Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

AR

ERSITY

LIFORNIA

Achtes Kapitel.

Der Regierungswechsel in Preußen und der Krieg in Italien 1858 und 1859.

Nach dem Pariser Frieden trat wieder ein politischer Stillstand ein und man glaubte, die Gelegenheit zu einem Fortschritt der deutschen Politik sei auf lange Zeit verpaßt. Aber in Preußen hatte man die Entwürfe zu einer Reform der deutschen Verfassung nicht vergessen, es gab einen Kreis von patriotischen Männern, welche im Stillen fortarbeiteten und mit Sehnsucht der neuen Wendung harrten, die über kurz oder lang kommen mußte. Und sie kam. Friedrich Wilhelm IV., an dessen legitimistischen Bedenklichkeiten und Willensschwäche die Ausführung des deutschen Einigungswerkes gescheitert war, wurde von einer Krankheit ergriffen, welche seiuen Geist umnachtete und ihn nöthigte, die Regierungsgeschäfte seinem jüngeren Bruder, dem Prinzen Wilhelm von Preußen zu übergeben. Durch eine Cabinetsordre vom 23. Oktober 1857 wurde dieser zum Stellvertreter ernannt, und da die Widerherstellung des Königs immer aussichtsloser wurde, erfolgte, freilich nicht ohne Widerstand der feudalen Partei, am 7. Oktober 1858 die Uebertragung der förmlichen Regentschaft an den Prinzen. Schon längst mit der Art und Weise seines Bruders nicht einverstanden, hatte er sich doch aller Einmischung in die Regierungsangelegenheiten enthalten, und auch als zeitweiliger Stellvertreter nichts geändert. Nun da er freiere Hand hatte, zögerte er nicht, gründliche Aenderungen vorzunehmen, er gab dem bisherigen Leiter der preußischen Politik, dem Freiherrn v .Manteuffel und den meisten seiner Collegen am 6. November ihre Entlassung, und bildete aus dem Kreise der Männer, welche den liberalen Bestrebungen gehuldigt und

Ministerium der neuen Aera.

177

insbesondere den nationalen Gedanken gepflegt hatten, ein neues Ministerium. An die Spite desselben trat der Fürst Anton von HohenzollernSigmaringen, welcher vor neun Jahren sein kleines Erbland in Schwaben an das stammverwandte Königshaus von Preußen abgetreten, seitdem als Militärgouverneur in den Rheinlanden freisinnig gewaltet und sich bei seinen Untergebenen beliebt gemacht hatte. Ihm zur Seite stand als Staatsminister ohne Portefeuille ein alter Jugendfreund des Prinzen von Breußen, Rudolph von Auerswald. Minister des Aeußeren wurde Freiherr v. Schleinig, welcher in den Unionszeiten die deutsche Sache nach Kräften vertreten hatte. Das Junere führte der altliberale Graf v. Schwerin, das Cultministerium der gelehrte und fromme Bethmann - Hollweg, die Finanzen Freiherr v. Patow, das Kriegsministerium General von Bonin. Mit großen Hoffnungen begrüßte man dieses Ministerium als den Beginn einer neuen Aera, und der neue Regent eröffnete am 8. November eine Sigung des Ministerraths mit einer Ansprache, in welcher er die Grundzüge seiner Politif entwickelte. Mit zarter Schonung deutete er an, daß er mit der bisherigen Regierung nicht ganz einverstanden sei. Er wolle zwar keinen Bruch mit der Vergangenheit, aber die Verfassung ausbauen, die Ehre und Machtstellung Preußens und Deutschlands nach Außen wahren. Besonders bedeutungsvoll war es, was er über das Heer und die auswärtige Politik sagte: „Die Armee hat Preußens Größe geschaffen und dessen Wachsthum erkämpft; ihre Vernachläßigung hat eine Katastrophe über sie und dadurch über den Staat gebracht, die glorreich verwischt worden ist durch die zeitgemäße Reorganisation des Heeres, welche die Siege des Befreiungskrieges bezeichneten. Eine vierzigjährige Erfahrung und zwei kurze Kriegsepisoden haben uns indeß auch jetzt aufmerksam gemacht, daß manches, was sich nicht bewährt hat, Veranlassung zu Aenderungen geben wird. Dazu gehören ruhige politische Zustände und Geld; und es wäre ein schwer sich bestrafender Fehler, wollte man mit einer wohlfeilen Heeresverfassung prangen, die deshalb im Momente der Entscheidung den Erwartungen nicht entspräche. Preußens Heer muß mächtig und angesehen sein, um, wenn es gilt, ein schwerwiegendes Gewicht in die Wagschale legen zu können. Preußen muß mit allen Großstaaten in freundschaftlichstem Vernehmen stehen, ohne sich fremden Einflüssen hinzugeben und ohne sich die Hände frühzeitig durch Verträge zu binden. Mit allen übrigen Mächten ist das freundliche Verhältniß gleichfalls geboten. In Deutschland muß Preußen moralische Eroberungen. machen, durch eine weise Gesetzgebung bei sich, durch Hebung aller sitt

Klüpfel, Einheitsbestrebungen. I.

