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Paul Pfizer.

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käme dann die Aufgabe zu, die Fürsten in ähnlicher Weise zu vertreten, wie das Parlament das Volk, und die Vollstreckung der gemeinsamen Beschlüsse zu übernehmen. Damit wäre dann gegeben, daß Preußen in allen allgemeinen Angelegenheiten die eigentliche Herrschaft über das übrige Deutschland zu führen und die Wünsche und Interessen der anderen deutjchen Regierungen nur in soweit zu berücksichtigen hätte, als es selbst für gut fände und sie in der Bundesversammlung mit Majorität vertreten wären. Daß Oesterreich sich dieser Bevormundung durch Preußen nicht würde unterwerfen können, verhehlt er sich nicht, sondern sieht die Ausscheidung Desterreichs aus dem Bunde als die nothwendige Consequenz seiner Ansicht an. Im „Vaterland" spricht er es S. 201 unbedenklich aus, daß es ein Glück für Deutschland und kein wirklicher Verlust für Desterreich wäre, wenn sein aus Reichszeiten überkommener Einfluß auf Deutschlands innere Angelegenheiten aufhörte. Desterreichs staatsrechtliche Scheidung von Deutschland", sagt er S. 286, „scheint eine Nothwendigkeit"; und S. 291, es gehöre doch wenig Nachdenken dazu, um einzusehen, daß man, um eine deutsche Macht zu sein, Deutschland ganz angehören müsse, und daß an einer deutschen Nationalvertretung der gesammte Kaiserstaat mit Einschluß aller seiner magyarischen, italienischen und slavischen Bestandtheile unmöglich Theil nehmen könne. Mit der Hegemonie Preußens über Deutschland meint er es so ernstlich, daß er zur Durchführung der Einheit eine Periode der Centralisation, der Dictatur für erforderlich hält, und jedenfalls für die auswärtigen Verhältnisse eine Anerkennung des preußischen Supremats für unentbehrlich ansieht. Zu einer wahren, auf den Grundsatz der Gleichberechtigung der Mitglieder gegründeten Föderativverfassung, sagt er, sei es nun in einem Bund von Fürsten oder von Völkern, gehört Gleichheit der Macht und Gleichheit der Interessen, und so lange es an diesen Bedingungen fehlt, scheint keine andere Wahl übrig zu bleiben, als entweder freiwillige Unterordnung unter eine überlegene Größe, oder beständiger Zwiespalt, Bürgerkrieg und Duldung auswärtiger Gewaltherrschaft. Will aber Deutschland irgend eine politsche Bedeutung gewinnen, so muß es den ersten Weg einschlagen und zur Anerkennung eines Supremats wenigstens in den auswärtigen Berhältnissen sich bequemen. Ein Bund der einzelnen Staaten unter einander könnte nur dann zur nationalen Einigung führen, wenn eine zwingende Gewalt und die Mittel zur Vollstreckung des nationalen Gesammtwillens vorhanden wären. Ihr Verhältniß zu einander müßte so geordnet sein, daß es nicht in der Willkür des Einzelnen stünde, ob er

für die gemeinschaftliche Sache mitwirken oder sich davon lossagen und mit Fremden verbinden wolle.

Die klare, in schöner Sprache gehaltene Darlegung einer so durchdachten politischen Ueberzeugung machte großes Aufsehen und fand bei Vielen Anklang und begeisterte Zustimmung. Aber doch war es mehr die freimüthige Art im Allgemeinen, mit der sich der Verfasser über die deutschen Zustände aussprach, was ihm und seinem Buch Beifall und Berühmtheit verschaffte, als die eigenthümlichen und neuen Ideen über Deutschlands nationale Rettung durch die preußische Hegemonie. Die liberalen Freunde in der Heimat des Verfassers betrachteten seine Vorliebe für Preußen mehr als eine subjective Ansicht, die man mit in den Kauf nehmen müsse, nicht als den Angelpunkt seines ganzen politischnationalen Systems, nicht als das Ziel, das er dem nationalen Streben aller Deutschen hinstellen wolle. Man war damals in Deutschland, dem von der französischen Julirevolution gegebenen Impulse folgend, viel mehr auf die Ausbildung der Freiheit durch Verbesserung des constitutionellen Systems gerichtet, als auf die Einheitsfrage. Doch wurde auch hierin in den dreißiger Jahren ein höchst wichtiger Fortschritt gemacht durch die Gründung des deutschen Zollvereins, der das ganze außerösterreichische Deutschland mit einem weit festeren Einheitsband umschlingen sollte, als der deutsche Bund. Wir müsseu daher auf die Geschichte seiner Entstehung etwas näher eingehen.

