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Chaussee, auf den Stoppeln liegend, den Kopf auf einem Steine, zugebracht. Im Laufe des Morgens kam unsere Bagage an. Der Prinz ließ sein Zelt aufschlagen, ich das meine. Es ward Feuer angemacht, und es wurde gekocht. Es gab ganz frisches Hammelfleisch. Woher? Beim Vorgehen der Garde-Infanterie aus Ste. Marie war eine Hammelherde erschreckt die Front der Infanterielinie entlang geflüchtet, viel Staub aufrührend. Ob der Feind diesen Staub für Kavallerie hielt, weiß ich nicht. Aber alle diese Hammel fielen unter den feindlichen Kugeln, so heftig war dies Infanteriefeuer gewesen. Jezt lebten wir von diesem Hammelfleisch. Die Kartoffeln, die ich bei Doncourt gesammelt, waren sehr willkommen.

Das Schlachtfeld. Ich machte einen Gang auf dem Felde, nach St. Privat zu. Es war grauenerregend, die Masse der Opfer liegen zu sehen, welche der Angriff auf das Dorf gekostet hatte. Da lagen vornehmlich die schönen Gestalten des 1. und 3. Garde-Regiments, die schönsten und größten Männer der preußischen Monarchie in großer Zahl. Diese aus den größten Menschen zusammengesezte Brigade hatte hier über 2000 Mann verloren. Ärzte, Lazarettgehilfen und Krankenträger waren unausgesett tätig. Aber sie konnten nicht gleich allen Hilfe bringen. Auch waren die sämtlichen Dörfer in der nächsten Umgebung schon derart mit Verwundeten überfüllt, daß in den Bauernstuben und Scheunen eine verderbliche Luft zu entstehen begann und die Ärzte untersagten, noch ferner Verwundete dorthin zu bringen. Sie lagen unter freiem Himmel besser als in den dumpfen Räumen, wurden verbunden, in Gruppen zusammengetragen, und man brachte ihnen, was man bringen konnte. Aber diese Unglücklichen begriffen nicht, daß sie in einem Hause nicht besser versorgt würden als auf dem Felde, und jammerten und klagten entseßlich; ich fragte, ob sie etwas wünschten. Sie hatten Verband und zu essen, aber sie wollten doch in ein Haus. Das ging nun gar nicht an. Entseßlich war der Mangel an Wasser, denn die Verwundeten leiden meistens an gewaltigem Durst. Nun war auf diesem Plateau entsetzliche Dürre. Ich näherte mich dem noch rauchenden Dorfe. Auf etwa 600 Schritt von demselben lag die dichteste Linie von Toten und Verwundeten im Halbkreise um das Dorf und kennzeichnete so die Front, in der sich die Garde-Infanterie zuletzt hingeworfen und das Feuer erwidert hatte. Von da bis an das Dorf lag fast keiner mehr. Man wollte daraus den Schluß ziehen, die französische Infanterie habe die unsrige auf größerer Nähe überschossen. Diese Folgerung ist falsch. Die Erscheinung kam eben daher, daß, wie mir General v. Pape erzählt

hat, die Infanterie 600 Schritt vom Dorfe liegen geblieben ist, bis das Feuer des Verteidigers bewältigt war, und daß dann, während unsere Infanterie zuletzt heran rannte, nur noch wenig aus dem Dorfe gefeuert wurde.

Befehle, Gerüchte und Erfolge. Ich konnte nicht viel Zeit auf die Besichtigung des Schlachtfeldes verwenden, denn es gab noch viel zu tun. Es sollte eine Avantgarde gebildet werden, und ich mußte dafür sorgen, daß schleunigst wenigstens eine Batterie vollständig mit Munition versehen sei. Ich bestimmte die 6. schwere Batterie, die gestern den wenigsten Munitionsverbrauch und Verlust gehabt hatte. Prinz von Hessen ging um zehn Uhr mit seinem Kavallerie-Regiment vor, ihm folgte ein Infanterie-Regiment und die Batterie um zwölf Uhr nach Amanvillers. Nach dem Armeebefehl sollte das II. Korps auf Chatel vorgehen, das Gardekorps als Reserve für das II. Korps bereitstehen, das XII. Korps eine Division ins unferne Moseltal senden, um die Einschließung von Metz zu vollenden. In Amanvillers, das während der Nacht schließlich ganz vom Feinde geräumt war, fand man zwei preußische Geschüße einer Batterie des IX. Armeekorps, die Tags zuvor von den Franzosen genommen worden war. Die beiden letzten Geschütze dieser Batterie fand man im Zeughause von Mez bei der Kapitulation dieser Festung nach zwei Monaten. Zeitweise waren gestern noch mehr Geschüße des IX. Korps in den Händen des Feindes gewesen. Es war dies der Moment, von dem Colomier gesagt hatte: „Die Männer sind reingefallen!" Ich bin später in Petersburg Zeuge davon gewesen, wie Prinz Friedrich Karl dem Kaiser von Rußland sagte, an diesem Unglück der Korpsartillerie des IX. Armeekorps sei er allein schuld gewesen. Er habe geglaubt, der rechte Flügel des Feindes erstrecke sich nur bis Amanvillers und deshalb dieser Artillerie befohlen, auf eine Terrrainwelle zu traben, von der aus sie diesen rechten Flügel in der Flanke beschießen könne.*) Der Feind aber habe sich gedeckt weiter bis St. Privat ausgedehnt und nun diese Artillerie in der linken Flanke aus nächster Nähe mit Feuer überschüttet, die Pferde und Menschen getötet und die Geschüße genommen.

