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die Ordnung aufrecht erhalten werden könne. Nach einiger Zeit stimmte auch in anderer Richtung das Fahrtableau nicht mehr. Es wurden nicht nur die Zeit, sondern auch die Stationen für die Eisenbahn nicht innegehalten. Wir hielten an Stationen, die es an der für uns anfangs vorgeschriebenen Linie gar nicht gab. Wir schüttelten die Köpfe, mußten uns aber dem Lokomotivführer überlassen. Die Sache hatte, wie wir später erfuhren, folgende Bewandtnis. Durch die Verspätung unserer Abfahrt hätten wir auf unserer Linie Störung mit anderen Transporten gehabt. Die Eisenbahn-Abteilung des Generalstabes hatte daher von Berlin aus, wie eine Kreuzspinne im Versteck die Fäden in der Hand haltend, unseren Zug auf eine andere Linie übergeleitet. So berührten wir zwar Halle, Nordhausen, aber dann Kassel und Gießen, statt BebraHanau. Am 1. August früh hielt der Zug auf freiem Felde in der Nähe von einer Reihe eben errichteter Bretterbuden. Die Station wurde Frankfurt a. M. genannt. Erstaunt sahen wir uns um, denn man entdeckte nichts von der alten freien Reichsstadt. Aber eine Anzahl elegant gekleideter Herren, trop der frühen Morgenstunde im schwarzen Frack, weißer Krawatte und weißen Glacéhandschuhen, traten an die Türen der Coupés und baten uns, zu frühstücken. Es waren keine Kellner, sondern Herren aus der vornehmsten Börsenaristokratie. Das Frühstück war opulent und umsonst. Der seit vier Jahren zur Schau getragene Widerwille der Frankfurter gegen uns war angesichts der französischen Gefahr geschwunden und hatte einer freudigen Opferwilligkeit und Gastfreundschaft Play gemacht.

Von Frankfurt ging es langsam weiter, aber über die Mainbrücke nach Süden. Lachend meinten wir, der Lokomotivführer müsse den rechten Weg verfehlt haben, denn ein Blick auf die Eisenbahnkarte lehrte, daß man dort nicht nach Homburg in der Pfalz fährt.

Abends hielt der Zug in Mannheim, und wir wurden belehrt, daß wir das Ziel unserer Reise erreicht hätten. Die vorausgefandten Quartiermacher erwarteten uns am Bahnhofe und hatten in Mannheim Quartier gemacht. Sie meldeten, daß auch sie unterwegs anders geführt worden seien und in Mannheim telegraphisch Befehl erhalten hätten, dort und nicht in Homburg Quartier zu machen.

Nach der Ankunft in Mannheim erfuhr das Generalfommando den Grund der Veränderung. Die Erkundungen an der Grenze hatten ergeben, daß sich französische Massen auf Saarbrücken bewegten, und daß sich der Kaiser Napoleon dabei befand. Es ward im Generalstabe für untunlich gehalten, die Eisenbahnzüge bis Homburg zu instradieren, solange nicht genügende Massen an der Grenze versammelt

wären, um den Feind zu verhindern, während der Transporte soweit vorzurücken und etwa gar die einzelnen Transporte in Empfang zu nehmen und zu vernichten. Deshalb mußte das Gardekorps zunächst seine Truppen hinter dem Rhein von Mannheim bis Worms ausladen und erst dann mit Fußmarsch) vorrücken, wenn es stark genug ward, um. einem ersten Anprall zu begegnen, während gleichzeitig die übrigen Armeekorps von Mainz, ebenso von Trier vorrückten. Die noch später aus Berlin abgehenden Transporte endigten dann immer weiter vorwärts, je nachdem wir vormarschiert waren.*)

Die Sicherheit, mit der alles geleitet ward, imponierte uns. Ob gleich auf jeder Linie täglich achtzehn Transporte nach Westen rollten, und obgleich sechs bis acht Linien gleichmäßig im Auge behalten werden mußten, ist auch nicht eine einzige Verwirrung oder ein Versehen vorgekommen. Selbst an die Quartiermacher der einzelnen Transporte war gedacht worden, und so empfingen sie uns denn auf dem Bahnhofe und übergaben einem jeden sein Einquartierungsbillett.

Dennoch waren wir alle nicht in der rosigsten Stimmung. Wer zweimal vierundzwanzig Stunden auf der Eisenbahn zugebracht hat, kommt in der Regel in einem gewissen Zustand der Erregung und Abspannung zugleich mit benommenem Kopf und in ärgerlicher Stimmung an. Weit anstrengender als eine Fahrt im Schnellzuge ist eine solche im Militärtransportzuge. Die Fahrt geht langsam und langweilig. Die langen Lastzüge stoßen und rucken viel heftiger als die glatt laufenden Schnellzüge. Die Aufenthalte sind unbestimmt in der Zeit und können oft nicht genau innegehalten werden, so daß die Unmöglichkeit, sich mit seinen Lebensbedürfnissen einzurichten, die Ermüdung durch die Reise wesentlich erhöht. Der Anfang, das Warten auf dem Bahnhof in Berlin während der ersten Nacht, hatte schon unseren Humor auf eine harte Probe gestellt und ein gut Teil davon absorbiert. Es war also im ganzen. Generalfommando beim Ankommen in Mannheim die üble Laune wesentlich vorherrschend.

