Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

Geschmack; war er doch selbst vor fünfundfünzig Jahren eben dahin marschiert und sah deshalb seine Söhne gern zu demselben Zwecke ausziehen. Ich war sehr froh, ihn so guter Laune zu sehen, und dies erleichterte mir den Abmarsch noch fast ebenso wie das Vertrauen, das ich zu meinen Batterien gewonnen hatte. Noch konnte ich einige Tage mit ihm im Gasthofe zu Mittag speisen. Es war recht amüsant da im Hotel du Nord an der Table d'hote. Eines Tages saß da mit einem Male Fransedy,*) der kommandierende General des II. Korps, dann Offiziere des 1. Korps aus Königsberg. Wo kamen sie her? Ja, ihre Truppen standen auf den Dörfern in der Umgegend von Berlin und sollten bald weiterreisen!

Verladungsbefehl. Das Generalfommando des Gardekorps ich mit meinem Stabe darunter - erhielt Befehl, am 30. Juli, abends zehn Uhr, auf dem Anhalter Bahnhofe zur Verladung bereit zu sein. Von meinen Munitionskolonnen erhielt die zweite Staffel, die letzten sechs Kolonnen, Befehl, nicht in Berlin, sondern am 6. August in Wittenberg verladen zu werden, wohin sie marschieren sollte. Das war eine sehr verständige Maßregel, die man künftig auf alle Truppen ausdehnen sollte. Eine eben mobilgemachte Truppe mit neuen Pferden und, was bei der Infanterie am wichtigsten ist, mit ganz neuen Stiefeln ist noch gar nicht recht kriegsbrauchbar, ehe sie nicht einige übungsmärsche gemacht hat. Kommt sie aus der Garnison auf die Bahn, fährt sie zwei Tage und zwei Nächte, so schwellen die Füße an, und schließen sich an den Eisenbahntransport Kriegsoperationen an, so hat man durch die neuen Stiefel bald Fußkranke.

Offizierhandel. Ehe ich mich in meiner Erzählung auf die Eisenbahn und in den Krieg begebe, will ich noch einige kleine Details erzählen, die teils lehrreich, teils amüsant sind. In betreff der Annahme von Offizieren, die bereits verabschiedet waren, hatten die höheren Bestimmungen uns, vorbehaltlich der Bestätigung der Feldstellen, ziemlich freie Hand gelassen. Da entstand nicht ein Sklavenhandel, sondern ein Offizier a. D.-Handel. Es trat ein Herr in Zivil an mich heran und fragte mich, ob ich ihn für die Dauer des Krieges verwenden. wolle. „Ihr Name?" fragte ich. „Schulze.“ „Hm! Weit verbreitete zahlreiche Familie. Haben Sie gedient?" "Ich war Hauptmann der Artillerie." „Wo standen Sie zulezt?“ „Bei der Feuerwerks-Abteilung in Spandau." Sind Sie der Pulver-Schulte, der das braune Pulver

*) Vgl. über diese Tage auch die erwähnten Denkwürdigkeiten Franseckys, E. 482 ff.

