Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

gang bereitet (die Franzosen nannten alle preußische Kavallerie Uhlans), und als unser König einmal meinen Bruder, der ein UlanenRegiment kommandierte, und mich zusammen sah, erzählte er uns diese Äußerung Napoleons und sagte scherzend: „Also habt Ihr beide den ganzen Sieg allein erfochten, das ist ganz abscheulich, da bleibt gar nichts für meine arme Infanterie übrig." Manche Phantasten haben im Sinne dieses Scherzwortes des Königs im Ernst gemeint, die Zeit der Infanterie habe sich überlebt, und man werde von jest ab die Schlachten nur mit Artillerie und Kavallerie schlagen und entscheiden. Aber abgesehen davon, daß unsere brave Infanterie auch bei Sedan gegen 9000 Mann liegen ließ, und daß Kavallerie und Artillerie nicht in der Weise, wie sie es taten, wirken konnten, wenn ihnen nicht die Armee, d. h. die Infanterie, als Rückhalt und Ausgangspunkt diente, so wird auch unsere Infanterie in den nächsten Kriegen, in denen ihre Waffe der der Gegner ebenbürtig oder überlegen sein wird, wieder eine mehr aktive und minder leidende Rolle spielen und wieder Aufgaben lösen, die bei ihrer mangelhaften Bewaffnung bei Sedan die Artillerie für sie zum Teil mit übernahm. Für alle Zeiten aber wird die Schlacht von Sedan darüber lehrreich bleiben, daß man der Infanterie viele Verluste erspart, wenn man die Artillerie gehörig ausnüßt und ihr Massenfeuer auf die entscheidenden Entfernungen erst einsetzt und eine Weile gehörig wirken läßt, ehe man die Infanterie zum Entscheidungskampfe vorführt. Die nicht genügend vorbereitete Erstürmung von St. Privat kostete gegen 8000 Mann Infanterie an Toten und Verwundeten, das festungsähnlich sich erhebende Bois de la Garenne, von den Resten zweier Armeekorps angefüllt, ergab sich, von der Artillerie gehörig überschüttet, ohne Schuß, als sich unsere Infanterie näherte.

Die Zahlen aus der Schlacht von Sedan gaben einen erschreckenden Begriff davon, wie eine Armee ruiniert werden kann, wenn ihr zu große Anstrengungen zugemutet werden. Die Stärkenachweisungen*) geben die Garde-Infanterie am 18. August vor der Schlacht mit 28 160 Feuergewehren an. In der Schlacht verlor das Korps etwa 8000 Mann Infanterie. Es behielt also noch über 20 000 Mann von dieser Waffe. Am Morgen des 1. September verfügte es nur noch über 13 000 Feuergewehre. Mehr als 7000 Mann waren also durch die Gewaltmärsche ausgefallen. Was war aus diesen 7000 Streitern geworden? Die Leute waren unterwegs umgesunken und hatten sich dann in die nächsten Ortschaften geschleppt. Nur die wenigsten sind den Strapazen erlegen.

*) Der deutsch-französische Krieg II, Anlage 26.

Die anderen haben sich erholt und sind nach Tagen oder Wochen, ein geringer Teil erst nach Monaten, wieder zu ihrem Truppenteil gestoßen. Wären wir besiegt und zum Rückzuge genötigt worden, dann wären sie in Feindeshand gefallen. Dies sind erst die Früchte des Sieges. Im Kampfe selbst hat oft der Sieger mehr Verlust als der Besiegte. Bei St. Privat-Gravelotte verloren wir 10 000 Mann mehr an Toten und Verwundeten als der besiegte Feind, bei Beaumont gaben die Franzosen ihren Verlust auf 1800 Tote und Verwundete an, dagegen betrug der unsrige 3384 außer den Offizieren. Nur bei Sedan betrug der Verlust der besiegten Franzosen 7000 bis 8000 Mann mehr an Toten und Verwundeten als der der Sieger. Aber die Maroden des Siegers kommen gesund nach und füllen seine gelichteten Reihen wieder, von den Verwundeten genesen viele und kämpfen noch in demselben Feldzuge. Die Ermatteten und Verwundeten des Besiegten aber fallen größtenteils in die Hände des Siegers und bleiben ein dauernder Verlust. So sehr daher auch solche Gewaltmärsche die Kraft der Truppe schwächen, so darf man davor nicht zurückschrecken, wenn sie zur Erreichung des Sieges nötig sind. Aber da man des Sieges nie vollkommen sicher ist, so darf man nur im Notfalle dazu schreiten, will man seine Armeen nicht vor dem Kampfe ruinieren. Vermehrung der Anstrengungen, der Hinund Hermärsche, durch Halbheit der Maßregeln, durch unnüße Gegenbefehle, durch unpraktische oder unausführbare Befehle ist aber dem leichtsinnigen Ruin der eigenen Armee gleichzuachten.