Die Quartiermacher waren nicht sehr gewandt gewesen. Wir Offiziere des Generalfommandos waren in einem Gasthofe einquartiert. Die Pferde kamen am äußersten Ende der Stadt unter, die Trainsoldaten am anderen Ende. Diese Trainsoldaten waren vom 2. Garde-DragonerRegiment gestellt. Es waren diesjährige Rekruten, ohne genügende

*) Über diese Verlegung der Endpunkte für die Ausschiffung der Truppen vgl. Der deutsch-französische Krieg 1870 71. Redigiert von der kriegsgeschichtlichen Abteilung des Großen Generalstabes, I, S. 102 ff.

militärische Erfahrung und Zucht. Sie behandelten zunächst den Krieg als Mittel, sich zu amüsieren. Daß sie nach den auf allen Stationen ihnen so reichlich zugesteckten Lebensmitteln aller Art in Mannheim ganz trunken ankamen, darf nicht wundernehmen. Den andern Morgen mußten sie erst mit vieler Mühe in den einzelnen Quartieren gesucht und geweckt werden, damit unsere Pferde Futter erhielten.

2. August. Die Nachricht aus dem Hauptquartier des Prinzen Friedrich Karl, daß dieser seinen Stab mit Helm marschieren lasse, machte alles schlechter Laune, denn der Prinz von Württemberg ordnete nun dasselbe auch für seinen Stab an, und es war keine erfreuliche Aussicht, in bevorstehender Hize anstrengende Ritte mit dem Helme auf dem Kopfe machen zu sollen. Die Nachricht erwies sich aber als falsch, und wir ritten in Müße.

3. August. Dürkheim. Der Befehl, am 3. August nach Dürkheim. marschieren zu müssen, war uns nicht unwillkommen. Sobald alles unterwegs war, wurden wir auch alle wieder guter Laune. Der Marsch war nicht anstrengend. Alle Truppen des Korps, die schon angekommen waren, marschierten ebenfalls nach vorwärts, die anderen Korps der Zweiten Armee rechts von uns.

Noch begingen viele unserer Trainsoldaten Unordnungen. Hauptmann v. Trotha, der Kommandant des Hauptquartiers, erhielt Befehl zu energischen Maßregeln und ließ nachmittags im Garten, während eine Regimentsmusik spielte, einen Teil dieser Schlingel an Bäumen anbinden.*) Das half.

Wir hörten von dem Gefecht, das gestern bei Saarbrücken stattge= funden, und wobei ein ganzes französisches Armeekorps ein preuBisches Bataillon zum Rückzug genötigt hatte.**) Dann hatten die Franzosen Saarbrücken in Brand geschossen (eine offene unverteidigte Stadt), aber nicht gewagt, sie zu betreten. Bei diesem Gefecht, das in Paris als ein glänzender Sieg gefeiert wurde, hatte sich Napoleons Sohn mit Ruhm bedeckt! Er hatte eine Kanone gerichtet, als der Feind schon fort war! Nachdem somit endlich die feindliche Armee ihren Vormarsch angetreten hatte, erwartete man unserseits, daß sie in Bewegung vorwärts bleiben werde, und wir konnten nicht darauf rechnen, unsere Armee

*) Da Arreststrafen im Kriege oft nicht ausführbar sind, so fand statt dessen meistens das Anbinden an Bäumen statt.

**) Es war das II. Bataillon Hohenzollernschen Füsilier-Regiments Nr. 40, das 14 Tage lang mit Teilen des Ulanen-Regiments Nr. 7 bei Saarbrücken drei französischen Armeekorps gegenübergestanden hatte.

weiter vorwärts zu vereinigen als in der historischen Stellung von Kaiserslautern in der Pfalz.

Es wurde uns dieser Ort daher als das Marschziel des nächsten Tages bezeichnet. Der Name dieses Schlachtfeldes erfreute mich sehr. Hatte sich doch dort vor mehr als fünfundsiebzig Jahren mein Großvater hohen Ruhm erworben.

In Dürkheim war der Wirt des Gasthofs von einer klassischen Unverschämtheit. Er machte eine kolossale Rechnung für die Unterkunft, während er doch für unsere Aufnahme die ausreichende Entschädigung für Einquartierung erhielt. Der Prinz von Wittemberg war sehr erregt darüber. Er beruhigte sich aber, als man ihm vorstellte, er brauche ja nur die Rechnung einfach nicht zu zahlen. So geschah es auch.

