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Ich ritt schleunigst zurück, um die Korpsartillerie zu holen, begegnete aber unterwegs schon Bychelberg mit drei von den vier Batterien, die zur Division Pape gehörten. Eine, Samezky, war noch zurück. Den anderen drei befahl ich jest, zunächst zu Pape zu rücken, Pritt wig I, Planit II und Kuhlmann. Bychelberg führte den steilen Hang im tiefen Boden hinauf. Wer das reglementsmäßige, elegante Vorgehen einer Artillerielinie auf dem Ererzierplaze gewöhnt ist, der würde sich ein wenig enttäuscht gesehen haben, wenn er dies Vorgehen der durch viele Gewaltmärsche bei unregelmäßigem Futter ermatteten, durch einen Trab von ein paar Meilen außer Atem gekommenen Batterien gesehen hätte. Sie krochen mühsam den Berg hinan. Troß vielem Hott und Hüh konnten die Pferde die Last nicht hinaufschaffen. Kanoniere halfen ziehen und schieben. Dann saßen Husaren ab und halfen ziehen und schieben, auch Garde-Füsiliere, und in dieser bunten Gesellschaft wurden die geliebten Kanonen auf ihre Plätze gebracht. Ich sage die geliebten Kanonen, denn seit dieselben so energisch geholfen hatten, den Widerstand von St. Privat zu brechen, waren sie im ganzen Armeekorps die verwöhnten Schoßfinder. Bychelberg führte, oben angekommen, seine Batterien auf dem erwähnten Gestell durch den Wald und ward jenseits alsbald von einem solchen Massenfeuer empfangen, daß er eilte, die drei Batterien zum Schuß zu bringen. Bei der großen Nähe des Feindes konnte er nicht weiter vor. So kam er mit dem Rücken dicht an den Waldrand zu stehen und versperrte den Ausgang des breiten Gestells. Der Feind empfand seine flankierende Wirkung bald auf das empfindlichste und wollte sich seiner entledigen. Daher richtete er an Geschütz gegen ihn, was dahin schießen konnte, brachte gerade gegenüber noch Batterien vor und ließ auch schräg von rechts her oben auf dem Calvaire d'Illy Artillerie gegen ihn spielen. Bychelbergs erster Schuß fiel um dreiviertel neun Uhr. Um ihm alsbald in seiner fritischen Lage Erleichterung zu verschaffen, eilte ich zurück und dirigierte. die Korpsartillerie, welche auf meinen ihr zugesandten Befehl eben den Grund von Cernay durchschritt. Ihr Heraufklettern erfolgte in ähnlicher Weise mit Hilfe von vielen Menschenhänden, wie das der Batterien Bychelbergs. Die erste Batterie, v. Keudell, mußte erst ein paar Granaten in das in unserer rechten Flanke liegende Dorf La Chapelle senden. Dieser Ort am Eingang der Chaussee Sedan-Bouillon in den Ardenner Wald, ganz nahe der belgischen Grenze, war von einiger feindlicher Infanterie beseßt, die von da aus schoß. Bald vertrieb eine Kompagnie Garde-Füsiliere die geringe feindliche Truppe.

Ich konnte die Korpsartillerie nicht neben Bychelberg aufstellen,

denn das Gestell war durch ihn versperrt, auch hätten mehr Batterien in solche Nähe einer noch unerschütterten feindlichen Artillerie gebracht werden müssen, daß keine Aussicht vorhanden war, sie zum Schuß zu bringen. Ich führte daher die ersten beiden Batterien rechts des Waldes, jenseits dessen Bychelberg stand, bis an den Höhenrand, der hier senkrecht nach der Chaussee Sedan-Bouillon abfällt. Aber er biegt sich hier auch zurück, und deshalb befand sich diese Position viel weiter vom Feinde als die Bychelbergs. Sie lag dem Calvaire d'Illy gerade gegenüber und hatte alsbald wenigstens die eine Wirkung, daß der Feind von dort nicht mehr nach Bychelberg sondern nach der Korpsartillerie schoß, ersterer also von dem Flankenfeuer von rechts befreit wurde. Es hatten hier nur zwei Batterien Play, v. Kendell und v. Röhl, denn rechts begrenzte ein tiefer Wasserriß den Aufstellungsraum. Der erste Schuß der Korpsartillerie erfolgte um neun Uhr.