12

lichen Elemente und durch Ergreifung von Einigungselementen, wie der Zollverein es ist, der indessen einer Reform wird unterworfen werden. müssen. Die Welt muß wissen, daß Preußen überall das Recht zu schützen bereit ist. Ein festes, consequentes und wenn es sein muß, energisches Verhalten in der Politik, gepaart mit Klugheit und Besonnenheit, muß Preußen das politische Ansehen und die Machtstellung verschaffen, die es durch seine materiellen Mittel allein nicht zu erreichen im Stande ist. Auf dieser Bahn mir zu folgen, um sie mit Ehren gehen zu können, dazu bedarf ich Ihres Beistandes, Ihres Rathes, den Sie mir nicht. versagen werden. Mögen wir uns immer verstehen zum Wohle des Vaterlandes und des Königthums von Gottes Gnaden." *) Man beachtete diese inhaltsreichen Worte damals nicht so recht, erst in der Folge entdeckte man, daß der Prinz hier den so viel angefochtenen Plan der Militärorganisation, die Preußen in den Stand sehen sollte, das Werk der deutschen Einigung mit Energie durchzuführen, bereits angekündigt hatte.

Ein erfreuliches Ereigniß in der königlichen Familie trug in jener Zeit auch noch dazu bei, die Hoffnung auf eine günstige politische Constellation zu beleben. Der Sohn des Prinzen von Preußen Friedrich Wilhelm, der künftige Thronfolger, vermählte sich am 25. Januar 1858 mit der ältesten Tochter der Königin von England, der Prinzessin Victoria, und diese Verbindung der Regentenhäuser gab Aussicht auf politische Allianzen in zeitgemäßer Richtung.

Zeichen einer kräftigeren Leitung der preußischen Politik waren schon vor Einsetzung der Regentschaft hin und wieder zu bemerken. So zum Beispiel bei der im Februar 1858 neu angeregten Frage über die Besetzung der Bundesfestung Rastatt. Diese war seit 1850 ganz von Desterreich besorgt worden und Preußen hatte, obgleich von Seiten der badischen Regierung öfters zur Mitbetheiligung aufgefordert, nichts dazu gethan. Als nun von Seiten der Bundesmilitärcommission auf Ergänzung der Befestigungsbauten und Verstärkung der Besatzung gedrungen wurde, schloß Baden einen Vertrag mit Desterreich, wonach dieses 5000 Mann Friedensbesatzung und auch im Krieg die erforderliche Mannschaft stellen sollte. Es war nahe daran, daß diese Ucbereinkunft von dem Bundestag anerkannt und die Bundesfestung Rastatt ganz in die

* S. Ansprache des Prinzregenten an das Staatsministerium am 8. Nov. 1858 Augsb. Allg. Ztg. M. 332 v. 28. Nov. 1858.

Vorzeichen des italienischen Kriegs,

179

Gewalt Desterreichs gekommen wäre. Nun aber trat Breußen ernstlich - für Geltendmachung seines Mitbesatzungsrechts auf. Cesterreich, sich auf seinen Vertrag berufend, wollte nicht darauf eingehen, es wurde viel für und wider im Bundestag und zwischen den betheiligten Mächten darüber verhandelt, aber Preußen gab nicht nach, bis die Sache zu seinen Gunsten entschieden war. Freilich zog sich die definitive Erledigung des Streites bis in das Jahr 1859 hin. Auch in Dänemark merkte man, daß ein kräftigerer Geist in der preußischen Politik eingekehrt sei. Nachdem man seit Jahren alle Einsprachen des Bundestags gegen die Giltigkeit der dänischen Gesammtstaatsverfassung unbeachtet gelassen oder mit ausweichenden Antworten erwidert und die Competenz des Bundes bestritten hatte, erließ die dänische Regierung am 6. Nov. 1858 ein sogenanntes Batent, in welchem sie die Sistirung der Gesammtverfassung für Holstein ohne Bedingung aussprach und die volle Competenz des Bundes anerkannte, worauf der letztere beschloß, die angedrohte Execution vor der Hand ruhen zu lassen.

