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losgerissen und dem ruhig frühstückenden Leutnant v. Brizke vom GardeHusaren-Regiment ein Bein zertreten.

Nachdem mir die überraschung vereitelt war, stieg meine Ungeduld, denn Medem schoß immer noch nicht. Endlich, es war halb zehn Uhr, knallte der erste Kanonenschuß von der Höhe über Le Thonne les Prés. So hatte Medem zu der halben Meile Weges drei Stunden Zeit gebraucht. Ich ließ sofort die fünfunddreißig Geschüße vorrücken und das Feuer beginnen aus einer Aufstellung, in der sich die Batterien auf 2000 Schritt gut einschossen. Der Feind antwortete aus allerhand Geschüßen. Wir erhielten Mörserfeuer und Granaten aus schwerem gezogenem Geschüß, die mit dem Aufschlage plaßten, also ähnlich konstruiert sein mußten wie die unsrigen. Sie waren wohl einen halben Zentner schwer und schwerer. Die Geschüße scheinen Hinterlader gewesen zu sein, denn sie schossen vortrefflich. Die Granaten desselben Geschüßes schlugen fast immer in dasselbe Loch ein, das die vorherige in den Acker gerissen. Aber die feindlichen Artilleristen verstanden nicht zu schießen. Sie glaubten zu treffen und schossen erst Schuß auf Schuß zu kurz, dann immer zu weit. Waren sie in der überlegenheit an Schwere der Geschosse, so waren wir in der überlegenheit an Zahl, an umfassender Aufstellung und an Schnelligkeit der Bedienung, denn die schweren Brummer konnten nur alle fünf bis zehn Minuten einen Schuß abgeben, dagegen schlugen unsere Granaten unaufhörlich von zwei Seiten in großer Zahl beim Feinde ein und machten die ganze Festung durch ihre herumfliegenden Sprengstücke unsicher. Binnen einer Viertelstunde machte sich die Überlegenheit unseres Feuers derart geltend, daß nur noch einzelne Geschütze des Feindes das Feuer fortjeßten. Der größte Teil, namentlich diejenigen Geschüße, welche hinter Scharten standen, hörten auf zu schießen, weil die Scharten durch die Explosionen mit Strauch und Erde gefüllt wurden. Auch sahen wir Explosionen von Pulvermagazinen auf dem Walle.

Um die letzten Geschüße ebenfalls mundtot zu machen, ließ ich jezt die beiden reitenden Batterien links oben auf dem Berge näher herangehen, damit sie mit jedem Schuß auch in die kleinen flachen Scharten treffen könnten. Buddenbrock trabte bis auf eine Entfernung von 1400 bis 1500 Schritt heran, und man sah zur allgemeinen Freude jede Granate Bunkt für Punkt einschlagen. Die Gebäude im Innern der Stadt fingen verschiedentlich Feuer, und nach einer Stunde antwortete nur ein einziges Geschüß noch auf unser Feuer. Aber dies eine Geschütz konnten wir nicht zum Schweigen bringen. Es stand in dem ausspringenden Winkel eines Bastions und zeigte keine Scharte. Man sah aber auch keine Menschen,

die es bedienten. Sobald es abgefeuert war, verschwand es hinter der Wallspite. Nach einer Weile erschien der halbe Kopf der Geschützmündung wieder über dem Wall und dann folgte der Schuß sehr bald. Es muß eine Einrichtung gehabt haben, ähnlich unserer indirekten Nichtmaschine, die wir damals die Richtersche Richtmethode nannten, bei der sich das Geschüß durch den Schuß selbst beim Rücklauf in die Deckung begibt, dort geladen wird und gerichtet werden kann, ohne daß ein Mann gefährdet wird. Daß dies Geschüß nur nach den reitenden Batterien und dort immer auf denselben Fleck etwas zu weit schoß, bestärkte meine Vermutung. Die Sicherheit, in der sich dies Geschüß befand, bewog mich später, vor Paris bei allen Geschüßen die indirekte Nichtmethode anwenden zu lassen. Mit Spannung, wenn auch mit geringer Hoffnung, richteten wir unsere Gläser auf Wall und Kirchturm, ob nicht etwa eine weiße Fahne aufgezogen werde, aber es erfolgte nichts dergleichen. Dagegen bemerkten wir oben im Kirchturm bei den Glocken einen Menschen, der Signale heruntergab, wahrscheinlich über die Treffähigkeit des einen Geschüßes. Diese Signalstation ward jezt einer Batterie als Zielobjekt gegeben. Wir sahen die Granaten am Turm anschlagen, konnten also über die Korrektur nicht im Zweifel sein, und nach dem dritten oder vierten Schuß war der Beobachter im Turm vertrieben.

