Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

Armee halten, und da wir uns durch den Pulverdampf noch keine Meinung über den Stand des Kampfes bilden konnten, so ward ein Offizier zum Kronprinzen mit der Frage gesandt, ob das Gardekorps zur Unterstüßung vorrücken solle. Die Antwort lautete aber, bis jest stünden die Sachen gut, das Gardekorps solle die Zeit zum Ausruhen benutzen. Wir blieben also oben auf der Höhe und beobachteten die Schlacht mit unseren Ferngläsern weiter. Es war, als wenn man eine Theatervorstellung aus einer sehr entfernten Loge mitansehe. Bald ward uns klar, daß das Städtchen Beaumont in unseren Händen sein mußte, denn ein Halbkreis von nördlich davon stehender feindlicher Artillerie beschoß es heftig, dahinter, oben am Walde Le Fays, bewegten sich Infanteriemassen mit roten Hosen unentschlossen hin und her. Da trat links von Beaumont an einer jener Baumalleen eine lange Artillerielinie auf, vom IV. Korps, und sette dem Feinde zu, während rechts von Beaumont auf sehr hohem Berge eine noch zahlreichere Masse Kanonen allmählich in Wirksamkeit trat. Es war die Artillerie des XII. Korps. Es war unsagbar spannend, diesen Kampf zu verfolgen. Wir sahen die französischen Schrapnells zu hoch und zu weit über unseren Truppen ohne Schaden plazen und unsere Granaten Mal auf Mal in den Feind einschlagen. Wir bemerkten feindliche Infanterie zum Angriff anrücken und vor unserem mörderischen Feuer zurückweichen. Solche Momente wurden unserseits mit Hurra begrüßt, und der liebenswürdige Waßdorff, ein junger, sehr reicher Reserveoffizier in der Uniform der Garde-Husaren, der sich zum Kriege nur mit lackierten Ballstiefeln versehen hatte, meinte, er mache heute die nüglichsten und angenehmsten Studien über Artillerie. So vergingen die Stunden schnell wie Minuten beim Anblick des mächtigen Schauspiels. Endlich verminderte sich die feindliche Artillerielinie, die Unsrigen gingen vor, was an rotbehoster Infanterie sichtbar war, schlug den Weg nach Norden ein.

Das fesselnde Schauspiel hatte uns ganz von der Aufmerksamkeit auf unser Armeekorps abgezogen, das wir ruhend und essend hinter uns bei Nouart im Grunde vermuteten. Jest sah sich Dannenberg um. Da lag die 1. Garde-Infanterie-Division, dahinter die Korpsartillerie, aber der Plaß für die 2. Division und die Kavallerie war leer. Dannenberg sah sich erstaunt um und entdeckte unter den Umstehenden den Ordonnanzoffizier der 2. Division. Wo ist denn Ihre Division?" fragte er. Der Offizier stammelte ganz verlegen, der General habe ihm nicht befohlen, fortzureiten, als er gesagt, wo die Division in Stellung zu rücken habe. So hatte dieser Offizier ganz ruhig mit uns der Schlacht zugeschaut, die 2. Division stand noch, wo sie genächtigt hatte, bei Thénorgues, und die

Kavallerie-Division, die erst hinter ihr folgen jollte, wartete auf sie. Bei den Vorwürfen, die der junge Herr jezt ob seiner Gedankenlosigkeit zu hören bekam, war ich froh, nicht in seiner Haut zu stecken. Aber sie änderten nichts an der Tatsache, daß durch ein Versehen zwei Divisionen des Korps fast zwei Meilen weit abgeblieben waren. Der Schrecken war allgemein. Wenn jezt das Gardeforps gebraucht wird, fehlen ihm zwei Divisionen, die, da es schon in der vierten Nachmittagsstunde war, vor Dunkelwerden nicht bei Nouart eintreffen konnten.

Richtig! Da kam auch gerade ein Ordonnanzoffizier vom Kronprinzen von Sachsen angesprengt. Was bringt er?

