ich mich nach Le Bourget, um die Verteidigungsmaßregeln des Orts auf das genaueste in Augenschein zu nehmen und das Terrain für die Artilleriestellungen zu rekognoszieren. Ich mußte am Pont Jblon absteigen und zu Fuß den Weg fortsetzen, weil Budriski, um die Aufmerksamkeit des Feindes nicht zu erregen, jeden Verkehr zu Pferde dort verboten hatte. Denn wenn sich nur ein Kopf sehen ließ, so entluden mehrere Forts auf einmal ihre schweren Geschosse dorthin. Für jemand, der nur einmal dorthin kam, war das interessant und anregend, aber für die Bataillone, die dort Tag und Nacht bleiben mußten, essen, trinken und schlafen sollten, war diese fortwährende Lebensgefahr doch recht nervenerschütternd, und es ist hier und da vorgekommen, daß jemand darüber den Verstand verlor. Bei Nacht nämlich überschüttete der Feind den Ort mit Schrapnellfeuer, um alles unsicher zu machen. Deshalb blieb die Besatzung von Le Bourget auch

nicht stationär, sondern wurde immer nach einigen Tagen abgelöst. Ich sah mir auch die Wirkung unserer Artillerie an und war überrascht, zu sehen, daß selbst unsere leichten Feldgranaten doch die Umfassungsmauern durchschlagen, also mehr gewirkt hatten, als ich erwartet hatte. Längere Zeit verweilte ich bei den Vorposten. Jeder Posten war mit zwei Gewehren bewaffnet, einem Chassepot und einem Zündnadelgewehr. Die Mannschaften sahen es sehr gern, wenn ein höherer Offizier sie dort in vorderster Linie besuchte, und schwaßten dort frei von der Leber weg. Einer von den Posten zeigte mir einen auf dem Felde liegenden Franzosen. Er hatte ihn mit seinem Gewehr hingestreckt, weil derselbe sich als Patrouille zu nahe herangewagt, und wies auf ein paar andere, die sich vorsichtig heranzuschleichen versuchten, um den Leichnam des Kameraden zu holen. Er wolle sich verstecken, sagte er, damit die anderen sich auch heranwagten und er sie hinstrecken könnte. Der erste Tote sei der Lockvogel. Nachdem ich über die Verteidigungsfähigkeit von Le Bourget beruhigt war, kehrte ich nach Gonesse zurück. Wir haben den Ort auch nicht wieder verloren. Noch einmal griff der Feind ihn später in offener Feldschlacht an, und wir wiesen den Angreifer siegreich zurück. Von Weihnachten ab aber tat der Feind diesem Flecken die Ehre einer Belagerung in aller Form an und näherte sich ihm mit Laufgräben, bis am 15. Januar das Eingreifen unserer Belagerungsgeschüße ihm allen. Appetit auf diesen Ort raubte. Budrizki erhielt den Orden pour le mérite aus Versailles für den Sturm auf Le Bourget.

3. Dom 3. November bis 20. Dezember 1870.

3. bis 16. November. Hubertusfest. Seit dem 3. November trat bei uns dieselbe Situation vor Paris ein, wie sie vor dem Kampf um Le Bourget gewesen war, nur mit dem Unterschiede, daß der Feind täglich noch mehr schwere Granaten zu uns herüber sandte als vorher. Die passionierten Reiter in der Gardeartillerie wollten den 3. November, den St. Hubertustag, an dem im Frieden immer im Grunewald die Hubertusjagd geritten wird, nicht ohne Sport vorübergehen lassen. Es ging daher von der reitenden Garde-Artillerie die Idee aus, an diesem Tage wenigstens eine Schnitzeljagd zu reiten, zu der alle Kameraden der Artillerie aufgefordert werden sollten. Ich wurde auch dazu eingeladen. Aber eingedenk des Verbots des Prinzen von Württemberg, Jagden mit

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