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auseinander marschieren zu lassen und, da die Armee nach Paris gehen sollte, diese in ordnungsmäßiger Weise gefechtsbereit nach Westen in Bewegung zu sehen. Zunächst mußte, um unsere Truppen verpflegen zu können, alles auf einen breiteren Raum auseinandergezogen werden, und so marschierte die ganze Armee, im Norden durch die belgische Grenze eingeengt, den ersten Tag nach Westen, Osten und Süden auseinander, viele Korps dahin, wo sie hergekommen waren. Lezteres fand auch mit dem Gardekorps statt, das wieder nach Carignan und Gegend beordert ward. So fügte es sich, daß wir wieder, wie zwei Tage nach der Schlacht von St. Privat, in dieselben Quartiere kamen, die wir am Morgen des Schlachttages verlassen hatten. Heute war dies besonders angenehm, denn wir kamen an den erbeuteten Eisenbahnzug, von dem wir schon seit dem 31. August lebten. Dem Armeekorps stand nur ein einziger Weg zu Gebote, denn die anderen waren von anderen Truppen benutt, und so mußten die Teile des Korps zu verschiedenen Tageszeiten abrücken und über Givonne, Villers-Cernay, Franchéval, Pouru St. Remy nach Carignan marschieren, die Kavallerie um neun Uhr, die Korpsartillerie um zehneinhalb Uhr, die 1. Garde-Division um elfeinhalb Uhr, die 2. Garde-Division um ein Uhr, die Trains um drei Uhr. Man sieht, die Teile konnten schneller nacheinander abmarschieren, als beim Beginn des Krieges. Waren doch die Truppen auf weniger als die Hälfte zusammengeschmolzen. Das Generalkommando sezte seinen Abmarsch auf elf Uhr.

Die Verpackung der Effekten meines Stabes auf den neu requirierten Gefährten nahm die Morgenstunden in Anspruch. Auch paßte nicht alles am Geschirr, um die Pferde vor den erbeuteten Wagen zu spannen. Da mußte manches noch geändert und gebunden werden. Mit der Aufsicht hierüber beschäftigt, ward ich mit einem Male durch einen neuen Beweis von der allgemeinen Unsicherheit des Eigentums unterbrochen, der mich anfangs in Verlegenheit seßte. Mein Trainsoldat, der den Packwagen fuhr, kam nämlich, nachdem er die Pferde vorgelegt hatte und die Zügel aus dem Stall holen wollte, herausgestürzt zu mir mit dem Geschrei: „Leine meine stohlen, Leine meine stohlen, Intendantur verfluchtiges, fährt er durchs Dorf!" Mein biederer Pollack, namens Polomb, war in gerechtem Zorn. Etwas verblüfft sah ich mir einen Augenblick mein Fuhrwerk an, das ohne Leine allerdings nicht zu brauchen war. Eine endlose Proviantkolonne marschierte durchs Dorf. Da stupte sie im Marsch, und ich faßte einen raschen Entschluß. Polomb", sagte ich, „weißt Du den Wagen, auf dem die gestohlene Leine ift?" „Ja“, schrie Polomb, „is sich Intendantur verfluchtiges, da

vorne, hellbraune Pferde!" -,,Komme schnell", rief ich und rannte mit ihm nach. Wir eilten an zwanzig bis dreißig Wagen vorbei, bis wir außerhalb des Dorfs an einen Wagen kamen, den Polomb bezeichnete. Da saßen gemütlich zwei Proviantbeamte drin, der Kutscher fuhr die Pferde mit meiner Gurtleine, die, als einzige unter allen Lederleinen, deutlich kenntlich war. Ich ließ die Leine ausschnallen und zog triumphierend ab.

Unser Marsch ging recht ging recht langsam vonstatten. Mannigfache Stockungen verzögerten ihn, besonders zu Anfang, ehe wir den Bereich der anderen Korps verließen.

In Givonne entging mir durch Zufall ein sehr interessanter Anblick. Watdorff und der Korpsintendant hatten ihr Abreiten aus irgend einem Grunde verzögern müssen und ritten dem Hauptquartier nach. Sie erreichten die Queue desselben gerade in Givonne, als sie eben die Straße Sedan-Bouillon überschreiten wollten. Da kam von Sedan her eine Eskadron schwarzer Husaren getrabt und versperrte ihnen den Weg, ihr folgte eine Anzahl Equipagen, und den Schluß des Zuges bildete noch eine Eskadron Husaren, schwarze, mit Totenköpfen. In der vordersten Equipage saß der gefangene Kaiser, neben ihm General v. Boyen, der Generaladjutant unseres Königs, der ihn nach Bouillon und von da nach Wilhelmshöhe bei Cassel brachte. Die Herren hatten den gefangenen Monarchen mit demjenigen Respekt begrüßt, den das Unglück eines so bedeutungsvollen Mannes einflößt, und dieser hatte mit seinem stets regungslosen, erdfahlen Antliß ruhig in der Wagenecke gesessen, seine Zigarette geraucht, den Gruß erwidert und sonst aufmerksam die Augen auf die preußischen Truppen zu beiden Seiten des Weges schweifen lassen. Noch einmal ritten wir über die Höhe, auf welcher zwischen Givonne und Villers-Cernay meine Artillerielinie ihre entscheidenden Stellungen eingenommen hatte. Ich konnte mir dieselben noch einmal ansehen und in mein Gedächtnis einprägen. Dann ritten wir weiter. weiter. Als wir aus dem Gewirr der sich freuzenden und häufig stockenden Marschkolonnen herauskamen, machte der Prinz von Württemberg auf dem Felde neben der Chaussee einen Halt, saß ab und befahl seinem Reitknecht Wusterhausen, das Frühstück auszupacken. Während wir darauf warteten, sagte ich zu Dannenberg und dem Prinzen von Nassau, ich dächte, wir hätten wohl eigentlich etwas recht Großes erreicht. Beide meinten, das sei allerdings wahr. Wir kamen jetzt erst zu dem Bewußtsein des unge. heuren Erfolges der letten Tage und waren der Meinung, der Krieg müsse wohl bald zu Ende sein. Da erst fingen wir an, uns zu freuen.

