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maison Ferme bei Gonesse, in Thillay und Goussainville und in anderen Orten. Aber von allen diesen Maschinen waren einzelne Teile von den flüchtigen Eigentümern mit fortgenommen, um sie für uns unbenußbar zu machen. Leutnant Freiherr v. Reißenstein hatte sich immer für Mechanik sehr interessiert. Er visitierte die verschiedenen Maschinen, fand einige von derselben Fabrik und Konstruktion, und es gelang ihm, die fehlenden Teile der einen Maschine durch gleiche der anderen zu erseßen und die Dampfdreschmaschine der Malmaison Ferme von Gonesse in Gang zu setzen. Jezt ward gedroschen und, da sich auch Müller und Bäcker genug bei der Truppe befanden, auch gemahlen und gebacken. So machte die allgemeine Wehrpflicht die Truppe von der Einwohnerschaft unabhängig. Es wurden auch Schneider- und Schusterwerkstätten etabliert, und in Sevres ist sogar eine Brauerei durch bayerische Brauer betrieben worden und hat gutes Bier geliefert.

Nachdem ich so ein Bild unseres täglichen Lebens vor Paris entworfen habe, will ich des weiteren nur diejenigen Ereignisse und Momente hervorheben, welche wichtig und auf den Gang der Begebenheiten von Einfluß waren, ohne, wie bisher, tagebuchartig zu erzählen.

Kronprinz Albert und Le Bourget. Am 22. September besichtigte Kronprinz Albert die Positionen des Gardekorps. Er war nicht damit einverstanden, daß Le Bourget so stark besezt werde. Der Feind beschoßz es aus seinen Forts, und es kamen allerdings fast täglich Verluste vor. Der Oberkommandierende war der Meinung, eine Kompagnie reiche zur Besetzung dieses Orts vollkommen aus. Diese eine Kompagnie könne täglich abgelöst werden. Es handle sich, so war die Ansicht des Oberkommandos der Maas-Armee, ja nicht um die Verteidigung von Le Bourget, sondern nur um Benutzung des Orts zur Aufstellung von Vorposten, um die Annäherung eines Ausfalls rechtzeitig zu melden. Hierzu sei eine Kompagnie genug. Es sei gar nicht die Absicht, Le Bourget dauernd zu behalten. Prinz von Württemberg und General v. Budrizki blieben bei ihrer Meinung bestehen, daß, wenn die Sachsen Drancy nicht behielten, in Le Bourget drei Bataillone nötig seien. Nachmittags kam der schriftliche Befehl der Maas-Armee, Le Bourget nur mit einer Kompagnie und einigen Ordonnanzreitern zu beseßen. Man mußte gehorchen. Fünf Wochen später kostete diese Anordnung viel teures Blut.

General v. Pape. Den folgenden Tag erhielt der General v. Pape einen Tadel vom kommandierenden General, der ihm sehr zur Ehre gereichte. Aus seinen Rekognoszierungsmeldungen über Paris ging nämlich hervor, daß er alles selbst gesehen hatte. Der Prinz von

Württemberg tadelte ihn, daß er sich täglich in vorderster Linie bewege und somit unnüß den Staat der Gefahr ausseße, einen so vortrefflichen General zu verlieren. Pape antwortete, er wolle nur melden, was er mit eigenen Augen gesehen, denn er wolle sich auf die Meldung anderer nicht verlassen. Papes Bericht über die Befestigung von St. Denis reizte mich zur Neugier. Ich begab mich nach Stains und ward zu Fuß bis auf 1000 Meter an die Double Couronne von St. Denis herangeführt. Hier überzeugte ich mich wieder davon, daß die Werke intakt und sturmfrei waren, und daß ein Versuch zur Überrumpelung ohne Belagerungsgeschüß ein Wahnwiß gewesen sein würde, der nur zur Abschlachtung der eigenen Truppen hätte führen können.

Der Beobachtungspunkt gestattete, über ganz Paris hinwegzusehen. Ich hörte und sah einen heftigen Kampf, denn es war sehr klares Wetter. Nach der Karte mußte Fort Bicêtre im Süden von Paris im heftigen Geschützkampf begriffen sein. In der Tat hat um diese Zeit die 12. Division einen Kampf auf der Höhe von Villejuif geführt. Die Entfernung betrug fast drei deutsche Meilen.*)

Bis zum 27. September fiel nichts Bemerkenswertes vor, wenn uns auch einmal ein falscher Alarm unnüß aufscheuchte, ein ander Mal die Nachricht vom Auftreten von Franktireursbanden in unserem Rücken, welche unsere Post gefährdeten, zur Detachierung der sächsischen Kavallerie-Division nach Creil, Chantilly und Senlis und des Garde-JägerBataillons nach Chantilly veranlaßte. Vorläufig reichte diese Sicherung unseres Rückens aus. Später wurden dazu ganze Armeen nötig.

Der König bei uns. Am 27. September regte uns die freudige Nachricht auf, daß Seine Majestät der König die Positionen der MaasArmee besichtigen werde. Er wurde am 28. vormittags erwartet.

