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führenden Chaussee zur Verfolgung vor. Es wurde am Waldrande von den dort zur Aufnahme aufgestellten feindlichen Truppen so energisch empfangen, daß es schneller zurückkam, als es vorgegangen war.

Bei der hereinbrechenden Dunkelheit blieb also weiter nichts übrig, als die Stellung durch Feuer der Artillerielinie zu behaupten. Immer undeutlicher wurde der Feind. Dann sah man das Feuer seiner Geschütze besser als die Geschüße selbst. Dann mischten sich grau in schwarz die Figuren des Feindes mit den Bäumen der Wälder, und zuletzt sah man nur eine einzige schwarze Masse, aus der sich die Blize der feindlichen Geschüße als Feuerstrahlen abhoben. Nach ihnen wurde gezielt. So ging die Kanonade eine Weile fort. Unfähig, bei dieser Dunkelheit mehr zu übersehen, als zu dem Kommandobereich eines Hauptmanns gehörte, iparte ich meine Einwirkung als General jezt auf bis zu dem Augenblick, wo eine solche möglich oder nötig sei, und machte eine geraume Weile den ruhigen Zuschauer. Der Anblick der Blize beim Feinde erregte in mir den Glauben, daß sie endlich nur von unseren Granaten herrührten, und ich sprach diese Meinung meinen Adjutanten gegenüber aus. Braumüller zeigte mit der Hand nach oben, wo eben über unseren Häuptern ein Schrapnell plaßte. Das war ein Beweis, daß uns noch feindliche Geschosse zukamen. Also wartete ich noch ein Weilchen. Die Dunkelheit nahm immer mehr zu. Endlich konnte man die Hand nicht mehr vor Augen sehen. Ich beobachtete immer den Himmel über mir. Als wohl während zehn Minuten kein Schrapnell mehr über mir geplakt war, sandte ich den einen Adjutanten rechts, den anderen links mit dem Befehl, daß während der nächsten zehn Minuten kein Schuß mehr fallen sollte. Als unser Feuer schwieg, schwiegen auch die Explosionen beim Feinde. Die Schlacht war zu Ende. Es war fast zehn Uhr abends.

Ich bin der überzeugung, daß wir in der leßten Viertelstunde nur nach unseren eigenen Granaten kanoniert haben, denn wenn durch das Dunkel der Nacht drüben ein Feuerstrahl bemerkbar war, ward das nächste Geschütz danach gerichtet und abgefeuert, das drüben die eigene Granate explodieren und einen neuen Feuerstrahl machen ließ.

Jezt hieß es, die Befehle für die Nacht geben. Ich fand, die Batterien entlang reitend, Scherbening und Bychelberg, nachdem ich Stumpff und Becke zu ihren Truppenteilen entlassen hatte. Bychelberg blieb auf der Höhe mit seinen geladenen Kanonen abgeprost bis Tagesanbruch stehen und gab so die Vorposten mit Kanonen, Scherbening nahm die Korpsartillerie zurück und suchte Wasser und Biwakspläße. Die 3. FußAbteilung ward an die Befehle ihrer, der 2. Garde-Infanterie-Division gewiesen, und ich suchte nun, das Generalkommando zu finden, um zu

melden, was ich angeordnet, und Infantericbedeckung für die auf Vorposten befindliche 1. Fuß-Abteilung zu erbitten.

