Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

Meine Geschüße unterhielten dann eine langsame Kanonade gegen den Wald auf dem Berge, Bois de la Garenne, vor uns, in den sich die feindlichen Massen geflüchtet hatten. Sobald sich aber etwas vom Feinde zeigte, richteten sich alle Geschütze dagegen, und auf der wohlbekannten Entfernung ging fein Schuß fehl. Die Masse der einschlagenden und plaßenden Granaten vernichtete alsbald alles, was sich sehen ließ. Einmal noch erschien eine feindliche Batterie auf der Höhe über Daigny und sandte mir ihre Granaten zu. Ich glaubte, es sei bereits eine sächsische Batterie, die den Grund schon überschritten habe, und ward in dieser Meinung durch den Umstand bestärkt, daß diese Granaten alle in dem. Augenblick plaßten, in dem sie bei uns einschlugen, und ich doch wußte, daß nur wir Explosionszünder, der Feind aber Brennzünder hatte. Meine Offiziere teilten meine Ansicht, und ich sprach sie dem General v. Pape aus, der eine Offizierpatrouille dahin sandte, um das vermeintliche Mißverständnis aufzuklären. Leutnant v. Rundstedt von den GardeHusaren ritt den Abhang nach Haybes hinab und auf der anderen Seite. die Straße hinauf, der Batterie entgegen. Mit einem Male war er mit seinen Husaren mitten unter Rothosen, die ihn von allen Seiten beschossen. Er jagte zurück. Keiner der beiden Hujaren war mehr bei ihm. Schon beklagten wir deren Verlust. Da kam einer nachgeritten. Er war im Grunde gestürzt und dann wieder nachgeritten, dann kam der andere zu Fuß. Sein Pferd sei ihm erschossen, glaubte er; dann aber kam auch das Pferd nach. Es war am Vorderfuß verwundet und dabei zusammengebrochen. Jest deckten wir die feindliche Batterie so mit Granaten zu, daß sie bald vernichtet war.

Da kroch eine Kompagnie Garde-Jäger, wie mir später gesagt wurde vom Grafen Pourtalès, vorsichtig, mit Patrouillen vor sich, von Givonne aus den jenseitigen Hang hinan. Sie folgte ungefähr dem Wege, welcher von Givonne über Fond de Givonne nach Sedan zu führt. Als die Vordersten unter ihnen die Höhe fast erreicht hatten, sah ich sie ein Tirailleurfeuer nach links hin auf die Batterieeinschnitte beginnen, welche oberhalb Haybes-Taigny den feindlichen Talrand krönten. Die darin verborgenen Blauröcke mit roten Hosen sprangen, in Flanke und Rücken beschossen, erschreckt auf, und es zeigte sich, daß dort noch eine recht ansehnliche Masse feindlicher Infanterie lag. Sofort sausten unsere Granaten über die Köpfe der Garde-Jäger hinweg und richteten einschlagend und plaßend unter der feindlichen Infanterie eine entseliche Verwüstung an. Was davon hierbei nicht umkam, sloh entseßt nach dem Bois de la Garenne zu. Von Daigny aus schob sich ihnen eine Abteilung des Kaiser Franz Grenadier-Regiments, zwei Kompagnien

unter Hauptmann v. Chappuis, nach und besette den jenseitigen Höhenrand und die vom Feinde verlassenen Erdwälle, in denen sich zerschossene und nicht zerschossene Mitrailleusen und Kanonen befanden, indem sie sich, in Tirailleuren aufgelöst, den ganzen Rand entlang ausbreitete.

