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weiter vorwärts geleitet waren. Die Kolonne war soeben auf dem Bahnhofe ausgeladen worden und marschierte durch die Stadt nach ihrem Biwaksplate dicht dabei. Ich besichtigte sie, während sie an mir vorbeimarschierte, und freute mich über ihre gute Verfassung. Man sah deutlich die Übung der Offiziere und Unteroffiziere durch die Mobilmachung von 1866.

Zugleich erfuhr ich, daß die Kavallerie-Division des Korps ebenfalls schon auf dem Bahnhofe Kaiserslautern angekommen sei und neben der Stadt biwakiere. Es war uns befohlen worden, den nächsten Tag in Kaiserslautern Ruhetag zu halten, weil die anderen Korps noch in die Stellung zu rücken hatten. Da nahm ich mir vor, morgen die Stellung zu erkunden, das Schlachtfeld zu besichtigen und meinen Bruder bei der Kavallerie-Division zu besuchen. Der Ruhetag war mir auch sonst sehr angenehm, denn ich hatte die sehr unerfreuliche Meldung erhalten, daß an meinem Gepäckwagen alle vier Räder entzwei waren und keinen Marsch mehr aushalten könnten. Das geschah schon nach dem zweiten Marsche! Ein Beweis, wie ich beim Ankauf des neuen Wagens betrogen worden war! Die Räder waren alt und morsch und nur durch einen Anstrich erneut. Ein Stellmacher in Kaiserslautern übernahm die Anfertigung neuer Räder.

Ich ging zum Essen nach dem Gasthofe, in dem der Prinz von Württemberg einquartiert war. Der Prinz ließ nämlich für alle Offiziere des ganzen Hauptquartiers des Korps die Verpflegung empfangen und bewirtete uns dafür von früh bis abends. Wenn er uns nun das Empfangene hätte kochen lassen, wie es der alte Wrangel 1864 tat, so wäre das kein großes Opfer gewesen, denn er hatte dafür die Bequemlichkeit, seinen Stab immer um sich zu wissen. Aber er machte es möglich, täglich ein vollständiges reichliches Essen zu geben. Wir waren, glaube ich, täglich fünfundzwanzig Personen bei Tisch, und dazu kamen noch alle, die gerade zur Zeit der Mahlzeit eine Meldung hatten oder sonst dienstlich anwesend waren, denn der Prinz lud dann jeden zur Tafel. Das war sehr freigebig und angenehm. Der Dienst im Generalfommando ward dadurch wesentlich gefördert, weil keiner sich um seine eigene Nahrung zu kümmern brauchte und sich ganz dem Dienste hingeben konnte, den man von ihm verlangte. Zwar war der Grad von Etikette, welcher durch ein tägliches Frühstück, Mittag- und Abendessen von fünfundzwanzig bis dreißig Personen bei einem Königlichen Prinzen entstand, anfangs ein wenig unbequem. Aber als wir uns alle an die Lebensweise desselben gewöhnt hatten, hörte auch diese Unbequemlichkeit auf. Sobald sich alle gegenseitig kennen gelernt hatten, wurde diese

Tafelrunde eine sehr gemütliche und vertrauliche, denn der Prinz war so liebenswürdig und verlangte so wenig Rücksicht auf sich selbst, daß man das Gefühl hatte, in einer Familie zu leben, deren Familienhaupt von allen geliebt und verehrt wurde. Allmählich fühlte er das auch selbst durch, er bemerkte, daß die Rücksichten, die man auf ihn nahm, seiner Perion, seinem Wesen noch vielmehr galten als dem Rang, den er hatte, und da fühlte er sich selbst auch vollkommen heimisch, trat aus der Reserve heraus, die ihm sonst sein etwas schüchternes, zugeknöpftes Wesen auferlegte, und war in der Regel in diesem Kreise von der besten Laune der Welt, ging aus sich heraus, ward mitteilsam und lachte viel. Ich lernte diesen Herrn erst jezt wirklich kennen, der im militärischen Publifum als beschränkt galt, aber bei näherem Umgange mir oft bewies, wie flug und unterrichtet er war, und wie sein Schweigen, das man für Unfenntnis hielt, auf Grundsaß und System beruhte und eine nicht geringe Schlauheit verbarg. Dabei war er wohlwollend und durch und durch

vornehm.

