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die Inundation besichtigte, meinte Prinz von Nassau, die Arbeit sei hoffentlich bald unnüß, Paris werde kapitulieren. Da bot ich ihm eine Wette an, daß wir noch auf der Inundation würden Schlittschuh laufen können. Bei diesem Gedanken erblaßte der Prinz und sagte, wenn er das glaube, reise er gleich nach Hause. Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat sind vergangen, Paris hat nicht kapituliert, die Inundation bot die schönste Schlittschuhbahn dar und mußte während des harten Winters alltäglich mit unsäglichen Anstrengungen aufgeeist werden, um troß des strengen Frosts auch ferner den Schuß zu gewähren. Aber der Prinz von Nassau ist nicht zu seiner Familie zurückgereist, sondern hat bei uns ausgehalten. Der Mensch findet sich eben in alles, wenn er erst drin ist und nicht wieder heraus kann.

Leben vor Paris. Es fing jest für uns ein ziemlich einförmiges Leben an, das nur selten durch Ereignisse unterbrochen wurde. Dieses Leben gestaltete sich für mich folgendermaßen: Des Morgens erledigte ich die schriftlichen Arbeiten, sette mich zu Pferde und ritt in die Positionen, wo gerade etwas zu beaufsichtigen oder zu besprechen war. Erstes und zweites Frühstück nahm ich mit meinem Stabe in unserer Villa ein. Mittags um drei Uhr versammelte sich das ganze Hauptquartier des Korps beim Prinzen von Württemberg zum Essen. Er liebte nicht, daß jemand zu spät kam, wenn nicht besondere Ereignisse seine Verspätung rechtfertigten. Das Essen wurde, je länger wir vor Paris lagen, um so luxuriöser, denn die Transporte aus der Heimat gestatteten dem Prinzen, allerhand Delikatessen nachkommen zu lassen. Dies sezte auch den Koch in den Stand, uns Abwechslung zu bringen, während alle anderen Militärs über den täglichen Hammel seufzten, der bald allen zuwider ward, denn hinter uns war Rinderpest ausgebrochen und Nachführung von Rindfleisch untunlich. Nach Tische wurde die Whistpartie regelmäßig gespielt, drei oder vier Rubber, und dann schloß sich gewöhnlich die Befehlsausgabe an. Anfangs ritt ich auch wohl noch irgendwohin. Aber die Tage nahmen ab, und die früh eintretende Dunkelheit verbot mir bald, noch nachmittags auszureiten. Da gewährte mir das Billard eine angenehme Bewegung und Privatkorrespondenz Beschäftigung.

Abends halb neun Uhr fand sich das Generalfommando zum Tee wieder beim kommandierenden General ein, und nach dem Tee schloß die zweite Whistpartie das Tageswerk.

Unseren Truppen wurde die gezwungene Untätigkeit sehr zur Last. Wenn es mir auch noch soeben gelang, den 21 Pferden des Stabes die

für die Gesundheit nötige Bewegung zu verschaffen, indem jeder von uns vier Offizieren täglich zwei Pferde ritt, Ordonnanzen mit Handpferden nachbestellt wurden, und für die Wagenpferde Fahrten ausgedacht werden konnten, so waren die Truppen doch durch die nötige Gefechtsbereitschaft gegen Ausfälle an ihre Kantonements gebunden, und wenn man auch die Vorposten ablöste und viele Erdarbeiten ausführte, so gab es doch Bataillone, die viele Tage lang gar nichts anderes zu tun hatten, als gefechtsbereit zu warten. Da wurde, selbstverständlich nur in der Nähe der Kantonements, ererziert, um den Mannschaften die für ihre Gesundheit nötige Bewegung zu machen. Major v. Derenthall, früher Adjutant beim Generalfommando, der nach den schweren. Verlusten von St. Privat die Führung des Regiments Franz übernommen hatte, übte bei diesen Ererzitien andere Angriffsformen ein, um ähnliche Verluste zu vermeiden, wenn man auf freiem Felde im Chassepotfeuer vorzugehen habe. Er ging dazu mit ganz in Tirailleuren aufgelösten Bataillons in Echelons, abwechselnd 300 Schritt laufend und dann sich niederlegend, vor. Diese Form des Angriffs wurde vorläufig zur Norm im Gardekorps erhoben.

Am allerwenigsten aber hatte die Kavallerie-Division zu tun, und da die vornehmen und wohlhabenden Offiziere der Gardes du Corps, Kürassiere und Dragoner sich in ihren kleinen, einwohnerlosen Kantonements entsetzlich langweilten, so verschrieben sie sich eine Meute aus England und wollten Parforcejagden reiten. Das erregte den Zorn des Prinzen von Württemberg, der solches Unternehmen verbot, weil die Knochen der Offiziere und Pferde im Kriege lediglich zur Verfügung. des Dienstes ständen, und er verlangte vom Divisionskommandeur, er möge den Offizieren durch recht viel Ererzieren und anderen Dienst die Zeit vertreiben. Das geschah denn auch.