Nicht genug kann man die Ausdauer und Opferfreudigkeit unserer Infanterie anerkennen, welche die gewaltigen Anstrengungen willig ertrug, die man ihr zumuten mußte. Denn unter allen Waffen leidet das Fußvolk am meisten; daß von der Reiterei Mannschaften aus Überanstrengung liegen blieben, kam nur ausnahmsweise vor. Bei der Artillerie geht der Mann frei, hat nichts zu tragen, seitdem der Tornister am Geschütz angeschnallt wird; und wenn einmal die Batterie traben soll, springt er auf seinen Siz und fährt zur Abwechslung spazieren. Der Infanterist aber muß Gewehr und Tornister tragen. Wenn nun auch seit dem 26. August die Tornister abgelegt und dem Armeekorps auf requirierten Wagen nachgefahren wurden, so mußte der Infanterist doch Gewehr und Patronen tragen, und man darf nicht vergessen, daß die Artillerie die ausgesuchten, kräftigen Leute erhält, die Infanterie aber alle als militärtauglich erachteten Mannschaften nehmen muß, von den schwächsten bis zu den stärksten. Da konnte man oft sehen, wie die stärkeren Leute die Gewehre der ermatteten Kameraden trugen, wohl auch diese führten und stüßten, ehe diese umfallend zur Prinz zu Hohenlohe, Aufzeichnungen. IV.

15

Seite des Weges liegen blieben. Nie aber hörte man ein Murren oder Klagen wegen der übermäßigen Anstrengungen, weil alles überzeugt war, sie seien nötig. übrigens machte man die Erfahrung, daß das Ablegen des Gepäcks und das Nachfahren desselben eine sehr zweifelhafte Maßregel ist. Der Inhalt des Tornisters ist ja auf das Notwendigste beschränkt. Wenn dieses Notwendigste fehlt, mehrere Tage lang fehlt, dann ist die Entbehrung leicht verderblicher, als das Gewicht des Tornisters gewesen sein würde. Dazu kommt, daß die Patronen, die in der Patronentasche keinen Plaz haben, in den Brotbeutel gesteckt werden müssen, diesen beschweren, der nur auf einer Seite drückt, und dessen Inhalt beeinträchtigen. Da kann der Soldat nur schwer das auf drei Tage verabfolgte Brot unterbringen, er ißt es am ersten Tage ganz auf oder wirft es fort und hat den zweiten und dritten Tag nichts zu essen. Deshalb wird man nur im äußersten Notfalle dazu schreiten, das Gepäck auf mehrere Tage ablegen zu lassen. Für einen einzigen Gefechtstag oder für einen einzigen Gefechtsmoment wirkt allerdings das Ablegen des Gepäcks belebend. Aber weiß man immer vorher, ob, wann und wo man nach solchem Gefechtsmoment das Gepäck wiederfinden wird, da der Ausgang eines jeden Gefechtes zweifelhaft ist?

Die Tage vom 26. August bis 2. September bieten des Lehrreichen noch so unendlich viel, daß ich nicht aufhören könnte zu schreiben, wollte ich alles erörtern. Es sei nur noch auf zwei taktische Erfahrungen hingewiesen.

Die eine ist der Kampf einer Infanterie, die ein ungezieltes Massenschnellfeuer abgibt, gegen eine ruhig zielende und ein wohlüberlegtes Einzelfeuer abgebende Infanterielinie. Ich meine den Vorstoß der sechs Bataillone des linken Flügels von Wimpffens Durchbruchsversuch gegen die zwei Kompagnien des Regiments Franz unter Hauptmann v. Chappuis auf der Höhe westlich von Daigny. Die französischen Massen drangen mit dem Mute der Verzweiflung im schnellsten Laufe vor und schossen so schnell als möglich im Laufen, ohne zu zielen, die Gewehre an der rechten Seite horizontal haltend. Die beiden genannten Kompagnien lagen in einer dünnen Tirailleurslinie aufgelöst, jeder Mann zielte langsam und sorgfältig und drückte sein Gewehr nur ab, wenn er seinen Gegner auf dem Korn hatte. Troß der überlegenheit des französischen Gewehrs, das mehr als dreimal so weit schoß als das preußische, trop der zwölffachen überlegenheit an Zahl, trok der glänzenden Friedensresultate einer solchen im Laufen schnellfeuernden Infanterie gegen stehende Holzscheiben auf den französischen Schießplätzen, nach denen eine derartige Taktik eingeführt war, mißglückte

