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vorbewegten, bestätigte sich bald. Wir sahen die Tete einer Kolonne aus dem Tale des Mollette-Baches gegen Dugny auftauchen. Das vereinigte Feuer sämtlicher Batterien brachte diese Kolonne zur Umkehr.

Jezt erstarb das Gefecht in einer langjamen Kanonade, mittels welcher unsere Batterien alle Teile des Dorfes beunruhigten, die feindlichen Forts de l'Est und Aubervillers aber Geschosse vom schwersten Kaliber gegen unsere Batterien schleuderten. Eins mag wohl so wirkungslos gewesen sein wie das andere, denn die feindliche Infanterie fand hinter den dicken Mauern Schuß genug gegen unsere leichten Granaten. Die Felder waren durch den anhaltenden Regen, der seit einigen Tagen herabströmte, so aufgeweicht, daß man sich zu Pferde nur im Schritt hindurcharbeiten konnte. Die Räder unserer feuernden Geschüße arbeiteten sich in den Verschanzungen tief in den weichen Boden hinein, der breite Lafettenschwanz weniger, und so stand jedes Geschüß nach dem zweiten oder dritten Schuß mit der Mündung in der Erde, mit dem Lafettenschwanz in der Höhe und konnte nicht mehr feuern. Da waren die Batterien alsbald gezwungen, die geschüßten Positionen zu verlassen und sich weiter rückwärts (weiter vor standen sie zu tief) auf dem gewachsenen Boden des freien Feldes aufzustellen. Im Frieden habe ich diese Erfahrung, daß sich die Räder des Geschüßes durch den Rückstoß in den weichen Boden der frisch angelegten Verschanzungen bis zur Kampfunfähigkeit eingraben, nicht gemacht. Das kommt daher, weil man nur bei Manövern im Frieden aus solchen frischen Batteriestellungen feuert und der Rückstoß bei der geringen Manöverladung ohne Geschoß weit geringer ist als bei scharfen Schüssen. Es dient aber diese Erfahrung zur Belehrung, wie vorsichtig die Artillerie im Gebrauch flüchtiger Erddeckungen sein muß.*)

Heute brachte dieser Umstand keinen Nachteil, sondern Vorteil. Vielleicht hatte man aus den französischen Forts unsere Artilleriepositionen seit langer Zeit mit dem Fernrohr gesehen und die Entfernung gemessen, aber während des Gefechts nicht bemerkt - denn das Wetter war trübe und regnerisch und die Entfernung 7000 bis 8000 Meter, daß wir nicht darin, sondern dahinter standen, kurz die feindlichen zentnerschweren Geschosse schlugen wohl in und vor den Verschanzungen ein, feins aber erreichte die freistehenden Batterien. In hohem Bogen kamen diese Kolosse durch die Luft gesaust und fielen steil von oben in die durchweichte Erde, in die sie bis zu sechs Fuß tief ein

*) Diese Erfahrung trifft bei den neuen Rohrrücklaufgeschüßen natürlich nicht mehr zu.

Prinz zu Hohenlohe, Aufzeichnungen. IV.

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drangen, ehe sie platten und minenartig einen Trichter von nasser Erde in die Höhe schleuderten. Die Stücke der Granaten aber verfingen sich im Schlamm und taten keinen Schaden.

Der Prinz von Württemberg hatte einmal den Wunsch geäußert, wenn man die Stücke einer solchen schweren Granate finden sollte, den Boden derselben zu haben, um sich daraus einen Aschenbecher zum Andenken machen zu lassen. Ich begab mich mit zwei Kanonieren an einen solchen frischen Explosionstrichter und ließ hier nachgraben. Wir mußten sechs Fuß tief graben und fanden, was mich der Flugbahn wegen sehr interessierte, den Boden der Granate ganz unten. Er war rings herum scharf abgesprengt. Die übrigen Stücke des Geschosses lagen höher. Ein Beweis, daß das Geschoß mit dem Boden zuerst und nicht mit der Spige die Erde berührt hatte. Das war die Folge der hohen Elevation, denn die Granate behält die mit der Spiße nach oben gerichtete Lage in der Luft frei sich fortbewegend bei, wenn nicht durch eine rationelle Gewichtsverteilung im Geschoß und eine danach bemessene Umdrehungsgeschwindigkeit eine Pendelung der Spite um die Flugrichtung erzeugt wird, die dann die Spize in ungefährer Richtung der Flugbahn erhält. Während der Arbeit kamen manche Granaten an und schlugen in der Nähe ein. Ich ließ dann die Kanoniere schnell sich niederwerfen und die Explosion abwarten, von der wir manchen Schmuß zugeworfen erhielten. Als die Leute sahen, daß sie so gesichert waren, amüsierten sie sich darüber. Noch mehr Freude hatten sie aber, als jeder von mir zwei Taler erhielt. Die Beute machte dem Prinzen viel Spaß.