Aber ich irrte vergeblich auf dem Felde umher. überall kreuzte ich marschierende Truppen. Unheimlich klang durch das Dunkel der Nacht das Signal der Krankenträgerwagen, die die Verwundeten auflasen, dann und wann stieß der Huf des Pferdes an einen solchen Unglücklichen und entlockte ihm einen Schmerzensschrei. Endlich ward ich auf Nachfragen in eine andere Richtung zum Hauptquartier des kommandierenden Generals gewiesen. Ich folgte der Richtung, sah ein Biwakfeuer und fand den General v. Voigts-Rhet, kommandierenden General des X. Armeekorps, bei St. Ail. Ich teilte ihm die Lage mit, und er schickte ein Bataillon vor, welches vor der 1. Fuß-Abteilung am jenseitigen Abhange, ein paar hundert Schritt hinunter geschoben, mit Gewehr im Arm liegend, den Anbruch des folgenden Tages abwartete. Dann irrte ich weiter auf dem Felde herum auf meinem Lahmen Pferde, denn meine Ordonnanz hatte mich mit dem frischen Pferde nicht gefunden, erreichte die reitende Abteilung wieder und schloßz mich ihr an, denn sie suchte sich einen Biwaksplaß aus. Ich hatte nicht einmal einen Paletot bei mir. Die Nacht war empfindlich kalt. Die 1. reitende Batterie gab uns, meinen beiden Adjutanten und mir, jedem einen dicken Woilach von einem der vielen erschossenen Pferde, und während unsere Pferde Futter bei der Batterie erhielten, auch in einem Bache bei St. Ail mit den anderen Pferden der Batterie zur Tränke geritten wurden, hüllten wir uns in die Woilachs und legten uns zu den Offizieren der Batterie, einer so dicht wie möglich am andern, um uns gegenseitig zu wärmen. Es mag halb zwölf Uhr oder später gewesen. sein, als ich einschlief. Ich hatte seit früh dreiviertel vier Uhr, wo ich den Kaffee getrunken, nur das bißchen Brot und Schokolade gegessen, was ich in der Satteltasche hatte. Auch hatte ich eine Jagdflasche mit Rognak bei mir. Aber sonst hatte ich nichts genossen. Dennoch war ich mehr müde als hungrig, denn ich war ununterbrochen von früh vier Uhr bis abends nach elf Uhr in Bewegung gewesen.

Der 19. August. Die Nacht. Ich schlief sehr bald ein. Ich mag eine bis anderthalb Stunden geschlafen haben, als ich durch ein lautes Zanken geweckt wurde. „Na, da hört doch alles auf! Da liegen alle unsere Herren Offiziere in einer feuchten Wiese! Bilden sich die Herren etwa ein, daß wir Lust haben, früh gar keine Offiziere mehr zu haben, wenn Sie sich alle vor Rheumatismus nicht mehr rühren können? Stehen Sie gleich auf und legen Sie sich gleich dorthin, da ist trockenes Stoppelfeld."

Verschlafen richtete ich meinen Kopf in die Höhe und sagte: „Alter Riegel, meinen Sie uns hier?", denn der Zankende war kein anderer als der Roßarzt Riezel von der 1. Reitenden, der mit weißem Bart und Haar sich schon etwas erlauben konnte. „Na, Sie auch noch", sagte er, wenn Sie uns gar frank werden, sind wir ganz verloren. Machen Sie, daß Sie aufstehen." Ich erhob mich und fühlte alsbald, wie recht der vorsorgliche alte Mann gehabt hatte. Es befiel mich ein heftiger Schüttelfrost, so daß ich kaum stehen konnte. In meinen Woilach gehüllt, schleppte ich mich an ein Feuer, das für die Batterie gemacht war, um mich zu wärmen und trocken zu werden. Da seßte ich mich hin. Ich muß ausgesehen haben, wie ein Gespenst. Bald kamen noch mehr solche Gespenster und segten sich zu mir. Aus den weißen Hüllen schauten die Gesichter von Planit I, von meinen Adjutanten und anderen Offizieren heraus. Der brave Riezel aber kochte Kaffee am Feuer, und dieser wärmte uns wohltuend.*) Dann sah ich nach meinem armen Pferde. Es hatte mit vielem Appetit gefressen und gut gesoffen. Die Batterie hatte eine Tränke gefunden; wo sie diesen kostbaren Schat entdeckt hat, weiß ich nicht. Jedenfalls gehörte ein fließender Bach bei dieser Trockenheit auf dem Plateau zu einer wunderbaren Erscheinung. Auch wusch man die Wunde des armen Tieres. Es waren die Knochen am rechten Sprunggelenk ganz bloßgelegt, aber nicht zersplittert. Auch trat das Pferd auf den Fuß auf und machte mir keine Sorgen mehr.