machte?“ „Derselbe.“ „Wollen Sie eine Munitionsfolonne der Artillerie führen?" Ich wollte eben gerade darum bitten." Jch schlug mit Freuden ein. Es war ein Offizier vom besten Ruf. Er hatte Erfindungen gemacht, den Abschied genommen, um mit seinen Erfindungen reich zu werden, sie waren nicht geglückt, er aber bankrott. Daß er tüchtig war für den Krieg, wußte ich. Ich gab ihn ein. Auf Parole rief der Generalleutnant v. Schwart den General v. Bülow und mich zusammen. Für den Frieden war nämlich Schwart, für den Krieg Colomier mein Inspekteur. Oft erhielt ich von beiden widersprechende Befehle. Ich befolgte dann diejenigen, die mir zusagten. Es war ihm aufgefallen, daß sowohl Bülow für die 3. Artillerie-Brigade als auch ich für die Garde einen Hauptmann Schulze aus dem Inaktivitätsverhältnis zum Kommandeur einer Munitionskolonne vorgeschlagen hatten, und Schwarz wollte erst nachfragen, ob wir nicht jeder auf denselben rechneten. „Meiner ist der braune Pulver-Schulze,“ sagte ich. „Das ist meiner auch," rief Bülow, und richtig, Herr Pulver-Schulze hatte gedacht: „Doppelt reißt nicht" und sich bei zwei verschiedenen Truppenkörpern engagiert, um sicher mitzukommen. Wir hätten ihn also beinahe entzwei gerissen. Aber ich gab nach und trat ihn an Bülow ab. Ich fand Ersay. Ein kleines vertrocknet und grimmig aussehendes Männchen, nicht gerade luxuriös gekleidet, trat an mich heran und fragte mich, ob ich ihn gebrauchen könne. „Wo dienten Sie?“ „Bei der 1. ArtillerieBrigade als Premierleutnant." Gingen Sie wegen Invalidität ab?" „Nein!“ „Warum denn?“ „Weil ich eine Heirat eingehen wollte, mit der das Offizierkorps nicht einverstanden war.“ „Sie sind also Familienvater? Nein! Ich bin unvermählt geblieben." Verstehe das, wer da will," dachte ich mir im stillen, denn das griesgrämige Gesicht zeigte jezt noch Kummerfalten dazu und bewies mir dadurch, daß ich eine corde sensible angeschlagen hatte. Seine Papiere waren in Ordnung, seine Zeugnisse aus dem aktiven Dienste vortrefflich; er war sehr erfreut, eine Artillerie-Munitionsfolonne führen zu sollen, und ich gab ihn dazu ein, nicht ohne einiges Bedenken wegen des allzu mürrischen Ausschens.

"

"

Was seine Leistungen im Kriege anbetrifft, so werde ich im Laufe der Erzählung darauf zurückkommen, wie er der erste Offizier unter den Munitionsfolonnen war, für den ich das Eiserne Kreuz erbitten mußte. Jezt aber will ich noch von seinem mürrischen Wesen erzählen. Anfangs toar es dem armen alten R. unter den vornehmen und reichen jüngeren Rittergutsbesitzern, Reserveoffizieren der Gardekavallerie, recht unheimlich. Er wechselte mit feinem ein Wort, das der Dienst nicht erforderte. Bei näherer Bekanntschaft muß er gesprächiger geworden sein. Während

der Einschließung von Paris lag die Munitionskolonnen-Abteilung zujammen. Das Offizierkorps hatte sich ein Kasino improvisiert, aß gemeinschaftlich und verbrachte die Abende zusammen. Papa R., wie er allgemein genannt wurde, leitete das Ganze und schalt den, der zu spät kam usw., und alle liebten ihn und gehorchten ihm. Immer hieß es da: ,,Papa R.! Papa R.!" Er lachte nie, aber er kommandierte die andern, obwohl er an Patent der Jüngste war. Nur selten verzog ein Schmunzeln das griesgrämige Gesicht zu einer komischen Maske. Es ging ihm schlecht im Frieden, dem armen Mann. Er hatte mit Not zu kämpfen. Die Existenz während des Krieges war ein Sonnenblick des Reichtums und Wohllebens in sein entbehrungsreiches Leben.

Persönliche Mobilmachung. Meine persönliche Mobilmachung machte mir nicht viel Sorge. Meine Pferde waren alle kriegsbrauchbar. Ich kaufte noch eins für meinen Diener, d. h. ich ließ es ihn kaufen. Er hat einen guten Handel gemacht, denn nach dem Kriege erhielt ich noch mehr dafür, als ich gegeben hatte. Dann beschaffte ich einen Wagen für meine Effekten und die meines Stabes. Jch ließ mich bereden, dies durch den Regimentsjattler bejorgen zu lassen, der, von seinen vielseitigen Verbindungen unterstüßt, eine Art von Handel damit trieb. Daß er mich gründlich betrog und mir einen verbrauchten Wagen anschmierte, sollte ich bald zu meinem Schrecken bemerken.