Nachdem die Kanonade zwei Stunden gedauert hatte, fing es an, mir um die Munition leid zu tun. Ich beschloß daher, einen Parlamentär in die Festung zu senden. Da aber der Kommandant erklärt hatte, er wolle keinen Parlamentär mehr annehmen, sondern werde einen jeden erschießen lassen, so ließ ich den Maire von Thonnelle mit Gewalt vor mich führen, übergab ihm einen Brief an den Kommandanten von Montmédy und sandte ihn damit in die Festung, nachdem ich Punkt halb zwölf Uhr das Feuer eingestellt hatte. Der Maire, ein Bauer in der landesüblichen blauen Bluse, trat seinen Weg auf der Chaussee mit Zittern und Zagen an. An einer ungeheuren Stange schwenkte er ein weißes Tuch. Ihm folgte auf der großen Straße eine Patrouille, die den Befehl hatte, ihn zu erschießen, wenn er nicht in die Festung ginge. Das war ihm mitgeteilt. So gelangte er hinein. Daß er meinen Brief abgegeben, erfuhr ich später aus belgischen Zeitungen, in denen sich der Berichterstatter über eine nicht ganz gut französische Stilwendung meines Briefes lustig machte. Unterdessen hatten wir unsere Geschüße zurückgezogen, und der Feind schoß auch nicht. Aber mein Bote kam nicht wieder. Statt dessen benußte der Feind die Zeit der Gefechtspause, um soviel als möglich die Schäden am Wall und an den Scharten auszubessern. Sobald daher die gestellte Frist von anderthalb Stunden abgelaufen war, ohne daß eine

Antwort erfolgt wäre, ließ ich Punkt ein Uhr das Feuer von neuem beginnen.

Die zweite Beschießung dauerte nur noch eine Stunde. Hierbei ließ ich nur einen Teil der Batterien nach den feindlichen Wällen feuern, soweit es nötig war, um die Verteidigungsgeschüße nicht wieder zu Worte kommen zu lassen. Es waren wieder mehrere in Tätigkeit gesezt, aber sie verstummten bald bis auf jenes eine in der Spite.

Die anderen Batterien mußten die öffentlichen Gebäude beschießen. Da geriet erst die Präfektur, dann die Kasernen und die Magazine in Brand. Nach den Häusern am Fuße des Felsens außerhalb der Festung, die augenscheinlich armen Bewohnern gehörten, durfte nicht geschossen werden. Die in Brand gesteckten öffentlichen Gebäude brannten bald ganz nieder. Bei der herrschenden Windstille stieg der Rauch schnurgerade senkrecht in die Höhe und breitete sich hoch in der Luft pilzartig zu einer Wolke aus, von der Aschenteile ringsherum zur Erde fielen. Diese Rauchwolke reichte bis über uns, und die herunterfallenden Kohlenteilchen waren zum Teil verkohlte Blätter aus den Aften, auf denen wir den Druck und die Schrift noch lesen konnten. Es ging daraus hervor, daß es die Präfektur war, aus der sie stammten. Der Anblick von Montmėdy, wie es so oben auf dem Felsen brannte, der Rauch gerade in die Höhe stieg und sich oben verbreiterte, erinnerte mich lebhaft an den Vesuv.

