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Vedetten befänden. Er wollte gar nicht glauben, daß die KavallerieDivision nicht noch vor uns sein müsse. Der Sicherheit halber ließ er aber einen Offizier mit vier Reitern der Stabswache nach Sachy voraustraben, um dort Quartier zu machen. Die Sonne war schon untergegangen, es begann zu dunkeln. Bald hörten wir einige Infanterieschüsse in Sachy. Herr v. Wazdorff kam zurück. Sein schöner Fuchshengst blutete am Vorderfuß. Als Beweis, daß der Feind in Sachy sei, brachte er fünf Gefangene mit von allen Waffen. Er hatte sie auf der Dorfstraße aufgegriffen. Den, der nach ihm geschossen, hatte er niedergehauen. Die Gefangenen waren Nachzügler des 1. Korps, wovon nach ihrer Aussage noch siebzig bis achtzig in Sachy steckten. Es leuchtete ein, daß der kommandierende General nicht in einem Orte Quartier nehmen konnte, der noch vom Feinde angefüllt war, und wir ritten nach Carignan zurück, während die Husaren unserer Avantgarde die Feinde in Sachy als Gefangene abführten.

Der Befehl der Maas-Armee kündigte uns für den nächsten Tag einen Ruhetag an, dessen die Armee nach den kolossalen Anstrengungen der lezten Tage dringend bedurfte und der ihr wohl gewährt werden. konnte, nachdem sie die Stellung erreicht hatte, die dem Feinde den Weg nach Metz versperrte. Kronprinz Albert hatte diesen Ruhetag persönlich beim Könige erbeten und stellte ihn in Aussicht. Nur sollten die Vorposten sehr aufmerksam sein, für den Fall, daß der Feind uns in der Richtung nach Osten mit Macht angreife. In solchem Falle sollte sich das Gardekorps in der Linie Pouru-St. Remy-Pouru aur Bois bis zu dem Augenblick wehren, wo die anderen Korps ihm würden helfen fönnen.

In Carignan beschloß der Prinz von Württemberg zu bleiben. Quartier wurde weiter nicht gemacht. Jeder suchte sich ein Unterkommen. Der Prinz rückte in ein großes Haus am Ausgang nach Sachy, das ohne Einwohner war. Ich fand keinen Plaß mehr für meine Pferde und ritt auf den Marktplatz. Ein großes Haus mit viel Stallung fand ich leer. Ich rückte ein. Es gehörte einem reichen Brauer, einem Mann von 85 Jahren. Seine Frau schrie mich so lange mit gellender Stimme an, sie habe nichts für mich, bis ich sehr grob wurde, alsdann ward ich aufgenommen.

Lebensmittel und Gepäck hatten wir nicht. Erschreckt durch das Steckenbleiben seines Küchenwagens am gestrigen Tage, hatte der Prinz von Württemberg befohlen, die Bagage des Hauptquartiers folle nicht eher folgen, als bis er es persönlich befehlen werde, und er sandte erst von Carignan aus den Befehl dazu. Wir mußten also heute wieder

auf Essen verzichten. Mein alter Wirt behauptete, er habe rein gar nichts mehr. Den Tag zuvor hatten die Franzosen des 1. Korps den Ort ausgefressen. Sie hatten mehr getan als requiriert. Sie hatten im eigenen Lande geplündert. Wir fanden die Spuren davon überall im Orte. Wenn schon die eigenen Truppen sich so betragen hatten, so konnte man es allerdings den wenigen Einwohnern, die nicht geflohen waren, nicht verdenken, daß sie vor den feindlichen Truppen versteckten, was sie noch hatten, und nichts zu haben vorgaben. Während ich mit meinem Wirte parlamentierte, hatte sich Doppelmair auf dem Plaz umgesehen, eine Restauration" entdeckt, wo noch eine Frauensperson existierte, die uns eine Suppe, Hammelfoteletts und Kartoffeln bereiten konnte, das lette, was da war. Wir zahlten bar und ließen uns das Dargereichte trefflich munden. Hatten wir doch seit vorgestern abend von harter Schokolade und Kognak gelebt und nur gestern abend eine Tasse Kaffee erhalten. So wärmte uns die Bouillon am Abend hier trefflich.

Ehe ich an meine Ruhe dachte, ging ich noch einmal ins Generalkommando, um zu sehen, ob dort ein ändernder Befehl eingetroffen sei, was ja bei der Nähe des Feindes möglich war. Aber ich fand, zwar keine Ruhe, so doch tiefen Frieden dort. Die Herren, die mit dem kommandierenden General in der prächtigen, herrenlosen Villa einquartiert waren, hatten dort genügende Lagerstätten gefunden. Aber die Recherche nach Lebensmitteln hatte nur frische Eier und Champagner in Massen geliefert. So hatten sie davon gelebt, nachdem viele Eier gekocht waren. Der Prinz war zu Bett gegangen, und die anderen Herren waren überaus munter und heiter. Kein Wunder, wenn man nach zwei Tagen absoluter Entbehrung und großer Anstrengung in der Hiße sich von Eiern und Champagner hat sättigen müssen. Wangenheim kam mir aus dem Keller mit einem frischen Korb Eiern jubelnd entgegen und sah lächelnd zu, als ich ihm ein Dußend sorgsam herausnahm, in meine Müze packte, und nach meinem Quartier zurückkehrte, um morgen etwas zum Kaffee zu haben.