Mein Stab bestand aus dem ersten Adjutanten, dem bisherigen Brigadeadjutanten Premierleutnant Braumüller, dem zweiten Adjutanten, dem bisherigen Feuerwerksleutnant der Brigade Sekondleutnant Clauson v. Kaas, dem mir attachierten russischen Hauptmann v. Doppelmair, zwei Schreibern, und wir waren mit Ordonnanzen, Dienern und Trainsoldaten: 1 General, 3 Offiziere, 2 Unteroffiziere, 12 Mann und 21 Pferde. Dieser Stab rückte also am 30. Juli abends auf den Anhalter Bahnhof, wo wir um zehn Uhr verladen werden sollten.

Mittags hatte ich noch mit meinem Vater im Hotel du Nord gegessen. General v. Franjecky und mein Bruder Friedrich Wilhelm, der die 3. Garde-Ulanen kommandierte, aßen ebenfalls daselbst.

2. Don Berlin bis zur Grenze.

30. Juli bis 1. August. Berlin-Mannheim. Auf dem Bahnhofe erhielten wir das Fahrtableau für unseren Zug, auf dem außer dem Generalkommando noch, wenn ich nicht irre, ein Bataillon verladen werden sollte. Dieses Fahrtableau war bis dahin in das undurchdring

lichste Geheimnis gehüllt gewesen. Von allen anderen Transporten aber erfuhren wir gar nichts. Unser Ziel war Homburg in der Pfalz, unweit Saarbrücken. Das Fahrtableau enthielt alle Stationen, im bejonderen diejenigen, wo für die Truppen Frühstück, Mittag und Abendessen bereit gestellt war.

Der Beginn war nicht viel versprechend. Wenige hundert Schritt vor dem Bahnhofe hatte ein Zusammenstoß stattgefunden, und zwei leere Transportwagen lagen auf den Schienen. Unsere Abfahrt konnte nicht stattfinden, und es dauerte bis den andern Morgen um fünfeinhalb Uhr, ehe das Gleis frei wurde. Wer abergläubisch gewesen wäre, der hätte darin eine üble Vorbedeutung erblickt. Aber der preußische Offizier fennt keine üblen Vorbedeutungen, wenn er in den Krieg zieht. Die Woche fängt gut an“, sagte der Mörder, als er am Montag das Schafott besteigen mußte. Dies wurde lachend erzählt, und die Nacht verging unter langweiligem Warten, das mitunter durch erheiternde Scherze unterbrochen ward.

Es hatten sich Gerüchte von einem Vorgehen der Franzosen auf Saarbrücken verbreitet, aber nicht bestätigt. Wir fürchteten nur, zu spät zu kommen und die Abteilungen an der Grenze nicht unterstützen zu fönnen, denn die rätselhafte Untätigkeit des Feindes dauerte nun schon zwölf Tage seit seiner Kriegserklärung.

Viel bedenklicher war uns das Nächste, nämlich die Anhäufung von Truppen auf dem Plag am Bahnhof. Die Transporte sollten sich mit Intervallen von einer Stunde folgen. So kam also jede Stunde ein neues Echelon an, 114 Bataillon oder 114 Eskadron oder 1 Feldbatterie. Alles marschierte auf dem Plate auf und wartete dort die Nacht hindurch. Es konnte nicht verhindert werden, daß sich einzelne Leute in benachbarte Lokale stahlen, um sogenannte Erfrischungen zu kaufen, mit denen sie fich mehr erhißten als erfrischten, und es mußten strenge Maßregeln ergriffen werden, um Ausschreitungen vorzubeugen.