„Die Schlacht ist gewonnen! Das Gardekorps soll bei Beaumont Biwak beziehen, die Gardekavallerie so schnell als möglich vortraben, um an der Verfolgung teilzunehmen.“

Der schriftliche Befehl besagte zwar, die 1. Garde-Division solle, gefolgt von der Korpsartillerie, von Grand Champy über Belle-Tour, die Garde-Kavallerie dahinter, die 2. Garde-Division über Bois des Dames, Belval, Etang les Forges marschieren, aber es ward auch hinzugefügt, wenn die Garde-Kavallerie noch so weit zurück sei, daß sie über Sommauthe näher gehe, so könne sie auch diesen Weg wählen, der jezt frei.

Wie so oft in diesem Feldzuge, brachte uns sogar der Fehler Glück. Denn die Kavallerie und die 2. Division konnten auf dem guten Wege von Thénorgues über Sommauthe viel schneller in Beaumont eintreffen als auf den aufgeweichten schwierigen Waldwegen über Belval.

Die Adjutanten flogen, die Truppen sezten sich in Marsch. Es war vier Uhr nachmittags, als die 1. Garde-Infanterie-Division antrat. Das Generalfommando folgte wieder der Avantgarde an der Spite des Gros der Division.

Der Marsch führte uns durch die mit dichtem, fast undurchdringlichem Laubwald bedeckten Niederungen, welche wir von der Höhe aus überblickt hatten. Die Wege waren Waldwege, schmal und eng und durch die Regengüsse aufgeweicht. Nur selten gestattete das dichte Gebüsch, durch das sich der Weg in fortwährenden Krümmungen schlangenartig hindurch wand, einen Blick rechts und links auf eine Wiese oder Lichtung. In dem von den feuchten, moorigen Wiesen aufsteigenden Dunst sah man dann hier und da einen geflüchteten Einwohner, der uns mit einem Gcmisch von Angst und Wut betrachtete und sorgfältig einige Stück Vich weiter in den Wald trieb, um es vor unserer Requisition zu retten. Aber er ward gar nicht verfolgt. Denn schon der Weg bot Schwierigkeit genug; versanken doch darauf die Pferde manchmal fußtief in dem weichen Boden.

Da konnte man nicht daran denken, sich mit Ochsenjagd in dem noch weicheren Walde aufzuhalten. Während dieses Marsches, der uns, obgleich es noch heller Tag war, wie ein Nachtmarsch vorkam, denn wir sahen nichts um uns her als dunklen Wald, hörten wir fortwährend den Donner der Schlacht. Je nachdem der Weg sich wand, klang dieser Lärm von vorn, von rechts oder von links her. Unwillkürlich drängte sich so manchem der Gedanke auf: „Wie, wenn der Feind früher Verstärkungen ins Gefecht bringt als wir, wenn er unsere Truppen in diese engen Waldwege hineinwirft?" Wir hätten uns nicht rechts und links ausbreiten und uns wehren können. Alle Führung und Leitung hätte da aufgehört. Viele, die schon Proben der vortrefflichsten Herzhaftigkeit ab. gelegt hatten, äußerten die ernstesten Besorgnisse. Je mehr wir uns der Schlacht näherten, desto lauter ward der Lärm hörbar. Demnach steigerte die Zunahme des Lärms die Besorgnis, die Schlacht nähere sich uns, habe also inzwischen eine ungünstige Wendung genommen. Vergeblich entwickelte ich alle meine beruhigenden Vernunftgründe. „Jeßt greift der Feind rechts an, hören Sie den Donner?" hieß es. Natürlich, wir haben uns ja eben links gewendet.“ — „Der Donner wird so laut, daß wir bald im Gefecht sind." -Gewiß, wir marschieren ja darauf zu.“ Und so wurden die Nerven Vieler immer empfindlicher. Bei diesem jorgenvollen Zustande der Gemüter hätte ein einziger mißverstandener Ruf eine Panik erzeugen können, denn es gab keine Möglichkeit, sich vorn zu überzeugen, wie die Sachen ständen. Der Prinz von Württemberg versuchte vergeblich, vorzureiten. Der Weg war so schmal, der angrenzende Boden so tief, daß man bei der marschierenden Avantgarde, besonders bei deren Geschüßen, nicht vorbeireiten konnte.

