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hätte der alte Bundestag im Verein mit den bestehenden Regierungen genügen können. Dagegen galt es, das Eisen zu schmieden so lang es warm war, und den Augenblick, in welchem die Nationalversammlung noch die größte Macht in Deutschland war, zur Herstellung einer Verfassung zu benützen, welche die deutschen Staaten zu einer engeren Einheit zusammenschlösse. Jezt waren die Regierungen noch bereit eine Macht anzuerkennen, welche Ruhe und Ordnung verbürgte und die Wünsche der Nation befriedigte. Desterreich, mit innerer Verwirrung ringend, von Italien und Ungarn bedroht, war damals nicht in der Lage, wirksame Einsprache gegen die Bildung eines engeren deutschen Bundes zu erheben, und hätte sich die vollendete Thatsache gefallen lassen müssen. Aber das Provisorium schob die Entscheidung hinaus. Und die Wahl eines österreichischen Erzherzogs war eine Bestärkung der östereichischen Ansprüche und Hoffnungen, und wurde als Abschlagszahlung, als Versprechen für die Zukunft angesehen. Aber abgesehen von dem principiellen Zugeständniß, das in der Wahl eines habsburgischen Prinzen lag, war dieser Prinz gar nicht geeignet, mit dem Beruf einer Neugestaltung Deutschlands betraut zu werden. Er war ein gemüthlicher alter Herr von 66 Jahren, der seine Popularität dem Umstand verdankte, daß er einst in den Kriegen gegen Napoleon ein großes Heer befehligt, auch bei dem Tiroler Aufstand des Jahres 1809 mitgewirkt hatte, nach den Friedensschlüssen von 1814 und 1×15 aber von dem Wiener Hofe und aller Betheiligung am Regiment fern gehalten wurde. Er hatte sich ganz ins Privatleben zurückgezogen, eine nicht ebenbürtige Heirath mit der hübschen jugendfrischen Tochter eines steyerischen Posthalters geschlossen, und widmete sich auf einem ländlichen Gut in Steiermark der Landwirthschaft und der Jagd. Er genoß als einfacher biederer Herr in seiner Umgebung einer großen Popularität. Im Jahre 1842 wurde er von König Friedrich Wilhelm IV. zu den Manövern des 7. und 8. Corps bei Düsseldorf eingeladen und soll bei einem festlichen Mahl im königlichen Schlosse zu Brühl einen Toast auf das einige Deutschland ausgebracht haben: „Kein Preußen, kein Desterreich, ein großes einiges Deutschland, so fest und frei wie seine Berge!" sind die Worte, die ihm in den Mund gelegt wurden und damals die Runde durch Deutschland machten. Später wurde behauptet, der ganze Toast sei eine Erfindung, und wenn der Erzherzog auch einmal etwas dergleichen ausgesprochen habe, so sei erst durch die verschönernde Ueberlieferung der Toast formulirt worden. Damals aber wurde er als Thatsache angenommen, und alle die nationalen Erwartungen, die

Einführung des Reichsverwesers.

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man von dem neugewählten Reichsverweser hegte, knüpften sich an dieses geflügelte Wort. In der That war er aber nicht befähigt, eine weittragende politische Wirksamkeit auszuüben. Schon in seiner Jugend war seine politische und militärische Bedeutung überschäßt worden, er entbehrte durchaus einer staatsmännischen Bildung und Uebung, die nationale Idee lag ihm ferne, und wenn er auch kein Freund von dem Metternich'schen Regiment war, so war er doch in habsburgischen Anschauungen aufgewachsen und vor Allem Desterreicher. Auch darin täuschten sich diejenigen, die ihn anf den Schild hoben, daß sie voraussetzten, er werde als öster-= reichischer Prinz eine besondere Autorität haben. Er war ein durchaus unmächtiger, einflußloser Privatmann, und sein Wort hatte nicht einmal in Oesterreich eine besondere Geltung. Eine solche nüchterne Auffassung der Wahl fand aber damals kein Gehör; man war begeistert von dem Gedanken, wieder einmal ein gewähltes Oberhaupt des Reiches zu haben, und auch diejenigen, welche nicht so überzeugt waren, daß die Wahl eine glückliche sei, waren froh, daß man nach langen parlamentarischen Kämpfen endlich zu einem Ergebniß gekommen sei, und entschlossen sich, das Beste zu hoffen.

