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die Wohlfahrt und bürgerliche Freiheit im Innern kräftiger als bisher zu fördern. 2) Diese Reform muß allen deutschen Staaten das Verbleiben in der vollen Gemeinsamkeit möglich erhalten. 3) Sie findet ihren Abschluß in der Schaffung einer kräftigen Bundes - Executivgewalt mit einer nationalen Vertretung. 4) Als die nach den bestehenden Verhältnissen allein mögliche Form einer Bundes- Executivgewalt stellt sich eine concentrirte collegialische Executive mit richtiger Ausmessung des Stimmenverhältnisses dar. 5) Als ein erster Schritt zur Schaffung einer nationalen Vertretung ist die von acht Regierungen beantragte Delegirtenversammlung anzuerkennen. Hierbei wird vorausgesetzt, daß die Regierungen keine Zeit verlieren, jene Versammlung zu einer periodisch wiederfehrenden Vertretung am Bunde mit erweiterter Competenz zu gestalten." Dieses Programm wurde mit großer Majorität angenommen, doch fand die Empfehlung der Delegirten starken Widerspruch, besonders erhob sich dagegen der Wirtemberger Moriß Mohl, ein eifriger Großdeutscher und Gegner Preußens; er erklärte, nur eine durch die Nation nach gemeinsamem Wahlgesetz gewählte Versammlung könne die nationalen Wünsche befriedigen. Doch blieben die Gegner der Delegirtenversammlung in der Minderheit, und es wurde ganz nach dem Muster des Nationalvereins ein großdeutscher Reformverein gegründet. Als oberster Grundsatz wurde aufgestellt: „Erhaltung der vollen Integrität Deutschlands und Bekämpfung jenes Bestrebens, welches die Ausschließung irgend eines Theils von Deutschland zum Zweck oder zur Folge hätte." Zum Vorstand des Vereins wurde der ritterschaftliche Abgeordnete der wirtembergischen zweiten Kammer und spätere Minister des Auswärtigen, Freiherr v. Varnbüler, gewählt. Der Verein, von den Regierungen begünstigt, verbreitete sich rasch in Bayern, Wirtemberg und Hannover, aber seine Wirksamkeit blieb weit unter der des Nationalvereins, und entsprach von ferne nicht den Wünschen und Erwartungen seiner Gründer und Patrone.

Gegen Ende des Jahres kam das von Desterreich und Sachsen besonders begünstigte Delegirtenproject im Bundestage zur Verhandlung. Am 18. December beantragte die Majorität, eine aus den einzelnen Landesvertretungen durch Delegation hervorgehende Versammlung einzuberufen, welcher demnächst ein Gesezesentwurf über Civilproceß und Obligationen= recht vorzulegen wäre. Preußen und Baden dagegen beantragten, von dem Vorschlag Umgang zu nehmen. Ersteres machte geltend, daß der= selbe überhaupt nicht in der Competenz des Bundes liege. Der badische Vertreter erkannte zwar an, daß der Bund auf Volksvertretung hinwirken

Erneuerung des Delegirtenprojects.

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dürfe und könne, meinte aber, daß die Delegirtenversammlung nicht das geeignete Mittel dazu sei. Der Berichterstatter der Majorität, der bayerische Gesandte Freiherr von der Pfordten, suchte hauptsächlich dem Einwand zu begegnen, daß, um das Ziel einer erhöhten Machtstellung Deutschlands zu erreichen, eine principielle Umgestaltung der Bundesverfassung nöthig sei, und behauptete, daß man damit die Grenzen einer gedeihlichen Reform weit überschreiten und in das Stadium eines unberechenbaren revolutionären Beginnens gerathen würde. Die Machtstellung des deutschen Bundes habe eine überwiegend defensive Aufgabe, und dieser habe die Bundesverfassung im Ganzen und Großen doch genügt, indem sie den Bundesstaaten einen Zeitraum des Friedens und der inneren Entwicklung und Wohlfahrt gesichert habe, wie ihn die deutsche Geschichte in keinem ́anderen Zeitraum aufzuweisen habe. Ueberdies vermöge eine Verfassungsveränderung für sich allein nicht die Machtstellung Deutschlands zu erhöhen, sondern die einmüthige Gesinnung sei die unversiegbare Quelle, aus der vor Allem des Vaterlandes Größe und Macht hervorströmen müsse. Wenn das lebendige Gefühl der Zusammengehörigkeit die Fürsten und Völker Deutschlands einige, so daß kein Glied vor dem anderen einen Vorzug erstrebe, als den der größeren Hingebung an das Gemeinwohl, dann werde die Machtstellung der Nation unter allen Formen ihrer Zusammenfassung unantastbar sein, fehle es aber an jenem Gefühl, oder mache sich gar eine entgegengesetzte Gesinnung geltend, dann werde keine Verfassung im Stande sein, die Kräfte der Nation zu einigen. Das Delegirtenproject, meinte von der Pfordten, sei freilich an und für sich noch keine Bundesreform, aber es bahne sie an, und zwar mit Bewahrung der Grundlagen des Bundes. Die Delegirtenversammlung vertrete die Gesammtheit der in den Bundesstaaten gegliederten Nation, und zwar nicht in abstracter Weise, sondern im Anschluß an diese Gliederung. Die Eigenthümlichkeit des deutschen Nationallebens beruhe ja auf der Individualität der Stämme, auf dem Widerstreben gegen uniformirende Centralisation, und diese Eigenthümlichkeit erfordere bei jeder Reform des Bundes besondere Beachtung.