Schon die Bundesverfassung hatte das Bedürfniß gemeinsamer Anordnungen für Handel und Verkehr der verbündeten Staaten anerkannt, und der Bundestag hatte seit seinem Beginn mehrmals Anläufe dazu genommen. Es war ein Ausschuß zur Regelung des Korn- und Viehhandels niedergesezt worden, aber man konnte bald sehen, wie wenig der Bund zur Lösung dieser Aufgabe geeignet sei. Hannover verwahrte sich gegen die Verbindlichkeit eines Majoritätsbeschlusses in solchen Dingen, Bayern knüpfte seine Zustimmung an die unerfüllbare Bedingung, daß sämmtliche Bundesstaaten auch mit ihren nicht zum Bunde gehörigen Ländern unwiderruflich dem Beschlusse beitreten. Es wurde eine neue Berichterstattung beschlossen und damit die Sache auf die lange Bank geschoben. Und doch war eine Aenderung des bestehenden Zustandes dringend nöthig. Die süddeutschen Staaten hatten ihre Grenzzölle und waren dadurch im gegenseitigen Verkehr mit einander gehindert, die verschiedenen Bestandtheile des preußischen Staates hatten 60 verschiedene Zoll- und Accise-Tarife. Und bei allen diesen vielen Zolllinien hatten

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doch die englischen Manufacturwaaren freien Eingang in Deutschland und verdrängten alle deutschen Waaren vom Markte, während andere Staaten, wie Frankreich und Oesterreich, sich durch ihr Zollsystem dagegen verschlossen hielten. Dagegen konnte Deutschland den Engländern ihre Waaren nicht mit den entbehrlichen Ackerbauerzeugnissen bezahlen, weil dies die englischen Korngesete hinderten. Zunächst suchte nun Preußen dem Uebelstande dadurch abzuhelfen, daß es unter dem 26. Mai 1818 ein Gesetz erließ, welches die Zollschranken zwischen den einzelnen Provinzen der Monarchie aufhob, für die Ausfuhr das Princip der Handelsfreiheit aussprach und für ausländische Waaren eine Verbrauchssteuer von 10 Procent festsette. Den preußischen Staatsmännern wäre es vielleicht lieber gewesen, zum vollständigen internationalen Freihandel übergehen zu können, Dies war aber unmöglich, weil die übrigen Großmächte keine Schritte in dieser Richtung thun wollten. Durch das preußische Zollsystem war nun eine Bevölkerung von etwa 10 Millionen zu einem gemeinsamen Handelsgebiet vereinigt, aber da Preußen bei seiner zerstreuten Gebietslage 28 andere deutsche Gebiete berührte und 13 andere deutsche Staaten als Enclaven in sich schloß, so waren diese zum Theil schlimmer daran als vorher. Die berührten Staaten sahen das preußische Zollgesetz als einen unerträglichen Eingriff in ihre Souveränität an, und die Beseitigung desselben war Gegenstand der kleinstaatlichen Agitation, aus der sich dann weitere Bestrebungen für ein allgemeines deutsches Handels- und ZollSystem entwickelten. Es bildete sich im Frühjahr 1819 zu Frankfurt a. M. ein Verein von Kaufleuten und Fabrikanten, welcher sich die Erkämpfung dieses Zieles zur Aufgabe machte und an dem damaligen Professor der Staatswissenschaften in Tübingen, Friedrich List, einen genialen, unermüdlichen Berather und Agitator gewann, der in Karlsruhe, Stuttgart, München, Berlin und Wien dafür zu wirken suchte, an manchen Orten Anklang, an anderen schnöde Abweisung fand. Gleichzeitig hatte in Baden ein junger Staatsmann, Karl Friederich Nebenius, einen Entwurf für eine allgemeine Zolleinigung der deutschen Staaten ausgearbeitet, der im April 1819 an die Mitglieder der badischen Ständeversammlung vertheilt und im folgenden Jahre auch bei den Mitgliedern der Wiener Ministerialconferenz in Umlauf gesezt wurde. Auf dieser Conferenz sollte unter Anderem auch die Frage der Erleichterung des Handels und Verkehrs zwischen den verschiedenen Bundesstaaten zur Berathung kommen, aber sie schien sich nur in Anklagen über die eigenmächtigen Anordnungen Breußens verlaufen zu wollen, und Graf Bernstorff, der preußische Ge

sandte, sah sich deshalb veranlaßt, zu erklären, Preußen könne aus Rücksicht für die übrigen deutschen Staaten von seinem System nicht abgehen, nur durch Verträge mit einzelnen Staaten lasse sich helfen. Weiteren Versuchen der Ministerialconferenz, von Bundeswegen über die Zollangelegenheit etwas festzusetzen, widersetzte sich Preußen entschieden, und in der Sitzung vom 11. Mai 1820 erklärte Bernstorff, daß Rechte, welche einzelne Bundesglieder aus einer anderen Quelle herleiteten, als der Bundesakte selbst, niemals Gegenstände der Entscheidung des Bundes werden könnten. Hier stünden sich die Bundesglieder als Souveräne europäischer Staaten gegenüber, die den Streit völkerrechtlich mit einander auszugleichen hätten, und nicht vor der Bundesversammlung. Nie habe Preußen die Bundesakte anders verstanden, nie werde es in eine solche Beschränkung seiner Souveränität willigen und vom Bunde Recht nehmen.“ Schon damals also sprach Preußen den Grundsatz aus, vom Bunde sich nicht majorisiren zu lassen, der Bevormundung Oesterreichs und der mit demselben verbündeten Mittelstaaten sich nicht unterwerfen zu wollen. Der Anspruch auf Leitung der deutschen Angelegenheiten ohne Mitwirkung Desterreichs war damit stillschweigend erhoben.