Unser Feuer war zunächst

Erster schwieriger Geschüßkampf. wirkungslos, denn wenn auch der Höhenrücken hier kahl war, so befanden sich doch Bäume und Sträucher auf dem steilen Hang dicht vor uns und ragten mit den Spißen über den Berg hinaus. Unsere Granaten platten, wenn sie durch die Zweige der Baumspißen sausten, einige zwanzig Schritt vor den Geschüßen. Es blieb uns nichts anderes übrig, als unsere Leute mit Beilen und Ärten erst vorzuschicken und die Bäume umhauen zu lassen, die unser Schußfeld beeinträchtigten. Scherbening schlug mir vor, noch rechts des Wasserrisses einige Batterien aufzustellen, er wollte sehen, ob es möglich sei, sie den steilen Hang hinaufzubringen. Ich gab meine Genehmigung, daß er dorthin ritte, nur empfahl ich ihm, nicht zu nahe an Chapelle hinzureiten, wo noch feindliche Infanterie war. Er sagte: „Ich denke, an jenen Baum hinzureiten.“ „Ach, da können Sie hin“, sagte ich, „da sind Sie sicherer als in Abrahams Schoß." Er ritt, und Major v. Krieger mit ihm, den Play und Zugang zu rekognofzieren. Unterdessen wurde das feindliche Feuer immer heftiger. Granate auf Granate schlug in die Batterien ein, und wir litten empfindliche Verluste. Merkwürdigerweise hatten die feindlichen Kugeln sich heute mehr die Pferde zum Opfer auserforen als die Menschen. Neben mir, als ich gerade in der einen Batterie die Flugbahn der Granate eines Schusses beobachten wollte, sauste ein feindliches Geschoß flach über die Proze fort, schlug zwischen den Stangenpferden ein und platte dort. Vorder- und Mittelpferde machten einen weiten Sprung vor Schreck und rissen die Stangenpferde mit sich fort. Ich besorgte, die Pferde wollten mit der Proze durchgehen, ehe ich aber

noch zulangte, um beim Halten der Tiere zu helfen, brachen alle vier Pferde, Vorder- und Mittelpferde, zusammen, denn sie waren tot. Die Kanoniere, die darauf saßen, lagen mit im Knäuel, arbeiteten sich aber unverlegt daraus empor!