[ocr errors]

Endlich, nach einem wohl zweistündigen Marsch, setzte sich die Batterie vor uns in Trab und machte uns somit den Weg frei. In diesem Augenblick schallte auch der Schlachtlärm deutlicher als je vorher an unsere Ohren. In beschleunigter Gangart eilte das Generalfommando nach born, bestimmt annehmend, daß diese vorderste Batterie bald zur Tätigkeit berufen sei. Aber es geschah nichts davon. Die Avantgarde hatte nur bei Ferme de Belle-Tour das Freie erreicht und marschierte auf. Wir ritten an ihr vorbei voraus auf das noch eine halbe Meile entfernte Beaumont zu. Das Städtchen war voll von Gefangenen und Verwundeten, dabei brannte es darin an vielen Stellen, denn die französische Artillerie hatte es stark beschossen. Wir umritten die Stadt links und suchten auf der jenseitigen Höhe den Kronprinzen Albert auf. überall lachten uns jene Merkmale des unbestrittenen Sieges entgegen, als da sind: Zahlreiche Züge von Gefangenen, stehengelassene feindliche GePrinz zu Hohenlohe, Aufzeichnungen. IV.

11

schüße und dergleichen, wie wir sie vom Königgräßer Schlachtfeld her in Erinnerung, aber auf dem von St. Privat schmerzlich vermißt hatten. Dicht nördlich der Stadt stand eine große französische Proviantkolonne mit allerhand Inhalt von augenblicklich doppeltem Werte, und jenseits derselben ereichten wir die im Vormarsch begriffenen Reserven des IV. und XII. Armeekorps. Diese brachen bei unserer Annäherung in ein stürmisches Hurra aus. Der Prinz von Württemberg mit seiner großen Figur, dem weißen Haar, Schnurr- und Backenbart und vorschriftsmäßig ausrasiertem Kinn wurde nämlich bei dem Zwielicht der einbrechenden Nacht für den König selbst gehalten, und auf dies Hurrageschrei sprengten von allen Seiten Generale herbei, des Kriegsherrn Befehle zu empfangen. Auch Kronprinz Albert ward so getäuscht und kam angeritten, um sich bei dem zu melden, der sich bei ihm melden wollte. Die Aufklärung des Mißverständnisses erregte viel Heiterkeit. Kronprinz Albert hatte aber dadurch die drei kommandierenden Generale auf einem Fleck vereinigt und gab nun an sie die Befehle für die Nacht. Danach hatte das Gardeforps südlich von Beaumont zu biwafieren.

Unsere Kavallerie war schon zur Stelle, als wir ankamen. Aber die waldigen Gebirge, in die sich der Feind zurückgezogen hatte, gestatteten die Verwendung dieser Waffe nicht, und der Verfolgungskampf ward dort vornehmlich von Infanterie und Artillerie des IV. Korps bis Mouzon fortgesezt, mit Anschluß von Teilen des XII. rechts und des I. bayerischen Korps links. Der Sieg war vollständig. Das Korps Failly war vorläufig zertrümmert und floh aufgelöst nach Norden.*)

Nachdem ich noch die Freude gehabt hatte, meinen Bruder begrüßen zu können, ritt ich mit dem kommandierenden General nach Beaumont hinein, wo jeder Quartier nahm, wie er in einem nicht gerade brennenden Hause Plat fand. Unsere Bagage war natürlich noch nicht da, und zu essen gab es nichts, denn der schwere Wagen des Kommandierenden mit den Lebensmitteln des ganzen Hauptquartiers war in dem sumpfigen Waldwege stecken geblieben und wäre gar nicht gekommen, hätte nicht Scherbening von den Geschützen der Korpsartillerie noch einige Zugpferde vorlegen lassen. Des abends, als wir uns die Befehle für den anderen Tag holten, machte es der Prinz doch möglich, uns zu bewirten.