Schon vor der Wiener Conferenz war in der Zollsache der Weg der Separatverhandlung mit einzelnen Staaten betreten worden. Am 25. Oftober 1819 hatte Schwarzburg-Sondershausen einen Vertrag mit Preußen abgeschlossen, wodurch die Verhältnisse des größeren Theils seiner Besitzungen, welche im preußischen Gebiet eingeschlossen waren, in Bezug auf Zoll und Verbrauchssteuern auf preußischen Fuß geordnet wurden. Es kostete nach den stolzen Erklärungen Preußens auf den Wiener Conferenzen Mühe, auch andere Kleinstaaten zur Nachfolge zu bewegen, und doch entschlossen sich nach einigen Jahren (1822 und 1823) mehrere andere thüringische Staaten: Schwarzburg - Rudolstadt, SachsenWeimar, Anhalt-Bernburg, dem Vorgang Sondershausens zu folgen. Die wichtigste Erweiterung des preußischen Zollgebietes war aber der am 14. Februar 1828 abgeschlossene Vertrag mit Hessen - Darmstadt. Er war hauptsächlich deshalb von großer Bedeutung, weil dadurch Preußen seinen ernstlichen Willen, den übrigen deutschen Staaten zur commerciellen Einheit die Hand zu bieten, thatsächlich beurkundete, indem es durch Aufnahme eines kleinen Gebietes, das die Zollgränze unverhältnißmäßig verlängerte und damit die Verwaltungskosten vermehrte, der Sache ein erhebliches Opfer brachte. Nun entstand aber dennoch ein großer Lärm über die eigennüßigen, gefährlichen Absichten Preußens, das ganz Deutsch

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land in sein Netz ziehen wolle, um es auszubeuten. Man glaubte Vorfehrungen zum Schuß gegen weitere Verbreitung des preußischen Zollsystems treffen zu müssen; eine Anzahl nord- und mitteldeutscher Staaten: Hannover, Sachsen, Kurhessen und andere schlossen unter Anstiftung Desterreichs am 24. September 1828 einen Sonderzollbund auf 6 Jahre. Dagegen näherten sich nun Wirtemberg und Bayern, die am 18. Januar 1828 ebenfalls einen Zoll- und Handelsvertrag mit einander abgeschlossen hatten, dem aber Baden beizutreten sich weigerte, Preußen, da sie fanden, daß ihr Gebiet doch nicht gehörig arrondirt sei und der Berein weder volkswirthschaftlich noch finanziell bedeutende Vortheile gewähre. Der König von Wirtemberg gab den Anstoß und sandte im Einverständniß mit Bayern den Buchhändler J. F. v. Cotta, der ein eifriger Vertreter der Zolleinheitsidee, mit Nebenius befreundet und mit dessen Planen vertraut war, zu Anfang des Jahres 1829 zu Unterhandlungen nach Berlin, und es kam am 27. Mai ein vorläufiger Vertrag zwischen Preußen und Bayern - Wirtemberg zu Stande, kraft dessen viele Erzeugnisse der betreffenden Länder frei von Eingangszöllen eingeführt werden durften und die vertragschließenden Staaten sich verpflichteten, ihre Zollgesetze allmählig in Uebereinstimmung zu bringen. Die öffentliche Meinung in Süddeutschland zeigte damals noch wenig Verständniß für den Werth der Zolleinigung mit Preußen, der größte Theil des Handels- und Gewerbestandes, besonders in Bayern, war dagegen und glaubte den Ruin der sich hebenden Industrie davon fürchten zu müssen. Bei den Liberalen kam auch noch die Furcht vor dem Einfluß des preußischen Absolutismus hinzu. Man erhob sich daher in Süddeutschland noch gar nicht zu einer unbefangenen Würdigung des ungeheuren Gewinns, der aus den Zollverträgen mit Preußen für die nationale Einigung erwachsen mußte, und wir sehen mit Wehmuth den wunderlichen Widerspruch, in welchen sich die süddeutschen Liberalen, die doch die nationale Einheit als eine selbstverständliche Forderung aufstellten, durch ihre Opposition gegen den Zollverein verwickelten. Glücklicherweise war in den Kreisen der Regierung eine bessere Einsicht vorhanden, und ihrem Einfluß gelang es, in der Ständeversammlung eine Majorität für den Vertrag mit Preußen zu bekommen, der alsdann am 22. März 1833 von Wirtemberg und Bayern abgeschlossen wurde. Acht Tage später folgte auch das Königreich Sachsen nach, unerachtet der Vorurtheile der dortigen Kaufleute und Fabrikanten, welche kurz vorher eine Petition unterschrieben hatten, in der die größte Besorgniß für die sächsische Industrie ausge

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