Während der beiden Kanonaden am Vor- und Nachmittage hatte ich meinen Aufstellungspunkt weit vor den Batterien genommen. Ich hatte nämlich zum Schuße derselben gegen etwa sich heranschleichende einzelne Schüßen eine dünne Tirailleurslinie bis an den Rand vorgeschoben, wo der allmählich bis dahin gegen Montmédy abfallende Höhenrücken. plötzlich steil zum Talkessel abgeschnitten ist. Hier krönte eine dünne Dornenhecke den Rand und gewährte den Tirailleuren Schutz gegen die Einsicht aus der Festung. Hierhin schlich auch ich mich in einem dorthin führenden Graben mit meinem Gefolge zu Fuß. Das Gefolge war recht ansehnlich geworden. Oberstleutnant v. Wangenheim und sein Adjutant, Leutnant v. Wangenheim, ebenso Leutnant v. Rundstedt von den GardeHusaren, zurzeit Adjutant bei Pape, hatten Erlaubnis erbeten und erhalten, für heute zu meinem Stabe zu gehören. Hier war ich nur 1100 Schritt von den Festungswerken entfernt und stand 900 Schritt gerade vor meinen Batterien der 1. Fuß-Abteilung, deren Granaten von hinten über uns hinwegsausten, wie die feindlichen von vorn. Unsere Infanteristen amüsierten sich anfangs über jede Granate und machten ihre Glossen. Schließlich sagten sie mir: „Nee, Herr General, des können wir doch nicht uff die Entfernung, wie die Attollerie." Allmählich Prinz zu Hohenlohe, Aufzeichnungen. IV.

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aber siegte bei den braven Kerlen die Müdigkeit, denn sie waren um oder bald nach Mitternacht aus den Quartieren abmarschiert, und sie schliefen in dem warmen Sonnenschein auf dem Stoppelfelde so fest ein, daß ihr Schnarchen mit dem Donner der Geschütze rivalisierte. Ich veranlaßte die Offiziere, Wachposten mit Ablösungen zu bestimmen, damit wenigstens bei jedem Zuge einer die Augen nach dem Feinde habe. Es ist merkwürdig, wie schnell sich die Truppe an den Kanonendonner gewöhnt. Hier schlief das Volk schon unter darüber hinwegsaufenden Granaten. Da soll mir noch einer sagen, man dürfe des üblen Eindrucks wegen die eigene Infanterie nicht mit Granaten überschießen! Allerdings ist dieselbe gefährdet, wenn eine Granate im Rohr krepiert und als Kartätschschuß herausfährt. Aber diese Sprengstücke fliegen doch nur eine gewisse Entfernung weit. Heute, bei dem trockenen Wetter, kam dies wiederholt vor, wo ich gerade in der Schußlinie stand. Der Inhalt eines solchen Schusses flog nur bis auf 300 bis 400 Schritt an mich heran, also die Sprengstücke der im Rohr geplatten Granaten sind nur 500 bis 600 Schritt weit gegangen. Ist die Infanterie weiter vor, so ist sie nicht mehr durch die eigene sie überschießende Artillerie gefährdet, und man kann dreist über sie hinwegschießen.

Um zwei Uhr ließ ich die Kanonade aufhören und leitete dann den geordneten Abmarsch der Truppen, die zum Teil noch dreieinhalb Meilen in ihre Quartiere zu marschieren hatten. Ich hatte das Gefühl, gar nichts erreicht zu haben, und beklagte die mehr als 3000 Granaten, die ich nach Montmédy hineingeworfen hatte.*) Später aber las ich in belgischen Blättern, daß der Schaden, der dem feindlichen Fiskus zugefügt war, viele Millionen betragen hat. Auch hat die Garnison viel Verlust an Toten und Verwundeten gehabt. Unter den Verwundeten befand sich der Kommandant selbst. Auch hat er später behauptet, wenn ich nur noch eine halbe Stunde weiter geschossen hätte, so würde er haben kapitulieren müssen. Ich glaube, das hat er nur so gesagt, um uns zu ärgern, denn ich konnte keinen Grund zur Kapitulation sehen. Ich hatte einen Verlust von einem toten Kanonier der 1. schweren Batterie, einem hoffnungsvollen Freiwilligen, den ein Sprengstück einer zu kurz gegangenen Granate augenblicklich getötet hatte. Außerdem waren noch drei Kanoniere ganz leicht geschrammt. Der Verlust an Pferden erregte durch seine Art und Weise Heiterkeit. Als die reitende Artillerie zum zweiten Male in Position rückte, ließ sie ihre Reitpferde in einer deckenden Terrainmulde zurück, um sie nicht unnüß zu erponieren. Eine viel zu weit gehende