nicht nur der Angriff der französischen Infanterie, sondern er endigte mit der gänzlichen Vernichtung des Angreifers, der dem Verteidiger verhältnismäßig nur geringen Verlust zugefügt hatte, denn jede deutsche Kugel hatte ihren Mann genommen, die Masse des französischen Bleis war aber über die Köpfe der Deutschen fortgesaust. Nach solcher Er. fahrung, und das Bild dieses Kampfes, das sich meinem Gedächtnis tief eingeprägt hatte, vor Augen, war ich später sehr erstaunt, zu lesen, wie einer unserer hervorragendsten Militärschriftsteller (Scherff) für den letten Augenblick des Infanterieangriffs das Schießen im Laufen dringend empfiehlt. Dagegen verstand ich jezt vollständig den Ernst, mit dem unser König bei Friedensübungen streng und strafend darauf hielt, daß nie ein ungezielter Schuß abgegeben werde. Unser Reglement spricht zwar bei der Verteidigung der Infanterie von Gegenstößen, und viele Führer verlangen bei Manövern im Frieden, daß die angegriffene Infanterie im lezten Moment des Angriffs aufspringen und dem Angreifer mit dem Bajonett zuleibe gehen soll. Diese auf das menschliche Herz berechnete Bestimmung soll den offensiven Geist in der preußischen Armee erhalten, damit unsere Truppen lieber angreifen als zurückweichen, und den Feind nicht fürchten lernen. Aber das Reglement empfiehlt als Regel das Liegenbleiben der Schüßen und Unterstüßungstrupps und das Verfolgen durch Schnellfeuer. Ist der Verteidiger sehr viel schwächer als der Angreifer, wie es in dem vorliegenden Kampfe der Fall war, so verliert er die unfehlbare Wirkung seines Feuers auf die nächste Entfernung, er verliert eine kostbare Zeit durch das Aufstecken des Bajonetts und das Aufspringen und Entgegenlaufen, bildet in dieser Bewegung ein nicht zu fehlendes Ziel für die feindlichen Kugeln und stürzt sich schließlich in ein Handgemenge, in dem die feindliche überzahl siegen muß. Ist letteres nicht der Fall, dann läuft er pêle-mêle mit dem Feinde und verhindert die eigene Infanterie und Artillerie, die sonst noch dahin schießen könnte, den Feind auf dem Rückzuge zu beschießen. Bei dem in Rede stehenden Beispiele wäre es ein großer Fehler gewesen, hätte Chappuis seine beiden Kompagnien zum Gegenstoße aus der Deckung heraustreten lassen.

Die andere Erfahrung, die ich nicht unerwähnt lassen kann, ist die geringere Wirksamkeit der Kavallerieattaden gegen noch kampffähige Infanterie, seitdem deren Feuer so sehr vervollkommnet ist. Mit meinen eigenen Augen habe ich bei Sedan nur den mißglückten Versuch des Ulanen-Regiments gegen das Bois de la Garenne mit angesehen. Es war allerdings ein von Infanterie angefüllter Wald, welcher attackiert wurde, aber diese Infanterie hatte sich schon aus einem ungünstigen

Kampfe zurückgezogen und war so erschüttert, daß sie sich eine Stunde später unseren vordersten Infanteriepatrouillen ohne Schuß ergab. Dennoch hatte diese Infanterie ein solches Bewußtsein von ihrer überlegenheit über die Kavallerie, daß sie dieser zum Teil aus dem Walde ins Freie entgegenlief, um sie mit ihrem Schnellfeuer zu begrüßen. Die Ulanen mußten ohne den geringsten Erfolg, aber mit Verlust zurückweichen. An anderen Stellen des Schlachtfeldes sind ähnliche Erfahrungen und in weit größerem Maßstabe gemacht. Die heldenmütigen und verzweifelten Angriffe der französischen Kavallerie-Divifionen gegen die preußische Infanterie in der Richtung von Floing und St. Menges sind geschichtlich genügend bekannt. Von den ruhig liegenden preußischen Tirailleuren mit sicher treffenden Kugeln überschüttet, gelang es zwar einzelnen Abteilungen, furchtbar gelichtet die Reihen derselben zu erreichen, dann sprangen ihre Pferde im vollen Laufe über diese liegenden Schüßen fort, die sie jezt im Rücken beschossen, während von vorn die hinter den Tirailleuren stehenden geschlossenen Abteilungen aus nächster Nähe mörderische Salven abgaben. So erreichen diese heldenmütigen Kavallerieangriffe nichts als einen ehrenbollen Untergang.

Die Gegner der Kavallerie haben aus solchen Tatsachen wohl den Schluß gezogen, die Zeiten der Kavallerie seien vorüber, und ein geistreicher Schriftsteller schlägt sogar vor, alle Kavallerie abzuschaffen und für dasselbe Geld viel mehr Infanterie zu halten. Was ich aber früher von der Kavallerie erzählte, beweist zur Genüge, von welch unermeßlichem, entscheidendem Werte unsere Kavallerie in dem leßten Feldzuge gewesen ist, und wie eine Armee ohne Kavallerie schon vor dem Entscheidungskampfe verloren ist. Es wird daher, eine gleich rationelle Tätigkeit der beiderseitigen Kavallerien vorausgeseßt, im nächsten Kriege diejenige Armee schon ein strategisches übergewicht, eine größere Freiheit der Bewegung, die Möglichkeit der überraschenden Initiative gewinnen, welche das Übergewicht an Kavallerie vor die Front bringt. Die Kavallerie ist nicht minder wichtig, wie früher, nur die Art ihrer Tätigkeit ist etwas verändert worden.

7. Don Sedan bis Paris.

3. und 4. September, Carignan. Am 3. September früh morgens traf der Befehl ein, wie wir abmarschieren sollten. Es war nicht ganz leicht, die auf einen Fleck zusammengedrängte Armee und die Gefangenen

« ZurückWeiter »