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arretieren und als Arrestanten von Etappe zu Etappe schaffen, bis er die Eisenbahn erreichte, auf der er nach Berlin spediert ward, alles unter Androhung des Erschießens bei der geringsten Abweichung vom vorgeschriebenen Wege. Dann kommandierte ich für Doppelmair einen mit Pferden vertrauten Mann aus den Munitionskolonnen. Es erschien ein Landwehrmann von einer Größe und Rückenbreite, die seine Abstammung von einem Riesengeschlechte bekundete. Er war sehr ordentlich und sorgte für Doppelmair und dessen Pferde mit der größten Peinlichkeit und Gewissenhaftigkeit. Seine Körperkräfte und seine Entschlossenheit entsprachen seinem Schmachtlappen von Namensvetter aus Goethes „Egmont“ nicht, denn er wurde Brackenburg gerufen. Das mit Herrn Ahlgrimm statuierte Exempel wirkte wohltätig auch auf meine, von ihm oft verführten Trainsoldaten, über die ich von jezt ab keine Klage mehr zu führen Grund hatte.

Unser Marsch war nicht lang, aber angenehm, denn das Wetter war schön. Um zehn Uhr langten wir in Woël an. Dieser Ort bot einen eigentümlichen Anblick dar. Die Einwohner waren äußerst furchtsam, was nach den Riesenschlachten nicht wundernehmen konnte, welche in der Nähe getobt hatten. Aber es waren doch Einwohner vorhanden: Greise, Greisinnen und Kinder. Kein Jüngling oder Mann im waffenfähigen Alter war zu sehen, ebenso weder erwachsene Mädchen noch junge Frauen. Als die Einwohner nach einigen Stunden unserer Anwesenheit bemerkten, daß wir weder raubten noch stahlen, noch irgendwelche Gewaltsamkeiten verübten, da wurden sie auch mitteilsamer und bekannten, es sei das Gerücht verbreitet, wir zwängen alle waffenfähige Mannschaft zum Dienst gegen ihr Vaterland und erschössen diejenigen, die sich weigerten, junge Mädchen und hübsche Frauen aber schleppten wir mit und täten ihnen Gewalt an. So waren junge Männer, Frauen und Mädchen vor uns geflohen in die dichten Laubwaldungen in der Nähe, die einen vor unserer Liebe, die andern vor unserem Haß. Auffallend war auch, daß in dem ganzen Ort weder ein Pferd, noch ein Stück Rind zu sehen war. Die Einwohner gaben vor, dazu zu arm zu sein. Wenn sie dies versteckt hielten, so hatte solche Maßregel allerdings mehr tatsächlichen Grund, denn wir brauchten Fleisch zum Leben und Pferde zum Ersatz der erschossenen. Zwar nahmen wir nichts gewaltsam weg, sondern requirierten beim Maire des Orts gegen Quittung, aber wer diese Quittung dereinst bezahlen werde, das wußten die Einwohner doch nicht. Für heute mußten wir uns mit der Antwort des Maire, daß nichts da sei, begnügen, denn eine Untersuchung aller Ställe ergab in der Tat, daß sie leer waren. Aber es gab doch Ställe in dem Ort.

Ich kam in Woël ganz erträglich bei einem Bauern unter und erhielt sogar für uns Vier zwei Stuben. Von jest ab traf ich die Anordnung, daß Doppelmair mit Kaas zusammen in einem Zimmer unterkommen mußten, denn sie schnarchten beide fürchterlich. Braumüller aber schnarchte nicht und konnte mit mir in einem Zimmer schlafen. So hatte ich wenigstens ruhige Nächte zu Zeiten, wo kein Gefecht stattfand.

Der 22. war wirklich ein Ruhetag. Es war dies im Monat eigentlich der erste Tag, an dem die Truppe für ihre Ruhe sorgen konnte, denn der Ruhetag im regnerischen Biwak in Schmuß und Kot bei der Ferme von Moranville am 9. August war ebenso anstrengend für die Mannschaft wie ein Marschtag, vielleicht noch unangenehmer, und der Tag nach der Schlacht von St. Privat mit allen seinen mühevollen Geschäften trauriger Natur konnte noch weniger Ruhe gewähren. Sonst gibt man den Truppen nach drei Tagen einen Ruhetag. Jezt ruhten sie nach drei anstrengenden Wochen einmal einen Tag.

Der Tag begann für mich sehr erfreulich. Ich erhielt früh eine Feldpostkarte von meinem Bruder Carl, den ich in Lubliniß im fernen Oberschlesien auf seinem Landratsposten wähnte. Er teilte mir aus Pont à Mousson mit, daß er zur freiwilligen Krankenpflege zur Armee gekommen sei, und wollte eine Nachricht, ob ich nach der Schlacht noch am Leben sei. Ich fand umgehende Gelegenheit, ihm Nachricht zukommen zu lassen, daß ich unverlegt und unser Bruder Friedrich Wilhelm mit seinen Ulanen in St. Mihiel, also bei der Schlacht nicht zugegen oder tätig gewesen sei. Mein Bruder Carl hat die Karte noch am selben Tage erhalten und Mittel und Wege gefunden, ein paar Worte durch den Feld. telegraphen an die Eltern gelangen zu lassen. Diese hatten eben die Nachricht von der mörderischen Schlacht erhalten und wurden durch dies Telegramm von aller Besorgnis um ihre Söhne befreit. Es war gerade der Geburtstag meiner Mutter.