Auch Dannenberg war sehr heiter, lachte und scherzte und sagte, morgen sei Ruhetag, da werde man den Champagner ausschlafen.

Ich kehrte mit dem Dußend Eier in mein Brauhaus zurück und bezog meine Stube. Der Wirt hatte es möglich gemacht, jedem von uns eine Matraße und ein Kopfkissen zu geben. So in der ersten Etage des Hauses auf den Dielen gebettet, mit dem Mantel zugedeckt, suchte ich Aber der Schlaf floh mich.

endlich zu ruhen. Ich war sehr müde. Ich war sehr müde.

Wenn ich sonst hungrig wurde, und die Schokolade mich anwiderte, hatte ich geraucht. Nichts greift den Magen mehr an, als das zu

sammen. Es vergeht dann bald die Lust zum Essen und Trinken. Diese Ingredienzien ballen sich wie Steine im Magen zusammen. Nach einer beängstigenden Stunde schien Leben in mein Inneres zu kommen, und es erfaßte mich eine Kolik, die nicht ärger auftreten kann, wenn glühendes Eisen in den Därmen steckt. So wand ich mich Stunde auf Stunde im folterndsten Schmerz, der sich in keiner Weise Erleichterung verschaffen konnte. Mit Sehnsucht blickte ich immer nach dem Fenster, ob nicht endlich der grauende Morgen dieser entseglichen Nacht ein Ende machen werde. Eben schien es mir, als ob das Schwarz des Himmels sich in Grau verwandeln wollte. Da glaubte ich meinen Namen rufen zu hören. Noch einmal! Es war Wazdorffs Stimme. Ich sprang auf, riß das Fenster auf und fragte, was denn los sei. „Ist das komisch“, sagte Wazdorff lachend, wir werden alarmiert, das soll ich Ihnen sagen." Ich fragte ihn noch einmal. „Nein wirklich", sagte er, der Prinz schickt mich. Ich habe mir nicht einmal die Zeit genommen, Stiefel anzuziehen, und bin in Pantoffeln." Richtig! Wir wurden alarmiert! Es war zwischen drei und vier Uhr früh. Das war also der versprochene Ruhetag!

6. Die Schlacht von Sedan.

Der 1. und 2. September 1870.

Alarm. Auf die Mitteilung von dem Alarm weckte ich zunächst meine im Zimmer nebenan schlafenden drei Begleiter, dann unsere Leute im Stalle. Ich hatte viel Mühe damit, denn sie schliefen wie die Toten, und Doppelmair, der sehr wenig zähe war und viel Schlaf brauchte, brummte etwas von „schlechten Wißen". Als alles munter war und die Leute mit Satteln beschäftigt, lief ich ins Generalkommando, um zu erfahren, was der Grund sei. Dort war alles sehr beschäftigt mit Einpacken, und die Champagnerstimmung, die noch vorherrschte, ließ jeden alles mit Hast betreiben. Es ist charakteristisch für die Macht der Pflichttreue in der preußischen Armee, daß troß dieser Champagnerstimmung kein einziger Befehl falsch bestellt wurde. Die einzigen Konfusionen, welche vorkamen, bestanden darin, daß hier und da ein junger Herr die Stiefel oder auch nur einen Stiefel eines anderen angezogen hatte, worüber noch während der Schlacht viel gelacht wurde. Ich erhielt keine ordentliche Antwort. Aber als ich erfuhr, daß die beiden Infanterie-Divisionen sogleich alarmiert werden und nach