In der Tür des Hotels standen mehrere junge Offiziere des Hauptquartiers um den Korpsintendanten gruppiert, welcher sehr erregt und laut sprach. Die jungen Herren machten lange Gesichter. Herzutretend, hörte ich noch den Intendanten sagen: „Bei solcher Art der Kriegführung muß die Armee verhungern. Ich kann die unbedingt nötige Verpflegung nicht herbeischaffen!" Ich rief mir den aufgeregten Herrn beiseite und bedeutete ihm, daß, wenn er Bedenken habe, er die volle Wahrheit dem kommandierenden General und dessen Chef des Stabes mitzuteilen, aber nicht Besorgnisse öffentlich auszusprechen und die Menge mutlos zu machen habe. Als er mir darauf erwiderte, diesen beiden habe er bereits alles gejagt, sie könnten nichts ändern, erklärte ich ihm, wenn er noch eine einzige derartige Unglücksprophezeiung öffentlich ausspreche, ich dafür sorgen werde, daß er wegen Verbreitung von Furcht und Mißvergnügen vor Gericht gestellt werde. Er ward still. Wir sind nicht verhungert. Die Aufregung dieses Herrn legte sich nach einigen Tagen, und seiner rastlosen Tätigkeit war es außerdem zu danken, daß das Korps im ganzen Feldzuge nie den geringsten Mangel gelitten hat. Ich habe mich später oft gefragt, wie es möglich sei, daß ein so gewandter Intendant im Anfange so den Kopf verlieren konnte. Ein Vergleich der Geschäfte der Intendantur im Frieden mit denen im Kriege gibt den Schlüssel zu diesem Rätsel. Im Frieden werden die Intendanturbeamten durch eine fürchterliche Masse von Bestimmungen eingeengt, deren Vorschriften sie nicht befolgen können, wenn sie nicht schon einige Monate vor den Truppenbewegungen und Manövern wissen, wo jeden Tag die

Verpflegung zu empfangen, die Magazine zu etablieren sind. Sollen fie plößlich die Lebensmittel beschaffen, ohne mit befannten Lieferanten vorschriftsmäßige Kontrakte auf Grund von vorschriftsmäßigen Submissionen abgeschlossen zu haben, sollen sie gar ins ungewisse hinein marschieren und zusehen, wo Lebensmittel zu finden sind, so halten sie dies für unmöglich und glauben, es müsse alles verhungern. Dann verlieren sie leicht den Kopf. Dem Feldherrn aber wird es schwer, zu entscheiden, wieviel er von den erhobenen Schwierigkeiten auf die Pedanterie, wieviel auf die Wirklichkeit zu schreiben hat.

Ich kam zum Essen. Die Stimmung des Kommandierenden und seines Chefs des Stabes war etwas nervös, wahrscheinlich infolge der Schwierigkeiten, mit denen ihnen der Intendant die Hölle heiß gemacht hatte. Die Besorgnisse gründeten sich in der Hauptsache darauf, daß der Befehl gekommen war, drei Armeekorps, das Gardeforps, das IX. und das XII., sollten von Kaiserslautern auf ein und derselben Straße vorwärts marschieren. Auf die Dauer ist das allerdings unmöglich, denn wenn mehr als 100 000 Streiter eine Straße einschlagen, so bedecken sie diese in einer Länge von mehr als einem Tagemarsche den ganzen Tag, und die Verpflegung findet die Straße nie frei, um nachzumarschieren und die Truppen zu erreichen, denen sie zugedacht ist.