Den höheren Anordnungen gemäß ritt ich um neun Uhr früh nach Sevran und erwartete an der Brücke über den Durcq-Kanal den Monarchen. Vor dem König kam Moltfe. Er teilte mir die Kapitulation von Straßburg mit. Im übrigen hatte ich eine längere, für mich zur Zeit hochwichtige Unterhaltung mit ihm. Es war immer sehr lehrreich, wenn dieser sonst so schweigsame hochbedeutende Geist aus sich heraustrat und seine Ansichten entwickelte. Er benahm mir die lezte Illusion über eine bevorstehende baldige Kapitulation von Paris.

Um halb zwölf Uhr kam der König zu Wagen angefahren. Er be grüßte uns alle sehr huldreich und erzählte mir, der Kaiser Napoleon habe ihm bei Sedan gesagt: „Votre artillerie est la première du

*) Es war das Gefecht von Villejuif und Vitry am 22. September.

monde." Der König fuhr noch bis Aulnay, sezte sich dort zu Pferde, besichtigte Le Blanc Mesnil, ritt dann in die Positionen der Korpsartillerie, wo er die auf Wache stehende 2. reitende Batterie sehr gnädig begrüßte, ritt nach Pont Jblon und sah die Inundation, die sich ihrer Vollendung näherte. Er wollte durchaus nach Le Bourget reiten. Es war sehr schwer, ihm dies auszureden, denn er wäre sicher bis an das Südende vorgeritten, wo er in das wirksamste Geschüß- und Chassepotfeuer des Forts Aubervilliers geraten mußte. Das durfte man ihm nicht sagen, sonst wäre er sicher hingeritten. Es wurde also geltend gemacht, daß die Zeit nicht reiche, und er sezte sich wieder zu Wagen und fuhr nach Gonesse, wo ihn den Befehlen gemäß der Prinz von Württemberg mit einem Frühstück erwartete. Um halb vier Uhr kam der König in den Bereich des IV. Armeekorps, und wir waren entlassen. Bei der Rückkehr nach Ferrières am Abend durften wir ihn nicht begleiten.

Einfluß des Windes. Von dem großen Ausfallgefecht, das am 30. September bei Chevilly von der 12. Division des VI. Armeekorps siegreich durchgeführt wurde, bemerkten wir im Norden von Paris nichts. Das hing von der Windrichtung ab. Bei günstigem Winde hörte man den Gefechtslärm ganz unglaublich weit. Hat man doch in Reims*) manchen Tag jeden Kanonenschuß aus Paris gehört. Wenn aber der Wind von uns abwehte, hörten wir das Feuer der stärksten Festungsgeschüße gar nicht weit. So kam es vor, daß bei unseren Vorposten schwere Granaten von den Forts einschlugen, ohne daß man einen Schuß gehört hatte. Diese Granaten gingen allerdings bis eine Meile weit. Bei der Infanterie entstand daraus die Vermutung, der Feind habe ein neues Schießmittel erfunden, das nicht knallte. Es wurde mir ein desfallsiger Bericht zur Begutachtung gegeben, und ich schrieb als Gutachten: „Es war Nordwind.“

Vorbereitungen zur Belagerung. Am 30. September traf der Befehl ein, das Garde- und IV. Armeekorps sollten Faschinen und Schanzkörbe anfertigen, um die Belagerung vorzubereiten. Die Batterien würden im Bereiche des Gardekorps voraussichtlich auf der Wilhelmshöhe, im Bereiche des IV. Armeekorps bei Montmagny angelegt werden. Das Generalfommando übertrug mir das Weitere. 1000 Meter hinter der Wilhelmshöhe war der dichte Park von Arnouville, dort legte ich den Belagerungspark für Strauchmaterial an. Zur Ausführung kommandierte ich genau dasselbe Personal, welches bei der Schießübung vor

*) Reims ist 16 deutsche Meilen von Paris entfernt.

zweieinhalb Monaten auf dem Artillerieschießplaße von Tegel das Material gefertigt hatte. Oberstleutnant v. Bychelberg ward wieder Präses der Schießplay-Kommission, Leutnant v. Kaas übernahm wieder seine Funktion als erster Feuerwerksleutnant, und sogar derselbe Oberfeuerwerker, Gottesleben, leitete die Einrichtung des Parks. Die Munitionskolonnen mußten die nötigen Eisen- und Holzarbeiter stellen. Eine große Holzniederlage in Arnouville lieferte das prächtigste Nuß- und Bauholz. Um die Batterien und Munitionskolonnen durch Abkommandierung von Arbeitern nicht für den Fall eines Ausfalls gefechtsunfähig zu machen, befahl ich, daß jede Batterie und jede Munitionskolonne täglich eine bestimmte Anzahl Faschinen, Schanzkörbe, Anker, Pfähle usw. in ihren Kantonements anfertigen und durch ihre Gespanne nach dem Park von Arnouville an den Oberfeuerwerker Gottesleben abliefern sollten.

