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Marschall Bazaine wegen Landesverrats verurteilte. Daß dies Urteil ungerecht und nur von dem Bedürfnis diktiert war, einen Sündenbock zu finden, und nicht die ganze Nation mitverantwortlich für den Ausgang des Feldzuges zu machen, bezweifelt niemand, der die Ereignisse kennt.

Nach dem für die französischen Waffen so ungünstigen Ausgange der Kämpfe des 6. August hat Napoleon in die Pariser Zeitungen schreiben lassen, er werde den Feind in den unangreifbaren Stellungen der Mosel (positions inattaquables) erwarten. Wenn er das wollte, mußte er sich spätestens am 8, August, an welchem Tage die Bedeutung der Schlachten vom 6. August ihm klar war, hierzu entscheiden. Die Entfernung seiner Armeekorps von Thionville, Meß, Nancy war an diesem Tage nicht über acht, vier und acht Meilen. Es kann feinem Zweifel unterworfen sein, daß die Armee Zeit hatte, eine Verteidigungsstellung hinter der Mosellinie rechtzeitig zu erreichen, welche von Nanch bis Thionville zwölf Meilen lang ist, denn die äußersten Spißen des deutschen Heeres erreichten die Mosel erst am 14. August. Es wäre aber nötig gewesen, diese Stellung mit bewußter Entschiedenheit auszuwählen und die Existenz der Armee, statt auf den Punkt Meß, auf das ganze rückwärtige Frankreich, also zunächst auf die Maaslinie, zu basieren, nach der hin die Trains der Armee zu schicken waren.

Statt dessen sehen wir, wie die französische Haupt-Armee planlos allmählich vor der deutschen Armee zurückweicht je, nachdem diese vordrängt, und während die Korps von Mac Mahon schleunigst mit Hilfe der Eisenbahn bis Châlons flüchten, eine Stellung nach der anderen einnimmt, zuletzt an der französischen Nied, schließlich alle ohne Kampf preisgibt, um sich mit allen Trains in Met zusammenzustopfen, wo die wenigen Brücken über die Mosel der großen Masse von Menschen und Fuhrwerk einen Aufenthalt von mehreren Tagen bereiten.

Bis dahin ist Bazaine an der Leitung der Gesamtoperationen ganz unbeteiligt. Am 13. August erhält er erst den Oberbefehl über die Armee. Er muß die Lage annehmen, wie sie ist. Die Truppen sind eben im Übergange vom rechten auf das linke Moselufer. Die ersten Anordnungen Bazaines werden schon vom Feinde durchkreuzt, der sich aufgehalten hat, um den Nachschub der erforderlichen Streitkräfte abzuwarten. Am 14. August werden die französischen Truppen, die noch nicht nach Metz hineinmarschieren konnten, weil kein Platz für sie vorhanden war, vom Feinde angegriffen; die übergehenden Truppen kehren ohne seinen Willen um, um den kämpfenden zu Hilfe zu eilen, und die ganze Bewegung der Armee fommt ins Stoden, und zwar in Metz selbst. Es fragt sich, ob Bazaine am 15. noch imstande war, der Katastrophe zu entgehen.

Wir finden am 15. August abends bereits alle fünf französischen Armeekorps auf dem linken Moselufer dicht beieinander in Biwaks. Von den deutschen Korps erreichte an diesem Tage das III. Korps Corny, wo es à cheval der Mosel nächtigt, das X. Korps mit einer Division Thiaucourt, mit einer Pont à Mousson, das Gardekorps Dieulouard zu beiden Seiten der Mosel, das IV. Korps Marbache an der Mosel. Kavallerie bedroht bereits den Rückzug der Franzosen auf Verdun.

Die fünf französischen Korps können nicht alle am 15. August übergegangen sein. Dazu waren in Meß nicht Brücken genug vorhanden. Also einige Korps müssen schon am 14. August auf dem linken Ufer gewesen sein. Obgleich Bazaine von dem am 14. August erfolgten Erscheinen deutscher Truppen bei Corny, Pont à Mousson und Dieulouard Kenntnis haben mußte, sehen wir nichts gegen diesen drohenden Feind moselaufwärts marschieren. Es scheint fast, als ob es hätte möglich sein müssen, die Truppen, welche am 14. die Mosel in Met bereits überschritten hatten, am 15. mit Fußmarsch nach Corny und Pont à Mousson zu senden und durch Eisenbahntransporte rechtzeitig zu unterstüßen, um die Brücken zu zerstören und den anrückenden deutschen Truppen einen Aufenthalt von mehreren Tagen zu bereiten. Die deutsche Armee wäre, wenn Dieulouard, Marbache und Frouard auch nicht rechtzeitig zu demselben Zweck mit der Bahn zu erreichen gewesen wären, doch wesentlich direkt aufgehalten oder zum Umweg über diese Punkte gezwungen worden, was ihr auch mehrere Tage gekostet hätte. Unterdessen konnten die Trains auf Verdun defilieren und sich in eine natürliche Stellung zur Armee seßen, und später konnte diese Übermacht gerade zurück bis ins Herz von Frankreich weichen, wo sie Verstärkungen fand. Von dem allen geschieht nichts. Im Gegenteil, die Armee häuft sich hinter Metz auf, und die Trains, die Lebensadern des Heeres, bleiben in Meß, die nächsten am Feinde. Befehle und Gegenbefehle sollen an diesem Tage gewechselt haben. Man sagt, der Einfluß des Kaisers habe Bazaines Entschlüsse gelähmt und durchkreuzt. Vielleicht hat er auch die Garden, die zuerst übergegangen waren, dem Feinde nicht gleich entgegensenden wollen. Ein Monarch kann durch seine Anwesenheit beim Heere nur schaden, wenn er nicht selbst kommandiert. Das sagte schon Kaiser Nikolaus nach dem Türkenkriege von 1829, und deshalb ging er 1854 nicht in den Krieg.