*) Es hatte in der Schlacht von Beaumont einen Verlust von 1800 Mann an Toten und Verwundeten und über 3000 Vermißten, von denen allein 2000 unverwundet in die Hände der Deutschen gefallen waren. Aber auch die MaasArmee hatte ihren glänzenden Sieg mit einem Verlust von ungefähr 3500 Mann erkauft, die zum größten Teil auf das IV. Korps entfielen, das die Hauptlast des Kampfes zu tragen gehabt hatte.

Es waren Tee und Kaffee aufgetrieben. Jeder erhielt nach Wahl oder Zufall eine Tasse. Auch ein Stück Brot konnte essen, wer solches noch in der Tasche hatte. Die Zahl der vorgefundenen Tassen aber reichte nicht, also mußte einer nach dem andern aus derselben Tasse trinken. Dann suchten wir unsere Lagerstätten auf. Bei der Abwesenheit von Einwohnern, die größtenteils geflüchtet waren, als die Kugeln in die Stadt einschlugen, mußten wir uns selbst in die Häuser eindrängen, die uns überwiesen waren. Jegt richtete sich jeder für die Nacht ein, so gut er fonnte. Wir bereiteten uns, nachdem wir die Pferde in einer Scheune untergebracht hatten, ein Lager aus Heu und Stroh in der Stube, die wir vorfanden, und schliefen da wohl an sechs oder acht Offiziere nebeneinander, während das Pionier-Bataillon mit Oberst Wangenheim die Nacht über bei Pouilly eine Brücke über die Maas schlagen mußte und keine Ruhe fand.

Den 31. August, Carignan. Des Morgens früh beim Grauen des Tages bemerkte ich, daß ich mit dem Kopf an drei Stufen lag, die zu einer Tür hinauf führten. über der Tür erregte ein verdächtiges Gehen und Poltern meine Aufmerksamkeit. Eben wollte ich mit dem Säbel in der Hand die Stufen hinauf, da hörte ich eine mir bekannte Stimme. Die Tür ward geöffnet, und eine vom Boden kommende Treppe herab kam Herr v. Wazdorff, der im Nebenhause Quartier zu suchen angewiesen war, im Heuboden prächtig geschlafen hatte, sich dann aber verirrte, und da beide Häuser mit ihren Heuböden zusammenhingen, von da oben herabpolterte. Allgemeines Gelächter empfing ihn. Darauf machten wir uns zu weiterer Tätigkeit bereit. Die Toilette nahm nicht viel Zeit in Anspruch, denn wir hatten angekleidet geschlafen, die Pferde wurden gesattelt, als sie gefressen hatten, und wir waren marschfertig.

Es ward mir gemeldet, unsere Bagage sei gegen Morgen nach. gekommen und halte auf dem Markte. Ich ging hin. Richtig, da stand auch mein Wagen. Aber, o Schrecken! der schöne Hafervorrat, den ich mir in Berlin für alle Fälle beschafft hatte und beim Futterempfang immer auffrischte, war nicht mehr hinten auf dem Wagen aufgebunden. Die herabhängenden Reste der dazu verwendeten Stricke zeigten deutlich, daß sie mit einem scharfen Messer durchschnitten waren. Ich schalt Trainsoldat und Schreiber, die auf dem Wagen gesessen hatten, aber das schaffte mir meinen Hafer auch nicht wieder.

Erst am Tage nach der Schlacht von Sedan erfuhr ich, wo mein Hafer hingekommen. Ich besuchte meinen Bruder in seinem Biwak, und er fragte mich höhnisch, ob ich noch viel Hafer hätte. Dann erzählte er mir,

« ZurückWeiter »