Wimpffens Vorstoß. Bald tauchte südlich vom Bois de la Garenne eine große feindliche Masse auf und rannte, im Laufen schießend, auf die beiden Kompagnien von Chappuis los. Ich schätzte diese Masse auf etwa 6000 Mann. In der Tat sind es sechs Bataillone gewesen, und zwar, wie ich später aus den verschiedenen Werken entnommen, der linke Flügel, Division Grandchamp, jenes im großen Stil angelegten Durchbruchsversuchs nach Osten, den Wimpffen zur Rettung der Ehre der französischen Waffen unternahm, und der in seinen anderen Teilen an den Sachsen zerschellte. Diese große jezt sichtbare feindliche Masse bot einen eigentümlichen Anblick dar. Die Leute liefen, dicht geschlossen, nebeneinander in tiefen Kolonnen und schossen im Laufen, ohne das Gewehr an den Kopf zu bringen, indem sie es nur an der rechten Seite horizontal hielten. Dies ungezielte Schnellfeuer im Laufen war dienstlich bei der französischen Infanterie eingeübt. Man konnte von meinem Standpunkte aus die Manipulationen deutlich mit dem Fernrohr sehen. Mit dem bloßen Auge aber sah man nur eine dichte, feste Masse, oben blau, unten rot, die sich an der Grenze zwischen blau und rot mit einem Streifen von grauem Pulverdampfe umgab und in zappelnder Bewegung auf die dünne Tirailleurslinie des Hauptmanns v. Chappuis zu bewegte. Sobald ich diese Masse gesehen hatte, sandte ich meine Adjutanten rechts und links. Vielleicht war es nicht nötig, denn die Hauptleute gaben gut acht auf alles. Alsbald plaßten die Granaten von neunzig Geschützen im Schnellfeuer in dieser dichten Masse. Man sah jezt nichts als Staub, Pulverdampf, und hier und da menschliche Gliedmaßen, von denen sogar einzelne über die vorstürmende Infanterie hoch in die Luft geschleudert wurden. Dennoch blieb dieselbe in der Bewegung nach vorwärts. Sobald sich die vordersten Reihen der Infanterie von Chappuis auf 200 Schritt genähert hatten, konnten wir sie nicht mehr beschießen, ohne diese zu gefährden, und mußten uns darauf beschränken, unser Artilleriefeuer auf die Nachfolgenden zu richten. Etwas erstaunt, daß ich keinen ebensolchen grauen Pulverdampfstreifen von Chappuis Linie sah, richtete ich mein Fernrohr dorthin und sah, daß diese Tirailleurslinie ganz gemütlich dalag, und jeder Mann mit größter Seelenruhe nur dann und wann einen gut gezielten Schuß abgab. Herr v. Chappuis selbst aber ging hoch aufgerichtet mit zierlichen Schritten,

als ob er bei Hofe vortanze, auf und ab, man konnte seine Figur ganz genau erkennen, und ermahnte seine Leute, recht ruhig liegen zu bleiben, ruhig zu zielen und zu schießen. Mehr und mehr näherte sich die laufende, schießende feindliche Masse, aber aus der Gegend, in der sie durch das Platen unserer Granaten in Staub und Pulverdampf gehüllt war, lösten sich nur Schwärme vereinzelter Menschen heraus und liefen weiter auf die zwei Kompagnien des Regiments Franz. Da fonnte man aber sehen, wie wiederum jeder Schuß dieser Tirailleure einen der vorlaufenden Feinde niederstreckte. Einer nach dem andern stürzte mit dem Kopf zuerst auf die Erde, die meisten fielen, da sie im Laufen waren, kopfüber. Von der ganzen großen Masse der feindlichen Angriffskolonne erreichten nur wenige Leute die Tirailleure des Regiments Franz und fanden in deren Reihen den Tod. Diese aber blieben, kaltblütig schießend, liegen, wie es befohlen war. Zwei Mann wurden liegend von oben durch den Rücken von den eingedrungenen Franzosen erstochen. Unser Artilleriefeuer wurde einen Augenblick unterbrochen. Der Pulverdampf und Staub verzog sich, ein entsetzliches Leichenfeld war zu sehen. Einzelne Verzagte erhoben sich, um zurückzuflichen, und jeden einzelnen streckte eine Kugel von Chappuis' Tirailleuren nieder. Beim Anblick dieser Verwüstung lief es mir buchstäblich eiskalt über den Rücken herunter. Es ist das einzige Mal in meinem Leben, daß ich dies Gefühl infolge eines grauenvollen Anblicks empfunden habe. Die ganze feindliche Kolonne war vernichtet. Später fand man unter den Toten und Verwundeten nur wenige Gesunde, welche minder beherzt als die übrigen, liegen geblieben waren, weil sie weder gewagt hatten, zurückzulaufen noch vorzustürmen.

