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Zweiter Teil.

Vor Paris.

(Hierzu Karte 4 Paris 1870/71 am Schluß des Bandes.)

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1. Dom 19. September bis 27. Oktober.

antonements und Stellungen. Als wir in die Kantonements abmarschierten, kam mir Leutnant Clauson v. Kaas entgegen, der mit den Trainsoldaten und der Bagage meines Stabes in unser Kantonement Roissy geritten war, Quartier zu machen. Auf meine Frage, wie wir untergekommen seien, zuckte er die Achseln und meinte: „So gut es eben geht!" Aber ein verschmißtes Lächeln deutete mir an, daß die Unterbringung nicht übel sein werde. Wir rückten also in Roissy ein. In diesem recht geräumigen Ort waren etwa fünf oder sechs Einwohner zurückgeblieben, Krüppel, Bettler und Strauchdiebe, die meisten wohl alles zugleich. Der Prinz von Württemberg bezog das stattliche in einem prächtigen Park gelegene Palais des Maire, mir war eine leere Villa angewiesen, die mit dem verfeinerten französischen Komfort eingerichtet war, wie ihn sich eben ein reicher Besizer in diesem Lande beschafft. Wenn auch die flüchtigen Einwohner oder terrorisierende Pariser Franktireurs manches zerstört hatten, so war doch so viel übrig geblieben, daß wir sehr bequem dort leben konnten, um so bequemer, als keine Einwohner vorhanden waren, die auch noch Plaß einnahmen. Offiziere, Schreiber, Mannschaften und Pferde fanden ausreichende Unterkunft, jeder der Offiziere erhielt ein Zimmer, und außerdem hatten wir einen hübschen Salon und ein Billardzimmer. Wenn nun auch die Telegraphendrähte, die durch sämtliche Stuben gingen, zerschnitten, die Gardinen zerrissen waren, so waren doch Matraßen und Rouleaux geblieben, ebenso Tische und Stühle, ja sogar das Billard hatte seine Queues und Bälle unversehrt und stellte uns Zeitvertreib für lang

weiliges Warten in Aussicht. Wir richteten uns ganz häuslich ein und fühlten uns mit der Zeit in dieser schönen Sommerwohnung ganz wohl, nachdem wir uns auch mit allen den Kleinigkeiten versehen hatten, die man sich sonst vom Hausbesißer geben läßt, als da sind: Lichte, Tinte, Kaffeetassen zum ersten Frühstück, Schwefelhölzer usw., Dinge, die sich der Franzose dort sonst aus Paris holt, und die wir in Meaux, vier Meilen weit, holen lassen mußten. Während wir uns am ersten Tage häuslich einrichteten, kam ein Franzmann in blauer Bluse herein in das Haus, betrat den Salon, sezte sich in einen Lehnstuhl, stemmte die Ellbogen auf den Tisch, das Kinn ruhte in beiden Händen, und er sah mich mit seinem Gaunergesicht frech und herausfordernd an. Ich fragte ihn nach seinem Begehr. Er sagte, er verwalte das Haus. Daß er nicht der Besizer einer so elegant eingerichteten Villa sein könne, das sagten mir sein Betragen wie sein Gaunergesicht und sein zerlumpter Anzug. Ich bemerkte ihm, daß, da ihm das Haus ja nicht gehöre, ich nicht begriffe, wie er dazu käme, es zu verwalten. Er sei, sagte er, ein Verwandter des Besizers und von demselben beauftragt, darüber zu wachen, daß nichts Ungehöriges passiere. Der freche Spizbube hatte sich in seiner Adresse geirrt. Ich sagte ihm nämlich, das einzige Ungehörige hier sei, daß er sich in den Lehnstuhl gesezt, und wenn er nicht die schönsten Prügel haben wolle, so möge er sich baldigst aus dem Hause entfernen.

Da stand er auf und ging mit einem trogigen ,,eh bien" hinaus, und ich sah ihn nie wieder. Den Krüppeln und Bettlern, die ohne Lebensmittel im Ort geblieben waren, haben wir später von unserer gelieferten Verpflegung zu essen gegeben.

Unsere Existenz in den einwohnerlosen Ortschaften der Umgebung von Paris zog die ungewöhnlichsten, oft komischsten Lagen nach sich. Sie seien hier vorgreifend schon geschildert, damit ich später nicht den Lauf meiner Erzählung zu unterbrechen brauche. Wenn die militärische Lage Kantonementswechsel nötig machte, was sehr oft vorkam, da man doch die dem Feinde zunächst kantonierenden und deshalb am meisten angestrengten Truppen von Zeit zu Zeit ablösen mußte, dann nahm. jeder in sein neues Quartier mit, was er fortbringen konnte, um dort so bequem als möglich zu leben. Nach der Belagerung kamen die Besizer aus Paris heraus und fanden eine heilloje Verwirrung des Eigentums. Ein Franzose erzählte mir lachend, er habe sein Haus prachtvoll möbliert gefunden, obgleich dasselbe vorher nur mit einer sehr einfachen Ausstattung versehen gewesen. Die kostbarsten Sessel, Sofas und dergleichen hätten dagestanden, aber leider hätte nicht ein Stück zu dem

