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artillerie, ein andermal zu der Artillerie der einen oder anderen Division zu reiten und durch einen Reisetrab von einer oder zwei Meilen die durch das lange Schrittreiten steif gewordenen Glieder wieder durcheinander zu schütteln. Wäre ich täglich drei Meilen weit in dem Tempo des kommandierenden Generals geritten, ich wäre vom Pferde gefallen. Denn bis vor Paris fühlte ich noch die Folgen der Anstrengungen der Tage vom 26. August bis 5. September und konnte mich durchaus nicht erholen. Nach dem Reiten mußte ich mich immer eine bis zwei Stunden hinlegen und ruhen.

Als ich vor Sevigny den Prinzen von Württemberg wieder einholte, hörten wir vor uns in der Richtung auf Laon eine Explosion von außergewöhnlicher Heftigkeit. Es kam uns vor, als ob der Boden unter den Hufen der Pferde erzitterte. Wir konnten uns gar nicht erklären, was diese Explosion bedeutete.

Der 10. September. Sissonne. Wir marschierten von halb neun Uhr bis elf Uhr bei klarem, aber windigem Wetter nach Sissonne. Unterwegs traf die Meldung ein, was die gestern gehörte Explosion bedeutete. Die Kavallerie-Division des Herzogs von Mecklenburg hatte Laon erreicht. Die Zitadelle war nicht verteidigungsfähig und hatte mit der halben Kompagnie Infanterie und den 2000 Mobilgarden der Besayung kapituliert. Als der Herzog mit dem seiner Kavallerie-Division beigegebenen Jäger-Bataillon in die Zitadelle einrücken wollte und eben die aufmarschierten Gefangenen passierte, flog die Zitadelle in die Luft. Unserseits wurden 3 Offiziere, 39 Mann getötet, 12 Offiziere, 60 Mann verwundet. Der Herzog selbst wurde verwundet. Von den Franzosen blieben 300 Mann auf dem Plaze.

Die Ursache der Explosion ist nicht aufgeklärt. Wahrscheinlich ist, daß ein französischer Feuerwerker in patriotischer Verzweiflung über die Kapitulation in das Pulvermagazin gegangen ist und dies entzündet hat. Wenigstens hat man ihn unter den Gefangenen, Verwundeten und Toten nicht gefunden, und die strengste Untersuchung hat eine Schuld des Kommandanten von Laon an diesem völkerrechtswidrigen Akt der Wut als unwahrscheinlich herausgestellt. Nach Erzählung von Augenzeugen soll die Verwirrung, welche die furchtbare Explosion unter Preußen und Franzosen hervorbrachte, entseßlich gewesen sein. Es muß bei der Explosion eine große Masse Pulver entzündet sein, da wir auf einer Entfernung von vier bis fünf Meilen die Erderschütterung verspürt hatten.

In Sissonne kam ich in ein merkwürdiges Quartier. Es war ein

Nonnenkloster. Ich ward durch einen Hausdrachen empfangen, der klein, verwachsen und hochschultrig einer Kröte ähnlicher war als einem Weibe, und dessen Stimme eher die eines quakenden Frosches zu sein schien, als die eines menschlichen Wesens. Dieses Individuum erklärte mir, die frommen Damen hätten mir das Parterre eingeräumt, würden im ersten Stock bleiben und sich als „réligieuses" vor Männern nicht sehen lassen. Auf alles, was ich begehrte, antwortete dieses Wesen:,,N'y a pas", worauf ich erwiderte: ,,Eh bien, je m'en passerai". So sollte es mit Frühstück beim Ankommen, mit Kaffee, Milch, Zucker, Semmel den Morgen des Abreitens gehalten werden, obgleich ich Bezahlung anbot. Als ich eben mit meinen Offizieren beriet, ob man Weibern im Dienste der Kirche gegenüber Gewalt anwenden könne, wurde alles gebracht, was ich gewünscht hatte, mit der Bemerkung, daß Bezahlung nicht angenommen werden könne. Ich erfuhr dann, daß es ein sehr reicher Orden war. Die Damen widmeten sich mildtätigen Leistungen und durften wohl mit Männern verkehren. Ich bat also, ihnen für die Aufnahme danken zu dürfen. Eine der Frommen erschien. Es war keine Gefahr vorhanden, wenn sie mit Männern verkehrte. Sie war abschreckend häßlich. Im Munde eine Säule sprach von entschwundener Pracht, und diese eine Säule stand schräg nach vorn; Raffzahn wäre der richtige Ausdruck. Ich war höflich und dankte für die Aufnahme. Jezt wurden wir, Offiziere und Leute, mit allen möglichen Aufmerksamkeiten, Lebensmitteln, Leckerbissen, überschüttet. Vortrefflichen Wein hatten die Barmherzigen auch.

