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Das Jahr 1870 und der Angriffskrieg der Franzosen hat uns Deutschen die längst ersehnte Einheit in einer Weise gebracht, welche alle Erwartungen weit übertrifft. Selbst das alte deutsche Reich in seiner höchsten Blüthe hat nie eine solche, die wichtigsten Bestandtheile der Staatsgewalt zusammenfassende Einheit dargestellt, und jeder gute Deutsche wird sich dieser Errungenschaft von ganzem Herzen freuen. Wer das Bedürfniß hat, die Gegenwart aus der Vergangenheit zu erklären, der wird gern einen Rückblick auf die Zeit werfen, welche seit dem Untergang des alten deutschen Reichs verflossen ist, und sich daraus klar zu machen suchen, wie die Widergeburt des neuen Reiches zu Stande kommen konnte.

Wohl war die Idee der Widerherstellung einer gemeinsamen Verfassung Deutschlands seit 1806 öfters aufgetaucht, und wurde auch zur Zeit der Freiheitskriege lebendig. Einzelne Staatsmänner, Geschichtschreiber und Dichter sprachen in allem Ernste davon und führten den Gedanken in Abhandlungen und Liedern aus. Aber derselbe war doch nur ein schöner Traum der höher gebildeten Kreise, die Nation im Ganzen trat nicht für die Verwirklichung ein und die europäischen Machthaber wollten nichts davon wissen, und so gewöhnte man sich, die staatliche Einheit des deutschen Volkes als unpraktisches Ideal bei Seite zu legen. Der Freiherr von Stein hatte schon vor der Entscheidung des russischen Feldzuges, in einer Denkschrift vom 18. September 1812 über Deutschlands fünftige Verfassung, eine Monarchie als das beste Mittel zur Sicherung der Un

Klüpfel, Einheitsbestrebungen. I.

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abhängigkeit Deutschlands bezeichnet, aber war bald bei näherer Erwägung zur Einsicht gekommen, daß wegen des Dualismus von Oesterreich und Preußen die vollständige Einheit unmöglich sein werde, und daß man sich daher mit einem Uebergangszustand begnügen müsse, den er in der Theilung Deutschlands nach der Mainlinie gefunden zu haben glaubte. In einer späteren Denkschrift vom März 1814 entwarf er den Plan einer Bundesverfassung, an deren Spiße ein aus Desterreich, Preußen, Bayern und Hannover gebildetes Directorium stehen sollte, das die Vollziehung der Gesetze handhaben, die Rechtspflege, Verwaltung, die Beziehungen zu auswärtigen Mächten, sowie die der verbündeten Staaten zu einander und der Fürsten zu ihren Unterthanen überwachen, auch das Recht des Krieges und Friedens haben sollte. Der treue Gehilfe Steins und literarische Dolmetscher seiner Ideen E. M. Arndt stellt ebenfalls den Einheitsstaat als ideale Forderung auf, gibt aber zu, daß derselbe nicht ausführbar sein werde und will sich mit jener Zweiheit begnügen. Im dritten Band seines Geistes der Zeit" (1813) kommt er wieder auf den föderalistisch modificirten Einheitsstaat zurück. Die Fürsten sollten ihren Kaiser wählen, der aber mit größerer Macht ausgestattet werden müßte, als die Kaiser der späteren Jahrhunderte besaßen, und namentlich den alleinigen Oberbefehl über das Heer haben müßte, während die Fürsten seine Stellvertreter für Rechtspflege und Verwaltung sein könnten. J. Görres, der Herausgeber des einflußreichen rheinischen Merkurs, spricht im Allgemeinen von Herstellung der Einheit, hin und wieder von Wiederaufrichtung des deutschen Kaiserthums, das er dem Hause Habsburg übertragen wissen will, doch mit Einrichtungen, welche auch Preußen an der höchsten Gewalt theilnehmen lassen. Auch in anderen Zeitschriften wurde die Verfassungs- und Einheitsfrage besprochen, aber alle Vorschläge konnten über den Gegensatz von Oesterreich und Preußen nicht hinwegkommen. Letzteres hatte sich durch seine Leistungen in dem Befreiungskrieg unbestreitbare Ansprüche auf die Führung Deutschlands erworben, und man konnte ihm jedenfalls nicht zumuthen, sich Desterreich zu unterwerfen. Dieses hatte aber die alte Ueberlieferung und das historische Recht auf seiner Seite. Nur der Verfasser eines Auffages in den Brockhausischen deutschen Blättern wagt es auszusprechen, ob es nicht am besten wäre, wenn Oesterreich Deutschland ganz an Preußen überließe und sich mit einer loseren Verbindung begnügte.