Das fortwährende Einschlagen von Granaten verfehlte seinen moralischen Eindruck auf die Batterien nicht. Die beiden Batterieführer waren noch jung, genossen noch nicht das unbedingte Vertrauen und die Autorität ihrer Vorgänger Friederici und Mutius, die mir seit der Schlacht von St. Privat fehlten, und so ging ihnen das Feuer aus der Hand. Jedes Geschüß fing an zu feuern, wenn es wollte, von Beobachten und Korrigieren der einzelnen Schüsse konnte nicht die Rede sein, bald hörten die Leute auch auf zu zielen und knallten in die Luft, und durch solches Feuer konnte man den Feind weder treffen noch ihm imponieren. Es ist dies das feu à volonté, das in der französischen Artillerie reglementsmäßig ist und nur dem Feinde nüßt. Überzeugt, daß hier ein kräftiges Einschreiten nötig sei, befahl ich den beiden Batteriefommandeuren das lange-a-1-t!" zu kommandieren. Auf dies Kommando muß jeder stehen, wie er steht, und darf kein Glied rühren. Das Kommando erfolgte und brachte unser unsinniges Feuer zum Schweigen. Hierauf ritt ich auf den linken Flügel, stieg ab und ging langsam von einem Geschütz nach dem andern. Sie waren fast alle ins Blaue gerichtet. Am rechten Flügel der zwölf Geschütze starken Feuerlinie stieg ich langsam wieder zu Pferde, ritt mitten in die Batterien, wo ich ihnen zurief, wenn sie ferner so schlecht richten und ohne Kommando der Offiziere abfeuern würden, so gäbe ich ihnen mein Ehrenwort, daß ich sie stundenlang im Feuer stillstehen und von den Franzosen zusammenschießen lassen werde, denn um Batterien, die nichts treffen könnten, sei es nicht schade, wenn sie vernichtet würden. Dann befahl ich, daß jedes Geschüß, ehe es abgefeuert werde, in seiner Richtung von den Offizieren nachzusehen sei, und jetzt erst erlaubte ich ein langsames Feuer vom linken Flügel. Aber die Beobachtung blieb troßdem außerordentlich schwierig. Der Wind kam schwach von links her und wehte den Pulverdampf der links von uns näher am Feinde stehenden Abteilung Bychelberg vor unsere Geschüße und verschleierte so unsere Aussicht. Auch beim Feinde lagerte sich Pulverdampf. Man sah Explosionen, konnte aber gar nicht unterscheiden, welchen Ursprungs die Explosionen waren, und ob wir richtig, zu kurz, oder zu weit schossen.

Scherbenings Tod. Ich ward innerlich sehr ungeduldig, denn ich wollte gern Bychelberg noch mehr Erleichterung schaffen und dazu allen

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anderen Batterien Aufstellungspläße aussuchen. Aber anderseits konnte ich diese beiden Batterien ihren jungen Führern nicht überlassen, wollte ich nicht dieselbe Wildheit wieder einreißen sehen. Schmerzlich vermißte. ich jezt das scharfe Auge von Scherbening, der mit bloßem Auge die Granaten fliegen sehen konnte. Wäre er hier, er würde bald richtig korrigieren und die Ruhe erhalten, und ich könnte Bychelberg helfen, so dachte ich. Da kam Major v. Krieger. Wo bleibt denn Scherbening?", rief ich ihm zu. „Scherbening ist eben gestorben“, war die Antwort. „Unsinn“, sagte ich, gestorben! War ja nicht krank." Und doch war dem so. Der treffliche Oberst war tot. Er war an jenen Baum herangaloppiert, wo ich ihn in Abrahams Schoß wähnte, 500 Schritt rechts vom äußersten rechten Flügel unserer Feuerlinie. Sei es, daß er mit seinen Adjutanten, Trompetern und Ordonnanzen die Aufmerksamkeit des Feindes auf sich zog, sei es, daß der Feind einen ungezielten Schuß abgefeuert hatte, der so weit fehl ging und zufällig da einschlug, wo er hielt, kurz eine Granate kam vom Calvaire d'Illy her und traf ihn mitten unter seinem Gefolge voll in die Brust, riß ihn unter das Pferd, platte dort und sandte noch einige Sprengstücke in den Unterleib des Pferdes, das nach einigen Galoppsprüngen ebenfalls tot zusammenbrach. Krieger hatte dann, nachdem Scherbenings Leiche in einen schüßenden Steinbruch gelegt war, die beiden schweren Batterien Brittwig II und Seeger, nur durch den besprochenen Wasserriß von den leichten getrennt, dicht rechts daneben aufgestellt und kam nun zu mir herumgeritten, mir den schweren Verlust zu melden. Die reitenden Batterien fanden noch keinen Raum zur Aufstellung und blieben hinter uns im Grund gedeckt, ihrer Bestimmung wartend.

Ich mußte jezt zunächst Scherbening ersezen. Die beiden Abteilungskommandeure der Korpsartillerie waren zur Stelle. über den ältesten Artillerie-Stabsoffizier des Korps, Rheinbaben, hatte ich keine Verfügung, denn er gehörte zur 2. Division. Ich gab Buddenbrock für heute das Kommando der Korpsartillerie, Gräveniß das der reitenden Artillerie.