Den 11. und 12. September. Craonne. Wir wandten uns jet südlich der Seine zu und marschierten von achteinhalb bis zehneinhalb Uhr nach Craonne, dem historischen Ort, wo Sacken am 7. März 1814 der Armee Napoleons einen jo zähen, langen und ruhmvollen Widerstand leistete, daß unter dem Schuße dieses Gefechts Blücher sich mit Bülow bei Laon vereinigen konnte, un dort zwei Tage später Napoleon aufs Haupt zu schlagen.

Ich ward bei einem Notar einquartiert, einem älteren ruhigen und objektiv redenden Manne, der mir sehr gut gefiel. Er hatte nur die Torheit begangen, seine Familie nach der Festung Soissons zu bringen, weil man in Frankreich überall die Meinung verbreitet hatte, wir seien Menschenfresser. Ich mußte dem armen Herrn sagen, daß seine Damen allerdings in einer Festung gefährdet seien, dagegen in offenen Orten, die wir besetzt hielten, vollkommen sicher, und riet ihm, wenn es ihm möglich, seine Damen wieder aus Soissons herauszubringen. Ob es ihm später noch gelang, weiß ich nicht.

Als ich mich nach dem Marsch aufs Sofa legte, um zu ruhen, zündete ich mir meine lezte Zigarre an. Mit Wehmut betrachtete ich, wie sich langsam, aber unwiderstehlich ein Atom des beliebten Krauts nach dem andern in Asche verwandelte, und sorgfältig ließ ich die Asche am Glimmstengel stehen, um die ganze Form diejes lezten der Mohikaner" solange als möglich sehen zu können. Wann werde ich wohl wieder eine eigene Zigarre haben?" Solches bei mir denkend, schlief ich ein, und die lette Hälfte der lezten Havanna entglitt meiner Hand und fiel auf die Erde. Mit einem Male weckten mich schwere Tritte. Die Tür ward aufgerissen. Feldpostmeister Reis tam atemlos und brachte mir die 300 Bestellten von Gerold. So zur Zeit kommt selten Hilfe. Seitdem habe ich in diesem Kriege niemals Mangel an Zigarren gehabt.

Der 12. September war ein Ruhetag. Viele Herren unseres Hauptquartiers benutten ihn, um nach dem nur vier Meilen entfernten Reims zu fahren und Verschiedenes einzukaufen, auch, um die Merkwürdigkeiten der alten französischen Krönungsstadt zu sehen, und weil sie sich von dem Urquell allen Champagners angezogen fühlten. Ich fühlte mich noch zu zerschlagen von den vom 26. August bis 5. September durchgemachten Strapazen und zog es vor, wirklich einmal ordentlich auszuruhen.

Mein Wirt, der alte Notar, wurde immer freundlicher und zutraulicher, als er sah, daß von unseren Soldaten nicht die geringste Ausschreitung oder Unordnung verübt wurde. Der Franzose ist leicht erregbar und von Gefühlen bewältigt. Es weinten die Einwohner Tränen der Rührung, als sie sahen, daß unsere so gefürchteten, bärtigen, sonnverbrannten Soldaten die Kinder auf den Knieen schaukelten und mit ihnen spielten, und sie fingen an, uns zu lieben. Bei dem Verkehr zwischen ihnen und uns kamen Sprachwirkungen vor, die den Franzosen, der gern lacht, sehr ergößten. So bat ein Soldat seine Quartierwirtin, von der er ein Waschbecken wünschte,,,un lavement, Madame“, und sie war erst entrüstet, dann aber entstand großer Jubel, als das Mißverständnis sich aufklärte.

Der Notar sette mir zum Frühstück einen Wein vor, den ich, wie er meinte, gewiß noch nicht getrunken hätte. Er schmeckte mir sehr gut und war mir um so angenehmer, als er nicht nur nicht berauschte, sondern auch ganz ungewöhnlich günstig auf meine Gesundheit wirkte. Es war die beste Sorte des zur Champagnerfabrikation verwendeten Weines. Derselbe verträgt langen Transport nicht und läßt sich auch nicht lange aufbewahren. Deshalb ist er im Auslande unbekannt, und deshalb ist man in Frankreich auf die langwierige Bereitung verfallen, die den

Champagner transportfähig und zum Handel geeignet macht. In diesem rohen Zustande kostet der feinste Champagner nur einen Franken die Flasche. Er wird nur dadurch so teuer, daß man ihn zwei Jahre lang präparieren muß, und daß während der Bereitung über die Hälfte der Flaschen springt, also verloren geht.

Im nächsten Quartier sette mir mein Diener zum Frühstück nach dem Marsche eine Flasche von demselben Weine vor. Ich war erstaunt, woher er komme, und erfuhr von ihm, daß der Notar ihm geheißen hatte, ein halbes Tugend Flaschen von dem Wein im geheimen für mich einzupacken, damit ich im nächsten Quartier noch an ihn denke. Gewiß eine außergewöhnliche Aufmerksamkeit gegenüber einem Feinde seitens eines Franzosen.