So mußten die Vertheidiger des Delegirtenplanes sich auf Gefühlspolitik, Gemeinpläße und Redensarten stützen! Preußen betonte in seiner Entgegnung besonders den Widerspruch zwischen Stimmrecht und Machtgewicht, der in dem Delegirtenproject, wie es Sachsen vorgelegt hatte, in schreiender Weise zu Tage trat, indem für den kleinsten Theil Deutschlands, die Mittel- und Kleinstaaten, eine größere Zahl Delegirter gefordert

wurde, als für beide Großmächte. Bei der beschränkten Natur der Bundeszwecke habe das Mißverhältniß zwischen Stimmen und Macht nicht so viel auf sich gehabt, aber wenn man nun jenes ungebührliche Stimmrecht gegen reale Machtverhältnisse zur Anwendung bringen wolle, wenn der Versuch gemacht werden solle, eine mächtige Minderheit durch Stimmenmehrheit zu unterdrücken, könnten gefährliche Conflicte entstehen. Preußen müsse zum Voraus gegen drohende Majorisirung sich verwahren.

Noch ehe diese Verhandlungen in der Bundestagssigung stattfanden, sprach der preußische Ministerpräsident ein deutliches Wort mit dem öfterreichischen Gesandten in Berlin, Grafen Karolyi. Bismarck hat selbst von diesen Unterredungen Bericht erstattet in einer Circulardepesche *), die er unter dem 24. Januar 1863 an die Vertreter Preußens an den auswärtigen Höfen gerichtet hat. Er sagt darin: „Ich hatte zur Herbeiführung besseren Einverständnisses beider Höfe die Initiative in der Form von Unterredungen mit dem Grafen Karolyi ergriffen, in welchen ich dem kaiserlichen Gesandten Nachstehendes zu erwägen gab. Nach meiner Ueberzeugung müssen unsere Beziehungen zu Desterreich unvermeidlich entweder besser oder schlechter werden. Es sei der aufrichtige Wunsch der königlichen Regierung, daß die erstere Alternative eintrete; wenn wir aber das hierzu nöthige Entgegenkommen des kaiserlichen Cabinets nachhaltig vermißten, so sei es für uns nothwendig, die andere in's Auge zu fassen und uns auf dieselbe vorzubereiten. “

„Ich habe den Grafen Karolyi daran erinnert, daß in den Jahrzehnten, die den Ereignissen von 1848 vorhergingen, ein stillschweigendes Abkommen zwischen den beiden Großmächten vorwaltete, kraft dessen Oesterreich der Unterstützung Preußens in europäischen Fragen sicher war und uns dagegen in Deutschland einen durch Oesterreichs Opposition unverfümmerten Einfluß überließ, wie er sich in der Bildung des Zollvereins manifestirt. Unter diesen Verhältnissen erfreute sich der deutsche Bund eines Grades von Einigkeit im Innern und von Ansehen nach außen, wie es seitdem nicht wieder erreicht worden ist. Ich habe unerörtert gelassen, durch wessen Schuld analoge Beziehungen nach der Reconstituirung des Bundestages nicht wieder zu Stande gekommen sind, weil es mir nicht auf Recriminationen für die Vergangenheit, sondern auf eine praktische Gestaltung der Gegenwart anfam. In letterer finden wir gerade in den Staaten, mit welchen Preußen, der geographischen Lage nach,

*) Schultheß' Geschichtskalender 1863, S. 27. Hesekiel, Bismarc. III., 276-281.

Unterredung Bismarcks mit dem Grafen Karolyi.

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auf Pflege freundschaftlicher Beziehungen besonderen Werth legen muß, einen zur Opposition gegen uns aufstachelnden Einfluß des kaiserlichen. Cabinets mit Erfolg geltend gemacht. Ich gab dem Grafen Karolyi zu erwägen, daß Oesterreich auf diese Weise zum Nachtheil für die Gesammtverhältnisse im Bunde die Sympathieen der Regierungen jener Staaten vielleicht gewinne, sich aber diejenigen Preußens entfremde. Der kaiserliche Gesandte tröstete sich hierüber mit der Gewißheit, daß in einem für Desterreich gefährlichen Kriege beide Großstaaten sich dennoch unter allen Umständen als Bundesgenossen wiederfinden würden.