Ich ritt am Vormittage nach Lachaussée und Xonville, wo ich mit dem Obersten v. Scherbening, Korpsartillerie, und dem Major v. Heineccius, Kolonnen-Abteilung, noch einige Einzelheiten zu besprechen hatte. Die Straße von Woël nach Lachaussée führte durch von Wiesen, Sümpfen und Seen unterbrochene Laubwaldungen von undurchdringlicher Dichtigkeit. Dieser Beschaffenheit wegen bilden diese Wälder in Frankreich ein Hindernis für alle Waffen und können nicht, wie die Nadelholzwaldungen Deutschlands, durch Besetzung und Verteidigung des Randes eine Stellung verstärken, denn man kann in ihrem Innern keine Reserven aufstellen, keine Befehlsverbindung erhalten, auch nicht

hindurch marschieren. Daher haust dort auch noch der Wolf troß aller Fortschritte der Kultur und ist nicht auszurotten.

Als ich zurücktritt, bemerkte ich, schon unweit von Woël, wie hier und da Gesichter geheimnisvoll aus dem Laubdickicht hervorlugten, wie einzelne Gestalten ängstlich über vorhandene Lichtungen und Wiesen huschten, ich hörte Signale durch Pfeifen. Dann sah ich auf einer Wiese Rauch aufsteigen und bemerkte auch einige weidende Pferde, welche aber, als wir auf der Straße sichtbar wurden, schnell hinter die nächste Waldede getrieben wurden. Ich teilte meine Bemerkungen dem Generalkommando mit, das eine Razzia dorthin machen ließ. Es wurde in der Tat das Lager des geflüchteten Viehs entdeckt und eingetrieben.

23. August, St. Mihiel. Das schöne Wetter der vergangenen vier Tage verwandelte sich in der Nacht nach einem heftigen Gewitter und Plazregen in einen starken, anhaltenden und durchdringenden Landregen. Des Morgens, ehe wir abmarschierten, sahen wir die jungen. Burschen und Mädchen aus ihren Biwaks in den Wäldern in das Dorf heimkehren. So gut sie sich auch in den schönen Nächten in ihren Biwaks amüsiert haben mochten, diese letzte Nacht war ihnen doch gar zu ungemütlich vorgekommen, und sie zogen es vor, sich am häuslichen Herd zu trocknen, selbst auf die Gefahr hin, von den barbarischen Prussiens geraubt zu werden. Aber es erging ihnen viel schlechter als das. Sie wurden, was ein Franzose garnicht vertragen kann, in ihrem kläglichen durchnäßten Zustande ob ihres Ausschens verspottet, sowohl von unseren Soldaten als auch von den alten Leuten, und selbst die Schönste unter ihnen sah nach solchen Nächten abschreckend aus, also erregten sie nicht einmal die Aufmerksamkeit unserer Soldaten und konnten entsegt mit jener Dame sagen: „,Ces barbares, ils ne savent pas même nous faire la cour."

Der Marsch von Woël nach St. Mihiel wurde bei strömendem Regen. zurückgelegt (acht bis halb ein Uhr). Vor dem Orte unserer Bestimmung ritten wir auf ziemlich steiler Chaussee aus den waldbedeckten Bergen die Maasufer hinab. Die Gegend muß bei schönem Wetter malerisch sein. Bei solchem Unwetter hat man keinen Sinn dafür.

So rückten wir also endlich in das Städtchen St. Mihiel ein, das uns bereits einmal vor sechs Tagen durch das Marschtableau als Marschziel überwiesen war. Es wurde uns mitgeteilt, die Einwohner seien schwierig. Die Mannschaft wurde aufgefordert, mit Ernst auf dem zu bestehen, was sie zu fordern habe, aber sich keine Ausschreitungen zuschulden kommen zu lassen. Mir wurde mein Quartier wie meinem

ganzen Stabe bei einem Apotheker angewiesen, der nebenbei ein sehr wohlhabender Mann war. Ich fand das Haus verschlossen, die Läden der Fenster zu. Auf Klopfen und Pochen ward nicht geöffnet, also befahl ich, die Haustür zu erbrechen. Sobald von meinem Stabe die ersten Anstalten hierzu getroffen wurden, öffnete sich der Torweg, in welchem der Besizer stand und nach meinem Begehr fragte. Obgleich ich ein vom Maire der Stadt ausgestelltes Quartierbillett vorwies, erklärte der Mann doch, er sei nicht willens noch verpflichtet, mich aufzunehmen. ,,Etes-vous fou?" brüllte ich ihn an, indem ich die Hand an meinen Säbelgriff legte. Worte und Pantomime waren so überzeugend, daß wir sofort sehr gute Zimmer erhielten und überhaupt auf das bereitwilligste bewirtet wurden. Am andern Morgen entschuldigte sich der Mann wegen des Mißverständnisses. Wir schieden ganz freundlich. Diese Nation liebt, wen sie fürchtet.