Nachdem die Wahl vollzogen war, wurde alsbald eine Deputation. der Nationalversammlung nach Wien gesandt, wo der Erzherzog als Stellvertreter des vor der revolutionären Bewegung nach Insbruck geflohenen Kaisers weilte. Sie traf am 4. Juli in Wien ein und fand den Fürsten, dessen Weigerung Manche gefürchtet hatten, alsbald bereit, die Wahl anzunehmen. Ob er sich der Größe der Aufgabe, der Schwierigfeit ihrer Durchführung bewußt war, ob er sich über das Verhältniß zwischen dem neuen deutschen Reich und der österreichischen Monarchie seine Gedanken machte, ob er seine Plane hatte, wie er zu Gunsten Desterreichs seine Stellung benüßen wolle, wissen wir nicht, nur das können wir hier andeuten, daß die Wahl des Erzherzogs Johann dazu gedient hat, den störenden Einwirkungen Oesterreichs auf die Widergeburt Deutschlands die Wege zu bahnen. Obgleich der Erzherzog damals in Wien unentbehrlich schien, so zögerte er doch nicht, sein neues Amt anzutreten. Nach wenigen Tagen begab er sich auf die Reise und kam am 11. Juli Abends 6 Uhr in Frankfurt an, von Kanonendonner, Glockengeläute und Lebehochrufen empfangen. Am folgenden Tage wurde er nach der festlich geschmückten Paulskirche abgeholt und von dem Präsidenten der Nationalversammlung mit einer Anrede begrüßt, die er mit kurzen Worten erwiderte. Hierauf las der Präsident das Gesetz über

die Einführung einer provisorischen Centralgewalt vor und der Reichsverweser erklärte, dieses Gesetz halten und halten lassen zu wollen zum Ruhme und zur Wohlfahrt des Vaterlandes. Von der Paulskirche hinweg begab sich der Reichsverweser in den Thurn und Taxis'schen Palast, um die Auflösung des Bundestags, die von der Nationalversammlung mit 510 gegen 35 Stimmen beschlossen worden war, auszusprechen und eine Adresse der Bundesversammlung entgegenzunehmen, worin sie erklärte, daß sie Namens der deutschen Regierungen die Ausübung ihrer verfassungsmäßigen Befugnisse und Verpflichtungen auf die provisorische Centralgewalt übertrage, dieselbe in die Hände des deutschen Reichsverwesers lege und ihre eigene Thätgkeit für beendigt ansehe. Der Reichsverweser erwiderte hierauf: er übernehme die verfassungsmäßigen Befugnisse und Verpflichtungen mit dem Vertrauen auf die thätige Mitwirkung der Rcgierungen. So war nun also der Reichsverweser an die Stelle der Bundesversammlung getreten, nur mit dem Unterschied, daß er nicht von den Instructionen der Regierungen abhängig war. Er war damit selb= ständiger gestellt, aber er entbehrte auch den engeren Zusammenhang mit der realen Staatsgewalt der Einzelstaaten.

