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5. Don St. Privat bis Sedan.

(Hierzu Karte 3 „Rechtsabmarsch nach Sedan“ am Schluß des Bandes.)

20. August, Hannonville. Um acht Uhr früh brachen wir aus dem Biwak auf, um wieder nach demselben Hannonville zu marschieren, wo wir die Nacht vor der Schlacht zugebracht hatten. Die Bestimmung, die uns mitgeteilt ward, war die, daß die Maas-Armee (Kronprinz von Sachsen) und die Dritte Armee (Kronprinz von Preußen) in der Richtung von Chalons marschieren sollten, um die dort sich bildende feind. liche Armee aufzusuchen und zu schlagen, während der Prinz Friedrich Karl mit der Ersten und Zweiten Armee Meß einschließen sollte, um Bazaine zur Kapitulation zu zwingen. Wir ließen somit 200 000 Feinde in unserm Rücken, von nicht ganz 200 000 Mann eingeschlossen, und marschierten mit 200 000 Mann in das Innere von Frankreich und dessen unversiegbare Hilfsquellen. Ein Privatbrief des Königs an den Prinzen von Württemberg würdigte die Gefahr, in die wir uns damit begaben, in ihrem vollen Umfange. Denn wenn Bazaine nach einigen Tagen der Erholung nach Süden durchbrach und Epinal erreichte, was in der ersten Zeit unter Umständen ausführbar war, so konnte er unsere Lebensadern durchschneiden, dem Lande einen großen Teil seiner Armee erhalten und uns aller Früchte des teuer erkauften Sieges berauben. Daß er es nicht tat, liegt darin begründet, daß er in logischer Folge der Verschleierung seiner Niederlage und des Berichts, wonach er uns in die Steinbrüche von Jaumont geworfen zu haben vorgab, nicht einen bloß auf Rettung berechneten Weg einschlagen konnte. So zeugte die Lüge Unheil.

Der Brief des Königs sprach hauptsächlich in rührenden Ausdrücken seinen Schmerz über die schweren Verluste aus, die wir erlitten hatten. Er hätte gern, sagte der Monarch, das Gardekorps nach dem ruhmvollen Siege begrüßt, aber er sei zu tief ergriffen von dem Verlust so vieler ihm persönlich nahe stehenden Braven, daß er nicht die Kraft in sich fühle, das Korps jest schon wiederzusehen. Auch der Prinz von Württemberg war am 20. August noch in sehr weicher Stimmung. Dabei hielt er es für unmilitärisch, seine Bewegung vor den Truppen sehen zu lassen. Durchdrungen von der Pflicht, die Tapferkeit derselben anzuerkennen, erließ er zwar einen Tagesbefehl folgenden Inhalts an die Truppen:

,,Soldaten des Gardekorps!

In blutiger Schlacht hat Gott uns den Sieg verliehen, einen Sieg, dessen Größe erst heute ganz zu übersehen ist.

Dem Gardekorps war es vergönnt, zur Erreichung dieses Sieges in hervorragender Weise beitragen zu können.

Alle Waffen haben in Mut und Ausdauer gewetteifert.

Die Artillerie hat durch ihr vereinigtes Wirken an den entscheidenden Punkten und durch ihr ruhiges, sicheres Schießen selbst da, wo sie sich im feindlichen Infanteriefeuer befand, den Angriff der Infanterie erfolg= reich vorbereitet und unterstüßt.

Der Sturm auf die von steinernen Mauern umschlossenen Dörfer Ste. Marie aur Chênes und St. Privat la Montagne ist in dem kolossalen feindlichen Gewehrfeuer von der Infanterie in einer Weise ausgeführt worden, die über alles Lob erhaben ist.

Fortgerissen von dem Beispiel ihrer Offiziere, warf die Infanterie mit den Jägern, Schüßen und Pionieren den Feind aus einer Position, die er selbst für uneinnehmbar hielt.

Groß sind die Verluste, mit denen der Sieg erkauft ist, aber Ste. Marie aur Chênes und St. Privat la Montagne sind glänzende Lorbeerblätter, welche Ihr dem reichen Siegeskranze des Gardekorps neu hinzugefügt habt.

Soldaten des Gardekorps!

Abermals habt Ihr das Vertrauen gerechtfertigt, welches Seine Majestät, unser Allergnädigster König zu jeder Zeit Allerhöchst Seinem Gardekorps geschenkt haben, und dieses Vertrauen werdet Ihr Euch ferner zu erhalten wissen.

Ich bin stolz darauf, der kommandierende General eines solchen Armeekorps zu sein.

Es lebe der König!

Biwak bei Ste. Marie aux Chênes, den 20. August 1870.

August Prinz von Württemberg."

