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hatte Vinoy entwischen lassen, der mit seinen Truppen die Eisenbahn und auf dieser Paris erreichte, und wir machten also gewissermaßen bis einen Marsch vor Paris eine militärische Spazierreise durch das Land. Die militärischen Anordnungen für Märsche und Kantonements bieten somit weiter kein Interesse dar, und ich werde sie hier übergehen und aus meinem Tagebuch nur das wiedergeben, was mir einigermaßen interessant oder lehrreich erscheint.

Der 6. September. Vendresse. Der kommandierende General ritt um halb zehn Uhr ab nach Vendresse. Ich hatte Erlaubnis, später nachreiten zu dürfen, zunächst um länger schlafen zu können, und dann, um die Korpsartillerie abzuwarten, die um elf Uhr Mouzon passierte. Es waren verschiedene Anordnungen zu treffen. Rheinbaben hatte als ältester Stabsoffizier der Artillerie schon gleich nach der Schlacht von Sedan das Kommando der Korpsartillerie erhalten, Heineccius war als Kommandeur einer reitenden Abteilung in das IX. Armeekorps versett. Buddenbrock hatte die Reitende Abteilung wieder übernommen, Grävenit die 3. Abteilung, von Rheinbaben, bei der 2. Division, und für Heineccius mußte Sametky von der 1. schweren Batterie die MunitionskolonnenAbteilung übernehmen. Diese Änderungen zogen noch anderen Wechsel unter den Offizieren nach sich, auch waren gestern abend die Leutnants v. Stutterheim, Peters, Labes und Fähnrich v. Busse als Ersatz mit Mannschaften aus Berlin gekommen und mußten verteilt werden. Die erneute Verfeuerung von 3800 Granaten machte neue Anordnungen wegen Munitionsersag nötig. Mußte ich doch wieder sämtliche Artillerie-Munitionskolonnen, fünf zu vierundzwanzig Munitionswagen, leer zurückschicken, wogegen an Infanteriemunition wieder nur ein paar Wagen voll verbraucht war, die leer mit den Artilleriekolonnen zurückgingen, um gefüllt zu werden. Dieses Verhältnis des Munitionsverbrauchs der Artillerie und Infanterie ist charakteristisch für die Verwendung der beiden Waffen in diesem Kriege. In den Gefechten der Feldtruppen wurde das Zehnfache des Gewichts der verbrauchten Infanteriemunition bei der Artillerie verschossen. Das kam eben daher, weil bei der Überlegenheit des französischen Infanteriegewehrs die Artillerie so vielfach für die Infanterie eintreten mußte. In späteren Kriegen, in denen unser Gewehr dem des Feindes wieder ebenbürtig ist, wird dies Verhältnis jedoch ein anderes werden, und es wäre fehlerhaft, wollte man aus der genannten Erfahrung dieses Feldzuges den Schluß ziehen, daß man die mitzuführende Munition der Infanterie verringern und die der Artillerie vermehren müsse.

Ich hatte jest wieder keinen Munitionsvorrat bei den Kolonnen und konnte mit dem Vorrat bei den Batterien nur noch einen einzigen Schlachttag ausreichen. Bei der weiten rückwärtigen Entfernung unserer Munitionsdepots mußte ich daher den Kolonnen größte Eile empfehlen.

Als die Korpsartillerie um elf Uhr Mouzon passierte, besprach und regelte ich alles und ritt dann um zwölf Uhr dem Prinzen von Württemberg nach.

Der strömende Regen machte den Weg ebenso ungemütlich, wie die Masse des Fuhrwerks, welches die Wege versperrte und zum Teil so festgefahren war, daß kein Mensch rückwärts noch vorwärts konnte. Da kamen die Verpflegungswagen des V. und XI. Korps von Sedan her nach Süden und die des IV. Korps von Osten nach Westen. Nur mit vielem Aufenthalt und unter der Gefahr, gerädert zu werden, konnte ich den Kreuzungspunkt Raucourt passieren. Zwischen Chémery und Malmy auf der Brücke, die über den kanalisierten Bar-Fluß führt, fand ich wieder alles so verfahren, daß jede Bewegung aufhörte. Es gelang mir, mich zwischen den Wagen durchzuwinden. Nicht wenig erstaunt war ich, jenseit der Brücke den Weg frei zu finden. Auf der Brücke aber hielt die Bagage des Hauptquartiers des Kronprinzen von Sachsen unter Führung eines Offiziers, der somit die Straße sperrte. Auf meine Frage, warum er hier auf der Brücke hielte, gab er mir Bescheid, er warte noch auf zwei Wagen des Kronprinzen, die in der Masse abgekommen seien. Ich bemerkte ihm, daß, wenn er auf der Brücke halte und die ganze Masse der Trains hinter sich am Weitermarsch hindere, so werde er die beiden Wagen, die nur 200 Schritt hinter ihm festsäßen, nie ankommen sehen. Wenn er aber weiter marschiere und auf dem freien Plaß vor sich seitwärts herausfahre, werde er die beiden Wagen bald haben. Er fand diesen Vorschlag vortrefflich, und der Marsch der endlosen Bagage kam wieder in Fluß.