Dies wird noch schwieriger, solange die rückwärtigen Eisenbahnen noch durch Truppentransporte in Anspruch genommen sind und keine Lebensmittel nachführen können. Daher kann ein Marsch so großer Massen auf ein und derselben Straße nur so lange dauern, als die Truppen Verpflegung bei sich führen. Wir hatten auf fünf Tage Verpflegung mit. Also dann erst brauchten uns neue Vorräte zu erreichen.

Bei Tische erzählte ich, wie überrascht ich gewesen, eine Munitionsfolonne der ersten Staffel schon in Kaiserslautern zu sehen, und daß die anderen noch heute hier eintreffen sollten. Sofort schnitt mir Tannenberg ein Gesicht und wurde unruhig. Ich fragte ihn, was er habe, und er meinte, wenn schon von Staffeln der Munitionskolonne die Rede sei, werde ihm unwohl. Ich konnte nicht umhin, ihm zu bemerken, daß doch die Munitionskolonnen ebenjogut Truppen des Armeekorps seien, dessen Chef des Generalstabes er darstelle, wie jede Kompagnie oder Eskadron, und daß er sehr froh sein werde, wenn diese Staffeln zur rechten Zeit einem etwaigen Munitionsmangel der Truppen abhelfen würden. Da riß dem guten Dannenberg die Geduld: „Na, verlangen Sie etwa auch, wie Ihr Vorgänger Colomier, eine ganze Infanterie-Brigade Bedeckung für die Staffeln der Munitionsfolonnen?" Da müßte ich ein Narr sein", sagte ich, denn eine Brigade Infanterie ist zu wenig, um die Muni

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tionskolonnen zu decken. Dazu gehört das ganze Korps, indem es sic so leitet, daß sie durch die Lage gedeckt sind. Gegen einzelne Landstreicher aber haben die Kolonnen an ihren mit Infanteriegewehren bewaffneten Begleitmannschaften Bedeckung genug." Da wollte Dannenberg mich umarmen. „Wenn Sie nicht auch eine Brigade verlangen, dann sind Sie mein Freund und können immer von Staffeln reden." Der Kommandierende lachte herzlich, und der Humor war hergestellt.

Daß die Munitionsfolonnen nicht durch den Feind gefährdet waren, wenn sie mit 100 000 Streitern auf derselben Straße marschierten, war mir wohl klar. Wie sie aber Plaß zum Marschieren finden, also vorwärts kommen sollten, war mir noch unklar. Ich nahm mir vor, sie den anderen Tag aufzusuchen und ihnen darüber Weisungen zu geben.

Nachmittags hatte ich noch viel Wirtschaft in meinem Stabe. Außer meinem Privatdiener und mir selbst hatte noch niemand eine Idee, wie man sich im Kriege benimmt und behilft. Ich übergab die Leitung des Stabes dem Leutnant Clauson v. Kaas.

Abends besuchte ich noch meinen Bruder im Biwak und sah das Biwak der Munitionsfolonnen. Dann erfuhr ich im Hauptquartier, daß der Befehl angekommen, wir sollten schon den folgenden Tag aufbrechen, statt Ruhetag zu halten.

Wo blieb mein Wagen ohne Räder? Ich ließ nur den Hafer vom Wagen herunternehmen und auf die Pferde packen, bei dem Wagen ohne Räder ließ ich einen Unteroffizier mit den beiden Wagenpferden und Trainkutscher und beschloß, vorläufig ohne andere Sachen, als die wir trugen, weiterzumarschieren.