Systematisches Beschießen des Waldes. Unterdesjen machten die Truppen des XI. und V. Armeekorps uns gegenüber immer mehr Fortschritte. Nördlich vom Dorfe Illy war schon seit einiger Zeit eine nicht unbedeutende Artillerielinie in Tätigkeit, dann nahm preußische Infanterie das Dorf und feuerte von dem Südrande des Torfes in der Richtung des Calvaire d'Illy. Die Artillerie des V. Korps hatte meine Artillerielinie im ersten Augenblick für eine feindliche gehalten, und die Batterien, welche zuerst abprosten, hatten ihre Geschüße bereits nach uns gerichtet. Glücklicherweise erkannte der Brigadeadjutant der 5. Artillerie-Brigade, Leutnant v. Dalwigk, der nach dem Kriege von 1866 bei mir Regimentsadjutant gewesen war, uns als Kameraden und verhinderte das Feuer. Es wäre den Franzosen in diesem Augenblick eine großze Erleichterung gewesen, wenn die Artillerie des V. und die des

Gardekorps sich über die Köpfe der Franzosen hinweg gegenseitig bekämpft hätten. Ich sah Dalwigk den anderen Tag, wobei er mir diese Tatsache erzählte.

Zahlreiche französische Truppenmassen zogen sich von Norden her in das Bois de la Garenne zurück. Dieser Wald mußte nach meiner Berechnung ganz vom Feinde angefüllt sein. Ich ordnete, da jest zwischen dem Walde und mir kein Feind mehr sichtbar war, eine systematische Beschießung des Innern desselben an, um den Feind darin zu erschüttern. Zu diesem Zweck ritt ich von Batterie zu Batterie und bezeichnete einer jeden einen Punkt am Waldrande, den sie zu treffen habe, dann solle per Batterie das erste Geschüß immer diesen Punkt treffen und jedes folgende hundert Schritt weiter schießen. So wurde der Wald in einer Tiefe von 500 Schritt und mehr mit Granaten und Sprengstücken überschüttet. Dies Feuer sollte ruhig fortgeführt und nur dann unterbrochen werden, wenn irgendwo feindliche Truppen zu sehen seien, auf die dann das gesamte Artilleriefeuer vereinigt werden sollte.

Als ich diese Anordnungen eben getroffen hatte, fam General v. Pape und sagte mir: „Nanu hören Sie mal endlich mit Ihrem unausstehlichen Spektakel auf, ich will den Wald da drüben stürmen." Wir waren sehr genau miteinander bekannt und verkehrten immer unter uns lachend in äußerst derben Redensarten. Also entgegnete ich: „Sie haben wohl Lust, wieder soviel Menschen zu verlieren, wie vor vierzehn Tagen. Wenn Sie den Wald angreifen, ehe ich die Kerle da drüben ganz mürbe gemacht, dann schieße ich auf Sie!“ „Sind Sie aber ein grober Kerl“, sagte Pape. „Das ist mein Stolz", entgegnete ich.