Der 7. September. Poir. Der Marsch von neun bis zwölf Uhr war sehr verzögert durch Bagagen, an denen nicht vorbeizukommen war. Der Prinz von Württemberg befand sich in recht übler Stimmung, das Resultat eines Befehls der Maas-Armee, welcher anordnete, das Gardekorps dürfe nicht mehr, wie bisher, die Tornister der Infanterie auf die Verpflegungswagen verladen, sondern die Infanterie solle ihre Tornister von jest ab tragen. Obgleich der Prinz dies bereits selbst vorher angeordnet hatte, so verstimmte ihn dieser Befehl doch, denn er war der Meinung, daß das Armeekommando nicht berechtigt sei, eine derartige Anordnung zu verfügen, die in der Befehlsbefugnis des General

kommandos liege, welches allein für die Sicherung der Verpflegung und für die Innehaltung der gestatteten Marschtiefen verantwortlich sei, und die Details zur Erreichung dieses Zwecks selbständig anordnen könne. Der Kronprinz von Sachsen ließ mich holen, um sich mit mir wegen des Munitionsersatzes zu besprechen. Hierbei erzählte er mir, daß ein anderes Korps seit der Schlacht von Beaumont die leeren Munitionswagen mit sich führe und erst in Berlin schriftlich angefragt habe, wo die Munition geholt werden müsse. Ich mußte über solchen Unverstand sehr lachen und teilte dem Kronprinzen meine Anordnungen mit, die er nun auch dem Artilleriekommando jenes Korps zur Vorschrift machte. Während er mit mir sprach, sandte der Prinz von Württemberg einen Befehl, ich solle neben ihm reiten. Ich ließ antworten, ich werde sobald kommen, als der Armeekommandeur mich entlassen habe. Sobald der Kronprinz die Angelegenheit erledigt hatte, entließ er mich lächelnd zum Prinzen von Württemberg. Wenn zwei große Mühlsteine aneinander reiben, wird ein kleinerer Stein dazwischen zermalmt. So ging es mir hier.

Es dauerte nicht lange, da kam der Kronprinz beim Prinzen von Württemberg an, zitierte ihn vor die Marschkolonne, und da sah man beide hohe Herren eine Weile eifrig und lebhaft miteinander diskutieren. Das Ende war, daß sie sich die Hand reichten. Zwei so edle Naturen konnten nicht lange miteinander grollen.

Der Prinz äußerte zu mir gelegentlich, die Stellung eines Armecfommandeurs sei eine so außergewöhnliche, daß der König dazu nur besondere Persönlichkeiten aussuchen könne, zu denen er das Vertrauen habe. Nicht jeder könne die dazu nötigen Eigenschaften besißen, und er werde jedem gehorchen, den der König dazu ernenne. Anciennitätsfragen könnten hier nicht zur Geltung kommen. Es zeugte diese Antwort von vieler Selbstverleugnung.

In Poir entstand mittags nach dem Einrücken kurz vor dem Essen Feuerlärm. Feuer im Kantonement ist immer sehr unangenehm. Alles stürzte nach dem Hause, aus dessen Schornstein die helle Flamme herausschlug. Die versammelten Bewohner des Dorfs standen untätig und lachend da und überließen unseren Truppen das Löschen. Das sezte mich in Erstaunen, und ich mischte mich unter die Franzosen, den Grund der Heiterkeit zu erfahren. Da hörte ich, daß der Besizer, weil er vernommen, unsere Leute äßen gern Speck, all seinen Speckvorrat im Rauchfang versteckt hatte. Als die bei ihm einquartierten Soldaten ihr Essen kochten, fing der Speck Feuer, und die Flamme schlug zum Schornstein heraus. Es entstand nun gar keine Feuersbrunst, sondern der Speck verbrannte nur. Der Besizer war ihn jezt sicher los.

Der 8. September. Séry.*) Wir marschierten von früh sieben Uhr bis mittags zwölf Uhr nach Séry. Von Launois bis Novion Porcien ritt wieder das Hauptquartier der Maas-Armee mit uns zusammen. Heute war der Verkehr vertraulicher als gestern, und obgleich das Wetter abwechselnd regnerisch war, so waltete doch eine heitere Laune vor. Kronprinz Albert fühlte sich am wohlsten, wenn er mit Bekannten recht gemütlich verkehren und sich etwas erzählen konnte. Es war dazu nötig, daß er die Menschen, mit denen er zusammen war, schon öfter einmal gesehen hatte. Im Hauptquartier des Gardekorps gab es für ihn jezt feine fremden Menschen mehr, und so war er ganz vertraut. Mit mir sprach er in voller Objektivität über den Krieg von 1866, und auf die Ereignisse bei Gitschin bezüglich meinte er, daß wenn Benedek damals jeine, des Kronprinzen, Vorschläge angenommen hätte, würde es uns an diesem Tage schlecht ergangen sein. Ich bemerkte ihm zustimmend, daß ich nach dem aufmerksamen Studium des österreichischen und des sächsischen Generalstabswerkes überhaupt Gott danke, daß des Kronprinzen Rat damals so wenig befolgt worden sei, und als ich hinzufügte: „Aber ist es nicht besser so? Hätten wir, wenn Preußen besiegt worden wäre, die schöne Schlacht von Sedan jest geschlagen?", sah er mich lachend freundlich an, drückte mir die Hand und meinte: „Darin haben. Sie sehr recht."