Daß unsere Truppen, durch frische Erde in Gärten und Gehöften auf vergrabene Gegenstände aufmerksam gemacht, nachgruben, habe ich schon erwähnt. Es wurde viel gefunden. Was davon für den Dienst, also auch zum Leben, brauchbar war, durfte verwendet werden. Alles andere wurde in den Häusern aufgestellt. Kein Wunder, daß eifrigst nach Wein gesucht ward. Ganze Fässer wurden in den Gärten vergraben gefunden. Auch fand man die Weinkeller leer, aber bei genauer Forschung entdeckte man, daß der leßte Kellerraum frisch vermauert war. Wenn man die frische Mauer einschlug, stieß man auf bedeutende Weinvorräte. So fanden in meiner Villa in Roissy Doppelmair und Kaas, die am fleißigsten suchten, einen vortrefflichen Weinvorrat, wobei der kostbarste Château d'Yquem uns herrlich mundete, ein Wein, wie ihn der Franzose

nie ins Ausland läßt. In Gonesse erging es den beiden Herren aber übler. Dort hatte mein Vorgänger, General v. Medem, schon alles ausfuragiert. Dennoch durchsuchten die Genannten den Keller noch einmal, und als sie an die leßte Mauer klopften, gab diese einen hohlen Klang, der auf einen jenseitigen Raum schließen ließ. Chne durch einen Blick von außen auf die Gesamtanlage des Hauses sich zu belehren, was in diesem Raum sein könne, machten sie sich an die Arbeit, durchbrachen die Mauer, um in den Raum zu gelangen, und gerieten, o Schrecken, in den schmutzigsten Unrat der Düngergrube des Hauses. Das Schlimmste war, daß jest aus dem Keller heraus das ganze Haus durch einen mesitischen Geruch verpestet war, der auch noch acht Tage lang anhielt, nachdem ich durch gelernte Maurer aus der Truppe den Schaden hatte ausbessern lassen.

In solchen Nachforschungen nach verborgenen Lebensmitteln sollen die Bayern das meiste Glück und Geschick gehabt haben. Es wurde erzählt, daß, wenn in einem einwohnerlosen Ort preußische Truppen gar nichts mehr fanden und Bayern in der Nähe kantonierten, sie diese riefen, um nachzusuchen, und ihnen die Hälfte der Beute als Finderlohn versprachen, und selten vergeblich. Aber es ward auch erzählt, daß unter lauter französischen Gräbern bei den Bayern ein frisches Grab ohne Kreuz die Vermutung erweckte, es seien da Lebensmittel vergraben. Sie gruben einen länglichen Kasten aus, in dem ein toter Turko lag.

Dieser Turko soll dreimal bei Wechsel der Truppen ausgegraben worden sein. Der Prinz von Württemberg hielt streng darauf, daß man sich nichts anderes aneignete, als was zur Nahrung und anderen Kriegszwecken diente. Da ich meine Adjutanten oft sehr weit, ja zuweilen bis Versailles über St. Germain — sechs Meilen oder nach Meaux — vier Meilen senden mußte, wo sie Vorräte fauften, und diese Ritte sehr ermüdeten, so nahm ich mir aus Arnouville, wo sich im Palast des Herzogs von Choisons-Prustin eine verlassene, aber mit vielen Equipagen gefüllte Wagenremise befand, ein leichtes Wägelchen, das ich bis zur Rückkehr nach Berlin benutte und vorher wieder in seine Remise stellte. Kaas hatte eine große Freude daran, ein Paar Pferde nach dem anderen anzuspannen und einzufahren. Eines Tages, gegen Ende September, wollte er auch ein Pferd Doppelmairs, das beim Reiten sehr widrig war, einspannen. Eben damit beschäftigt, jah er den Hauptmann. v. Kayser, der, als Ersatz aus Berlin nachgesandt, sich bei mir gemeldet hatte und die 4. leichte Batterie übernehmen wollte. Kaas bot ihm an, ihn in sein nur eine halbe Meile entferntes Kantonement zu fahren. Er setzte sich auf. Aber das Geschirr paßte nicht, das Pferd erschraf, ging mit dem leichten Fuhrwerk durch, an der nächsten Ecke lag das ganze

Gefährt mit Kaas, Doppelmair und Kayser im Graben. Nur der leztere war verlegt, und zwar schwer. Der Fuß war ihm ausgedreht. Einige Wochen lag er bei mir, dann bei seiner Batterie in der Malmaison Ferme von Gonesse. Das Leiden wurde langwierig. Am 28., 29. und 30. Oktober machte Kayser, am rechten Fuß einen Pantoffel, die Kämpfe um Le Bourget mit, und da er sich am 30. besonders ausgezeichnet hatte, so daß ich ihm das Eiserne Kreuz verschaffen konnte, sandte ich ihn dann wieder nach Hause. Dies früher zu tun, konnte ich nicht übers Herz bringen, denn es wäre gar zu traurig für ihn gewesen, wenn er, ohne einen Feind zu sehen, mit verrenktem Fuße hätte nach Hause fahren müssen.