Auch ritt er mit großer Gewissenhaftigkeit an jedes Bataillon und jeden anderen Truppenkörper und sagte, ohne einen zu vergessen: „Brav gewesen, gut geschlagen, sehr zufrieden!" Mehr aber brachte er vor innerer Bewegung nicht hervor, und schnell wandte er sich jedesmal von der Truppe ab, um seine Tränen nicht sehen zu lassen. Die harte und herzlose Erziehung, die er in seiner Jugend empfangen, licß ihm jede Gemütsbewegung als eine tadelnswerte Weichheit erscheinen. Auf die Truppen machte diese Verschlossenheit keinen guten Eindruck, und sie gab der ungünstigen Meinung über ihn neue Nahrung. Hätte er sich gezeigt, wie er war, tief bewegt, weinend, hätte er, was er gern getan hätte, wenn es ihm schicklich dünkte, hier einen Offizier, da einen Gemeinen um

armt, ein endloser Enthusiasmus wäre die Folge gewesen. Mir fiel es schwer aufs Herz, daß er so verkannt wurde.

Beim Fortreiten aus dem Biwak redete ich ihn darauf an, daß ich beim Beginn der Schlacht seine Unzufriedenheit durch mein Vorreiten. zur ersten feuernden Batterie erregt habe, und wollte mich mit der Absicht, die mich geleitet, entschuldigen. Aber er schnitt mir die Rede ab mit den Worten: „Ich erinnere mich nicht, jemals mit Ihnen unzufrieden gewesen zu sein“ und drückte mir die Hand. Das war ebenso zart als kurz.

Das Hauptquartier marschierte über St. Ail, Habonville, bei Doncourt borbei über Mars la Tour nach Hannonville-Suzemont. Ich beurlaubte mich beim Prinzen von Württemberg, um in Doncourt den General v. Colomier aufzusuchen und einiges über den Ersat der Munition mündlich zu erledigen. Ich fand den General damit beschäftigt, einzupacken, um nach Straßburg abzugehen, wo er die Artillerie der Belagerung kommandieren sollte. Er ist dann an einem Nierenleiden erkrankt. Mir verweigerte er jede weitere Auskunft, weil ihn die Tätigkeit bei der Armee nichts mehr anginge. Prinz Friedrich Karl war fortgeritten. In seinem Stabe erfuhr ich nur als sicher, daß kein Artilleriekommandeur der Maas-Armee ernannt sei, und ich mich wegen des Munitionsersaßes nicht an den der Armec des Prinzen Friedrich Karl zu wenden hätte. Ich entnahm daraus zu meiner Befriedigung, daß ich in allen Artillerieangelegenheiten nur mit dem Kriegsministerium in Berlin direkt zu verkehren haben würde. Meine geleerten Munitionskolonnen, nämlich alle fünf Artilleriekolonnen und eine halbe Infanteriekolonne, hatte ich schon gestern nach Herny dirigiert, wo der Feld-Munitions-Reservepark der Zweiten Armee stationiert war.

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Von Doncourt aus schlug ich einen Feldweg über Ville sur Yron auf Hannonville ein, der nach der Karte näher sein mußte als die große Straße. Bei Ville sur Yron kamen wir Doppelmair und Raas begleiteten mich, während ich Braumüller beim Prinzen von Württemberg gelassen hatte an das Biwak der Kavallerie-Division des Herzogs Wilhelm von Mecklenburg und sahen große Massen frischen Brotes auf dem Felde unter Bewachung zur Verteilung regelmäßig aufgereiht. „Ach Brot!", rief Doppelmair, „vielleicht können wir hier auch einmal ein Stück Brot erhalten." "Wollen Sie schon wieder essen?", fragte ich erstaunt, denn mich widerte der Anblick des Brotes an. Ich verspürte gar keinen Appetit, sondern nur eine Müdigkeit, die sich durch Schmerzen in allen Gliedern kundgab. Da

aber remonstrierten alle beide und meinten, von dem halben Hammelkotelettchen, das gestern auf jeden gekommen sei, und der Tasse Kaffee von heute früh könne man doch nicht drei Tage lang leben. Da fiel mir ein, daß wir jetzt schon den dritten Tag nichts Ordentliches zu essen erhalten hätten, und wir ritten nach Ville sur Yron hinein. Ich wollte den Herzog aufsuchen und ihn um Brot bitten. Vor einem der ersten Gehöfte stand eine Stabsordonnanz. Auf Befragen sagte dieser Mann mir, daß in diesem Gehöft der Stab der Kavallerie-Brigade einquartiert sei, welche seit der Verwundung des Brigadekommandeurs der Oberst v. Alvensleben führe. Dieser war mir nahe befreundet, und ich ließ ihn also um Brot bitten. Er kam selbst heraus und sagte: „Ach was, Brot! Steigen Sie nur ab!“ und nötigte uns herein. Da saß der Stab und frühstückte. Der Tisch war zum Brechen. voll von allen möglichen Speisen und Getränken, reichlich genug, um. noch zehn Gäste zu sättigen. Wir mußten uns seßen. Kaas und Doppelmair taten dem liebenswürdigen Wirt die Ehre eines Heißhungers an, aber ich verweigerte erst jede Nahrung. Alvensleben zwang mich fast, etwas zu mir zu nehmen. Sobald ich den ersten Bissen heruntergeschluckt hatte, verspürte auch ich einen heftigen Hunger und frühstückte mit der tapfersten Energie drauf los. Auch unsere Ordonnanz und die Pferde wurden bedacht, und nach einer angenehmen Stunde seßten wir unseren Weg fort.