Gottesleben mußte mir auch kleine Pulvermagazine bauen, welche zu je 50 Zentnern Pulver eingerichtet waren. Die vorschriftsmäßigen Unterlagen von Holz für die Fässer machten die Holzarbeiter, die Magazine selbst aber waren ganz leicht gebaut, mit einem dünnen Dach von Dachpappe eingedeckt, damit, wenn sie getroffen würden und explodierten, sie nur aufpufften und keine schweren Gegenstände fortschleuderten. Vorräte von Dachpappe fanden sich in Arnouville und Gonesse. Auch wurden starke Hölzer für bombensichere Unterstandsräume und Batteriepulverkammern zugeschnitten und Bettungsmaterial in Masse gefertigt. Alle diese Vorbereitungen machten uns umsomehr Freude, als wir uns danach sehnten, den Pariser Forts die Granaten mit Zinjen zurückzusenden, mit denen sie uns täglich zu beunruhigen suchten. Der Befehl, die Vorbereitungen für Batterien auf den Höhen von Montmagny und Stains zu treffen, deutete darauf hin, daß man St. Denis angreifen wollte. Das freute mich sehr, denn ich hielt St. Denis für den richtigen. Angriffspunkt. Aber wieviel Phasen sollte diese Frage noch durchlaufen, che wir in St. Denis den entscheidenden Druck ausüben durften!

Tägliches Feuer der Forts. Von jezt ab kamen fast täglich Befehle und Nachrichten, die auf eine bevorstehende systematische Belagerung oder doch wenigstens Beschießung von Paris mit schwerem Geschütz hindeuteten. Da wurde ein Kommandeur der Belagerungsarbeiten der Südfront, General v. Kleist, dann General v. Schulz mit Oberst Wischer als Chef des Stabes ernannt, für die Nordfront der Ingenieuroberst v. Oppermann, der Artillerieoberst v. Himpe. Am 23. September hatte Toul, am 27. Straßburg kapituliert. Anfang Oktober war v. der Tann in

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Orléans eingedrungen, am 15. Oktober nahm der Großherzog von Mecklenburg Soissons, und jezt schien die Eisenbahnverbindung nach der Heimat offen und der Heranschaffung von Belagerungsmaterial nichts mehr im Wege zu stehen. So hofften wir von einem Tage zum anderen Tage auf das Eintreffen der schweren Geschüße. Wann werdet Ihr denn mit der Beschießung von Paris anfangen?", so schrieb man uns aus der Heimat in jedem Briefe. Wann werden wir denn anfangen?", so fragten wir täglich mit Ungeduld. Unsere Frage war gewiß viel dringender als die der Unsrigen aus der Heimat. Mußten wir uns doch täglich aus den Festungswerken bis auf eine Entfernung von einer Meile ruhig beschießen lassen, denn unsere leichten Feldkanonen reichten nicht so weit. Da konnten und mußten wir es täglich mit ansehen, wie sich die Franzosen ein Fest daraus machten, nach den Prussiens zu schießen.

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Jeden Mittag um zwei Uhr fing die Kanonade heftig an und dauerte in der Regel eine bis zwei Stunden. Den Grund dieser Regelmäßigkeit fonnte jeder entdecken, der sich um diese Zeit auf die Beobachtungsposten begab. Es sammelten sich um diese Zeit die Pariserinnen auf den Wällen von St. Denis, die von im Sonnenscheine bunt glänzenden Sonnenschirmen bedeckt waren. Diesen weiblichen unweiblichen Zuschauern gab man ein Schauspiel zum besten, so lange, bis sie wieder zu ihrem Diner nach Paris hineinfuhren. Unsere Soldaten hatten zuweilen Verluste, nicht gerade so viel, wie die Zeitungen der Seinestadt prahlerisch erzählten, denn nach denselben sollte eine einzige Granate 10 000 Prussiens getötet haben, aber es kam doch vor, daß manchen Tag zwei oder drei Tote oder Verwundete gemeldet wurden. Auch diese Verluste waren womöglich zu vermeiden. Darum wurden überall gedeckte Verbindungswege erbaut, wo man sich im Bereich des Feuers bewegen mußte und nicht durch Büsche, Dörfer oder Höhen unsichtbar gemacht war, und es wurden Wege, die nicht unsichtbar zu machen waren, den Soldaten untersagt. Da mußte der siegreiche Gardist, der bis jetzt jedem Franzosen keck ins Angesicht gesehen hatte, bis derselbe tot, gefangen oder flüchtig war, mit einem Male Umwege machen, um nicht beschossen zu werden, oder er mußte gebückt schleichen oder in aufgeweichten und wassergefüllten Gräben waten. Anfangs empörte sich das stolze sieg= bewußte Herz dagegen. Aber das Zuwiderhandeln wurde bestraft. Wer sich sehen ließ und dadurch einen feindlichen Schuß auf die preußischen Kantonements lockte, verfiel dem rächenden Arm der eigenen Vorgeseßten. So wurde Kühnheit getadelt, Vorsicht und Furchtsamkeit vorgeschrieben. Das und die permanente Lebensgefahr machten die Mannschaft „nervös". Wir Führer waren uns dessen bewußt und sehnten uns danach, entweder

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