Wir erhielten vom Armeekommando die Einteilung und Stärke der französischen Armee sowie ihre Verteilung mitgeteilt. Einzelheiten fehlten noch, aber im großen und ganzen hat sie sich doch als richtig bewährt. Es fehlte zwar noch manche Einteilung von Regimentern und Brigaden. Darüber sollte der erste Zusammenstoß mit dem Feinde Klarheit verschaffen, und es ward Befehl gegeben, die Gefangenen gut auszufragen. Lindau, der französisch sprach wie ein Franzose, ward damit beauftragt, und zwei Offiziere sollten die gewonnenen Nachrichten militärisch zusammenstellen.

4. August. Kaiserslautern. Der Marsch nach Kaiserslautern war sehr anstrengend. Die Entfernung betrug fünf deutsche Meilen. Aber es war weniger die Entfernung als die Witterung, welche den Marsch recht beschwerlich für die Truppen machte. Es wechselte ein feiner Regen mit Sonnenschein bei einer recht schwülen Temperatur. Kein Lüftchen regte sich, und die Hiße lag schwül und bleiern in den gewundenen, engen Tälern des Hardtgebirges, die wir entlang marschierten. Die Infanterie hatte ihre neuen Stiefel noch nicht ausgetreten, und die von der achtundvierzigstündigen Eisenbahnfahrt angeschwollenen Füße schmerzten, dadurch die Ermüdung und Erhitung des Gehirns vermehrend.

Daß unter solchen Umständen auf eine strenge Marschordnung von den Kommandeuren gehalten wurde, ist wohl begründet. Aber diese Marschordnung mußte derart eingerichtet werden, daß die Truppen dadurch erleichtert wurden. Statt dessen gab es Bataillone, ja ganze Regimenter, die keine andere Ordnung kannten als den Ruf: „Rechts ran, dicht auf, Tritt gefaßt!" Das ist barer Unsinn und ruiniert die Truppe. Man muß doppelten Gliederabstand, lose Fühlung, große Kompagnieund Bataillonsabstände, häufige Ruhepausen und häufiges Wassertrinken

anordnen. Wo dies geschah, da lief der Marsch ganz gut ab. Aber cs gab Truppen, die in dem sogenannten „strammen Marschieren“ zu glänzen suchten. Bei solchen Truppen fielen die Soldaten um wie die Fliegen, und es war bezeichnend, daß von einzelnen Regimentern Marode die Straßengräben füllten, während von anderen Regimentern kein Mann zurückblieb. Der kommandierende General hielt sich mit Recht an die Kommandeure und verwies ihnen ihre fehlerhaften Anordnungen, wodurch ihre Truppen ruiniert würden. Er war in seinen Rügen immer sehr gehalten und ruhig.

Wiederholt ward er ungnädig, daß troy aller Erinnerungen und Befehle nicht darauf gehalten ward, die rechte Seite der Straße inne-, die linke freizuhalten, und daß nur seitwärts der Straße geruht und die Gewehre zusammengesetzt werden dürfen.

Bei diesem Marsche wie allen folgenden machte ich die Bemerkung, daß der Vorgesezte, der eine große Truppenmasse kommandiert, solange an dem Marschtage fein Zusammenstoß mit dem Feinde zu erwarten ist, am besten tut, wenn er spät aufbricht und von hinten an seiner Truppe vorbei in schneller Gangart an die Tete reitet. Viele Vorgesezte reiten mit den ersten Truppen an und lassen im Laufe des Marsches ihre Truppen an sich vorbeimarschieren. Solange sie vorn reiten, sehen sie nicht, ob hinter ihnen alles in Ordnung ist. Lassen sie vorbeimarschieren, dann wird ,,Richt Euch!" kommandiert, und dann ist gewiß alles in Ordnung. Wenn sie aber mit den Lezten ausmarschieren und dann an die Spite galoppieren, dann weiß die Truppe nicht, wann sie kommen, und sie können alle Unordnungen sehen und abstellen. Außerdem strengen sie sich dabei persönlich am wenigsten an und können, bei spätem Aufbruch, vor demselben noch manche Geschäfte erledigen. Manche höhere Führer fahren. von einem Quartier zum anderen. Armeekommandeure werden dies sehr oft, Korpskommandeure zuweilen nicht vermeiden können, wenn die Quartiere zu weit auseinanderliegen, denn es kommt vor, daß zwingende Gründe sie einen Tag länger an einem Ort fesseln, während die Truppen schon marschieren. Aber in der Regel ist es besser, wenn auch die höheren Führer reiten und auf dem Marsche wenigstens einen Teil der Truppen sehen und von ihnen gesehen werden.

Als ich in Kaiserslautern ankam und mein Quartier suchte, da sah ich zu meinem nicht geringen Erstaunen eine Munitionsfolonne marschieren. Es war meine erste Munitionskolonne erster Staffel. Wußte ich doch, daß sie erst einige Tage nach uns aus Berlin abfahren sollte, und nun war sie früher in Kaiserslautern als wir. Das lag eben in dem Umstande, daß die Transporte gleichzeitig mit unserem Vormarsche

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