Während dieses Frühstücks war natürlich viel geschwaßt und erzählt worden. Am interessantesten und wichtigsten war mir unter Alvenslebens Mitteilungen eine Episode aus der Schlacht von Mare la Tour. Die Brigade, die er jegt führte und bei der er an diesem Tage mit seinem Regiment stand, wurde vorbeordert, um ein weit vorgeschobenes Infanterie-Bataillon vor einer drohenden feindlichen Kavallerieattacke zu retten. Über eine Höhe herantrabend, aber noch zu weit entfernt, um zu attackieren, sah Alvensleben die feindliche Attacke, welche ein prachtvolles französisches Kürassier-Regiment Kürassiere der Kaiserin - ausführte. Die feindlichen Reiter kamen in der musterhaftesten Ordnung und Geschlossenheit herangebraust. Aber das preußische Infanterie-Bataillon formierte nicht Karree, ja es zog nicht einmal die vorgeschobene dichte Tirailleurkette ein. Im Gegenteil, die Tirailleure blieben ganz ruhig liegen und empfingen den Feind mit einem wohlgezielten Feuer. Schuß auf Schuß traf in die dichte Kavalleriemasse. Jede Kugel brachte eins der prachtvollen Pferde zum Stürzen und überschlagen nach vorwärts. Bald bildete sich eine breite Lücke in der Mitte des feindlichen Regiments, dessen beide Flügel nun

mehr instinktmäßig auseinander wichen und bei dem Bataillon im Durchgehen vorbeisausten. Da kamen sie aber aus dem Regen in die Traufe, denn jezt mußten sie an den geschlossenen Unterstüßungstrupps der Tirailleure vorbei Spießruten laufen und wurden derart mit einem Hagel von Geschossen überschüttet, daß bald nur noch einzelne Reiter von ihnen herumirrten, denen auch bald der Garaus gemacht wurde. So war das ganze Regiment vernichtet, che Alvensleben dagegen attackieren konnte. Er meinte, sein kavalleristisches Herz habe geblutet bei der Überzeugung, daß eine Kavallerieattacke ohnmächtig sei gegen eine entschlossene und ruhig schießende Tirailleurlinie.

In Hannonville kam ich in dasselbe Quartier wie vor der Schlacht. Die feifende Bäuerin war verschwunden. Bald nach meiner Ankunft war Dinerzeit beim Prinzen von Württemberg. Dies Diner war, da jezt alle Bagage eintraf, von der gewöhnlichen Opulenz, und troß meines reichlichen Frühstücks konnte ich weiter essen, als ob ich noch nichts genossen hätte. So war ich vorher überhungert gewesen, ohne es zu merken. Essen ist gut dafür.

Von jest ab marschierten wir in der Richtung auf Chalons gegen Westen. Da uns zunächst kein Feind gegenüberstand, so wurden die Märsche ganz nach der Bequemlichkeit der Truppe eingerichtet, und nur die Kavallerie weit vorausgesandt. Ich übergehe daher die Details der Verteilung und will sie erst dann wieder näher angeben, wenn sie durch die Möglichkeit eines Zusammenstoßes mit dem Feinde das Interesse eines militärischen Lesers dieser Blätter erregen könnten, dem es Freude macht, die Operationen auf der Karte zu verfolgen.

21. und 22. August, Woël.*) Unsere Bestimmung am 21. August war Woël. In diesem und den umliegenden Dörfern sollte das Korps einen Ruhetag halten. Des Morgens vor dem Abmarsche stellte sich heraus, daß Doppelmairs Diener Ahlgrimm sinnlos betrunken war. Er fonnte sich nicht rühren. Das war die Folge der in dem menschenleeren Hause vorgefundenen massenhaften Weinvorräte. Doppelmairs Pferde und Effekten wurden von meinen Leuten besorgt und sein Diener als Ballast auf einen Wagen geladen. Jezt rief der gutmütige Doppelmair meine Hilfe gegen diesen Diener an. Bis dahin war ich nicht imstande gewesen, gewaltsam gegen den Diener des russischen Offiziers einzuschreiten, der mein Gast war wie der Herr. Aber jest war ich froh, es zu können, da mich Doppelmair selbst darum bat. Ich ließ also den sauberen Burschen

*) 5 Kilometer nordöstlich St. Maurice.

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