... Der sonst ereignislose Tag in St. Mihiel, an dem nur von der Kavallerie die Meldung eintraf, daß weit und breit vom Feinde nichts zu sehen sei, eignete sich mit seinem schlechten Wetter recht zum Briefschreiben und Whistspielen.

24. August, Pierrefitte.*) Das Generalkommando marschierte um neun Uhr ab. Ich blieb mit Erlaubnis des Prinzen in St. Mihiel, die Korpsartillerie abzuwarten, und besichtigte sie im Marsch, erledigte auch einige notwendige Angelegenheiten mündlich, holte dann den stets sehr langsam reitenden kommandierenden General noch eine halbe Meile vor dem Marschziel ein und erreichte mit ihm um halb zwölf Uhr Pierrefitte. Daß wir in diesem Ort Quartier hatten, machte mir ein besonderes Vergnügen, denn als wir im vergangenen Winter im Kriegsspiel die Belagerung von Met dargestellt hatten, ging damit ein strategisches Spiel Hand in Hand, bei welchem das preußische Gardekorps auch einmal nach diesem Pierrefitte gelegt worden war.

Mein Adjutant, Leutnant Clauson v. Kaas, hatte heute den Ritt zum Befehlholen nach dem Hauptquartier der Maas-Armee. Er wurde schon früh dorthin abgeschickt, weil der Kronprinz von Sachsen heute Verdun mit Feldartillerie des XII. Korps bedrohen wollte, um zu versuchen, ob die Festung sich einschüchtern lassen werde, es also im Laufe des Tages zweifelhaft werden konnte, wo er zu finden. So wohnte Kaas dem mißlungenen Versuch auf Verdun bei. Er erzählte mir, man habe sächsischerseits nur einige Batterien verwendet, die nicht nur die Festungsgeschütze nicht zum Schweigen bringen konnten, sondern auch

*) 20 Kilometer westlich St. Mihiel.

selbst Verluste erlitten. Der Kronprinz von Sachsen verlor den Humor während des mißlungenen Kampfes nicht, sondern hat immer lachend gesagt: „Ich möchte gern einen Vertrag von Verdun abschließen, es ist schon über tausend Jahre her, daß der erste abgeschlossen ward!" Aber es gelang nicht. Es war schade um die Munition.

Aus der zwecklosen Kanonade ging hervor, daß, wenn Feldartillerie mit ihrem geringeren Kaliber und auf freiem Felde stehend gegen die gedeckten schweren Festungsgeschütze kämpfen soll, sie nur durch massenhafte überlegenheit an Zahl und umfassende Aufstellung ein Ergebnis erlangen kann, daß aber ein entschlossener Kommandant doch nie kapitulieren wird, wenn auch alle seine Geschütze schweigen, denn die Wälle können niemals durch Feldartillerie so zerstört werden, daß die Infanterie sie übersteigen kann.

Mein Quartier war bei einem Geistlichen, der sehr gemessen, aber höflich war. Er bemühte sich, etwas über unsere Pläne zu erfahren, und sein schlauer Blick bei der Unterhaltung verriet, daß er die Absicht hatte, feinen Landsleuten die uns entlockten Geheimnisse zu verraten.

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,Vous prenez le chemin de Châlons" sagte er. ,,Il parait que

oui" war die Antwort.

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de fer pour aller à Paris?"

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,,Et de Châlons vous prendrez le chemin ,,Certainement, si par hazard, les employés de la gare ne se sauvent pas, et que nous trouvions personne pour nous vendre des billets." -,,Ah ça oui, il pourrait y avoir des difficultés."

Dieser Spion war nicht gefährlich.

25. August, Triaucourt.*) Wir marschierten bei frischem, schönem Wetter von acht bis ein Uhr nach Triaucourt. Unsere Kavallerie durchstreifte an diesem Tage vor uns bereits das steile, von dichtem Laub bewachsene, mit Wölfen bevölkerte Argonnerwald-Gebirge und erreichte jenseit desselben bereits die Linie St. Menehould-Vieil Dampierre, die Spizen und Patrouillen weit ins Land nach Westen vortreibend. St. Menehould ist das historisch bekannte Städtchen, in dem der unglückliche König Ludwig XVI. auf seiner Flucht erkannt wurde.

Unsere beiden Divisionen marschierten auf zwei Wegen nebeneinander, etwa eine halbe Meile entfernt, und gelangte die 2. mit der Spize nach Brizeau, mit dem Ende nach Beauzée, die 1. mit der Spiße nach Esclaires, mit dem Ende nach Vaubécourt, die Korpsartillerie hinter der 1. Division nach L'Isle en Barrois, die Munitionsfolonnen

*) Halbwegs zwischen St. Menehould und Bar le Duc.

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