Endlich wurde das Signal zum Einsteigen gegeben, und wir seßten uns am 31. Juli früh in Bewegung. Unsere Reisegesellschaft erhielt noch einen Zuwachs durch den General v. Tiedemann, der GeneralEtappeninspekteur der Dritten Armee geworden war, und durch einen Literaten Rudolph Lindau, der sich dem Generalkommando des Gardeforps anschloß, um diejenigen Mitteilungen an die verschiedenen heimatlichen Blätter zu schreiben, welche das Generalkommando genehmigen würde. Anderweitige Mitteilungen an die Tagespresse der Heimat waren verboten. Dieser Mann hatte ein eigentümliches Leben hinter sich. Als deutscher Schulamtskandidat ohne Aussicht auf Anstellung war er nach Prinz zu Hohenlohe, Aufzeichnungen IV.

2

Südfrankreich gegangen, um sich sein Leben durch Unterricht in der deutschen Sprache zu fristen. Dort lernte er so gut französisch, daß er mehrere Jahre die Stelle eines französischen Konsuls in Yokohama ausfüllen fonnte. Er ward dann Vertreter eines der ersten amerikanischen Handlungshäuser. Nach zehnjährigem Aufenthalt in Japan fehrte er nach Paris zurück, wo er seit einem Jahre sein wohlerworbenes Vermögen zu genießen begonnen hatte, als ihm jezt der plötzlich ausbrechende Krieg sein Vaterlandsgefühl zum Wiedererwachen brachte. Somit war er nach Berlin geeilt und hatte in uneigennütigster Weise Kopf, Arme und Feder zur Verfügung des bedrohten Vaterlandes gestellt. Die Literaten sind, wie alle Zuschauer und sonstigen Schlachtenbummler", in der kämpfenden Truppe nicht gern gesehen und begegnen scheelen Blicken. So ging es Lindau anfangs auch. Aber jein taftvolles und bescheidenes Betragen, sein faltes Blut in allen Gefechten gewannen ihm bald die Zuneigung aller, mit denen er verkehrte.

"

Unser langsamer Zug Militärtransportzüge bewegen sich in der Regel nicht schneller als Güterzüge — ließ uns Zeit, uns gegenseitig fennen zu lernen. Im allgemeinen erlebten wir nichts besonders Bemerkenswertes.

Nur eins war sehr komisch. Nach den Fahrtdispositionen hatten. wir auf dieser Station Frühstück, auf jener Mittag, wieder auf einer anderen Abendessen zu erwarten und den entsprechenden Aufenthalt innezuhalten. Nun war aber unser Zug statt abends zehn Uhr, den andern Morgen fünfeinviertel Uhr abgefahren. Die Folge davon war, daß wir unsere Stationen behufs Innehaltung der Mahlzeiten siebeneinviertel Stunden zu spät erreichten. Da aßen wir also unser erstes Frühstück nachmittags, unser Mittagessen spät abends. Am meisten Gelächter erregte es aber, wenn früh sechs Uhr gerufen wurde: „Station für Abendbrot!" Wir Offiziere fauften uns für unser Geld, was wir genießen wollten, und da kam es nicht so sehr darauf an, ob wir es Mittagbrot, Souper oder Dejeuner nennen sollten. Aber für die Mannschaft war das Essen bestellt und bereitet, und es wartete siebeneinhalb Stunden, war also nicht besser geworden. Das Unglück war aber auch nicht so groß, als es nach der Erzählung scheint, denn auf allen Stationen, wo wir hielten, war der Zug von Patrioten umschwärmt, die Erfrischungen aller Art an die Truppen umsonst verteilten. Da litt niemand Not. Im Gegenteil, der Überfluß war unliebsam, und die Gemüter wurden während der Fahrt immer erhister, denn die Erfrischungen bestanden in Wein, Bier und Branntwein. Zulest baten wir die opferwilligen Landsleute, unseren Soldaten gar nichts mehr zu geben, damit

« ZurückWeiter »