Die deutsche und europäische Diplomatie hat den Gedanken einer einheitlichen Verfassung Deutschlands nie ernstlich als berechtigt anerkannt,

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vielmehr zu wiederholten malen abgewiesen. Die berühmte Proclamation von Kalisch vom 25 März 1813 hat über die künftige Gestaltung Deutschlands nur unbestimmte Andeutungen gegeben und die Form derselben den Fürsten und Völkern anheimgestellt. Aber während des Befreiungsfrieges gegen Napoleon wurde den zwei Rheinbundskönigen von Bayern und von Wirtemberg, um dieselben von Frankreich abzuziehen, kurz vor und nach der Entscheidungsschlacht bei Leipzig in den Verträgen von Ried und Fulda (8. Oktober und 11. November 1813) die von Napoleon verliehene Souveränität und die Integrität ihres Gebietes von Desterreich garantirt, und damit allen folgenden Verhandlungen über Anerkennung einer deutschen Centralgewalt ein nicht zu beseitigendes Hinderniß entgegengestellt. Vor der Einnahme von Paris im März 1814 wurde im Lager der Verbündeten unter Steins Mitwirkung über die künftige Verfassung Deutschlands in einer Weise berathen, bei der auf monarchische Einheit von vorne herein verzichtet wurde, aber doch ein Bundesstaat in Aussicht genommen, wobei die nationale Einheit jedenfalls viel besser gewahrt worden wäre als bei der späteren Bundesverfassung. Der Pariser Frieden verhieß sämmtlichen deutschen Staaten Unabhängigfeit und Vereinigung durch eine Bundesverfassung. Auf dem Wiener Congreß, auf welchem diese festgestellt werden sollte, tauchte die Idee der Widerherstellung des Kaiserthums eine Zeitlang auf. Sie war vertreten durch die Gesandten von 29 kleinen deutschen Fürsten, die am 16. November 1814 in einer Eingabe an die Bundesversammlung ein gemeinsames Oberhaupt verlangten. Auch Stein wirkte mit Eifer dafür und sprach sich in einem Gutachten an Kaiser Alexander von Rußland ausführlich darüber aus. Aber die augenblickliche Bewegung führte zu keinem Ergebniß, weil der Kaiser von Desterreich die Würde hätte übernehmen müssen. Weder er noch Metternich waren geneigt darauf einzugehen, und die welche für die Idee des Kaiserthums schwärmten wie Stein, wollten die Gewalt doch eigentlich nicht in Oesterreichs Hände geben. Preußen aber diese Würde und Macht zuzuwenden war aus Rücksicht auf Desterreich und die Stimmung vieler deutschen Fürsten und der europäischen Mächte, insbesondere Englands, nicht möglich, und aus diesem Grund erklärten sich auch die preußischen Staatsmänner Hardenberg und Wilhelm von Humboldt entschieden gegen die Widerherstellung des Kaiserthums.

Wenn wir nun nach den Erfahrungen der Geschichte die Eventua= lität einer damaligen Uebertragung an das Haus Habsburg ins Auge

fassen, so dürfen wir uns glücklich preisen, daß es nicht dazu gekommen ist, es wäre ein Begräbniß der deutschen Nationalität gewesen. Wie es gekommen ist, daß man von der Schwärmerei für ein neues deutsches Kaiserthum zu der möglichst schlechten Form deutscher Einheit, zu der sehr nüchternen Bundesverfassung heruntergedrückt worden ist, können wir hier nicht erzählen. Dieses traurige Ergebniß war eine Frucht der Eifersucht Oesterreichs auf Preußen und der Mißgunst der europäischen Großmächte gegen dieses. Metternich konnte es Preußen nicht verzeihen, daß es sich durch seine hervorragenden Leistungen im Kriege, durch den Anstoß, den es zur nationalen Auffassung desselben gegeben, Anspruch auf die Führung Deutschlands erworben hatte. Durch den Aufruf an das Volk, durch die Beibehaltung der Landwehr nach dem Frieden hatte Preußen in den Augen der übrigen Mächte sich den Stempel einer revolutionären Existenz aufgedrückt, und es bildete sich nun eine stillschweigende Verschwörung, Preußen niederzuhalten. Darauf war die Bundesverfassung, welche Preußen unter die Vormundschaft Oesterreichs stellte, wohl berechnet. Darauf war auch die territoriale Zusammensetzung des preußischen Staates angelegt. Man gönnte Prenßen nicht die Einverleibung des ganzen Königreichs Sachsen, damit es nicht eine zusammenhängende Ländermasse, nicht einen Zuwachs von mehreren Millionen gebildeter protestantischer Bevölkerung bekomme. Man gab ihm lieber eine katholische Bevölkerung in den Rheinlanden und Westfalen und sorgte dafür, daß die beiden Haupttheile der Monarchie von einander getrennt wurden durch das dazwischen liegende Hannover und Hessen. Auch vom Meer sollte es abgeschlossen werden, und mußte deshalb das altpreußische Ostfriesland an Hannover abtreten.