anderen gepaßt, und von allen diesen Dingen habe er nicht gewußt, wem sie gehörten. Der Anblick sei sehr drollig gewesen von einem blauen Plüschsofa neben einer gelben Seidenchaiselongue und grünen, roten und grauen Fauteuils und Puffs usw. Ich habe nicht sehr oft Quartier gewechselt, aber doch meiner Bequemlichkeit in sehr verschiedenen Graden. pflegen können. Meine Villa in Roissy war ein Dorado. Im Oktober quartierten wir nach Gonesse um. Die Villa des Mr. Lucy de Goneffe ward mir überwiesen; sie war noch geräumiger als die in Roissy. Aber meine Vorgänger im Quartier hatten schon vieles daraus mitgenommen. Lehnstühle fehlten, und Bettwäsche mußte ich entbehren. Ein vortreffliches Billard stand da, es fehlten aber die Bälle, die wir also aus Roissy mitnahmen. Die Zimmer entbehrten des Schmucks, wie Bendülen und Figuren auf den vorhandenen Konsolen an der Wand usw. Wir vermuteten anfangs, das sei alles geraubt. Aber frische Erde im Garten verlockte in den Tagen der Untätigkeit zum Nachgraben, und wir fanden dort viele kostbare Sachen vergraben, die wir reinigten und auf die zugehörigen Pläte stellten. Als Mr. Luch während des Waffenstillstandes aus Paris kam und dies sah, weinte er Tränen der Rührung und wollte mich umarmen.

Von Weihnachten bis Anfang März war ich in Versailles. Dort ward mir das kleine Palais einer italienischen Herzogin zugewiesen, in dem bis dahin noch keine Einquartierung gewesen war. Ein Concierge nebst Frau war darin geblieben. Anfangs fehlte es an allem, aber als der Concierge sah, daß wir nichts stahlen, kam nicht nur alles Nötige zum Vorschein, sondern wir speisten auch bald auf schönem Service mit silbernen Bestecken. Nach kurzem Aufenthalt in Gonesse marschierte ich im März nach Senlis, wo ich die Villa eines abwesenden Mr. de Varu erhielt. Dienerschaft war zugegen. Es war alles auf das luxuriöseste eingerichtet. Der Waffenstillstand und die durch den Aufstand in Paris drohende Gefahr ließen uns den Bewohnern als befreundete Macht erscheinen, also wurden wir gut behandelt. Als aber der heftige Kampf in Paris wieder auch unserseits eine enge Einschließung der Stadt von Norden und Osten nötig machte, da rückte ich am 17. Mai nach Montmorency. Man wies mir ein großes Haus neben der berühmten Kastanie von Rousseau an, aber in diesem Haus gab es kein einziges Möbel. Wir mußten die erste Nacht auf der Diele schlafen, den Kopf auf dem Sattel. Mit Mühe erhielten wir die nächste Nacht Stroh, später Strohsäcke. Bettstellen befamen wir bis zum Abmarsch nicht. Das Mobiliar bestand aus meinen mitgebrachten Feldstühlen und Feldtischen. Dieses dürftige Quartier war dann das lezte in Frankreich.

Am 4. Juni 1871 habe ich es verlassen, um mich nach der Eisenbahnstation Pantin vor Paris zu begeben und nach der Heimat verladen zu Lassen.