Auf der anderen Seite fragten wir vergebens nach den Trophäen, die wir zu verzeichnen hätten. Man sprach wohl davon, daß hier oder dort Geschüße und Fahnen erbeutet seien, aber alle diese Erzählungen bestätigten sich nicht. Wir fragten nach dem Erfolge des rechten Flügels

*) Nicht Prinz Friedrich Karl, sondern General v. Manstein gab diesen Befehl, aber schon von Vionville aus.

der Armee und erfuhren, daß den ganzen Tag über das VII. und VIII. Armeekorps vergeblich die Stellungen des Feindes gestürmt hätten. Die Ferme St. Hubert war von unseren Truppen genommen, aber am Point du Jour und an der Moscou-Ferme waren alle Angriffe gescheitert. Bei Einbruch der Nacht war das II. Armeekorps zum entscheidenden Angriff vorgegangen. Eine heillose Verwirrung sollte die Folge davon gewesen sein, die Truppen hätten aufeinander gefeuert, weil sie sich in der Dunkelheit nicht erkannten.*) Die fabelhaftesten Gerüchte wurden erzählt und geglaubt, Steinmez habe das II. Armeekorps selbst gegen das VII. und VIII. zu schießen beordert, und der König habe Steinmetz dafür seines Kommandos enthoben. Die Unwahrheit dieses Gerüchtes sprang in die Augen, denn Steinmetz hatte gar keinen Befehl über das II. Armeekorps. Aber in solchen Zeiten wird alles geglaubt. Jedenfalls wurde uns die ganze Schwere des Kampfes klar, den wir gestern bestanden hatten. Auf der ganzen Linie hatten wir nur abgeschlagene Angriffe zu verzeichnen, mit einziger Ausnahme der Stellung von St. Privat, welche nach langem verlustreichem Ringen den gemeinschaftlichen Anstrengungen des Gardekorps und XII. Korps erlegen war. Den Rest der Stellung hatte der Feind während der Nacht freiwillig geräumt, allerdings weil mit Tagesanbruch nunmehr die ganze Stellung unhaltbar werden mußte und der Feind keine frischen Truppen mehr hatte, um uns bei St. Privat anzugreifen. Wir aber hatten an den, allerdings am 16. August dezimierten X. und III. Korps, noch frische Reserven. Unser Erfolg war also der, daß wir den Feind einfach zurückgedrückt hatten. Die Zahl der Gefangenen war nicht bedeutend, Geschütze und Fahnen hatten wir nicht erbeutet, dafür deckten 10 000 Deutsche mehr als Franzosen mit ihren blutenden Leibern die Wahlstatt. „Noch zwei solche Siege, Sire, und Sie haben keine Armee mehr." Dieses bekannte Wort von Davoust an Napoleon I. nach der Schlacht von Smolensk kam jezt jedem in Erinnerung.

Anordnungen auf der Wahlstatt. Nachdem ich die Anordnungen wegen der Avantgarde, wegen des Munitionsersatzes und wegen der Regelung der Kommandoverhältnisse, um Mißverständnisse zu vermeiden, auch schriftlich derart gegeben hatte, wie sie mündlich erfolgt waren, befiel mich eine entsetzliche Müdigkeit, und ich saß meinem kommandieren

*) Das war auch in der Tat der Fall gewesen, wie General v. Franjecky, der kommandierende General des II. Armeekorps, in seinen Erinnerungen bestätigt. Vgl. Denkwürdigkeiten des Generals v. Fransecky, S. 516.

den General am Biwakfeuer in einer Art Stumpfsinn gegenüber, als dieser mit einem Male ausrief: D, Gott, welch Unglück!" Ich folgte seinem Blick nach dem hinter mir liegenden Ste. Marie und sah daraus dicken Qualm und Feuer emporlodern. Das Dorf war mit Verwundeten. vollgestopft. Der Gedanke, daß diese Unglücklichen nun noch gar verbrennen könnten, lähmte mir einen Moment Glieder und Gedanken. Der Kommandierende beorderte den Ingenieur, Obersten v. Wangenheim, augenblicklich mit dem Pionier-Bataillon nach Ste. Marie aufzubrechen und sandte das zunächst an Ste. Marie biwakierende Infanterie-Bataillon zur Hilfe. Den erneuten Anstrengungen dieser unter regelmäßiger Leitung arbeitenden bedeutenden Kräfte gelang es, die Verwundeten zu bergen und das brennende Gehöft niederzureißen. Ein heftiger Plazregen half löschen, ein großes Glück bei diesem Wassermangel.

