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Unterredung Bismarcks mit dem Grafen Karolyi.

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Heutzutage werde dagegen der Widerspruch Preußens nicht nur gegen einen Antrag, sondern gegen die Verfassungsmäßigkeit desselben als ein der Beachtung unwerther Zwischenfall behandelt, durch welchen man sich in entschlossenem Vorgehen auf der gewählten Bahn nicht beirren lasse. Ich habe den Grafen Karolyi gebeten, den Inhalt der vorstehend angedeuteten Unterredung mit möglichster Genauigkeit, wenn auch auf vertraulichem Wege zur Kenntniß des Grafen Rechberg zu bringen, indem ich die Ueberzeugung aussprach, daß die Schäden unserer gegenseitigen Beziehungen nur durch rückhaltslose Offenheit zu heilen versucht werden könnten.

„Die zweite Unterredung fand am 13. December v. J., einige Tage nach der ersten, aus Veranlassung einer Depesche des königlichen Bundestagsgesandten statt. Ich suchte den Grafen Karolyi auf, um den Ernst der Lage der Dinge am Bunde seiner Beachtung zu empfehlen, und verhehlte ihm nicht, daß das weitere Vorschreiten der Majorität auf einer von uns für verfassungswidrig erkannten Bahn uns in eine unannehmbare Stellung bringe, daß wir in den Consequenzen desselben den Bruch des Bundes voraussähen, daß Herr v. Usedom über diese unsere Auffassung dem Freiherrn v. Kübeck und dem Freiherrn v. d. Pfordten keinen Zweifel gelassen, auf seine Andeutungeu aber Antworten erhalten habe, die auf kein Verlangen nach Ausgleichung schließen ließen, indem Freiherr v. d. Pfordten auf beschleunigte Abgabe unseres Minoritätsvotums dränge. Ich bemerkte hiergegen, daß unter solchen Umständen das Gefühl der eigenen Würde uns nicht gestatte, dem von der anderen Seite herbeigeführten Conflict ferner auszuweichen, und daß ich deshalb den königlichen Bundestagsgesandten telegraphisch zur Abgabe seines Minoritätsvotums veranlaßt habe. Ich stellte in Aussicht, daß wir die Ueberschreitung der Competenz durch Majoritätsbeschlüsse als einen Bruch der Bundesverträge auffassen und dem entsprechend verfahren würden, indem diesseit der königliche Bundestagsgefandte ohne Substitution abberufen werden würde, und deutete die praktischen Consequenzen an, welche sich aus einer solchen Situation in verhältnißmäßig kurzer Zeit ergeben müßten, indem wir natürlich die Wirksamkeit einer Versammlung, an welcher wir uns aus rechtlichen Gründen nicht mehr betheiligten, in Bezug anf den ganzen Geschäftskreis des Bundes nicht weiter für zulässig anerkennen fönnten.

„Wenige Tage darauf erhielt ich die vertrauliche Mittheilung, daß der kaiserlich österreichische Gesandte in St. Petersburg (Graf Thun) über Berlin auf seinen Posten zurückkehren und die schwebende Streit

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frage mit mir besprechen werde. Als derselbe hier eintraf, habe ich mich durch die eben erwähnten bedauerlichen Erfahrungen nicht abhalten lassen, seine mir zum Zweck einer Verständigung gemachten Eröffnungen in der entgegenkommendsten Weise aufzunehmen. In Folge derselben erklärte ich mich bereit, auf verschiedene zwischen uns verabredete Auswege zur Beilegung der Frankfurter Schwierigkeiten einzugehen. Graf Thun schlug mir darauf vor, eine Zusammenkunft zwischen dem Grafen Rechberg und mir behufs weiterer Besprechung der Frage zu veranstalten. Ich erklärte mich hierzu bereit, erhielt indessen in den folgenden Tagen durch Graf Karolyi vertrauliche Mittheilungen, nach welchen Graf Rechberg vor unserer Zusammenkunft die Erklärung meines Einverständnisses mit Bundesreformvorschlägen erwartete, für welche meines Erachtens längere und eingehendere Verhandlungen erforderlich gewesen wären. Da hierzu die Zeit bis zum 22. December zu kurz war, so glaubte ich auf die vorgeschlagene Zusammenkunft nur in dem Falle eingehen zu können, daß von vorgängigen, bindenden Verabredungen Abstand genommen werde. -Da Graf Rechberg hierauf erklären ließ, daß Oesterreich auf weitere Verfolgung des Antrages in Betreff der Delegirtenversammlung nicht ohne gesichertes Aequivalent verzichten könne, so ist die Zusammenkunft bisher unterblieben."

