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Die herrliche Gegend, durch die wir marschierten, bezauberte uns, die Vegetation ist dort in der Nähe von Paris schon eine merklich andere als bei uns und hat südlicheren Charakter, ohne durch das fahle Grün der italienischen Wälder und Gärten das Auge zu ermüden. Wir ritten unter anderm durch ganz ausgedehnte Waldungen von echten Kastanien. Dieser Baum gelangt als Nußholz nicht zu hohem Alter, sondern wird meist abgeschnitten, wenn er hoch genug ist, um zur Hopfen- oder Bohnenstange zu dienen, denn er wächst in den ersten Jahren sehr schnell.

Unterwegs sahen wir schon in der Richtung auf Paris eine Menge Rauch- und Feuersäulen, den Ausdruck der Zerstörungswut der Regierung der Nationalverteidigung. Bei näherer Besichtigung sahen wir die Getreideschober auf den Feldern brennen. Eine überaus reiche Ernte ward auf diese Weise in einer gesegneten Gegend vernichtet. Nur wenige dieser ungeheuren Erntehaufen waren nicht in Brand, sei es, daß sie übersehen waren, sei es, daß sie nicht Feuer gefangen hatten. Waren es auch verhältnismäßig wenige, so waren es doch genug für uns auf den ganzen Winter. Die Pariser hatten also ihren Zweck nicht erreicht, uns Nahrungssorgen zu bereiten.

Thieur und die näher an Paris liegenden Ortschaften waren von den Einwohnern verlassen. Nur wenige Greise, Krüppel und Bettler waren zurückgeblieben, über die Regierung schimpfend. Das Innere der meisten Häuser war, so viel es in der Eile möglich, zerstört, die Türen und Möbel zerschlagen. An anderen Häusern mußten wir die verschlossenen Türen erbrechen, um hineinzukommen. Die wenigen Zurückgebliebenen sagten aus, daß nicht Einwohner von Thieur, sondern Franktireurs aus Paris den Vandalismus verübt und die Einwohner gezwungen hätten, nach Paris auszuwandern. Man hatte zum Teil sogar die Verzierungen außen an den Häusern zerschlagen. Alles zeugte davon, daß nicht ein System, um uns die Unterkunft unmöglich zu machen, sondern wilde Zerstörungslust vorgeherrscht habe. Wir waren gezwungen, zu unseren Zwecken zu verwenden, was wir fanden. Da keine Eigentümer vorhanden waren, so gab es auch kein Eigentum. Unsere Soldaten wurden systematisch daran gewöhnt, zu nehmen, und entwöhnt, das Eigentum der Landbewohner zu respektieren. Die Folgen lasteten schwer auf Frankreich. Die unklugen Maßregeln der Regierung haben daher nur dem französischen Lande geschadet. Als ein Beispiel sei erwähnt, daß auf den Hof des Hauses, in dem ich mich einquartierte, Aas geschleppt war, das einen Pestgeruch verbreitete.

Für den 19. September, den eigentlichen Zernierungstag, ward

befohlen, daß die Eisenbahn Creil-Paris die Grenze zwischen IV. und Gardekorps, die Bahn Nanteuil-Paris die zwischen dem Garde- und XII. Korps bilden sollte. Die Einzelheiten sollten von den vorzunehmenden Erkundungen abhängen. Im allgemeinen ward bestimmt: IV. Korps St. Brice, Vorposten von Sarcelles bis Deuil an der Nordbahn, sendet eine Brigade bis Argenteuil, zu der die Garde-UlanenBrigade stößt, um die Seine abwärts zu beobachten und Verbindung mit der 5. Kavallerie-Division zu halten. Gardekorps Roissy, Vorposten von Aulnay les Bondy über Le Blanc Mesnil, Garches, Bonneuil bis Arnouville und Sarcelles. Garde-Ulanen-Brigade tritt unter das IV. Korps. Das XII. Korps, Claye, besetzt Chelles, Montfermeil, Clichy, Livry und Sévran als Stüßpunkte für die vorwärts zu etablierende Vorpostenlinie. Armeekommando Tremblay.

Das Gardekorps teilte seine Aufstellung in zwei Flügel, je einen für eine Division, wovon die erste in Gonesse das Hauptquartier nehmen und die Stellung von Arnouville bis zur Route de Lille halten, die zweite mit dem Hauptquartier in Savigny Ferme die Abschnitte von Le Blanc Mesnil und Aulnay les Bondy halten sollte. Die Einrichtung der vorderen Ortschaften zur Verteidigung ward befohlen, eine allgemeine Reserve von drei Bataillonen der 1. Garde-Division und dem Rest der Garde-Kavallerie-Division in Roissy zur alleinigen Disposition des Prinzen von Württemberg zurückbehalten.