Bis jetzt hatten die Ermüdung und die fortwährende Beschäftigung mit dem, was dringend zu tun war, uns gar nicht zur Freude über den Sieg kommen lassen. Wir wurden immer erregter, und zulezt tanzten wir drei Generale wie die Kinder auf dem Stoppelfelde herum, noch ehe wir einen Tropfen Wein getrunken hatten. Der kommandierende General, an einem ungeheuren Getreideschober sißend und vor dem Regen Schut suchend, lachte herzlich über uns, rief dann aber: „Aber, meine Herren, ich bitte Sie, bedenken Sie doch, die Truppen marschieren ja hier an uns vorbei und müssen glauben, die Generale seien alle betrunken." Es muß allerdings sehr originell ausgesehen haben.

In Carignan kam ich wieder zu meinem alten 85jährigen Brauer. Er sah uns jezt ganz freundlich an, denn er vermutete, wir hätten eine Schlacht verloren, da wir uns anscheinend auf dem Rückmarsch befanden. Als ich ihm sagte, Napoleon sei mit seiner ganzen Armee gefangen, antwortete er mir ungläubig:,,Vos soldats le disent". Im übrigen war er viel mitteilsamer, auch als er sich von der Wahrheit unserer Mitteilung dadurch überzeugte, daß wir so gar keine Sicherheitsmaßregeln gegen irgend einen Feind trafen. Denn er hatte von unserer legten Anwesenheit und unserem geregelten Verhalten den Eindruck gewonnen, daß wir nicht raubten und plünderten. Da kamen auch ordentliche Betten, Lebensmittel und silberne Bestecke zum Essen zum Vorschein. Ich sezte mich nachmittags ein Stündchen mit ihm hin, um mit ihm zu schwaben. Er war ein großer Verehrer Napoleons, der in der ganzen Gegend sehr beliebt war, weil er viel für das Departement des Ardennnes getan hat. Der alte Brauer hatte im Jahre 1815 auch einen Prinzen zu Hohenlohe im Quartier gehabt, wahrscheinlich meinen Vater oder einen Vetter desselben, denn mein Vater hat damals im Belagerungsforps gestanden, das Sedan und Montmédy nahm. Am Abend beim Tee ward ich durch eine Auszeichnung überrascht. Als ich zum Prinzen von Württemberg kam, saß dieser noch nicht, wie sonst, am Teetisch, sondern alles wartete stehend auf mich. Der Prinz kam mir entgegen und überreichte mir das Eiserne Kreuz namens des Königs. Ich sah mich im Saale um und sagte dem Prinzen: Dannenberg hat es ja noch nicht." — „Dem gebe ich es gleich", antwortete der Prinz, „aber Sie sollen der Erste im ganzen Armeekorps sein, der es erhält." Es war eine sehr fröhliche Stimmung im Stabe. Das Korps hatte eine Anzahl Kreuze, ich glaube siebzig, erhalten, die der Prinz verteilen sollte. Die Artillerie wurde bei dem Verteilungsmodus ungemein bevorzugt. Ich erhielt für die Korps= artillerie eine Anzahl Kreuze, um sie nach Verdienst zu verteilen. Das machte mir noch mehr Freude, denn wenn man sich durch eine über

raschung recht beglückt gefühlt hat, so wird die freudige Empfindung verzehnfacht, wenn man Zeuge derselben überraschung bei anderen sein kann. Mit Wehmut dachte ich an meinen braven Scherbening. Wie hatte er sich gefreut, daß das Eiserne Kreuz neu gestiftet war! Wie oft hatte er davon gesprochen, daß diese Auszeichnung aus den Freiheitskriegen von jeher das höchste Ziel seiner Sehnsucht gewesen! Wie würden seine schönen Augen gestrahlt haben, wenn ich es ihm hätte überreichen. können. Nun mußte er zwei Tage früher fallen, als das ihm für die Schlacht von St. Privat zugedachte Kreuz ankam.