Wir hofften einen Angriff des Feindes gegen Dugny, Le Blanc Mesnil oder Pont Jblon zu erleben, aber es erfolgte nichts dergleichen. Nachmittags, als der Feind sich gar nicht mehr zeigte, entließ der General v. Budrizki die Batterien und behielt nur eine einzige auf Wache. Vorposten wurden ausgesetzt. Wir hatten gar keine Verluste. Die Franzosen haben aus ihrer Besetzung von Le Bourget am 28. Oktober ein romanhaftes Kapitel gemacht und Bilder gemalt, auf denen ihre Bataillone Le Bourget gegen das ganze Gardekorps stürmen.

Es entstand die Frage, was nun zu tun sei. War die Beseßung von Le Bourget der Beginn eines größeren Ausfalls des Feindes gegen unsere Positionen, so konnte uns das nur erwünscht sein. Die Richtung dieses Ausfalls war dann ein Beweis davon, daß der Feind von unserer Inundation keine Kenntnis hatte, denn sonst hätte er nicht dort vorgestoßen, wo er im weiteren Vorschreiten unfehlbar ertrinken mußte. Daß der Feind sich in dieser Illusion befand und glaubte, von Le Bourget aus über das freie Feld nach Norden vordringen zu können, ohne am

Morée-Bach ein nennenswertes Hindernis zu finden, wurde dadurch wahrscheinlich, daß die Inundation und die Baracken am Pont Jblon tief lagen, von ihnen aus weder die Turmspite von St. Denis, noch der Montmartre, noch die Forts gesehen werden konnten, sie also auch von den feindlichen Beobachtungsstationen nicht zu sehen waren. Aber der Feind konnte auch nur einen vorübergehenden Streich gegen Le Bourget haben führen wollen, zum Teil, um seine neuen Truppen an Gefecht zu gewöhnen und durch leichten Ruhm zu ermutigen. Dann beließ er wohl auch nachher nur geringe Beobachtungstruppen im Orte. Dies mußte zunächst festgestellt werden.

Zu diesem Zweck ordnete die 2. Garde-Infanterie-Division noch am Abend des 28. Oktober eine Unternehmung an. Zwei Kompagnien mußten von Dugny, zwei von Le Blanc Mesnil aus gegen Le Bourget vorgehen und es zu besetzen versuchen“, wenn der Feind sich nicht energisch darin behaupten sollte. Zwar kamen anfangs siegreiche Meldungen, dann aber kamen die beteiligten Truppen in vollständiger Auflösung teils nach Le Blanc Mesnil, teils nach Dugny, teils nach Pont Jblon. Sie hatten sich an den unpassierbaren, wohl verbarrikadierten und mit Schießscharten versehenen Mauern blutige Lehren geholt und mußten umkehren, wobei sie 2 Offiziere, 49 Mann einbüßten.

Der unglückliche Erfolg der nächtlichen Unternehmung ist sehr lehrreich. Zunächst gelingt im Kriege nie etwas, wenn man den Truppen sagt, sie sollten nur „versuchen“. Halbe Maßregeln sind schlimmer als gar keine. Ein Soldat, der nur versuchen“ soll, sieht nicht ein, wozu er sein Leben dran sezen soll. Erhält er den Befehl zu stürmen", dann geht er entschlossen drauf. Ferner waren die in Bewegung gesezten Kräfte viel zu gering. Man hatte mindestens vier feindliche Bataillone nach Bourget hineingehen, keine herausgehen sehen. Sie konnten doch, wie sie es auch in der Tat noch waren, darin geblieben sein, ja sie konnten Verstärkung erhalten haben. Mit vier Kompagnien war dagegen nichts auszurichten.

Endlich und vornehmlich war die gewählte Tageszeit äußerst unglückbringend. Wenn man unter dem Schuß der Dunkelheit einen Waffenerfolg erringen und sich in den Feind hineinbegeben will, so muß wenigstens unmittelbar nach dem ersten Schlag der Tag anbrechen. Jeder Kampf bringt die Truppen in Unordnung, ein Kampf bei Nacht noch mehr als einer bei Tage. Ordnen und weiterleiten kann man aber die Truppen nur mit Hilfe der Tageshelle. Der Angriff hätte also eine Stunde vor Tagesanbruch, d. h. zwischen sechs und sieben Uhr früh, erfolgen müssen.

Nachmittags drei Uhr hatte der Feind einen Versuch gemacht, Pierrefitte und Villetaneuse ebenso zu überrumpeln wie Le Bourget. Die Vorposten hatten ihn blutig abgewiesen.