Nachts kam aber ein abändernder Befehl, weil die Patrouillen meldeten, daß der Feind verschanzt bei Pierrefitte stehe, wo also das IV. Armeekorps wohl Gefecht haben werde, und daß der Feind Bourget und Groslay Ferme barrikadiert und den Bahndamm dazwischen besett habe. Deshalb solle das Gardekorps bei Gonesse zur Unterstüßung des IV. Korps bereit sein. Das Gardekorps dirigierte daher die 1. GardeDivision vorläufig nach der Patte d'oir, die 2. Garde-Division nach Orme de Morly, die Korpsartillerie nach Petit Tremblay, die KavallerieDivision nach Le Blanc Mesnil, das Hauptquartier nach Orme de Morly. Diese Disposition war nach der Karte, selbstverständlich ohne Kenntnis der Gegend, gemacht, in der noch niemand von uns gewesen war. Daraus entstanden erheiternde, aber nicht wesentliche Mißverständnisse.

Der 19. September. Roissy. Wir marschierten bei heiterem Wetter um fünfeinhalb Uhr früh ab. Die Disposition führte das Korps in eine konzentrierte Stellung, weil man eine Schlacht mit Bestimmtheit erwartete. Die Stimmung war Die Stimmung war deshalb auch ernst. Wir

hatten einige Mühe, den auf der Karte Orme de Morly bezeichneten Ort zu finden, und machten einige Umwege. Endlich entdeckten wir, daß damit eine riesenhafte, blätterlose, einem Zahnstocher gleiche, einsam auf einem endlosen Kartoffelfelde stehende Ulme bezeichnet war. Da wurde viel gescherzt, daß das Hauptquartier dort aufgeschlagen werden und in welcher Etage jeder wohnen sollte. Mit der Patte d'oir der 1. Garde-Division verhielt es sich ähnlich, denn patte d'oix nennt der Franzose die Stelle einer Hauptstraße, in der sie sich, ohne gerade einen genauen Kreuzweg zu bilden, in drei Richtungen spaltet, wenn sie, wie hier die Route de Lille, am Kreuzungspunkt sich zu einem großen runden Platz erweitert. An dieser Patte d'oir befand sich eine verlassene Fuhrmannsfneipe.

Wir stiegen an der Orme de Morly ab und blickten nach Süden. Die Luft war so klar, wie im Hochgebirge nach einem Gewitter. Ein hoher Berg, im Duft blau gefärbt, zeigte sich unseren Blicken. Hell, im Sonnenschein wie Gold und Silber glißernd, glänzten darauf zahllose Villen. Das ist Paris, das ist der Montmartre. Da lag es, bezaubernd lieblich und dämonisch unheilvoll wie seine Bewohnerinnen. Wann werden wir darin sein? fragten wir uns. Wird es noch acht oder vierzehn Tage dauern? Jeder von uns glaubte, daß die Pariserinnen auf Kapitulation dringen würden, sobald ihnen einmal die Milch zum Kaffee fehlen werde, denn welches entscheidende Wort jede Hausfrau in Frankreich spricht, hatten wir zur Genüge erfahren. Aber darin täuschten wir uns denn doch gewaltig!

Während wir hielten, den Aufmarsch der anderen Korps und die Meldungen über den Feind abzuwarten, kam eine Aufforderung des IV. Korps an das Gardekorps, den Feind, der vor ihm auf der Höhe von Pierrefitte stehe, anzugreifen, und bald darauf, um elfeinviertel Uhr, kam Kronprinz Albert und befahl, das Gardekorps solle sich bei Gonesse bereitstellen, um nötigenfalls dem IV. Korps zu helfen, wenn dieses allein den Feind nicht bewältigen könne. Das Korps schob infolgedessen die 2. Division an den Moréebach, die 1. Division in die Stellung Arnouville-Garches vor, stellte die Korpsartillerie an der Malmaison-Ferme von Gonesse auf, wohin der Prinz von Württemberg ebenfalls ging, die Ereignisse abzuwarten. Andere Meldungen von einem Vormarsch feindlicher Truppen auf Aulnay nötigte dann, die 2. Division dorthin zu dirigieren.

So entstand ein fortwährendes Hin- und Herschieben der Truppen, und unser kommandierender General saß im Garten der Ferme, wo er schließlich in der Sonne etwas einschlief. Alle diese Ortschaften er

innerten mich, weil von Einwohnern entblößt, an Pompeji, so tot, so leer, so geisterhaft! Der letzte Bewohner von Malmaison aber kam mit einem Male langsam und bedächtig durch die enge Gartentür auf uns zu und näherte sich uns stumm Schritt vor Schritt, mit dem Kopf nidend. Es war ein schneeweißer, uralter Schimmel. Ich ging mit einer Rute ebenso stumm auf ihn zu, denn ich wollte den Prinzen nicht wecken, und winkte mit der Rute. Da trat das Tier nickend rückwärts Schritt vor Schritt wieder zur Gartentür hinaus. Andern Tags fanden wir es tot auf der Straße. Ich glaube, das arme Vieh war verhungert.