Noch immer war es äußerst schwierig, unsere Wirkung zu beobachten. Ich konnte durch den Pulverdampf nicht unterscheiden, ob wir träfen, zu kurz oder zu weit schöffen; die Batteriefommandeure glaubten zu treffen. Aber die beiden genannten Stabsoffiziere zuckten mit mir die Achseln, und der eine meinte, wir schössen zu weit, der andere, zu furz. Da fiel mir ein, daß einmal bei einem wissenschaftlichen Abend in der Kaserne Scherbening vorgeschlagen hatte, wenn in einem lebhaften Artilleriekampfe die vielen Explosionen die Beobachtung der

eigenen Wirkung unmöglich machten, Batteriesalven geben zu lassen, weil dann sechs Granaten auf demselben Fleck plagen müßten, und man von diesen gleichzeitigen sechs Explosionen sicher wüßte, daß sie von der Batterie herrühren. Ich ordnete dies an und kontrollierte die Richtung. jedes Geschüßes. Die erste Salve zeigte uns jezt, daß wir bisher, also fast eine ganze Stunde lang, viel zu kurz geschossen hatten, denn die Luft war, nachdem der Nebel gefallen, so hell und klar geworden, daß man die weiten Gegenstände deutlich sah und für näher hielt, als sie waren. Mit der dritten Salve erreichten wir den Feind auf dem Calvaire d'Illy (streng genommen auf der diesseits vorliegenden Bergkuppe) mit Aufsatz von 3200 Schritt. Nach dem Generalstabsplan ist es ein paar hundert Schritte weiter. Das stimmt, denn die Luft war schön und trocken. und bei solchem Wetter schießen die Kanonen weiter bis zu zehn Prozent. Von diesem Augenblick an hatten wir keine Verluste mehr, denn sobald unsere Granaten in den feindlichen Batterien platten, schossen diese ungezielt ins Blaue, und wir bemerkten den Beginn unserer Überlegenheit in dem Artilleriekampfe. Ich ließ jezt ruhiges Flügelfcuer geben und begab mich nach dem rechten Flügel, um Scherbenings Leiche zu sehen. Die rechte Brust war eingedrückt, Blut drang aus der zerquetschten Lunge zum Munde heraus, die rechte Schläfe war, vermutlich von einem Stück der geplaßten Granate, zertrümmert. Der Tod muß augenblicklich eingetreten sein, vielleicht und hoffentlich ehe der Schmerz Zeit gehabt hat, zu seinem Bewußtsein zu kommen. Es ward mir erzählt, daß er den Abend vorher alle Bestimmungen für den Fall getroffen hatte, daß er im Gefecht bleiben sollte. Da er sonst nie von seinem Tode gesprochen hatte, sondern immer sehr heiter gewesen war, so hatte dies den Adjutanten befremdet, und er hatte ihn darauf aufmerk. sam gemacht, daß ja Ruhetag für morgen befohlen sei. Darauf hatte er leichthin erwidert: „Na, wer weiß. Man kann nicht wissen, was geschieht." Die Herren seines Gefolges waren tief ergriffen. Ich gab dem geschiedenen Freunde die Hand, sie war noch warm. Jezt ritt ich, dem Prinzen von Württemberg die Meldung zu machen. Im Vorbeireiten sah ich nach der 1. Fuß-Abteilung, Bychelberg. Der Zugang zu derselben durch das Waldgestell war nicht angenehm zu passieren, denn dasselbe bildete den Kugelfang für die zu weit gehenden Geschosse. Ich fand die Herren dort in bester Laune, wenn auch Brittwig I leicht verwundet den Arm in der Binde trug. Anfangs sei es ein bißchen lebhaft gewesen, meinte Bychelberg, aber seitdem die Korpsartillerie aufgetreten, hätten sie Luft bekommen und seien mit den Kerls da drüben. fertig geworden. In der Tat lag in den flüchtig aufgeworfenen Ver

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