Kavallericattacke auf den Wald. Bei der überlegenheit unseres Feuers, das sich mit dem der Artillerielinie beim Dorfe Jlly kreuzte, war jest jeder Widerstand des Feindes unmöglich. General Douay gibt an, daß bei seinem Korps allein vierzig Proven in die Luft gesprengt seien. In meinen Batterien fand sich eine Menge Zuschauer ein, die von der hinter dem Wäldchen von Cernay in Reserve haltenden Infanterie vor= kamen und meiner Schießübung zusahen. Manche schwaßten mit und wurden von mir mit deutlichen Worten zur Ruhe verwiesen, denn sie störten die Aufmerksamkeit der Kanoniere. Selbst ein katholischer Geistlicher fand sich bei einer Batterie ein und sah sich dies Schauspiel an, denn kein feindliches Geschoß gefährdete uns mehr. Mit einem Male sah ich von Norden, rechts, her eine Kavallerielinie auf das Bois de la Garenne zu traben. Es waren zwar Ulanen, aber da sie die Lanzen

gefällt hatten, hielt ich sie für Dragoner,*) und, benachrichtigt wie ich war, daß unsere Garde-Kavallerie über die Givonne geschickt sei, rief ich unwillig aus: „O Gott, da werden die armen Garde-Dragoner gegen einen Wald voll Infanterie geführt, sie haben doch bei Mars la Tour genug verloren." Ich ließ mein Feuer schweigen und alle Geschüße gegen die Nordspiße des Bois de la Garenne richten. Unterdessen näherte sich unsere Kavallerie dem Walde. Eine dichte Masse feindlicher Infanterie ward dort sichtbar und eröffnete ein mörderisch scheinendes Schnellfeuer. Da hörte ich neben mir die Stentorstimme des Geistlichen, der im Predigerton sagte: „Jezt müßten eigentlich recht viele preußische Granaten in dieser französischen Infanterie plagen." „Seien Sie ganz ruhig, Herr Prediger“, sagte ein an der Proze stehender Kanonier, „das wird gleich besorgt werden." Auch donnerte alsbald das Schnellfeuer der ganzen Artillerielinie, die Granaten platten in Massen vernichtend in den Reihen der feindlichen Infanterie, von der, was noch laufen konnte, sich eiligst wieder im Walde verbarg. Nur wenige unserer Reiter jagten, weil ihnen die Pferde durchgegangen waren, hinein in den Wald. Die übrigen wurden durch das Appellsignal zurückgerufen und wieder hinter die schüßende Höhe geführt. Diese Kavallerie kam mit einem Verlust von 1 Offizier, 31 Mann und 47 Pferden davon. Ich erfuhr erst Tags darauf, daß ich hier meinen eigenen Bruder durch das Schnellfeuer meiner Batterien vor sicherer Vernichtung gerettet hatte. Er hatte diesen Angriff auf Befehl gemacht, nachdem seine Gegenvorstellungen zum Schweigen gebracht waren. Als er es mir erzählte, sagte er, er habe nicht begriffen, warum die dummen Franzosen in nächster Nähe gar nicht mehr geschossen hätten, und als ich ihm sagte, daß ich den Franzosen den Mund mit Granaten gestopft, da sagte er: „Drum, als ich zurückging, pfiffen keine Chassepotkugeln mehr, aber es schwirrte und schnurrte so unregelmäßig in der Luft, ohne daß uns etwas traf." Das waren die Sprengstücke der Granaten gewesen. Während der Bewegung der Kavallerie waren unsere Gläser mit Besorgnis um ihr Schicksal nach ihr hin gerichtet, und die Brust atmete leichter auf, als wir sie mit verhältnismäßig geringem Verlust der Gefahr entronnen sahen.

Bald darauf meldete sich ein sächsischer Artillerie-Stabsoffizier bei mir und bat mich, ihm Platz für seine Batterien anzuweisen, er wolle mitschießen. Ich bedauerte unendlich, von seiner Hilfe keinen Gebrauch machen zu können, denn es war nicht mehr Raum für noch ein einziges

*) D. h. der Verfasser sah nicht, daß sie Lanzen hatten, denn die Dragoner führten damals noch keine Lanzen.

« ZurückWeiter »