Im übrigen brachte der ganze Tag noch viel Arbeit und Tätigkeit, denn die Verwundeten mußten versorgt, die Toten begraben werden. Soweit es möglich war, gaben wir den Gefallenen die leßte Ehre. Unter diesen waren zwei Prinzen Salm, Onkel und Neffe, die in dasselbe Grab gelegt wurden. Der erstere war der Felix Salm, der mit so viel vergeblicher Aufopferung den Kaiser Maximilian von Meriko zu retten versucht hatte. Jezt war sein sehnlichster Wunsch erfüllt, er hatte gegen den von ihm so gehaßten Napoleon kämpfen können, und die kühle Erde deckte sein vielbewegtes Leben.

Der Franzose mit der Genfer Binde. In diese traurige Tagesbeschäftigung brachte eine halb komische Episode einige Abwechslung. Ein Franzose wurde mehrere Male gesehen, wie er um die Biwaks des Gardekorps herumgaloppierte. Bei der allgemein herrschenden Müdigkeit und Abspannung hatte man sich damit begnügt, zu bemerken, daß er keine Waffen, aber eine weiße Binde mit dem roten Kreuz der Genfer Konvention trug. Als er aber zum dritten Male auf seinem Rotschimmel die Truppen des Gardekorps umkreiste, schien uns das doch verdächtig, und Major v. Roon wurde beauftragt, ihn zu befragen. Sein Betragen war frech und dabei doch ängstlich zugleich. Er wurde genötigt, abzusteigen. Seine Binde wurde untersucht und trug den Kammerstempel einer Kompagnie des Garde-Füsilier-Regiments. Es war ein französischer Hauptmann vom Generalstabe, der dieses Neutralitätszeichen gemißbraucht hatte, um Spiongeschäfte zu betreiben. Man hätte ihn gleich erschießen lassen können. Der sehr nachsichtige und gutmütige Prinz von Württemberg aber ließ ihn den Gerichten übergeben. Daß der Feind

gleich solchen Mißbrauch mit den Verträgen der Genfer Konvention trieb, ist ein Beweis, daß diese Abmachungen lediglich auf philanthropischen Illusionen beruhen, die vor der Wirklichkeit wie Seifenblasen zerplaten. Unserseits wurde seitdem großes Mißtrauen in dies Zeichen geseßt.

Bourbaki. Auch einer meiner jungen Offiziere brachte mir eine wenig erfreuliche Abwechslung. Er kam von der Korpsartillerie ins Hauptquartier und erzählte, der General Bourbaki, kommandierender General des französischen Gardekorps, size verwundet und gefangen bei Ste. Marie auf einem Wagen. Der Prinz von Württemberg, als kommandierender General des preußischen Gardekorps, sandte mich zu ihm, um seinem Kollegen seine Dienste anzubieten, und der Leutnant führte mich hin. Es war aber ein General Plombin, ein roher manierenloser Gefelle. Leutnant v. Reißenstein, der offenbar nur seiner Phantasie gefolgt war, behielt dafür während des ganzen Feldzuges den Spißnamen „Bourbaki“.

Bildung der Maas-Armee. Nachmittags erhielten wir den Befehl, sofort aufzubrechen und nach Hannonville zu marschieren, da das Gardeforps mit dem XII. und IV. Armeekorps eine vierte Armee, die MaasArmee, unter dem Oberbefehl des Kronprinzen von Sachsen bilden sollte.

Der Kronprinz von Sachsen aber bestimmte, daß wir erst morgen. früh zu marschieren hätten, weil das XII. Korps, das aus dem Moseltal zurückgeholt werden mußte, erst an uns vorbei zu defilieren hatte und uns den Weg versperrte. Das Defilieren der Sachsen dauerte die ganze Nacht. Ich schlief diese Nacht in meinem Zelt mit Doppelmair und den beiden Adjutanten. Ersterer schnarchte wieder entseßlich. Ich glaubte immer, wenn es mir gelang, in einen Halbschlummer zu verfallen, das Schnarren von Mitrailleusen zu hören. Während des größten Teils der Nacht aber raubte mir ein heftiger Schüttelfrost den Schlaf, wahrscheinlich eine Folge der Überanstrengung.

Betrachtungen. Wenn man auch nur seine persönlichen Erfahrungen niederschreiben will, so kann man sich doch nicht von einem Schlachtfelde wie das von St. Privat trennen, ohne seine Betrachtungen zu machen.

Führung der Franzosen. Zunächst fragt sich ein jeder, wie war es möglich, daß die große, gefürchtete, tapfere, von kriegserfahrenen Generalen geführte französische Armee in einer großen, zwei Flußufer be herrschenden Festung eingeschlossen werden konnte? Die französische Nation hat die Antwort auf diese Frage damit gegeben, daß sie den

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