Diese meisterhaften Ausführungen hätten Oesterreich zu einer richtigeren Auffassung von Bismarck's staatsmännischer Bedeutung und zu einer gewissen Selbsterkenntniß anleiten sollen; aber sie erregten nur Aerger über die Ansprüche und den Hochmuth Preußens. Desterreich hielt seine Illusionen fest, war überzeugt, daß Preußen doch nichts wagen werde, und wenn es sich je zum Kampfe erheben sollte, alle Welt auf Desterreichs Seite stehen und ihm helfen würde, den anmaßenden Rivalen zu demüthigen. Graf Rechberg antwortete auf die von Bismarck ausgesandte Note im Tone der Ueberlegenheit und unter vorzeitiger Appellation an den Erfolg. Mit Bezugnahme auf weitere Andeutungen, die Bismarck gemacht haben muß, sagte er am Schluß einer Depesche vom 28. Februar 1863: „Wenn man uns von Berlin aus die Alternative stellt, entweder uns aus Deutschland zurückzuziehen, den Schwerpunkt unserer Monarchie - wie der preußische Minister meinte nach Ofen zu verlegen, oder in dem nächsten europäischen Conflicte Preußen auf der Seite unserer Gegner zu finden, so wird die öffentliche Meinung Deutschlands über solche Gesinnung urtheilen, die Ereignisse werden sie richten, wenn sie je zur That werden sollte. Uns aber kommt es zu, den Vor

Ablehnung des Delegirtenprojects.

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wand, den man sich in Berlin zurechtlegen zu wollen scheint, rechtzeitig als einen solchen zu kennzeichnen.“

In Frankfurt hatte der Widerspruch Preußens gegen die Plane Desterreichs doch einige Wirkung gehabt. Als jener am 14. August von der Majorität gestellte Antrag auf Einberufung einer Delegirtenversammlung endlich am 22. Januar 1863 zur Berathung kam, wurde er mit 9 gegen 7 Stimmen abgelehnt. Kurhessen, welches selbst unter den Unterzeichnern des Antrags gewesen war, stimmte nun dagegen. Die jetzige Majorität wurde außerdem von Preußen, Baden, Luxemburg, Holstein und den sächsischen Häusern gebildet. Die preußische Regierung erklärte in ihrer motivirten Abstimmung, nicht blos durch die formelle, dem Geist der Bundesverträge zuwiderlaufende Behandlungsweise, welche diese Angelegenheit seit dem Erlaß der identischen Note vom Februar 1862 erfahren habe, sondern auch durch die materielle Untauglichkeit und Halbheit der Vorschläge selbst werde die königliche Regierung verhindert, denselben beizustimmen. Ausschüsse der Landesvertretungen mit so beschränkten berathenden Befugnissen wie die beantragten, würden eine praktisch ganz bedeutungslose Einrichtung sein, nur geeignet, dem Geschäftsgang der Bundesverhandlungen ein neues Moment der Schwerfälligkeit und Verschleppung zuzuführen. Nur in einer Vertretung, welche nach Maßgabe der Bevölkerung jedes Bundesstaats aus unmittelbarer Wahl hervorgehe, könne die deutsche Nation das berechtigte Organ ihrer Eimvirkung auf gemeinsame Angelegenheiten finden. Die österreichische Regierung war nun durch die Abstimmung genöthigt, ihren Antrag fallen zu lassen, aber sie erklärte, daß sie sich das Recht wahre, den Antrag durch Vereinbarung mit denjenigen Regierungen in Ausführung zu bringen, welche dies denmächst zur Förderung der in Hannover und in Dresden im Gang befindlichen Gesetzgebungsarbeiten für nüßlich halten würden, und daß sie sich vorbehalte, bei erneuter Hoffnung auf Annäherung der Ansichten auch in der Bundesversammlung auf den Antrag zurückzukommen. Preußen hatte einen diplomatischen Sieg errungen, und die Regierung hätte denselben für die deutschen Angelegenheiten verwerthen können, wenn sie nicht durch ihren Conflict mit der eigenen Volksvertretung, durch die Spannung mit den deutschen Zollvereinsregierungen wegen des französischen Zollvertrags, und durch neue Verwicklung, in welche sie durch den polnischen Aufstand gerathen war, in ihrer Action gehemmt gewesen wäre. Wir müssen daher jetzt zu den preußischen Kammerverhandlungen zurückkehren.