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Durch die Bundesverfassung war Deutschland um die Entwickelung aus ureigenem Geiste seines Volkes," die in der Proclamation von Kalisch verheißen war, betrogen, es war für ein halbes Jahrhundert in die Fesseln habsburgischer Politik geschlagen. Die optimistische Auffassung, welche in der Bundesakte nur die vorläufige Grundlage einer Einigung Deutschlands sah, welche auf weitere nationale Ausbildung des Bundestags zu einer kräftigen Centralgewalt hoffte, sollte sich nicht erfüllen. Die Bundestagspolitik entwickelte sich vielmehr unter Leitung Oesterreichs immer mehr zu einem Polizeiinstitut, das in Niederhaltung nationaler und freiheitlicher Bestrebungen die Lösung seiner Aufgabe fand. Leider ließ sich Preußen die ihm zugewiesene untergeordnete Rolle nur gar zu geduldig gefallen und ging bereitwillig auf die Wünsche und Winke Oester

Die füddeutschen Verfassungen.

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reichs ein. Der König Friedrich Wilhelm III., der durch den Aufschwung der Befreiungskriege und die Staatsmänner und Kriegshelden, die ihn umgaben, über sein angeborenes Maß gehoben war, sank in seinen beschränkten Gedankenkreis und die Anschauungsweise eines nüchternen Geistes und ängstlichen Gemüthes zurück. Der nationale Aufschwung wurde für revolutionär, staatsgefährlich, gottlos angesehen, seine Stimmführer außer Thätigkeit gesezt oder zu untergeordneten Aufgaben verwendet, und das königliche Wort, welches die Berufung von Reichsständen verheißen hatte, blieb ungelöst, indem man Jahrzehnte lang in ängstlicher Zaghaftigkeit den rechten Zeitpunkt immer noch nicht gekommen glaubte, und so sich einer Versäumniß schuldig machte, die noch bis auf den heutigen Tag ihre schlimmen Nachwirkungen übt. Je weniger Preußen die auf dasselbe gesezten nationalen Hoffnungen erfüllte, desto mehr suchte man nun in den Mittelstaaten eine Stätte politischer Freiheit zu gründen. Die Vollziehung des Artikels 13 der Bundesakte, welcher allen Bundesstaaten landständische Verfassungen verhieß, wurde das Ziel, auf das man zunächst hinarbeitete. Der Großherzog Karl August von Sachsen-Weimar war der erste deutsche Fürst, der 1816 seinem Lande eine freisinnige Verfassung gab; der Großherzog Karl von Baden, der König Maximilian Joseph von Bayern und der König Wilhelm von Wirtemberg folgten 1818 und 1819 nach. Es war gerade keine Begeisterung für ein freies Staatsleben, welche diese letteren Fürsten dazu bestimmte, sie fürchteten der Bundestag werde die Sache in die Hand nehmen, sie wollten die von Napoleon geschenkten und vom Wiener Congreß bestätigten neuen Erwerbungen durch eine Verfassung mit den angestammten Gebieten enger verbinden, ihrer Souveränität die Weihe der populären Anerkennung verschaffen, und dachten durch Gewährung einiger unschädlicher Rechte, durch constitutionelle Formen ihre Völker dem nationalen Gedanken zu entfremden. Doch glaubte man mit diesen Verfassungen damals Großes errungen zu haben, und es ist eine oft widerholte Lehre des Liberalismus, daß das Verfassungsleben der deutschen Mittelstaaten für das deutsche Volk eine höchst werthvolle Schule politischer Freiheit gewesen sei. Aber der unbefangene Beobachter wird Bedenken tragen, in dieses Lob des Constitutionalismus unbedingt einzustimmen. Es fragt sich sehr, ob die Verfassungen der Einzelstaaten nicht unserer nationalen Entwickelung mehr Hemmungen bereitet, als die politische Freiheit gefördert haben. In dem berechtigten Streben, die verfassungsmäßigen Rechte des Einzelstaats zu wahren und gegen die Eingriffe der Bundesgewalt zu vertheidigen,

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