Westen marschieren, die Korpsartillerie und die Kavallerie-Division erst um fünf Uhr alarmiert werden sollten, auch der Prinz von Württemberg seine Pferde erst um fünf Uhr bestellt habe, wurde mir so viel klar, daß nicht der Feind angriff, sondern wir angriffsweise zu verfahren hätten, ich also Zeit habe, denn es war noch nicht vier Uhr. Ich eilte also zurück, befahl, die Pferde erst gehörig zu füttern und zu tränken, dann sorgfältig zu satteln, und machte die Wirtsleute mobil, um Kaffee zu erhalten und die gestern eroberten Eier kochen zu lassen, ja ich stellte mich mit der alten Wirtin selbst an den Herd und kochte den Kaffee für alle, Offiziere und Leute. Als der erwärmende Kaffee in meinen kranken Magen fam, fühlte ich mich einen Augenblick etwas wohler und wollte. zu Pferde steigen, um vor das Quartier des kommandierenden Generals zu reiten. Da machte sich aber meine Kolik durch einen so heftigen Choleraanfall Luft, daß ich eine kurze Zeitlang besinnungslos lag. Nach einer Weile erholte ich mich, und meine letzten Kräfte zusammennehmend, gelang es mir, mich auf das Pferd heben zu lassen. Ich traf vor dem Quartier des Prinzen fünf Minuten nach fünf Uhr ein. Er war pünktlich vor fünf Minuten in der Richtung auf Sachy fortgeritten. Ich seßte meine flinke Fuchsstute in schnellste Gangart auf der breiten, leeren Chaussee. Der feuchte, eisige Morgennebel, der von den Ardennen heruntertrieb und sich in das Tal senkte, kündigte zwar einen sonnigen Spätsommertag an, aber er drang auch empfindlich kalt durch die Kleider bis auf die Haut. Wiederholt zwang mich die Wiederkehr meiner Anfälle zum Absteigen. Während eines solchen Aufenthalts kam ein Adjutant von vorn zurück gejagt und rief mir zu, er solle die Korpsartillerie vorholen. Ich sandte eilends einen meiner jungen Herren zum Prinzen von Württemberg mit der Bitte, zu befehlen, daß für die heutige Schlacht bis auf weiteres die reitende Artillerie wieder von der Kavallerie-Division zur Korpsartillerie gezogen werde, um diese auf sieben Batterien zu verstärken. Meine Bitte wurde genehmigt und der betreffende Befehl abgesandt.

Eintreffen im Hauptquartier. In Pouru St. Remy holte ich den Prinzen von Württemberg ein, und während ich mit ihm den Weg auf Francheval einschlug, ward ich über die Bedeutung des plötzlichen Alarms orientiert.

Der Feind hatte in der Nacht nördlich von Sedan in Biwaks gestanden. Uns zunächst war ein großes Biwak bei Villers Cernay gesehen worden. Diese Lage des Feindes auszunußen, hatte der Kronprinz von Preußen den Entschluß gefaßt, während der Nacht bei Donchery Brücken.

über die Maas schlagen zu lassen.*) Indem er dann am Morgen seine Armee hinüber schob, sollte er dem Feinde auch den Rückzug nach Mézières verlegen, wie wir ihm den Weg nach Met verlegt hatten. So mußte der Feind, von allen Seiten eingeschlossen, entweder nach Belgien fliehen oder sich ergeben.

Kronprinz Albert erhielt diese Nachricht eine Stunde nach Mitternacht. Er erkannte sofort, daß, wenn der Feind sich mit aller Kraft gegen den Kronprinzen Friedrich Wilhelm bei Donchery wenden könne, dieser in seiner kühnen Unternehmung gefährdet sei.**) Er beschloß deshalb unverzüglich, troß der Ruhebedürftigkeit der Maas-Armee, diese zu alarmieren und den Feind von Osten her mit Macht anzufallen, um von dessen Kräften so viel als möglich zu fesseln und von der Dritten Armee abzulenken. Um drei Uhr waren die entsprechenden Weisungen beim Gardekorps angekommen.

Befehle zur Schlacht. Die Befehle der Maas-Armee schrieben dem Gardekorps die Richtung auf Villers Cernay vor. Hinter Pouru St. Remy hatte es die große Chaussee zu vermeiden und links zu lassen, auf der das XII. Korps von Douzh gegen Bazeilles, Lamécourt und Rubécourt vorzudringen hatte. In der Tat sahen wir auch von der Höhe zwischen Pouru und Francheval links unten im Tale durch den Nebel die grauen, langgezogenen Linien der sächsischen Truppen in dieser Richtung sich vorbewegen. Weiter nach Westen, in der Richtung von Bazeilles, tobte bereits eine heftig entbrannte Schlacht, wie man jest deutlich hörte.

Als ich das Generalkommando erreichte, befand ich mich mitten. unter Truppen. Wieder quälte mich mein Leiden auf das fürchterlichste. Ich wollte aber um alles in der Welt die Ausbrüche desselben

*) Die Brücke bei Donchery war bereits am 31. mittags unversehrt in die Hände der Avantgarde des XI. Korps gefallen, das dann sofort eine zweite Brücke schlagen ließ und noch an demselben Nachmittag die Avantgarde, 312 Bataillone, 1 Schwadron und 1 Batterie, über die Maas hinüberschob. Auch die Eisenbahnbrücke bei Bazeilles war unversehrt schon am Mittag des 31. dem I. Bayerischen Korps in die Hände gefallen. Auch hier waren zwei Pontonbrücken geschlagen worden.

**) Der Kronprinz von Preußen hatte ihn auf diese Gefahr aufmerksam gemacht. Das Zusammenwirken der beiden Armeen in der erwähnten Weise war bereits einesteils durch Weisungen aus dem Großen Hauptquartier an beide Armeen vom 30. August Abends 11 Uhr, andernteils in der Besprechung der Generale v. Moltke und v. Blumenthal am 31. August in Chemery festgelegt worden.

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