Während man nun in Preußen damit beschäftigt war, die Consequenzen der neuen Aera für die innere Politik zu ziehen, entstand ein europäischer Zusammenstoß von größter Tragweite, der Krieg Piemonts und Frankreichs gegen Oesterreich. Hierbei kamen die deutschen Interessen in ganz anderer Weise ins Spiel, als bei der Bedrohung des morschen türkischen Reiches durch Rußland. Einerseits war dadurch Desterreichs Besitz und Stellung in Italien in Frage gestellt, andererseits entpuppte sich der Besieger der Revolution, der durch die Erfolge des Krimkriegs seine Macht so bedeutend gesteigert hatte, als Beschützer eines revolutionären Elements, des Nationalitätsprincips, das für Oesterreich besonders gefährlich war. Und zugleich erhob sich ein Volk, das durch den Egoismus seiner Fürsten zerrissen und geknechtet war, zum Kampf für nationale und staatliche Einheit, zur Abwerfung der Fremdherrschaft gegen dieselbe Macht, welche auch der Feind der deutschen Einheit und Freiheit war.

Napoleon gab das erste Signal zum Ausbruch der Krisis durch feinen bekannten Neujahrsgruß am 1. Januar 1859 an den österreichischen Gesandten Baron v. Hübner: „Ich bedaure, daß unsere Beziehungen nicht so gut sind, als ich sie zu sehen wünsche." Noch deutlicher verrieth ein Wort des Königs Victor Emanuel von Sardinien, um was es sich handelte. Als er am 10. Januar die Kammern eröffnete, sagte er: „Der Horizont, an dem das neue Jahr heraufsteigt, ist nicht vollkommen klar. Wir sind entschlossen, den Eventualitäten entgegenzugehen. Die Zukunft

wird eine glückliche sein, da unsere Politik auf der Gerechtigkeit und Liebe zur Freiheit und zum Vaterlande beruht. Unser kleines Land ist ge= wachsen an Ansehen in den Räthen Europa's, weil es groß ist durch die Prinzipien, die es vertritt, und durch die Sympathieen, die es einflößt. Eine solche Lage ist nicht ohne Gefahr, denn wenn wir die Verträge achten, so sind wir doch auf der anderen Seite nicht unempfindlich für den Schmerzensschrei, der sich von so vielen Seiten Italiens zu uns erhebt." Der Schmerzensschrei bedeutete die allgemeine Ueberzeugung, Italien müsse frei werden von der Herrschaft und Bevormundung Lesterreichs, und sich zum Kampf gegen dasselbe unter den Fahnen des Königs von Sardinien sammeln. Die Andeutung Napoleons aber verhieß den Beistand Frankreichs und Krieg gegen Desterreich. So wurden die Worte des Kaisers und des Königs in Wien und Turin, ja an den meisten Höfen Europa's verstanden, und man machte sich allgemein auf einen europäischen Krieg gefaßt. Aber doch wußte man nicht, wie sorgfältig der Plan zur Befreiung Italiens und zur Wiederaufnahme des 1849 mißlungenen Kampfes gegen Oesterreich von den Staatsmännern berathen war. Die nationale Partei Italiens hatte die Einsicht gewonnen, daß vereinzelte Erhebungen gegen die österreichische Herrschaft in Mailand und Venedig nicht zum Ziele führen könnten, und daß die Republikaner nicht mächtig genug seien, um gegen Desterreich etwas auszurichten, daß man vielmehr an einen bestehenden Staat sich anschließen müsse, um mit geordneten militärischen Kräften den Kampf aufzunehmen. Unter allen Staaten Italiens aber war das Königreich Sardinien der am besten ge= ordnete; es hatte eine freisinnige und gewissenhaft gehandhabte Verfassung, eine wohleingerichtete redliche Verwaltung, ein gut organisirtes tapferes Heer, sorgfältige Pflege aller geistigen Interessen, kurz, es war ein Musterstaat, der, wenn auch minder mächtig als Preußen, doch unter den italienischen Staaten in ähnlicher Weise sich auszeichnete, wie Preußen unter den deutschen. Dazu kam, daß das Haus Savoyen unter den mächtigeren Herrscherhäusern Italiens das einzige einheimische war. Und seit 1852 regierte in Turin ein genialer Minister, der Graf Cavour, der die Befreiung Italiens von der Fremdherrschaft als sein Ziel fest ins Auge gefaßt hatte, und bei allen seinen Reformen den Zweck verfolgte, Piemont fähig zu machen, das Haupt Italiens zu werden. Mit Sorgfalt pflegte er die Beziehungen zu den auswärtigen Mächten, besonders zu Frankreich und England. Im Krimkrieg hatte er ihnen ein wohlgerüstetes Heer von 15,000 Mann zur Verfügung gestellt und sich

« ZurückWeiter »