Tagesanbruch. So wartete ich bei der reitenden Artillerie, bis der Tag so weit graute, daß ich sehen konnte, wohin ich ritt. Es war etwa vier Uhr früh, als ich wieder zu Pferde war. Ich hatte zunächst die Pflicht, mich davon zu überzeugen, ob der Munitionsersaß des Korps gesichert wäre, und ritt zurück zu den Munitionskolonnen. Heineccius hatte alle Kolonnen in einem Biwak zwischen Batilly und jenem Wäldchen vereinigt, wo der Prinz von Württemberg bei Beginn der Schlacht die Handpferde aufgestellt hatte. Ich befahl ihm, der Batterie auch Aushilfe an Pferden und Mannschaften zu geben und jede Munitionskolonne, sobald sie geleert sei, über Pont à Mousson nach Herny zu senden, wo nach den legten Mitteilungen unser Feldmunitionsreservepark unter Hauptmann v. Troilo aufgestellt war. Heineccius hat infolgedessen über 200 Pferde an die Batterien abgegeben. Die zurückmarschierenden Munitions

*) Zwei Jahre später sandte ich dem alten Riegel in Berlin am Jahrestage mein Bild zum Andenken mit einem entsprechenden Vermerk, ohne zu wissen, daß er frank war. Er hat sich noch sehr darüber gefreut und ist Tags darauf gestorben. (Anmerkung des Verfassers.)

kolonnen behielten deren Sattelzeug und Geschirre und marschierten zurück, manches Fahrzeug mit vier, drei oder zwei Pferden bespannt, statt mit sechs. Da die Munitionswagen leer waren, so konnten diese wenigen Pferde die verminderte Last ziehen. Unterwegs aber requirierten sie auf den Dörfern in Feindesland Pferde, wo sie deren fanden, und mit kräftigen, breitrückigen Percheronschimmeln versehen, sind sie wieder zu uns gekommen, wie ich später erzählen werde. Auch Offiziere mußte Heineccius abgeben. Acht Batteriechefs waren tot oder verwundet, davon blieben nur zwei bei der Truppe im Dienst, Roon und Grävenit. Die Kolonnenkommandeure v. der Planit II, Keudell, Kuhlmann, v. Prittwig II traten Kommandos von Batterien an und wurden als Kolonnenkommandeure durch jene Reserveoffiziere von der Gardekavallerie erseßt, von denen ich früher gesprochen. Zwei Batterien mußte ich durch die ältesten Premierleutnants Villaume und Röhl besezen. Mit diesen Anordnungen begab ich mich dann zur Korpsartillerie und in die anderen Artilleriebiwaks, um auch dort meine Befehle mitzuteilen. Ich erhielt dort eine allgemeine Idee von der Größe der erlittenen Verluste. Die Offiziere waren mir alle sehr genau bekannt. Jeder Verlust, der mir gemeldet ward, schnitt mir ins Herz. Mit Mühe zwang ich mich, meiner inneren Bewegung Herr zu bleiben, um den Kopf für die dringend nötigen Anordnungen oben zu behalten. Aber die Nerven spielen uns zuweilen eigentümliche Streiche. Nachdem es mir gelungen war, bei allen Hiobsposten stumpf zu bleiben, erschütterte mich die freudige Nachricht von der Hoffnung, den durch die Lunge geschossenen Hauptmann v. Elern zu retten, derart, daß ich vor Freuden in einen Weinkrampf verfiel. Elern war bis zum Beginn des Krieges bei mir Brigadeadjutant gewesen, und ich schäßte ihn damals sehr hoch. Leider verbot mir der Arzt, die Verwundeten zu besuchen, denn er meinte, die Aufregung könne diejenigen töten, deren Herstellung noch zweifelhaft sei. Meinen alten Stabstrompeter Lücke sah ich, wie er sich im Biwak den Bauch fühlte. Er hatte einem glücklichen Umstande das Leben zu verdanken. Eine Chassepotkugel, die ihn mitten auf den Bauch traf, hatte ihn vom Pferde geworfen. Sie drang in sein Portefeuille, hatte aber nicht mehr die Kraft, es zu durchschlagen. Von dem Schlag aber war sein ganzer Bauch braun und blau mit einem schwarzen Punkt in der Mitte. Seine Freunde unter den Feldwebeln, auch die Offiziere umringten ihn und beglückwünschten ihn.