Der 29. Oktober. Der Widerstand der feindlichen Besaßung von Le Bourget, die allseitig ausreichende Verteidigung dieses Ortes, die dic Zahl der darin befindlichen Truppen auf vier Bataillone schließen ließ, die Versuche, die der Feind gestern nachmittag gegen Pierrefitte und Villetaneuse gemacht hatte, ließen uns vermuten, daß eine wohlgeplante Offensivunternehmung gegen die Positionen des Gardekorps im Werke sei. Mir schien es deshalb am angemessensten, den Feind durch anscheinende Zaghaftigkeit zu einem solchen Angriff zu ermuntern. Es wäre uns nichts willkommener gewesen, als wenn recht viele feindliche Massen gegen unsere Stellungen angelaufen wären. Auf dem freien Felde und zu beiden Seiten von Le Bourget vorgehend, wären sie erst in das wirksamste Höllenfeuer meiner Korpsartillerie geraten und dann in der Inundation ertrunken. Aber ich drang mit meiner Ansicht nicht durch. Man war zwar mit mir der Meinung, Bourget nicht direkt anzugreifen, wollte aber doch noch einmal versuchen, den Feind durch Artilleriefeuer daraus zu vertreiben. Zu diesem Zweck mußten die Batterien wieder wie gestern in Position rücken und das Feuer von acht 1hr morgens an beginnen, obgleich ich als Artillerist die bestimmteste Auskunft darüber gab, daß ein Artilleriefeuer aus Feldgeschüßen auf 3000 bis 4000 Schritt keine entscheidende Wirkung gegen Mauern haben könne. Den Befehl in diesem Teil der Positionen führte General v. Budriski, und ich sah, bei den Batterien haltend, der Kanonade zu, die aus den feindlichen Forts wirkungslos erwidert wurde. Beobachtungsposten waren seitlich aufgestellt. Leutnant Braumüller sandte ich auf die Wilhelmshöhe. Bei der Besatzung von Le Bourget regte sich nichts. Um zehn Uhr ward eine halbstündige Feuerpause gemacht. Die während derselben vorgesandten Patrouillen fanden die Umfassungsmauern des Dorfes dicht besezt. Die Beobachtungsposten meldeten, daß während des Feuers die Verteidiger der beschossenen Mauern seitwärts in eine offenc Terrainmulde hinausgelaufen waren und sich sofort wieder auf ihren Posten begeben hatten, sobald wir aufhörten zu schießen. Dies bewies ausreichend, daß ein Artilleriefeuer auf solcher Entfernung einen Infanterieangriff nicht genügend vorbereiten könne. Dennoch befahl Budriski den Wiederbeginn des Feuers. Mir tat es leid um die unnüß verschwendete Munition. Braumüller meldete von der Wilhelmshöhe, daß hinter Le Bourget der Feind etwa vier Kompagnien aufgestellt hätte,

unter deren Schuß systematisch Kartoffeln geerntet wurden. Erntewagen fuhren dazu aus Paris aus und ein. Truppen in genügender Masse, um etwas Ernstes zu unternehmen, waren nicht zu sehen.

Gegen Mittag sah Budrizki auch das Zwecklose der Kanonade ein und fandte die Batterien in die Kantonements. Nur eine blieb auf Wache. Wir hatten keine Verluste hier, bei der 1. Garde-Division wurden zwei Mann durch eine Granate verwundet.

Die Resultate der Beschießung und Beobachtung des heutigen Vormittags ließen uns über die Absichten, die der Feind mit der Besetzung von Le Bourget verband, noch mehr im Zweifel. Fast schien es, als ob er bloß eine Kartoffelernte dadurch decken wollte. Da er in diesem Dorfe noch gefährdeter war als wir, so schien es mir nicht wahrscheinlich, daß er lange darin bleiben werde. Entweder er mußte nach der Kartoffelernte wieder den Ort räumen, oder er mußte von da aus einen großen Angriff unternehmen. Leßteres hofften wir, und deshalb war es die Absicht des Generalkommandos, ihn ruhig im Dorfe zu lassen. Wir ahnten nicht, daß die ganze Geschichte die Folge einer geschlossenen Nachmittagswette war, in der sich ein französischer Kommandant anheischig gemacht hatte, den nächsten Morgen Le Bourget ohne viel Schwierigkeit zu beseben. Dies erfuhren wir erst durch die gefangenen Offiziere nach dem Sturm des 30. Oktober. Gewohnt, wie wir es durch unsere Heeresleitung waren, nichts ohne selbstbewußten Zweck zu unternehmen, hielten wir auch beim Feinde keine Aktion für möglich, die nur in den Tag hinein erfolgte. Aber es war doch so, und dabei hatten die Franzosen immer einen Erfolg, der der Eitelkeit schmeichelte, das Selbstbewußtsein einige Tage lang stärkte und uns in Zweifel und Verlegenheit sezte. Man sieht, daß im Kriege keine Initiative und feine Offensive an sich ein Fehler ist.

Die Absichten des Generalfommandos wurden aber durch einen Befehl des Oberkommandos der Maas-Armee durchkreuzt, welches die Wiedereroberung von Le Bourget auf das bestimmteste verlangte, und zwar als einen Ehrenpunkt" des Gardekorps.

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Man kann sich die Gefühle eines kommandierenden Generals denken, wenn seine wohlüberlegten Maßregeln durch solche Gründe seiner vorgesetzten Behörde durchkreuzt werden. Er schickte seinen Chef des Generalstabes, General v. Dannenberg, zum Kronprinzen von Sachsen nach Margency, um die nötigen Vorstellungen zu machen. Dieser, seines heftigen Temperaments bewußt, erbat sich die Begleitung des Generals v. Pape, der so ruhig war, und beide Herren stellten dem Kronprinzen von Sachsen vor, wie das Gardekorps Le Bourget erst mit der aus

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