Eine Aneignung von Kostbarkeiten, Kunstschäßen usw. aus den herrenlosen Häusern duldete der Prinz von Württemberg durchaus nicht. Folgender Fall machte viel von sich reden. Ein höherer Offizier fand in der vordersten Vorpostenlinie ein einem Engländer gehörendes Palais, das viele Ölgemälde enthielt. Dies Palais wurde aus dem nächsten Fort von Paris täglich beschossen und getroffen und ist auch in der Tat schließlich in einen brennenden Schutthaufen verwandelt worden. In Voraussicht des Untergangs dieses Hauses erbarmte sich dieser Offizier, der ein großer Kunstkenner war, eines Gemäldes Raffaels, Murillos oder sonst eines Meisters, nahm es aus dem Rahmen, „rollte" es auf eine „Holzrolle“ und jandte es in die Heimat. Als der kommandierende General dies erfuhr, befahl er dem Offizier, das Gemälde sofort dem Eigentümer nach England zukommen zu lassen, was auch geschah. Der Offizier war nicht beliebt, und die Maßregel des kommandierenden Generals erregte allgemeine Freude und veranlaßte viel Scherze. Von jezt ab wurde das Aneignen fremden, herrenlosen Eigentums allgemein „Rollen" genannt. Man sagte also: „Wir haben heute ein Faß Wein gerollt" usw. Einem meiner Hauptleute ging es sehr schlecht dabei. Seine Batterie fand in einem verlassenen Hause 10 000 Francs Eisenbahnaktien Paris-Orléans. Er vermittelte den Verkauf dieser Aktien in London und verwandte das Geld rechnungsmäßig zur Aufbesserung der Verpflegung seiner Unteroffiziere und Mannschaften. Nach dem Frieden recherchierte der Eigentümer nach dem Verbleib der Aktien, ermittelte sie und den Verkäufer in London, klagte, gewann den Prozeß, und der Hauptmann mußte die 10 000 Francs erstatten. Das Kriegsministerium verweigerte natürlich den Ersatz der über den Etat verab reichten Verpflegung.

Kantonementswechsel. Im Laufe der Zeit kamen fast täglich kleine Veränderungen in den Kantonements des Gardekorps vor, wie sie durch

das Bedürfnis bedingt waren. Die Wiedergabe dieser Veränderungen aus meinem Tagebuche würde hier selbst für einen aufmerksamen militärischen Leser langweilig werden. Nur so viel will ich erwähnen, daß ich, seit die 1. Garde-Division sich bis Grauley ausdehnen mußte, zwei Batterien der Korpsartillerie dorthin zur Verstärkung der Position von Sarcelles abgeben mußte und auch konnte, denn in dem Zentrum war die Position durch die Inundation jezt so stark, daß weniger Artillerie an der Route de Lille ausreichend schien. Ich sandte die 3. leichte und 3. schwere Batterie dorthin. Die 4. leichte und 4. schwere waren nach der Malmaison Ferme von Gonesse gelegt, dicht bei den Positionen des Zentrums, die drei reitenden Batterien blieben in Le Thillay. Im wesentlichen ist bis zum Frieden, Anfang März, an dieser Dislokation nicht viel geändert worden. Die Batterien richteten sich wie in der Garnison ein, marschierten zum Kampf aus wie im Frieden zum Ererzieren, fanden, da sie Gepäck und einen Teil der Leute zurückließen, nach jedem Gefecht ihre geheizten Räume und warmes Essen zu Hause vor, und wenn die Kämpfe mehrere Tage hintereinander stattfanden, waren sie am nächsten Morgen mit Tagesanbruch ausgeruht wieder in ihren Stellungen.

Ausbildung. Die Tage des Kampfes waren aber verhältnismäßig selten. An den übrigen Tagen wurden die als Ersaß eingetroffenen Pferde dressiert, die Rekruten ererziert und instruiert, ja, ganz wie im Frieden, auf den noch vorhandenen gut rittigen Pferden ein neuer Jahrgang von Fahrkanonieren im Fahren und Reiten ausgebildet. Da sich zu diesem Zweck Mangel an Reithofen herausstellte, ließen die Batterien auf meinen Befehl das am 1. Oktober fällige Kontingent Reithosen nachkommen und gaben die alten den neu zu Unterrichtenden.

Ernten. In Voraussicht, oder besser für den Fall einer langen Dauer der Zernierung wurden auch Kartoffeln auf den endlosen Kartoffelfeldern geerntet und in Vorräten gesammelt. Wenn wir da auch bis zum Frühjahr reichlich Kartoffeln hatten, so ist doch nicht der hundertste Teil dieses reichen Segens verwertet worden. Der größte Teil ist unbenußt in der Erde geblieben, so groß waren diese Felder!

Ich habe schon erwähnt, daß die Getreideernte, Hafer, Weizen, Roggen, Gerste, in riesenhaften Mieten, Schobern, auf dem Felde gesammelt stand, als wir vor Paris ankamen, und daß die meisten davon in hellen Flammen brannten. Einige aber waren nicht in Brand, und diese reichten für den Winter für uns aus. Nur mußte das Getreide gedroschen werden. Es fanden sich Dampfdreschmaschinen in der Mal

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