Spät nachmittags kam Kronprinz Albert und befahl Einrücken in die Kantonements. Alle die Meldungen über feindliche Bewegungen hatten sich nicht bestätigt. Die Verschanzungen bei Pierrefitte waren gar nicht vollendet, die Feinde darin, gering an Zahl, waren bei bloßer Annäherung des IV. Armeekorps fortgelaufen, und einige hatten sich gefangen gegeben. Es waren Nationalgarden. Nun bezogen wir die Quartiere, in die schon Kommandos vorausgesandt waren, um sie zu verteilen. So richteten wir uns vor dieser Stadt ein, vor der wir, was wir jezt allerdings nicht ahnen konnten, über acht Monate bleiben sollten.

Es ist vielfach die Ansicht ausgesprochen worden, und selbst der Reichskanzler hat sich einst mir gegenüber dahin geäußert, daß man am 19. und 20. September Paris hätte von allen Seiten stürmen können. Dies ist ein gewaltiger Irrtum. Allerdings war man in der Festung noch nicht mit allen Vorbereitungen zur Verteidigung fertig, aber die Werke waren immerhin sturmfrei, konnten also nur mit Hilfe von BeLagerungsgeschüß bewältigt werden, das wir nicht hatten. Außerdem waren wir durch die anstrengenden Märsche so geschwächt, daß beispielsweise das ganze Gardekorps nur noch 9000 Mann Infanterie zählte, denn die früheren Anstrengungen äußerten ihre Wirkung auf viele Soldaten erst nachträglich, während des verhältnismäßig viel weniger anstrengenden Marsches von Mouzon nach Paris. Immerhin hatten wir auch da Gewaltmärsche gemacht, denn wir hatten von Mouzon bis Paris nur zwei Ruhetage gehabt. Wir konnten also froh sein, wenn es uns zunächst gelang, die eineinhalb Meile Front der Einschließungslinie mit den 9000 Mann zu behaupten, und mußten das Eintreffen der Ersatzmannschaften abwarten, che wir an energische Offensive denken konnten. Die ganze Einschließungslinie betrug elfeinhalbe Meile!

Wir hatten am 3. August den Rhein bei Mannheim verlassen und waren am 19. September vor Paris angekommen. Das Hauptquartier

hatte in diesen 48 Tagen 120 Meilen Marsch zurückgelegt. Mein Stab mit den Truppen, die Montmédy beschossen, über 126 Meilen. Wenn die Hauptquartiere sich vorwärts bewegen, entfällt auf den gemeinen Mann, der seitwärts in entfernte Quartiere gehen, auch Patrouillen machen muß, oft das Doppelte an Weg. Von diesen 48 Tagen entfielen zwei auf je eine der größten Schlachten, die je geschlagen sind mit ihren unendlichen Anstrengungen, und nur fünf auf Ruhetage 9. und 22. August, 4., 12. und 17. September, wovon einer für diejenigen Truppen aussiel, die bei dem Versuch auf Montmédy beteiligt waren.

Noch sei die Leistung der Munitionskolonnen erwähnt. Am 19. September, als wir vor Paris Quartiere bezogen, traf die Munitionskolonne des Hauptmanns Räbel beim Korps ein mit voller Munition. Die anderen folgten in den nächsten Tagen. Räbel war am 3. September von Sedan abmarschiert, hatte seine Munition wieder in Saarlouis holen müssen und war am 19. September vor Paris. Man kann seinen Marsch auf achtzig Meilen annehmen, die er in sechzehn Tagen zurücklegte. Sein Eifer befriedigte den Prinzen von Württemberg außerordentlich, der ihn zum Essen einlud und ihm auf meine Bitte das Eiserne Kreuz übergab, indem er sagte, derartige Leistungen der Munitionskolonnen seien wie die Veilchen, welche im Verborgenen blühen.

Er war vor und nachmittags marschiert, hatte sich nachts nur in Dörfern weit seitwärts der Hauptstraße aufgehalten, die noch wenig von Truppen belegt waren. Es kümmerte ihn wenig, wieviel Pferde der Anstrengung erlagen. Im nächsten Nachtquartier erseßte er den Abgang durch Requisition bei den Bauern. Die Tornister der Begleitmannschaft ließ er auf die Wagen binden und die Ermatteten ebenfalls darauf seßen. Sein Feldwebel Herbst aber, ein vortrefflicher Mann, erlag den Anstrengungen und starb bald nach seiner Ankunft vor Paris am Typhus.

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