Séry ist ein kleines Dorf, in dem nichts zu haben war. Der Prinz von Württemberg lag beim Geistlichen. Das Pfarrhaus lag oben auf einem Berge romantisch. Der Garten gewährte eine herrliche Aussicht nach Süden, die wir bei Sonnenuntergang genießen konnten, denn die Luft klärte sich wieder auf. Aber die Romantik hätten wir gern hergegeben, wenn wir einmal in eine größere Stadt gekommen wären, in der wir unsere Vorräte hätten vervollständigen können. Der eine hat diese, der andere jene kleinen Bedürfnisse, deren Befriedigung er ungern entbehrt. Man hatte nie Gelegenheit, einmal ein Paar neue Strümpfe oder ein Paar Stiefel zu kaufen. Heute fuhr deshalb Lindau nach Rethel. Er brachte wenig mit, denn die Bewohner waren dort von solchem Haß gegen uns erfüllt, daß sie ihm nichts verkaufen wollten: „Allez toujours à Paris, Vous y trouverez tout ce qu'on y prépare pour Vous", hatten sie ihm gesagt.

Mein Zigarrenvorrat neigte sich zu meinem Schrecken seinem Ende entgegen. Des Mittags ließ der Prinz von Württemberg zwar nach dem Essen jedem eine Zigarre vorseßen, und ich hatte meine Adjutanten, die

*) 8 Kilometer nördlich Rethel.

beide nicht rauchten, schon seit zwei Tagen instruiert, daß sie die Zigarre nicht ausschlagen, sondern für mich aufheben mußten, damit ich im Laufe des Tages noch etwas zu rauchen hatte. Wenn auch die Feldpost größere Pakete aus der Heimat nicht befördern durfte, so bot der Feldpostmeister Reis des Gardekorps, der im Jahre 1866 bei meiner Reserveartillerie das Postwesen geleitet hatte, mir zwar an, mir von Gerold in Berlin ein paar Hundert unter der Hand kommen zu lassen. Diese waren aber noch nicht eingetroffen, und ich sah bald den Tag kommen, wo ich auf dem Marsche nichts mehr zu rauchen haben würde. Hatte ich doch, wie erwähnt, die Hälfte meines Vorrats bei Sedan meinem Bruder gegeben.

Der 9. September. Sevigny.*) Der Marsch wurde von halb neun bis ein Uhr von Séry über lauter kleine Dörfer bei strömendem Regen nach Sevigny durchgeführt. Ich machte einen Umweg über Hannogue, um etwas mit der Artillerie der 1. Garde-Division zu besprechen. Auf den Landwegen versanken die Pferde fast im Schmuß. Der Boden ist dort fetter Tonboden. Da war bei dem heftigen Regen und wenn Geschüß und Fuhrwerk in Masse darauf marschiert war, kaum von der Stelle zu kommen.

Ich machte aber gern dann und wann einen kleinen Umweg, denn in Zeiten, wo keine militärische Aktion durch den Feind bedingt war, sezte der Prinz von Württemberg durch die Art seines Marschierens die Nerven des Stabes auf harte Proben. Seine Lieblingspferde, ein Brauner und ein Falbe, hatten zwei entgegengesetzte Eigenschaften. Der Braune ging statt Schritt eine Art von Paß, in dem kein Pferd im Schritt nachkommen konnte. Da blieb das ganze Hauptquartier in einer Art von Zuckeln und Zappeln, und die Pferde wurden unruhig, die Reiter sehr müde. Der Falbe aber ging einen so kurzen Schritt, daß man immer halten mußte und noch mehr ermüdete. So brachten beide Pferde alle anderen Reiter zur Verzweiflung. Dazu kam, daß der Prinz gar kein Vergnügen am Reiten hatte. Auf den Reisemärschen betrachtete er das Reiten lediglich als Transportmittel, und nur sehr selten sette er sich in einen kurzen Trab oder Galopp, aber nur auf wenige hundert Schritt, gerade genug, um alle Pferde unruhig zu machen, aber nicht genügend, um ihnen den bei der täglichen geringen Bewegung und dem reichlichen Futter wieder erwachenden Stallmut zu nehmen. Da begann dann in dem Stabe ein Springen, Bocken und Ausschlagen, das nicht aufhörte. Ich ergriff daher oft und gern die Gelegenheit, die mir irgend eine nötige Besprechung bot, um mich von der Marschkolonne zu entfernen und einmal zur Korps

*) 10 Kilometer westlich Seraincourt.

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