In dieser Voraussetzung liegt meines Erachtens ein gefährlicher Irrthum, über welchen vielleicht erst im entscheidenden Augenblick eine für beide Cabinette verhängnißvolle Klarheit gewonnen werden würde, und habe ich deshalb den Grafen Karolyi dringend gebeten, demselben nach Kräften in Wien entgegenzutreten. Ich habe hervorgehoben, daß schon im letzten italienischen Kriege das Bündniß für Oesterreich nicht in dem Maße wirksam gewesen sei, wie es hätte der Fall sein können, wenn beide Mächte sich nicht in den vorhergehenden acht Jahren auf dem Gebiete der deutschen Politik in einer schließlich nur für Dritte Vortheil bringenden Weise bekämpft und das gegenseitige Vertrauen untergraben hätten. Dennoch seien damals in dem Umstande, daß Preußen die Verlegenheiten Desterreichs im Jahre 1859 nicht zum eigenen Vortheil ausgebeutet, vielmehr zum Beistande gerüstet habe, die Nachwirkungen der früheren intimeren Verhältnisse unverkennbar gewesen. Sollten aber lettere sich nicht neu anknüpfen und beleben lassen, so würde unter ähnlichen Verhältnissen ein Bündniß Preußens mit einem Gegner Desterreichs eben so wenig ausgeschlossen sein, als, im entgegengesetzten Falle, eine treue und feste Verbindung beider deutschen Großmächte gegen gemeinschaftliche Feinde. Ich wenigstens würde mich, wie ich dem Grafen Karolyi nicht verhehlte, unter ähnlichen Umständen niemals dazu entschließen können, meinem allergnädigsten Herrn zur Neutralität zu rathen; Desterreich habe die Wahl, seine gegenwärtige antipreußische Politik mit dem Stüßpunkte einer mittelstaatlichen Coalition fortzusetzen, oder eine ehrliche Verbindung zu suchen. Zu letterer zu gelangen, sei mein aufrichtigster Wunsch. Dieselbe könne aber nur durch das Aufgeben der uns feindlichen Thätigkeit Desterreichs an den deutschen Höfen gewonnen werden.

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Graf Karolyi erwiderte mir, daß es für das Kaiserhaus nicht thunlich sei, seinen traditionellen Einflüssen auf die deutschen Regierungen zu entsagen. Ich stellte die Existenz einer solchen Tradition mit dem Hin

Klüpfel, Einheitsbestrebungen. I.

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weis in Abrede, daß Hannover und Hessen seit hundert Jahren vom Anbeginn des siebenjährigen Kriegs vorwiegend den preußischen Einflüssen gefolgt seien, und daß in der Epoche des Fürsten Metternich die genann= ten Staaten auch von Wien aus im Interesse des Einverständnisses zwischen Preußen und Desterreich ausdrücklich in jene Richtung gewiesen worden seien, daß also die vermeintliche Tradition des österreichischen KaiserHauses erst seit dem Fürsten Schwarzenberg datire, und das System, welchem sie angehöre, sich bisher der Consolidirung des deutschen Bündnisses nicht förderlich erwiesen habe. Ich hob hervor, daß ich bei meiner Ankunft in Frankfurt im Jahre 1851 nach eingehenden Besprechungen mit dem damals auf dem Johannisberg wohnenden Fürsten Metternich gehofft habe, Desterreich selbst werde es als die Aufgabe einer weisen Politik erkennen, uns im deutschen Bunde eine Stellung zu schaffen, welche es für Preußen der Mühe werth mache, seine gesammte Kraft für gemeinschaftliche Zwecke einzusetzen. Statt dessen habe Desterreich dahin gestrebt, uns unsere Stellung im deutschen Bunde zu verleiden und zu erschweren, und uns thatsächlich auf das Bestreben nach anderweiten Anlehnungen hinzuweisen. Die ganze Behandlungsweise Preußens von Seiten des Wiener Cabinets scheint auf der Voraussetzung zu beruhen, daß wir mehr als irgend ein anderer Staat auswärtigen Angriffen ausgefeßt seien, gegen welche wir fremder Hilfe bedürfen, und daß wir uns deshalb von Seiten der Staaten, von welchen wir solche Hilfe erwarten könnten, eine rücksichtslose Behandlung gefallen lassen müßten. Die Aufgabe einer preußischen Regierung, welcher die Interessen des königlichen Hauses und des eigenen Landes am Herzen liegen, werde es daher sein, das Irrthümliche jener Voraussetzung durch die That nachzuweisen, wenn man ihren Worten und Wünschen keine Beachtung schenke.

„Unsere Unzufriedenheit mit der Lage der Dinge im deutschen Bund erhalte in den letzten Monaten neue Nahrung durch die Entschlossenheit, mit welcher die mit Oesterreich näher verbundenen deutschen Regierungen in der Delegirtenfrage angriffsweise gegen Preußen vorgingen. Vor 1848 sei es unerhört gewesen, daß man im Bunde Fragen von irgend welcher Erheblichkeit eingebracht habe, ohne sich des Einverständnisses beider Großmächte vorher zu versichern. Selbst da, wo man auf Widerspruch minder mächtiger Staaten gestoßen sei, wie in der Angelegenheit der süddeutschen Bundesfestungen, habe man es vorgezogen, Zwecke von dieser Wichtigkeit und Dringlichkeit viele Jahre unerfüllt zu lassen, anstatt den Widersprechenden mit dem Versuch der Majorisirung entgegenzutreten.

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