Der 13. September. Braisne. Wir ritten um sieben Uhr früh ab bei schönem Wetter, passierten die Aisne bei Quilly und kamen um zwölf Uhr in Braisne an.

Der kommandierende General lag bei einem reichen Fabrikherrn, der, zum ersten Male, daß dies in diesem Feldzuge vorkam, an dem Mittagstisch des Prinzen teilnahm. Er erzählte uns von der entseßlichen Demoralisation, in der die Truppen Vinoys durch den Ort marschiert waren. Nicht nur, daß Truppen aller Regimenter durcheinander liefen, sondern auch, daß im Orte plößlich das Geschrei entstand: ,,Les Prussiens", worauf die Leute ihre Gewehre in die Luft abfeuerten und fortliefen, was sie konnten. Kein Wunder, daß wir uns nach solchen Erzählungen der Illusion hingaben, der Krieg sei zu Ende, und unser bloßes Erscheinen vor Paris werde den Frieden herbeiführen. Der einzige, der die Lage der Dinge von Hause aus richtig beurteilt hat, war unser König gewesen. Als am Abend der Schlacht von Sedan der General Reille unserem König den Brief Napoleons brachte, in dem letterer seinen Degen anbot, haben die anwesenden Mitglieder deutscher Fürstenhäuser im allgemeinen Jubel unsern König beglückwünscht. Dieser aber hatte die Glückwünsche nicht angenommen, sondern geant. wortet: Ich sehe dies als ein Unglück an, denn wir haben jest niemanden, mit dem wir Frieden schließen sollen."

Es waren wieder Eiserne Kreuze zur Verteilung angekommen, und es entstand wieder große Freude bei den Beteiligten. Der Prinz von Württemberg teilte mir auch mit, daß er eine Anzahl Eiserner Kreuze an die Kavallerie-Division gesandt, davon aber das erste für meinen Bruder persönlich bestimmt habe, während er die Verteilung der übrigen Kreuze dem Ermessen der Division überlasse. Ich schrieb dies sofort

meinem Bruder, der weit vorn in Cuiry Housse auf Vorposten lag, und riet ihm, Gelegenheit zu nehmen, sich persönlich beim kommandierenden General zu bedanken. Den Brief sandte ich ihm durch meinen Adjutanten Braumüller, dem ich dazu einen Wagen gab. Nach dem weinseligen Zustande zu urteilen, in dem Braumüller spät in der Nacht zurückkehrte, muß sich mein Bruder sehr über meinen Brief gefreut haben.

Bei der Verteilung der Auszeichnungen wurde so gerecht verfahren, als es bei dem Drange der Ereignisse möglich war. Der König hatte bestimmt, daß von jeder Sendung Eiserner Kreuze ein Drittel an Offiziere, zwei Drittel an Unteroffiziere und Mannschaften zu verteilen seien. Jezt wurden mit derselben Bestimmung die Kreuze an die Regimenter und Bataillone je nach ihren Leistungen und Erfolgen verteilt. Wenn nun auch mit der strengsten Gewissenhaftigkeit danach verfahren wurde, und man unter Umständen die Mannschaften einer Kompagnie usw. selbst denjenigen wählen ließ, der sich unter ihnen am meisten hervorgetan, so konnten Ungleichheiten doch nicht ganz vermieden werden, welche manche vorübergehende Härte zur Folge hatten.

Eine solche kam jezt zur Sprache und wurde bei dieser Gelegenheit ausgeglichen. Der Prinz von Württemberg hatte zwar von den beiden Garde-Dragoner-Regimentern selbst gehört, daß sie bei Mars la Tour im heftigen Gefecht gewesen waren. Sie hatten ihre Kommandeure, fast alle Rittmeister und 200 Mann verloren. Aber eine dienstliche Mitteilung des X. Armeekorps, zu dem sie in dieser Schlacht kommandiert waren, hatte er nicht erhalten. Erst auf wiederholte Briefe hatte endlich das X. Armeekorps jest mitgeteilt, wie opferfreudig und heldenmütig die Garde-Dragoner-Brigade gekämpft hatte, und nun erst konnte der Prinz von Württemberg ihnen Auszeichnungen für dies Gefecht senden. Außerdem erließ er einen Korpsbefehl, der allen Truppen beim Appell vorgelesen werden mußte und, vom 14. September datiert, folgendermaßen lautete:

Über die Teilnahme der 3. Garde-Kavallerie-Brigade und der 1. reitenden Garde-Batterie an dem Gefecht bei Mars la Tour ist mir die offizielle Mitteilung jezt zugegangen.

Aus derselben habe ich mit hoher Befriedigung das ausgezeichnete Verhalten dieser Truppenteile ersehen.

Sind die Verluste auch groß, welche die beiden Garde-DragonerRegimenter in den wiederholten glänzenden Attacken erlitten haben, so können jene Regimenter doch stolz auf die erreichten Resultate sein, zu

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