Am 16. August fallen die beiden preußischen Armeekorps, III. und X., mit einer Energie über die französische vereinigte Armee her, welche dieser großen Truppenmasse den Glauben beibringen muß, die ganze deutsche Armee sei vereinigt gegenwärtig. Den ganzen Tag über wehrt

sich das französische Heer tapfer. Gegen Abend erlahmen die preußischen Angriffe, und Gegenstöße der französischen Truppen versprechen Erfolg. Noch widerstehen die zum Teil bis auf die Hälfte geschmolzenen preuBischen Korps, aber sie sind in ihre Atome aufgelöst. Die Dunkelheit macht dem Kampfe ein Ende. Während der Nacht liegen sich beide Heere, Gewehr in Arm, gegenüber, gespannt, was der anbrechende Morgen bringen wird, das französische Heer in einer Etatsstärke von 200 000 Mann, wovon die Hälfte geschlagen hatte, das preußische in einer Sollstärke von 70 000 Mann, die alle bis auf den letten Mann geschlagen hatten und bis auf die lezten Kräfte erschöpft waren. Wenn Bazaine seine frischen Korps am 17. August früh antreten und angreifen ließ, so war zu erwarten, daß die erschöpften beiden preußischen Armeekorps keines Widerstandes mehr fähig waren. Ein leichter Sieg über sie war zu erringen, wenn sie nicht schleunigst zurückwichen. Sie konnten bis Gorze und Thiaucourt getrieben werden, wo sie erst von den nachrückenden Korps Unterstützung und Aufnahme fanden. Unterdessen konnte Bazaine die Korps, die gestern geschlagen hatten, mit Munition versehen und wieder ordnen, die Trains auf der nördlichen Straße über Briey nach Verdun marschieren lassen. Er hätte es dann allerdings am 18. August ebenfalls mit dem ganzen deutschen Heere auf dem linken Moselufer zu tun gehabt, aber unter wesentlich günstigeren Verhältnissen. Das Debouchieren aus den Engpässen von Gorze war den deutschen Truppen leichter zu verbieten. Die Entscheidung wäre bei Thiaucourt am 18. August gefallen, unterdessen hätten die Trains zwei Tagemärsche gemacht, und die Armee konnte sich nach und nördlich von Verdun. zurückziehen. Warum tat dies Bazaine nicht? Warum verwendete er seine ausgeruhten und frischen 100 000 Mann Reserven am 17. August nicht, um die Schlacht vom 16. August in einen Sieg zu verwandeln? Er sagt, er habe die Armee zurückgeführt, um die verbrauchte Munition zu ersetzen, um die Verbindung mit Meß nicht zu verlieren und um die durch den Kampf gelösten Verbände wieder zu ordnen. Diese Gründe sind nicht stichhaltig. Die Munition wird den Truppen nachgeführt und nicht die Truppen nach der Munition. Die Verbände waren bei den vielen Truppen, die am 16. August gar nicht gefochten hatten, auch nicht zu ordnen. Die Verbindung mit Meß mußte man einmal doch verlieren, wenn man nach dem Innern von Frankreich zurückweichen wollte. Wir sind daher gezwungen, uns nach einer anderen Erklärung umzusehen. Wir finden sie in der persönlichen Beschaffenheit von Bazaine am 16. August abends, als er die Befehle für den 17. August zu geben hatte. Wir wissen jeßt, daß er in die Mitte unserer Kürassiere geraten

ist, als diese vorübergehend eine Batterie nahmen. Diese berühmte Attacke der Brigade Bredow hat nicht allein ein ganzes feindliches Armeekorps in seiner Vorwärtsbewegung aufgehalten, sondern auch die Absichten des feindlichen Feldherrn zum Stillstand gebracht. Nachdem er sich persönlich mit unseren Reitern herumgehauen hatte - ein Rittmeister seiner Stabswache wurde an seiner Seite getötet —, war er gezwungen, sich zu retten, vielleicht auch, sich körperlich zu erholen. Die Befehlsverbindung hörte auf einige Zeit auf. Die französischen Korps warteten vergeblich auf weitere Anordnungen. Es ist nur menschlich und natürlich, daß ein Führer auch seine Truppen für erschöpft hält, wenn er selbst am Ende seiner physischen Kräfte angekommen ist. In dem Zustande der größten Ermattung soll Bazaine die Befehle für den 17. August geben, und da ordnet er an, daß man sich stärke und erhole. In solchem Zustande hat man keinen Sinn für Angriffsdispositionen. Ist ihm daraus ein Verbrechen zu machen? Gewiß nicht, denn der Mensch ist eben Mensch, wenn er auch den Marschallstab führt. Worin bestand aber sein Fehler, denn richtig gehandelt hat er doch nicht? Sein Fehler bestand lediglich in seiner unzeitigen persönlichen Bravour. Ein Feldherr soll sich den Sinn und die Körperkräfte frisch erhalten, um die Klarheit für seine Entschlüsse zu bewahren. Daher soll er sich nicht unnüß den ersten besten Wechselfällen des Kampfgewühles ausseßen.*)