Der 4. September. Seit Buzanch hatte ich die Nacht zum ersten Male wieder in einem ordentlichen Bett zugebracht. Da der Tag ein Ruhetag sein sollte, so konnte ich auch verhältnismäßig spät aufstehen. Aber eine einzige Nacht der Ruhe genügte noch nicht, um das Gefühl der Ermüdung nach den fünf Tagen der Strapazen, Entbehrungen und Krankheit zu bewältigen. Im Gegenteil fühlte ich mich des morgens so steif, daß es eine ganze Weile dauerte, bis ich meine Beine wieder gebrauchen konnte.

Meinerseits wurde der Ruhetag zunächst dazu benugt, um die nötigen schriftlichen Arbeiten und Eingaben zu erledigen, welche nach solchen Ereignissen nötig sind. Nachdem ich alles angeordnet, und während die Schreiber die Reinschriften anfertigten, ritt ich, so müde ich auch war, nach Blagny und Linay, den Majoren v. Buddenbrock und v. Krieger ihre und die für ihre Abteilungen bestimmten Kreuze selbst zu überbringen, denn ich konnte es mir nicht versagen, Zeuge ihrer Freude zu sein. Das war auch wirklich eine große überraschung. Ich machte mir dabei die Freude, sie eiligst herauszurufen aus dem Hause, in dem sie waren, in welchem Anzuge sie auch seien, es sei die höchste Eile und Wichtigkeit. Auch sie pflegten der Ruhe und schrieben. Da kamen sie erschreckt herausgestürzt in Pantoffeln und in als Schlafrock verwendeten Paletots, einer sogar ohne Hosen, und erwarteten natürlich Alarm oder dergleichen. Statt dessen erhielten sie die so wohlverdiente Auszeichnung! Hätte ich es geahnt, welche Anforderungen noch heute an meine Körperkräfte gestellt wurden, ich hätte mich wahrscheinlich doch schlafen gelegt, statt dorthin zu reiten.

Nach dem Essen beim Prinzen von Württemberg und der gewohnten Whistpartie kehrte ich in mein Quartier zurück und fühlte mich so entsetzlich müde, daß ich den Adjutanten zu ihm sandte und ihn bitten ließ, mich abends vom Erscheinen zum Tee zu dispensieren, damit ich mich gleich schlafen legen könne. Als Antwort brachte mir der Adjutant den

Befehl, sogleich zum kommandierenden General zu kommen, der mich sprechen müsse. Vor mich hinbrummend, daß derselbe mir, was er mir zu sagen habe, auch soeben beim Whist hätte sagen können, schleppte ich mich die wenigen Schritte zu ihm in sein Haus.

Er sagte mir lachend, es tue ihm leid, daß er mich nicht schlafen lassen könne. Es war nämlich soeben vom Oberkommando der MaasArmee der Befehl eingegangen. Danach sollte das Gardekorps morgen bis Mouzon und Gegend, eineinviertel Meile weit, marschieren. Aber unterwegs und ohne einen Marsch zu verlieren, streng genommen heute noch, solle es mit ungefähr einer Infanterie-Brigade und der nötigen Artillerie und Kavallerie einen Versuch auf Montmédy machen. Montmédy ist aber von Carignan drei Meilen entfernt, und von Montmédy nach Mouzon beträgt die Entfernung dreieinhalb Meilen. Es sollten also die betreffenden Truppen morgen fast sieben Meilen marschieren und gelegentlich eine Festung erobern. Der Prinz sagte mir, er habe im ganzen Korps keinen Brigadekommandeur, dem er ein solches Unternehmen anvertrauen könne, und deshalb solle ich die Expedition kommandieren.*)

Ich erklärte dem Prinzen, daß die Beschießung von Verdun und Toul schon zur Genüge dargetan, wie ein Kampf von Feldartillerie gegen Festungen keine Aussicht auf einen günstigen Erfolg habe, und daß deshalb der Prinz nicht darauf rechnen möge, daß mein Unternehmen glücken könne. Er teilte meine Meinung vollständig und empfahl mir daher dringend, mich nicht unnötigen Verlusten auszuseßen. Aber den Versuch müsse das Gardekorps machen, denn er sei ihm vom Armeekommando eigentlich für heute befohlen, und zwar mit der Bemerkung, das sächsische Garde-Reiter-Regiment mache sich anheischig, Montmédy mit dem Karabiner in der Hand zu stürmen. Ich konnte die Bemerkung nicht unterdrücken, daß man ihm doch diesen Spaß hätte überlassen sollen. Der Befehl war aus Mouzon von vier Uhr nachmittags datiert. Es ist eigentlich unbegreiflich, daß die Maas-Armee es für möglich hielt, heute noch Montmédy anzugreifen.

Der Prinz überließ mir, an Infanterie diejenige Brigade auszuwählen, die ich haben wollte, und soviel Artillerie mitzunehmen, als ich für gut hielte. Auch wurden mir die am nächsten an Montmédy kan

*) Ein etwaiger Erfolg gegen Montmédy konnte nur durch eine Artilleriebeschießung erreicht werden, und da hierzu die ganze verfügbare Artillerie dez Gardekorps genommen werden mußzte, so war auch der Prinz Hohenlohe in erster Linie der in Frage kommende Befehlshaber.

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