In dem Biwak der Korpsartillerie traf die Nachricht von Elern ein, er bitte um Geld, denn sein Geld sei ihm abhanden gekommen. Dem Dr. Struck war schon nach der Verwundung ein Mann der Kranken

trägerjektion verdächtig vorgekommen, als er sich unnüß viel mit dem besinnungslosen Hauptmann v. Elern beschäftigt hatte. Als später der Oberst v. Scherbening die Krankenträger antreten und ihre Taschen untersuchen ließ, fand er in der dieses Mannes das Portemonnaie und das Geld Elerns.

Rückkehr zum Hauptquartier. Von den Batterien begab ich mich in das Hauptquartier des Gardekorps, das ich links der Chaussee von Ste. Marie nach St. Privat endlich fand. Es war zwischen acht und zehn Uhr morgens, als ich mich bei meinem kommandierenden General wieder meldete. Ich stieg vom Pferde und übergab meinen armen verwundeten Gaul, den ich mit Unterbrechung von wenigen Nachtstunden seit gestern früh vier Uhr geritten, der Pflege meiner Leute, die sich bereits zum Generalfommando hingefunden hatten.

Den kommandierenden General fand ich bei meiner Meldung in einer sehr weichen Stimmung. Ich beglückwünschte ihn zu dem Siege. „Ein schöner Sieg“, sagte er, „wissen Sie, daß Röder tot ist?“ und dabei rollten ihm die Tränen über die Wangen. Daß der Kommandeur des 1. Garde-Regiments geblieben war, tat mir zwar sehr leid, aber ich fand noch keinen Grund darin, sich des Sieges nicht zu freuen, auch war mir nicht bekannt, daß gerade Röder dem Prinzen von Württemberg so nahe gestanden hätte. Erst als die Offiziere der Truppenteile mittags zum Befehlsempfang kamen, wurde mir die ganze Größe des Verlustes klar. Ich fragte die von den Divisionen kommenden Offiziere, ob ihre Divisionen die verschossenen Patronen ersett hätten. Keiner wußte etwas davon. Ich erinnerte an den in Berlin gegebenen Befehl des Prinzen von Württemberg und meine Benachrichtigung, daß die Munition bei Batilly stehe. Niemand wußte etwas davon. Diese Versäumnis der erhaltenen Befehle ärgerte mich; aber ehe ich die Sache dem Prinzen meldete und dadurch den Divisionsfommandeuren Unannehmlichkeiten zuzog, wollte ich den Grund aufklären und begab mich in das Biwak zu den beiden Divisionskommandeuren, ihnen diese Versäumnis mitzuteilen. Da erfuhr ich, daß kein Regimentskommandeur, fast kein Stabsoffizier, kein Adjutant der gesamten Garde-Infanterie mehr in Funktion sei, und deshalb war es nicht zu verwundern, daß an Befehle, die vor dem Ausmarsche generell gegeben waren, niemand mehr dachte, denn es gab niemand mehr, der sie überhaupt gelesen hatte. Als ich dies erfuhr, lief es mir falt über den Rücken herunter.

Hammelfleisch. Der kommandierende General hatte die Nacht auf dem halben Wege von Ste. Marie nach St. Privat, links dicht an der

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