Bei der Eröffnung des neuen preußischen Landtags am 10. Januar 1863 sprach der Ministerpräsident mit Nachdruck den Wunsch aus, daß es diesmal gelingen möge, über die ungelöst gebliebenen Fragen eine dauernde Verständigung herbeizuführen, und verhieß zu diesem Zweck die Vorlegung eines neuen Etats und eines Gesetzesentwurfs über die Verpflichtung zum Kriegsdienst. Die Regierung, fügte er bei, gebe sich der Hoffnung hin, daß die Reorganisation des Heeres, zu deren Aufrechterhaltung sich das Ministerium im Interesse der Macht Preußens einmüthig verpflichtet erachte, durch die gesetzliche Feststellung nunmehr ihren vollständigen Abschluß erhalten werde. Die Kammer aber war weniger als je zur Nachgiebigkeit geneigt und trat der Regierung in einem nach acht Tagen vorgelegten Adreßentwurf mit der Anklage der Verfassungsverletzung entgegen, weil sie fortfahre, Staatsgelder für Ausgaben zu verwenden, die von der Volksvertretung nicht verwilligt seien. Bismarck behauptete dagegen in einer Rede vom 27. Januar: Wenn eine Vereinbarung zwischen den drei Faktoren der Gewalt: Krone, Herrenhaus und Kammer der Abgeordneten nicht zu erzielen ist, so fehlt es für diesen Fall an jeglicher Bestimmung darüber, welcher Faktor nachgeben müsse. Die Verfassung hält das Gleichgewicht der drei gesetzgebenden Gewalten in allen Fragen, auch der Budgetgesetzgebung, durchaus fest; keine dieser Gewalten kann die andere zum Nachgeben zwingen; die Verfassung verweist daher auf den Weg der Compromisse zur Verständigung. Wird der Compromiß dadurch vereitelt, daß eine der betheiligten Gewalten ihre eigene Ansicht mit doctrinärem Absolutismus durchführen will, so wird die Reihe der Compromisse unterbrochen und an ihre Stelle treten Conflicte, und Conflicte werden, da das Staatsleben nicht stille zu stehen vermag, zu Machtfragen. Wer die Macht in Händen hat, geht dann in seinem Sinne vor. Die Ansicht, daß eine Lücke in der Verfassung sei, sei gar keine neue Erfindung; bei der Revision des Staatsgrundgesetzes hätten sich mehrere Abgeordnete sehr eingehend mit dieser Frage beschäftigt. Er wolle die Theorie, was Rechtens sei, wenn kein Budget zu Stande komme, nicht weiter verfolgen, für ihn reiche die Nothwendigkeit hin, daß der Staat existiren müsse, und er wolle es nicht in pessimistischer Anschauung darauf ankommen lassen, was daraus werde, wenn man die Kaffen schließe.

Jene Lückentheorie wurde alsbald in und außer der Kammer lebhaft bestritten. Wenn man auch zugab, daß die Staatsmaschine ungehindert fortgehen müsse, und daß deshalb die laufenden Ausgaben indessen gemacht

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werden müssen, so gab man doch nicht zu, daß, im Fall der Verwerfung des Budgets, die Regierung in der Zwischenzeit bis zur Feststellung eines neuen, so eingreifende Neuerungen vornehmen dürfe, wie die Militärreform eine war. Die Berufung auf die thatsächliche Macht gab dem Abgeordneten Grafen von Schwerin Veranlassung, dagegen zn protestiren. Die Macht des preußischen Königshauses beruhe nicht auf dem Grundsaß, daß Macht vor Recht gehe, sondern vielmehr auf dem entgegengesetzten, daß Recht vor Macht gehe. Bismarck erwiderte: man habe ihn mißverstan= den, er habe nicht gesagt, „Macht geht vor Recht“, sondern vielmehr zu Compromissen gerathen. Schwerin antwortete, er habe dem Redner auch nicht diesen Ausdruck untergelegt, sondern nur gesagt, dies sei der Kernpunkt seiner Rede, und dabei bleibe er; es blieb ein stehender Vorwurf gegen Bismarck, daß eben ihm Macht vor Recht gehe. Daß seine Rede nicht zur Beruhigung der Kammer diente, ist kein Wunder, dies lag in den Verhältnissen. So kam es, daß das Ergebniß einer dreitägigen Debatte die Annahme der oppositionellen Adresse war, welche mit 268 gegen 68 Stimmen durchging. Die Hauptstelle derselben lautet: „Die lezte Session wurde geschlossen, bevor für das Jahr 1862 das von der Verfassung vorgeschriebene Etatsgesetz festgestellt worden war. Der Etatsentwurf für das Jahr 1863, welcher vor Ablauf des vorigen Jahres hätte vereinbart sein sollen, war zurückgezogen worden. Die Aufforderung an die Regierung Ew. Majestät, diesen Etat noch rechtzeitig wieder vorzulegen, war ohne Erfolg geblieben. Seitdem haben die von Ew. Majestät berufenen Minister verfassungswidrig die Verwaltung ohne geseglichen Etat fortgeführt, und sogar, entgegen einer bestimmten Erklärung des Hauses der Abgeordneten, solche Ausgaben verfügt, welche durch Beschlüsse des Hauses definitiv und ausdrücklich abgelehnt waren. oberste Recht der Volksvertretung, das der Ausgabe-Bewilligung, war damit angegriffen, ein Recht, welches die Grundlage des constitutionellen Staatslebens überhaupt ist, welches daher auch alle bestehenden consti= tutionellen Verfassungen gewährleisten, und welches bisher, unter steter Anerkennung durch die Staatsregierung selbst, von der preußischen Volksvertretung geübt war. Das Land sah mit Schrecken den ganzen Gewinn unserer bisherigen staatlichen Entwickelung in Frage gestellt. Es stand zu seinen Abgeordneten. Nur eine kleine, der Nation seit lange entfremdete Minderheit hat, gestützt durch die Minister Ew. Majestät, bis zu den Stufen des Thrones die gröbsten Verleumdungen gegen einen Factor der Gesetzgebung getragen und den Versuch nicht gescheut, das Urtheil

Das

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