Die Stellung vom 18. August war taktisch so vortrefflich gewählt, wie man sie nur wählen konnte, und auch entsprechend besetzt. Das beweist schon der furchtbare und zähe Widerstand, den das brave französische Heer der übermacht leistete, und die entseßlichen Verluste, die wir erlitten. Nur kann man daran ausseßen, daß die Reserven beim Beginn hinter dem linken Flügel standen, der an der Festung Anlehnung fand und nicht umgangen werden konnte, statt hinter dem rechten Flügel, welcher umgangen werden konnte. Als diese Reserven das Gardeforps nach dem rechten Flügel dirigiert wurden, kamen sie zu spät, um den Fall von St. Privat zu hindern oder diese Stellung wieder zu erobern. Wenn hinter dem Korps von Canrobert, das St. Privat ver

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*) Es ist neuerdings von französischer Seite behauptet worden, Bazaine habe Metz überhaupt auch schon am 16. nicht aufgeben wollen. Dies ist jedoch in keiner Weise bewiesen. Vielmehr scheint Bazaine die Kräfte der Deutschen nach ihren unaufhörlichen Offensivstößzen stark überschäßt zu haben. Auch scheint er nach dem Auftreten der Garde-Dragonerbrigade auch das Gardekorps in der Nähe vermutet zu haben, so daß er angesichts dieser stark überschäßten Kräfte einen Abmarsch am 17. August nicht mehr wagen zu können glaubte.

teidigte, von Hause aus das ganze Gardekorps gestanden hätte, so würde uns der Sieg wohl noch weit schwerer geworden sein.*)

Die deutsche Führung. Was die Oberleitung unserer Armeen anbetrifft, so ist sie von der ganzen Welt umsomehr als mustergültig angestaunt worden, als ihr der Erfolg zur Seite steht. Eine einzige Maßregel fordert die Kritik heraus. Während der Entscheidungsschlacht von St. Privat blieb das IV. Armeekorps untätig bei Le Buch stehen, wohin es am 16. August gerückt war. Man wußte, daß es so gut wie gar keinen Feind vor sich hatte. Wenn man ihm in der Nacht vom 16. zum 17. August den Befehl schickte, in forcierten Märschen nach Norden zu marschieren, so konnte es mit Anstrengung am 18. August wohl Mars la Tour oder Hannonville erreichen. Auf eine Mitwirkung desselben am 18. August fonnte man also nicht rechnen. Wenn aber der 18. August die Entscheidung nicht brachte, so hätten wir zur Fortseßung der Schlacht am 19. August als Reserven nur noch die stark gelichteten zwei Korps, III. und X., gehabt, und es wäre das ganz intakte IV. Korps sehr erwünscht gewesen. Es erscheint sehr anmaßend, an den strategischen Anordnungen eines Moltke etwas ausseßen zu wollen, aber er soll später selbst ausgesprochen haben, es würde richtiger gewesen sein, wenn er dem Könige vorgeschlagen hätte, auch das IV. Armeekorps heranzuziehen, weil man zur Entscheidungsschlacht nie zu stark sein könne.

Gebrauch der Kavallerie. Was die einzelnen Waffen anbetrifft, so sehen wir zunächst, wie von der Kavallerie ein Gebrauch gemacht wird, der in den vorangegangenen Kriegen nur beschränkt vorkommt, ja fast unbekannt war. Man bricht mit der durch die vervollkommneten Feuerwaffen veralteten Tradition, nach der die Kavallerie aufgespart werden soll, um, wie ein General sich ausdrückte, als Torpedotruppe die Entscheidung der Schlacht herbeizuführen. Man verwendet sie weit vor der Front der Armee, wo sie den Feind umschwärmt, von ihm die genauesten Nachrichten einzieht und ihm einen so dichten Schleier um seinen Gesichtsfreis wirft, daß er im eigenen Lande ganz im unklaren über unsere Truppen bleibt und von denselben jedesmal überrascht wird, während diese in absoluter Sicherheit vor ihm marschieren, also der durch die Sicherheitsmaßregeln während des Marsches entstehenden Anstrengungen. und Verzögerungen überhoben, zu überraschend schnellen Operationen befähigt sind.

*) Diese Aufstellung der Reserven hinter dem linken Flügel beweist auch, daß Bazaine fürchtete, von Meg abgedrängt zu werden.

Prinz zu Hohenlohe, Aufzeichnungen. IV.

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