Zur Vervollständigung der Centralgewalt gehörte auch die Bildung eines Ministeriums, und man beeilte sich alsbald, ein solches zu schaffen. Der erste Minister, welchen der Reichsverweser ernannte, war sein Landsmann, der bisherige österreichische Bundestagsgefandte Schmerling, ein fluger, gewandter Mann, der aber durch den Ausdruck seiner Persönlichkeit gerade kein Vertrauen einflößte, und durch beißenden Spott und Verhöhnung politischer Gegner vielen seiner Collegen in der Nationalversammlung verhaßt geworden war. Er erhielt das Ministerium des Innern und vorläufig auch das des Aeußeren. Der zweite war der Hamburger Advokat Heckscher, ein Mitglied der Deputation, welche den Erzherzog in Wien abgeholt hatte; er hatte sich durch gewandte Reden in der Nationalversammlung bemerklich gemacht, und besonders in der schleswigholsteinischen Sache hervorgethan, ermangelte aber einer höheren politischen Auffassung. Ihm wurde zuerst die Justiz, später die auswärtigen Angelegenheiten zugetheilt. Für die Leitung des Kriegswesens wurde ein gebildeter und gelehrter preußischer General, Peucker, berufen. Erst im Monat August wurden die übrigen Ministerien beseßt. Das Finanzwesen wurde, nachdem anfänglich der Badenser K. Mathy dafür bestimmt war, dem rheinpreußischen Fabrikanten Beckerath übertragen, der bei dem König von Preußen beliebt war und durch seine versöhnliche Milde und

Ernennung der Reichsminister.

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Liebenswürdigkeit ein einflußreiches Mitglied des Parlaments wurde. Das Departement des Handels übernahm der Bremer Senator Duckwiz, ein trefflicher Fachmann; die Justiz an Heckscher's Stelle der Heidelberger Professor Rob. v. Mohl, der sich unter den vielen Gelehrten des Parlaments durch Geschäftsgewandtheit vortheilhaft auszeichnete. Außer Peucker und Duckwiz waren alle Minister Mitglieder der Nationalversammlung, und um deren Mehrheit noch weiter zur Vertretung zu bringen, wurden den Ministern Unterstaatssecretäre beigegeben, unter denen Bassermann für das Innere und Mathy für die Finanzen besonders hervorragten. Eigent= lich hätte es noch keine Eile mit der Besetzung der Ministerien gehabt, denn es fehlte noch gar zu sehr an dem Material für ihre Thätigkeit; der Kriegsminister hatte kein Heer, der Finanzminister keine Einkommensquellen, und alle anderen hatten keine wirkliche Regierungsgewalt.

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Biertes Kapitel.

Die Nationalversammlung von Einsekung der provisorischen Centralgewalt bis zur Kaiserwahl.

Mit der Errichtung der provisorischen Centralgewalt glaubte man den Grundstein zur staatlichen Einigung Deutschlands gelegt zu haben. Aber bald zeigte sich, daß eine feste Unterlage fehle, die im Stande wäre, den Grundstein zu tragen. Die Regierungen, wenn auch erschüttert, hatten doch die wirkliche Macht noch in Händen. Entweder mußte das Volk die bestehenden Regierungsgewalten stürzen, die Fürsten verjagen und eine ganz neue demokratische Staatsgewalt schaffen, oder mußte die Nationalversammlung mit den bestehenden Regierungen sich verständigen, um mit ihrer Hilfe die einheitliche Reform durchzuführen. Die stärkste staatliche Macht in Deutschland war offenbar Preußen, im Besiß eines Heeres, gut geordneter Finanzen, eines disciplinirten Verwaltungsapparates, einer fest gegründeten monarchischen Autorität. Seit Jahrzehnten hatten die erleuchtetsten Vaterlandsfreunde im Anschluß an Preußen den einzigen möglichen Weg zur nationalen Einigung erkannt; der König von Preußen hatte sich zur Führung erboten, und mehrere Fürsten hatten sich bei Beginn der Bewegung bereit erklärt, die Leitung der deutschen Angelegenheiten Preußen zu übertragen. Nach diesen Vorgängen war es offenbar ein Rückschritt, daß die Nationalversammlung die provisorische Centralgewalt einem österreichischen Prinzen übertrug, der durch keinerlei Leistung für die deutsche Einheit oder für die Versöhnung des Dualismus der beiden deutschen Großmächte Anspruch auf eine solche Vertrauensstellung erworben hatte. Nachdem aber einmal der Versuch gemacht worden war, auf diesem Wege die Gründung eines deutschen Staates anzubahnen,

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