*) Es wurden 3812 Granaten verfeuert.

Granate traf dort das Pferd in die Brust, das ein Pferdehalter ritt; deshalb liefen die anderen drei Pferde lose umher, und es gelang nur, eins einzufangen. Die beiden anderen liefen erschreckt nach Montmédy. So hatte ich an Verlust ein Pferd tot und zwei desertiert. Einige waren leicht verwundet. Infanterie und Kavallerie hatten keinen Verlust.

Als die Truppen, vom Feinde unbelästigt, im Marsch waren, ritt ich nach Mouzon voraus. Ich traf daselbst gegen Beginn der Dunkelheit ein. Der Prinz von Württemberg war in großer Aufregung wegen meiner Expedition. Er hatte bei der herrschenden Windstille gar nichts von meiner Kanonade gehört und befürchtete, ich könnte einen unsinnigen Sturm auf Montmedy versucht haben. Deshalb hatte er mir noch nachmittags drei Adjutanten nacheinander gesandt, um mich zur Schonung zu ermahnen. Diese Adjutanten hatten mich auf der großen Straße verfehlt, da ich nach der Karte auf näheren Feldwegen nach Mouzon geritten war. Als ich mich bei ihm meldete, war daher seine erste Frage: Wieviel Verlust?" Meine Meldung: „Von der Artillerie ein Mann, drei Pferde, von der Infanterie und Kavallerie nichts", erregte derart seine Freude, daß er aufsprang und mir um den Hals fiel. Dann befahl er mir, sofort den Bericht zu schreiben, denn vom Oberkommando der Maas-Armee sei schon zweimal gesandt worden, man wolle dort den Rapport über die Expedition auf Montmédy haben. Ich erklärte dem Prinzen, ich sei zu müde und zu hungrig, um zu schreiben. Wenn er mir etwas zu essen geben lassen wolle und einen Schreiber kommandieren, dann wolle ich während des Essens den Bericht diktieren. Dies geschah. Allerdings erhielt ich recht magere Kost. Vom Diner war nichts übrig. Es gab noch eine dünne Suppe, Rührei und ein wenig Schinken. Ich diftierte, es ward abgeschrieben und unterschrieben, und dann kam ich zum Tee zum Prinzen. Dort befiel mich eine große Müdigkeit.

Ich schämte mich ordentlich meiner Abspannung, war aber getröstet durch den Zustand, in den Doppelmair versezt war, der, obwohl fünfzehn Jahre jünger als ich und nur Zuschauer, also ohne nach den Ritten, auf denen er mich begleitete, zu arbeiten genötigt zu sein, so müde in Mouzon ankam, daß er in seinem Quartier nachmittags beim Umkleiden, um zum Prinzen von Württemberg zum Tee zu gehen, auf einem Stuhl fest einschlief. Da fand ihn abends um zehn Uhr sein treuer Brackenburg, ein Bein mit Hose und Stiefel bekleidet, das andere unbekleidet, zog ihn aus und legte ihn zu Bett. Erst den anderen Morgen. um zehn Uhr gelang es, ihn zu wecken.

Von jest ab marschierten wir in breiter Front geradeswegs auf Paris. Wir hatten keinen Feind bis dahin vor uns, denn das VI. Korps

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