Mit meiner Gesundheit begann in diesen Tagen eine für mich sehr erfreuliche Veränderung. In Berlin hatte ich mich während der Schießübung infolge der mir im Mai zugezogenen Erkältung von Tag zu Tag elender gefühlt. Ich konnte zuletzt kaum sprechen und mußte, wenn ich eine Kritik geben wollte, vorher immer meinen Hals mit einer Lösung chlorsauren Kalis gurgeln, wozu ich fortwährend eine Medizinflasche in der Tasche tragen mußte. Die Mobilmachung ließ mir feine Zeit, meine Gesundheit wiederherzustellen, und mit Besorgnis fürchtete ich, daß ich während des Krieges dienstunfähig werden könnte, ohne etwas geleistet zu haben. Die Eisenbahnfahrt von fast 48 Stunden verbesserte meinen Zustand nicht. In Dürkheim aber kam ich mit Dr. Cammerer zusammen, zu dem ich viel Vertrauen hatte. Er riet mir, meinen Hals mit Natron bicarbonicum zu spülen und mich möglichst viel in der frischen Luft zu bewegen. Die Befolgung dieses Rats besserte meinen Zustand täglich, und als der Krieg im vollen Gange war, da war ich ge

jund. Wie im Jahre 1866 hatte der Krieg meine Krankheit beseitigt. Man möchte fast meinen, daß ein Krieg ein gutes Mittel gegen einen chronischen Katarrh sei; dies Mittel ist nur nicht immer vorrätig.

5. August, Landstuhl. Wir marschierten um siebeneinhalb Uhr ab und trafen um zwölf Uhr in Landstuhl ein. Es war etwas kühler geworden, und der Marsch war sehr angenehm. Im Laufe des Tages, sowohl auf dem Marsche als auch des Mittags und Nachmittags, lernte ich den Prinzen Nikolaus von Nassau näher kennen. Der kommandierende General war sein Onkel,*) in dessen Hauptquartier er den Krieg mitmachte. Wenn ich auch im allgemeinen gegen die untätigen Zuschauer im Kriege eine Abneigung hatte, so war hingegen die Anwesenheit dieses Herrn im Heere mir sympathischer gewesen, denn er legte damit in seinem und seines Bruders, des depossedierten Herzogs von Nassau, Namen Zeugnis davon ab, daß Napoleon keine Unterstüßung von dieser Familie. zu erwarten habe. Jezt fand ich in ihm auch einen Menschen von ebensoviel natürlichem Verstand, Wissen und Belesenheit als Takt und Bescheidenheit. Er war ein sehr angenehmes Element im Hauptquartier.

In Landstuhl hatte ich ein sehr schönes Quartier in der Villa eines Privatmannes italienischer Abstammung, eines Herrn Benzoni, welcher von Sympathien für die deutsche Sache überströmte. Aus den Fenstern seiner mit sehr schönen Gemälden und Statuetten herrlich ausgeschmückten Salons hatte man eine prachtvolle Aussicht auf die schöne Gegend. Denn Landstuhl liegt malerisch am Nordfuße des Hardtgebirges, an welchem entlang die Chaussee in der Ebene führte. Je sauberer und vornehmer das Quartier, umsomehr vermißte ich meine. Sachen. Ich hatte nicht einmal Wäsche mit zum Wechseln und mußte mich in meinem Reitanzuge zeigen.

Vor dem Einrücken in Landstuhl besichtigte ich zwei Batterien der 2. Garde-Division, und nach dem Essen ritt ich ins Biwak des Korps und jah die Artillerie der 1. Garde-Division und die ganze Korpsartillerie. So hatte ich bis auf zwei Batterien die ganze Garde-Artillerie an diesem Tage gesehen. Die Röhrbrunnen, auch abessinische Brunnen genannt, die in den Feldzug von meinen Batterien versuchsweise mitgenommen wurden, leisteten zum Teil vortreffliche Dienste. Bei einzelnen Batterien.

*) Die Mutter des Prinzen Nikolaus war eine Schwester des Prinzen August von Württemberg. Beide waren Kinder des 1852 verstorbenen Prinzen Paul von Württemberg, Großvaters des jezt regierenden Königs von Württemberg. Prinz Nikolaus wurde später Generalmajor à la suite der Preußischen Armee und starb 1905.

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