Stellungen. Nachdem wir eine Nacht geruht hatten, sollte die vollständige systematische Einschließung von Paris ausgeführt werden. Dies war am 19. noch nicht geschehen, sondern wir hatten uns nur im allgemeinen gefechtsbereit davor aufgestellt. Um halb sechs Uhr früh ritt der kommandierende General mit dem ganzen Stabe von Roissy ab, auf Paris zu, um die näheren Anordnungen zu treffen. Die Truppen rückten aus. Dem Gardeforps war der Raum von Stains bis Aulnay les Bondy einschließlich überwiesen. Die Hauptposition fennzeichnete sich durch den Terraineinschnitt des Morée-Bachs nördlich von Le Bourget, und es gab die Natur des Geländes, daß im Zentrum, zu beiden Seiten der großen Route de Lille, die Batterien der Korpsartillerie aufzustellen waren, wogegen rechts, auf der Höhe von Stains, die Batterien der 1. Garde-Infanterie-Division, links, nördlich desselben Morée-Bachs, zwischen Le Blanc Mesnil und Aulnay les Bondy, die der 2. Garde-Infanterie-Division ihren natürlichen Play fanden. Ich hatte mir am Tage vorher das Terrain schon daraufhin angesehen. Im Vorreiten machte ich, als wir auf der sanft dominierenden Höhe anlangten, dem Prinzen von Württemberg diesen Vorschlag. Derselbe befahl, ich sollte die Requisition an Arbeitern stellen, und ich antwortete ihm, daß wir Artilleristen keine Hilfe gebrauchten. Das hätte mir der Ingenieur Wangenheim fast übel genommen, denn er wollte sich gern nüßlich machen. Ich sagte ihm, er möge lieber seine Pioniere dazu benutzen, um die Ortschaften zur Verteidigung gut einzurichten. Nach meiner Anordnung standen somit meine Batterien 500 bis 700 Schritt hinter dem Bach, der dem Feinde ein Hindernis bereitete. Einige von unserer Infanterie beseßte Örtlichkeiten der Hauptverteidigungsposition, wie Dugny, Stains, Le Blanc Mesnil und Aulnay, waren dem Feinde wohl noch 300 bis 500 Schritt näher. Das war aber bei dem damaligen Verhältnis der Tragweite unseres Infanteriegewehrs und der Artillerie geboten. Jezt, wo das Infanteriegewehr eine entscheidende Wirkung auf weit größerer Entfernung hat, dürfte die Entfernung der Artillerieposition von der vordersten Verteidigungslinie der Infanterie nicht so groß gewählt werden.

Der Prinz zweifelte, ob wir Artilleristen uns so bald allein in der Stellung würden festseßen können. Ich sagte ihm, daß wir zwei Stunden dazu brauchten. Diese kurze Zeit seßte ihn sehr in Erstaunen. Ich traf

jezt die nötigen Anordnungen. Unterdessen ritt der kommandierende General nach Le Bourget, denn es ward gemeldet, daß der Feind diesen Ort verlassen habe, sobald sich unsere Truppen genähert. Das Städtchen lag mit seinem diesseitigen Ausgang 2000 Meter vorwärts unserer Hauptverteidigungsposition und erstreckte sich, in dicht gedrängter, zujammenhängender Häuserreihe nach Paris zu, die Route de Lille entlang, bis auf 2000 Meter vom feindlichen Fort Aubervilliers. Dort bildet eine Bahnstation am übergang der Eisenbahn über die genannte Straße das Südende des Orts.

Le Bourget, im freien Felde ohne irgendwelche Anlehnung liegend, bildete somit einen vor die eigentliche Haupteinschließungslinie weit vorgeschobenen, allseits leicht zu umgehenden Posten. Rechts davon liegt Courneuve und links davon Drancy. Ersteres sollte von der 1. Garde-Infanterie-Division, letteres von den Sachsen besetzt werden. Aber ersteres lag so ungünstig dicht am Fort de l'Est, daß nicht daran zu denken war, es dauernd zu behaupten, und die Sachsen gingen auch aus Drancy heraus, ihre Stellung weiter rückwärts wählend, obgleich Drancy nicht näher an den Forts von Paris war als Le Bourget. Somit standen unsere äußersten Vorposten in dem leßtgenannten Ort jehr erponiert. Sie sahen vor sich den Feind im Fort Aubervillers, rechts in Courneuve, links in Drancy, und diese sehr erponierte Lage bewog den General v. Budrizki, der Besatzung von Le Bourget durch die Zahl diejenige Sicherheit zu gewähren, die ihr die Lage versagte. Er bestimmte drei Bataillone, eine Eskadron und eine Batterie dorthin.

In der für die Korpsartillerie bestimmten Stellung wies ich rechts der Route de Lille die 2. Fuß-Abteilung, links derselben die Reitende Abteilung an, sich einzuschneiden. Als wir mit der Arbeit fertig waren, fam der kommandierende General aus Le Bourget zurück. Ich meldete ihm, daß wir fertig seien. Er wollte es kaum glauben, besichtigte die Batterien und war sehr zufrieden. Ich ordnete jezt eine permanente teilweise Beseßung der Position derart an, daß immer, solange das Tageslicht das Schießen gestattete, ein Teil der Batterien in Position stehen mußte, während der Rest in den Kantonements ruhte. Die Zeit des Ausharrens in der Stellung hatten die Batterien, wenn kein Gefecht stattfand, zur Vervollkommnung der Einschnitte zu benußen. So entstanden mit der Zeit die schönsten Erdwerke mit Deckungen für die Progen, für alle Mannschaften und gedeckte Kommunikationen für die Offiziere und Unteroffiziere. Wir Artilleristen sahen dann unsere Werke mit Stolz und Befriedigung an und freuten uns auf die Probe.

Als der Prinz von Württemberg nach Roissy zurückritt, begab ich mich mit seiner Erlaubnis zu den beiden Divisionskommandeuren, um

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